Lieber Dottore,
Sie haben mit Ihrem letzten Einwand zu meiner Aussage »Die Evolution ist [...] nicht zielgerichtet« diese in keiner Weise widerlegt, sondern haben das Thema (gewollt oder ungewollt) erheblich erweitert und in eine Richtung gesteuert, die ich als nicht wissenschaftlich betrachte und lieber vermieden hätte. Z.T. haben Sie Dinge geschrieben, die a) entweder so nicht gesagt werden können oder einfach nicht wahr sind. Oder b), wenn Fakten richtig dargestellt oder zitiert werden, sind diese von Ihnen in einen falschen Zusammenhang gebracht worden, da sie nicht in einer logischen Beziehung zueinander stehen. Mir ist aber klar, dass man als interessierter Laie bei der der Fülle der heute zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Literatur leicht den Überblick verliert und nicht unbedingt zu differenzierten Betrachtungen gelangt. Gefreut hat mich aber sehr, dass sie wenigstens z.T. Material von Gould und Eldredge verwenden, da ich selbst insbesondere ein Fan von Gould und seiner Theorie des »punctuated equilibrium« bin. Aber dazu weiter unten. Bitte seien Sie nicht verletzt, wenn ich Ihnen hier so deutlich widerspreche, aber wir befinden uns in einem halbwegs öffenlichen Raum hier und deshalb darf der von Ihnen geweckte Eindruck, dass die moderne Evolutionsbiologie sich in Richtung Kreationismus oder Lamarkismus begibt, nicht stehen bleiben.
Zu Punkt 1: Der Artbegriff ist nicht »windig«, sonst könnte man ihn ja für wissenschaftliche Argumentationen und Schlußfolgerungen nicht verwenden. Allerdings muss man sich darüber im klaren sein, dass es unterschiedliche Definitionen des Begriffs »Art« gibt und das es Gruppen von Organismen gibt, die - manchmal - schwer in diesen eingepasst werden können und die deshalb »anders« als Art definiert werden müssen. Dies sindz.B. parthenogenetische - also selbstbefruchtende - Arten, Mikroorganismen wie z.B. Eu- oder Archaebakterien, Viren etc. Für uns ist das hier aber uninteressant. Von diesen Spezialfällen einmal abgesehen werden in der Biologie 2 Definitionen des Begriffs »Art« verwendet, nämlich einmal die »Ã-kologische Art« und zum anderen die »evolutionäre Art«. Im ersten Fall werden werden alle diejenigen Organismen als Art zusammengefasst, die sich untereinander paaren und fertile (!) Nachkommen zeugen können. Z.B. können Pferd und Esel miteinander gekreuzt werden, die Nachkommen sind aber wiederum nicht befähigt selbst Nachkommen zu zeugen. Aus diesem Grund werden diese beiden Gruppen von Tieren nicht als Art zusammengefasst. Problematisch wird der Begriff der ökologischen Art in Grenzfällen. Wenn man beispielsweise 2 Gruppen von Tieren mit Merkmalsunterschieden als 2 getrennte Arten definiert, aufgrund der Tatsache, dass sie sich natürlicherweise nicht kreuzen können, da sie z.B. räumlich voneinander getrennt sind, obwohl sie im Labor dies tun könnten. Dies halte ich z.B. für vernünftig, obwohl der Begriff der ökologischen Art dadurch gedehnt wird. Deshalb kann der Begriff der ökologischen Art nicht aber gleich als »windig« bezeichnet werden.
Zur evolutionären Art:
Dies ist ein Begriff aus der Paläontologie. Hier wird eine »evolutionäre« Art als eine Abstammungsgemeinschaft bezeichnet, die solange als Art zusammengefasst wird, bis eine Aufspaltung zu beobachten ist (natürlich »rückwirkend« betrachtet). Eine - auch deutliche - Veränderung von Merkmalen oder Merkmalskomplexen allein (also ohne Aufspaltungsereignis) führt nicht dazu, dass Nachfolgegenerationen als neue Arten definiert werden.
