<h2>HANS-DIETRICH SANDER</h2>
<h2>DIE DEUTSCHE VERFASSUNG IST DIE BEDINGUNGSLOSE KAPITULATION</h2>
In den ersten Monaten seiner Kanzlerschaft hat Gerhard Schröder nach mehrfachem Aufbegehren die bedingungslose Kapitulation vom Mai 1945 in Reims wiederholt.
Die Kapitulation des Kanzlers vollzog sich in Etappen. Die erste, sichtbare, ereignete sich mit seiner Reise nach Washington im Oktober 1998 noch vor seiner Vereidigung. Die abschließende ging Ende dieses Winters über die Bühne, als Clinton ihn ins Weiße Haus zitierte zu einer Unterredung, über die er nichts mitteilen wollte. Hinterher kam der Sturz Lafontaines als warnende Bekräftigung des amerikanischen Willens zur Exekution.
Die Kanzlerkapitulation hat die unconditional surrender nicht erneuert. Das hatte sie gar nicht nötig. Sie ist seit dem Mai 1945 nie ausgesetzt oder aufgehoben worden. „Mit dieser Unterschrift sind das deutsche Volk und die deutsche Wehrmacht auf Gnade und Ungnade den Siegern ausgeliefert. Beide haben in diesem Krieg mehr geleistet und mehr erduldet als vielleicht je ein Volk auf dieser Erde. Ich kann in dieser Stunde nur die Bitte aussprechen, daß dieSieger mit ihnen gnädig verfahren." Diese Worte des Generalobersten Alfred Jodl in Reims nach der Unterzeichnung waren gegen die Wand gesprochen. Er wurde nach einem Prozeß, den zu redivieren den Deutschen untersagt ist, aufgehängt.
Daß die bedingungslose Kapitulation mehr bedeuten sollte als nur einen groben Schlußstrich unter den Zweiten Weltkrieg nach dem Ende der Kampfhandlungen, ergab schon die Konferenz zwischen Roosevelt und Churchill 1945 in Quebec, wo sie die Nachkriegspolitik gegenüber Deutschland mit dem Satz fixierten: „Einen Friedensvertrag wird es nicht geben, sondern einen Erlaß der Großen Vier"- zur Aufteilung des Deutschen Reiches. Statt des Friedensvertrages gab es die Feindstaatenklauseln der UNO, die bis heute wie Damokles-Schwerter über uns hängen, die herabsausen sollen, wenn wir uns mausig machen.
Der alsbald einsetzende Kalte Krieg zwischen den USA und der UdSSR hat diese reale Lage nie so richtig in das Bewußtsein unseres Volkes dringen lassen. Wer sie erkannte, wurde mit der Bemerkung beruhigt, das alles sei doch längst obsolet geworden.
Wie wenig das der Fall war, zeigen die fortgesetzten Eingriffe der Amerikaner in die Bonner Kanzlerschaften: wenn ihnen ein Kanzler zu eigenmächtig wurde, schrieb Henry Kissinger in seinen"Erinnerungen", sorgten sie dafür, daß seine Legislaturperiode vorzeitig beendet wurde. Wahrscheinlich war Helmut Kohl der einzige, der bedingungslos - über einen Zeitraum von 16 Jahren - gehorchte. Das Weiße Haus bedankte sich entsprechend: es verlieh ihm die höchste zivile Auszeichnung der USA, die Presidential Medal of Freedom, die bisher nur an amerikanische Bürger verliehen wurde, und Präsident Clinton sagte, als er sie ihm (welch ein triumphaler Nachsieg über Hitler) am 20. April umhängte: „Du bist ein Amerikaner!" Es war der Lohn dafür, daß Kohl das Angebot der partnership in leadership, das Präsident Bush an die Deutschen in derWende richtete, politisch korrekt verstand - als Charaktermaske für Judasdienste.
Gerhard Schröder hatte sich wohl gedacht, mit seiner lockeren Art die absolute Hörigkeit in ein Partnerschaftsverhältnis überleiten zu können. Die Amerikaner zwangen ihn im Gegenzug, auf alle seine Vorhaben zu verzichten, für die er am 27. September 1998 vom deutschen Volk gewählt wurde. Das abstoßende Ergebnis war das Bild, das er am 6. Mai in Ingelheim bot, wo er sich mit Clinton traf, der die amerikanischen Streitkräfte besuchte, die von den US-Luftbasen in Deutschland aus zu ihren Bomben-Terrorflügen nach Serbien starten. Der deutsche Kanzler wirkte neben dem amerikanischen Präsidenten wie ein getretener Lakai und sollte so auch vorgeführt werden.
Wie wird so etwas erreicht? Es ist bekannt, daß die vorzeitigen Kanzlerabgänge meistens über die FDP liefen. Aber auch die FDP mußte dazu bereit gewesen sein. Welche Mittel sind da eingesetzt worden? Die Amerikaner verfügen bezüglich Deutschlands über ein regelrechtes Instrumentarium.
Washington übernahm zunächst die Methode, mit der die Briten ihr riesiges Kolonialreich beherrschten: die Bestechung, Korrumpierung und Erpressung der Oberschichten. Aus dem Neuen Testament hatte man gelernt, daß dazu 30 Silberlinge nicht ausreichen. Kohl soll heute Milliardär sein; wenn das stimmt, dürfte er dieses Vermögen schwerlich aus den nicht unbeträchtlichen Kanzlerbezügen angehäuft haben. Diese Methode war außerdem geboten als Kompensation für eine Politik, die nur noch aus dem Vollzug von Vorgaben bestand.
Das zweite Mittel besteht in der geheimdienstlichen Durchdringung, zu der die Amerikaner in Deutschland ein halbes Jahrhundert Zeit hatten. Es ist leicht vorstellbar, wie dicht das Netz in dieser Zeit geknüpft wurde, dessen Maschen oft schon in den Semestern gewirkt wurden, die deutsche Studenten an amerikanischen Universitäten verbrachten. Unlängst teilte Egon Bahr mit, daß jeder Kanzler in Bonn IM des CIA gewesen ist. Und das sagte einer, der es wahrlich wissen muß.
Ein drittes Mittel ist die Schuldkeule, die geschwungen wird, wenn Widerstand moralisch gebrochen werden soll. Selbst in der EU in Brüssel ist es üblich, deutsches Einverständnis, das nicht in unserem Interesse liegt, mit der harschen Aufforderung zu erreichen, man solle sich doch gefälligst an die zahllosen Greueltaten erinnern, die Deutschland im Dritten Reich und im Zweiten Weltkrieg verübt hätte.
Nackte Drohung ist das vierte Mittel, die bedingungslose Kapitulation zu perpetuieren. Auf einem Seminar, das eine Bonner Randgruppe über deutsch-russische Beziehungen veranstaltete, sagte ein amerikanischer Teilnehmer, wenn es zu unabhängigen, immer enger werdenden Kooperationen zwischen der deutschen und der russischen Industrie käme, würden ganz einfach ein paar Atombomben auf deutsche Städte abgeworfen werden. Ich habe schon öfter erlebt, wie couragierte Männer, die für eine andere Politik eintraten, plötzlich mit dem Satz zurückwichen: „Nein, nein. Das können wir nicht machen. Dann bomben sie uns wieder."
Der einzige Bonner Politiker, der sich von diesem kompakten Instrumentarium nicht beeindrucken ließ, war Adenauer. Als bei seinen Verhandlungen in Moskau 1955 Chrustschow beide Fäuste gegen ihn erhob und an die deutschen Greueltaten in Rußland erinnerte, erhob Adenauer seine Fäuste wider Chrustschow und erinnerte ihn an die Greuel, die von der Sowjetarmee beim Einmarsch in Deutschland verübt wurden. Und als ihm bei einem Besuch in Israel die Tischrede des Premiers vorgelegt wurde, sagte er kühl: „Herr Eschkol, wenn Sie diese Rede halten, reise ich ab." Die Amerikaner hatten Angst vor ihm, wenn er nach Washington flog - bis sie seine Kanzlerschaft vorzeitig beendeten.
Gerhard Schröder hätte alle seine Vorhaben mit einer vergleichbaren Standfestigkeit durchsetzen können. Es ist nicht nur persönlichkeitsbedingt, daß er sie nicht hat. Es wäre zu boshaft, anzunehmen, der lakaienhafte Status, in dem er gelandet ist, habe sich schon in seiner Vorliebe für teure geckenhafte Kleidung abgezeichnet.