Problematisch ist dieser Begriff der Art natürlich im Vergleich zum Begriff der ökologischen Art. Z.B. ist die Frage, ob zeitlich voneinander getrennte Gruppen von Tieren, die als zu einer evolutionären Art zugehörig definiert werden, sich überhaupt hätten kreuzen können, wenn sie denn nicht voneinander getrennt gewesen wären. Abgesehen von diesem wissenschaftlich nicht zu untersuchenden Problem ist aber von größerer Bedeutung, inwieweit Organismen, die zeitgleich existiert haben und aufgrund von gleichen Merkmalen (in der Paläontologie stehen einem ja nur Knochen und Abdrücke zur Verfügung!) zu einer Art zusammengefasst werden, obwohl sie insbesondere nach der ersten Definition nicht zusammengehören würden, und nach 2ter Definition eine Spaltung zwar stattgefunden hat, aber nicht bewiesen werden kann.
Dies sind einige Einschränkungen des Begriffs »Art«. Will man sich über Evolution und Mechanismen der Evolution verständigen, muss man sich zumindest über diese Einschränkungen bewusst sein und sie beim Namen nennen. Als Evolution verstehe ich den Prozess der Entstehung und der Veränderung von Arten im Laufe der Geschichte des Lebens. Die evolutionäre Veränderung von Merkmalen und die Entstehung von neuen Arten und Bauplänen ist Resultat von 1. (zufälliger) Mutation auf genetischer Ebene und 2. der natürlichen Selektion durch äußeren Bedingungenen und internernen (z.B. ontogenetischen) Zwängen, die auf Ebene der Populationen oder der Arten wirkt. Heutzutage wird in der Wissenschaft im wesentlichen über die Bedeutung der Mechanismen gestritten, die auf die Evolution Einfluss nehmen. Die einen halten den Zufall und »interne Zwänge« (Gould, Eldredge) für relativ bedeutsam, die anderen meinen, die (äußere) Selektion sei die treibende Kraft der Evolution und würde ihr die »Richtung« geben. Kein ernstzunehmender Biologie nimmt aber heutzutage nicht-reduktionistische »metaphysische« Wirkungskräfte zur Erklärung seiner Hypothesen. Kein Biologe denkt heutzutage teleologisch!
Wenn es - wie Sie behaupten - es tatsächlich sogenannte Darwin-Finken gibt, die sich untereinander kreuzen, dann haben Sie Recht und diese dürfen nicht als getrennte Arten voneinander unterschieden werden (und das werden sie nach heutiger Auffassung auch sicher nicht). Ich kann an dieser Stelle nicht überprüfen, ob Darwin sie als 2 (oder mehr?) getrennte Arten betrachtet hat oder nicht. Mir scheint das auch kein wichtiger Punkt. Wichtiger fände ich es zu wissen, inwieweit morphologische Unterschiede bei diesen vermeintlich zu einer Art gehörigen Tiere bestehen. Denn das ist das eigentlich interessante! Darwin hat ja beschreiben können, das die Evolution eine Vielzahl von morphologischen Merkmalsunterschieden bei vielen oder einigen diese nah verwandten Tieren hervorbringen konnte. Wenn sich Tiere mit starken morphologischen Unterschieden kreuzen können werden natürlich auch diese Unterschiede negiert. Das würde aber bereits die Entstehung von solchen Merkmalsunterschieden verhindern. Ich bitte einmal diesen Punkt und die Konsequenzen zu überdenken.
Zu Punkt 2,4 und erster Absatz von 5, die eigentlich zusammengehören (über »Tempo der Evolution«)
Ein schnelles Tempo der Evolution ist kein Argument dafür, eine geheimnisvolle - von außen - auf den Prozess der Evolution einwirkende Kraft zu postulieren. Dies ist völliger Humbug. Beide großen Denkrichtungen in der Evolutionsbiologen, d.h. sowohl Neo-Darwinisten, als auch »Punktualisten« wie Gould und Eldredge verwenden die unterschiedlichen Tempi der Evolution jeweils irgendwie jeweils auch für ihre Argumentationen, hinsichtlich der Bedeutung von Mechanismen der Evolution. Alle zeitlichen Phänomene sind jedenfalls mit den bisherigen Erkenntnissen der Genetik vereinbar.
Zu Punkt 3.