Es ist kein Zufall, daß Adenauers Haltung keine Fortsetzung fand. Als er Ende 1962 abtrat, waren schon 15 ermattende Jahre der bedingungslosen Kapitulation verstrichen. Die vorhandenen Kräfte hatten sich im Wiederaufbau der Trümmerlandschaften erschöpft und eine negative Führungsauslese sorgte dafür, daß aus den nachfolgenden Generationen keine widerstandsfähigen Elemente aufsteigen konnten. Das war mir schon in meiner Zeit als Redakteur bei der Welt 1958-1962 in Hamburg klargeworden.
In keinem Bereich der Bonner Republik konnten Persönlichkeiten mehr in entscheidende Positionen einrücken, denen eine Remedur zuzutrauen gewesen wäre, auch Schröder nicht, wenn man ihn anders eingeschätzt hätte. Ein übriges vollbrachte das Erziehungssystem, das die Zahl der Gegenkräfte schon im Kindesalter reduzierte.
Das war prinzipiell auch in der DDR so, wie ich es in meiner Ostberliner Zeit von 1952 bis 1957 erlebte. Nur mit dem Unterschied, daß man in einen anderen deutschen Staat überwechseln konnte. Die DDR ist schließlich daran zugrunde gegangen, daß sie das Gros ihrer tüchtigsten Kräfte vertrieb. Die negative Führungsauslese ist ein Signum besetzter Länder. Sie können sich ohne sie nicht halten und scheitern am Ende durch unfähige Politiker.
Der deutschen Verfassung der bedingungslosen Kapitulation als Zustand widerspricht nicht ihre Verfassung im staatsrechtlichen Sinn. In diesem Jahr wird das 50-jährige Jubiläum des Grundgesetzes gefeiert, das am 23. Mai 1949 in Kraft trat, des Grundgesetzes für die Bundesrepublik, nicht des Grundgesetzes der Bundesrepublik, wie Otto Schily es bei einer Umfrage nach den drei Büchern, die man gelesen habe sollte, in der Welt am Sonntag vom 7. Februar 1999, zwischen der Bibel und Goethes Faust nannte.
Die Differenz ist fundamental. Das Verhältniswort akzentuiert seinen transitorischen Charakter, der dem deutschen Volk, von dem alle Gewalt ausgehen soll, keine Rechte zumißt, die Souveränitätsfrage nicht kodifiziert, dagegen die Übertragung hoheitlicher Rechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen vorsieht. Es ist eine Verfassung, die schon bei ihrer Konzipierung die Auflösung des deutschen Staates bezweckte, gekoppelt mit der Aufhebung der deutschen Nation - was beides unterschwellig immer schon betrieben worden ist, aber jetzt offensichtlich zur Exekution gelangen soll. Die Koinzidenz des 50-jährigen Jubiläums mit der Evidenz ihres finalen Zweckes wird uns in diesem Jahr reichlich Gelegenheit geben, über diese sogenannte Verfassung nachzudenken, über deren Abgründigkeit Generationen deutscher Juristen mit ostinat beschwörender Ehrfurcht vor der Weisheit der Väter des Grundgesetzes hinweggetäuscht haben.
Mit dem Übergang von der Bonner zur Berliner Republik, wie er sich im Hauptstadtwechsel anbot, wollte Gerhard Schröder in einer den Verhältnissen angemessenen Vorsicht eine andere Republik ansteuern, eine Republik des freien Diskurses. Er ist darüber zum Lakaien Washingtons heruntergeprügelt worden. Indem er das mit sich machen ließ, hat die Bundesrepublik Deutschland ihre Erneuerungsfähigkeit verloren.
Die politische Frivolität, mit der dieser Kanzler den Reichstag eröffnete, als er den Aufbau des neuen Regierungsviertels durch ausländische, zu Dumpingpreisen angeheuerte Arbeitskräfte als vorbildlich für das neue Europa pries, konterten vor dem Reichstagsgebäude die arbeitslosen Berliner Bauarbeiter mit einer kraftvollen Demonstration. Die Medien verschwiegen es ängstlich. Fürchten sie einen neuen 17. Juni? Meine lieben deutschen Landsleute, laßt euch nicht ins Bockshorn jagen. Verschwindet die Bundesrepublik durch Auflösung von oben oder durch Schläge von unten, geht nur ein weiterer Besatzungsstaat zugrunde. Es kann dann alle Gewalt wirklich vom Volke ausgehen.
(STAATSBRIEFE 4-5/1999)
Quelle
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