Eingriffe des Menschen kann man nicht mit einbeziehen. Wenn Biologen von Evolution sprechen, ist immer der »natürliche« Prozess gemeint. Gelegentlich wird auch von kultureller Evolution oder technischer Evolution gesprochen. Hier wird der Begriff Evolution für völlig andere Prozesse verwendet. Wollen Sie die diese Dinge hier etwa auch noch diskutieren?
Abgesehen davon,zeigt die »Eingriffsmöglichkeit« nur die Mechanik des Evolutionprozesses auf und bestätigt die Erkenntnisse der Evolutionsgenetiker. Als »Kreativer Evolutionsismus« - was immer sie damit meinen - kann man dies mit Sicherheit nicht bezeichnen.
Zu Punkt 5.
Veränderung und Nicht-Veränderungen sind u.a. abhängig von der Konstanz der Selektion-(Umwelt-) Bedingungen. Der Quastenflosser beispielsweise hat sich Jahrmillionenlang morphologisch nicht geändert, weil er in der Tiefsee lebt und die Bedingungen sich dort im Laufe der Zeit kaum geändert haben.
Natürlich hat die Evolution nichts mit der Börse zu tun. Diese Gedanken sind absolut abwegig, falsch und deshalb unerheblich.(Die Suche nach den eigentlichen Agentien muss im übrigen auch nicht von neuem einsetzen, wie oben schon dargestellt.)
Ansonsten denke ich, dass die Nicht-Zielgerichtetheit aus diesen Ausführungen offensichtlich wird. Wenn Ihnen das nicht reicht, kann ich Ihnen noch Literaturzitate nennen (insbesondere auch von Gould, obwohl Sie den falsch verstehen). Inwieweit das Beispiel der afrikanischen Kuckuksvögel stimmt, kann ich an dieser Stelle nicht überprüfen. Mit Sicherheit läßt sich dieses Phänomen aber - wenn es richtig zitiert ist - wissenschaftlich erklären. Ein weiteres Beispiel, wie »zufällige« Mutationen zu einer schnellen Anpassung führen können, ist ja das menschliche Immunsystem und die Generierung von Antikörpern als Antwort auf Fremdstoffe. Vielleicht passiert hier von der Genetik her etwas verlgeichbares.
Fragen Sie sich ansonsten eigentlich, wie denn die Elterntiere dieser Kuckuksvögel feststellen könnten, welche Gaumenflecken Sie ihren Kindern verpassen sollen und wie sie die Veränderung der Gene dann bewirken. Das kann doch nicht ihr Ernst sein?! Gucken die vorher in den Schnabel der Wirtstiere und gehen dann ins Labor, oder was?????
Zum vorletzten Absatz:
Dass neue Merkmale durch Mutationen in Genen entstehen, die von der Umwelt selektiert werden, ist unwiderlegbar und wissenschaftlich allgemein anerkannt. Wer dies bezweifelt, begibt sich in die Nähe von extrem religiösen Spinnern oder Esoterikern. (Mittlerweile wird - glaube ich - die Evolution schon vom Pabst anerkannt.)
Wenn Sie mehr von Genetik und Evolutionsbiologie verstehen wollen, beschäftigen Sie sich auch mal mit den neuesten Erkenntnissen der Entwicklungsbiologie wie sie von Forschern wie Nüsslein-Volhard erbracht werden. Gerade ihre Ergebnisse über früh in der Ontogenese exprimierte regulatorische Gene lehrt viel darüber, wie die Evolution die Ausprägung von Merkmalen - auch innerhalb sehr kurzer Zeiträume - einzugreifen vermag.
Zum letzten Absatz.
Evolution ist mitnichten ein Denkfehler. Sie machen die Fehler, weil sie wichtige Grundlagenerkenntnisse ausser Acht lassen und zu oberflächlich geschürft und vorschnell geurteilt haben. Bevor Sie sich mit Ihren Behauptungen soweit aus dem Fenster lehnen, sollten Sie zunächst versuchen, mehr »biologisch-naturwissenschaftlich« denken zu lernen und Grundlagen pauken.
Wenn Sie das wirklich interessiert beginnen Sie mit dem Alberts (Molekularbiologie der Zelle) und gehen dann über Lehrbücher wie Gilbert's »Developmental Biology« und auch Ax' »Phylogenetische Systematik« und Westheide Rieger's »Spezielle Zoologie« zuletzt zu Autoren wie Gould (z.B. Ontogeny and Phylogeny).
Schürfen Sie mal!
Grüße, Dr. B.
P.S.: Lassen Sie uns jetzt wieder zu unserem eigentlichen Thema zurückfinden und uns bitte nicht länger über Evolution diskutieren. Mir stehen wirklich die Haare zu Berge, wenn ich so etwas lese!
Hier nochmals dottores Ausführungen:
Das Thema Evolution ist natürlich ein weites Feld und wird bis in die Gegenwart heftig diskutiert. Dabei möchte ich nur auf einiges hinweisen:
1. Evolution, wie zuerst von Darwin 1859 als Begriff populär gemacht, inzwischen in zahlreichen deutschen Ausgaben vorliegend ("Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl"), basiert auf einem biologischen Artbegriff, der weder einheitlich noch widerspruchsfrei definiert ist. Darwin, der auf seine These stieß, als er seine berühmten Finken untersuchte, muss sich natürlich heute mit Phänomenen konfrontieren lassen wie z.B. mit der Tatsache, dass sich seine Finken weiterhin munter miteinander kreuzen, daher so Recht keine neuen Arten sein können. Überhaupt ist der Artenbegriff irgendwie windig. Er wird aber benötigt, weil man sonst ja Evolution nicht definieren kann, jedenfalls nicht biologisch.
2. Nun sind im Victoriasee (Afrika) Buntbarsche entdeckt worden, die in hoher Geschwindigkeit neue Arten entwickelt haben, die sich nicht kreuzen. Auch im Malawi-See ist ein ähnliches Phänomen zu bestaunen, wo sich innerhalb von 200 Jahren 300 bis 500 neue Arten ausgebildet haben. Da Darwin für seine Evolution"lange Zeiträume" postuliert, widerspricht dies seiner ursprünglichen Annahme. Neo-Darwinisten erklären die explosive Artbildung mit der vorhandenen DNS. Die stellen zwar passendes Variationsmaterial bereit, aber wenn man dabei auf die vorhandenen"Müll-DNS" zurückgreift, muss erklärt werden, warum denn bei den Buntbarschen diese Artenvielfalt sich sehr rasch ergibt, wo anders aber nicht. Ob sich der Darwinismus demnach dem Kretionismus öffnen muss (also der Vorstellung eines"schöpferischen" Eingriffs von außen), ist jetzt sehr die Frage.
3. Dass in die DNS eingegriffen werden kann, hat schon das Hybridschwein bewiesen und wir werden jetzt nach der Entschlüsselung des Genoms noch andere"kreative" Evolutionismen erleben, Stichwort Klonen.
4. Es spielt natürlich auch das Tempo der Evolution eine Rolle. Einige Arten können äonenlang unverändert bleiben, bei anderen Beobachten wir eine explosionsartige Ausdifferenzierung. Vor allem in geographisch kleinen, isolierten Bezirken kann die Evolution rasend schnell fortschreiten. Den evolutiven Geschwindigkeitsrekord halten z.Zt. die hochgiftigen maritimen Kegelschnecken (Conus), die lt. FAZ vom 23. 6. 99 ("Rasche Evolution von Schneckengift" - unter Bezug auf die Proceedings der Nationalen Akademie der Wissenschaften, USA, Bd. 96, 6820)"eine außerordentlich hohe Mutationsrate bei den für die Giftproduktion zuständigen Genen" und"die sich am schnellsten verändernden Gene überhaupt" haben.
5. So decken die Evolutionisten beides, Veränderungen und Nichtveränderung, zwischen Jahrmillionen und Tagen ab, ohne dabei erklären zu können, woher dieser Unterschied kommt. Läuft das Ganze auf eine Redundanz hinaus?
Heribert Illig folgert aus diesem (Zeitensprünge 1/2000, 14):"Wie es mir scheinen will, muss die Suche nach den eigentlichen Agentien der Evolution von neuem einsetzen." Und dies ohne die üblichen Tautologien zu benutzen, wie das"survival of the fittest" (der Überlebende überlebt).
Übertragen auf die Probleme, die wir hier diskutieren, sind diese Gedanken erheblich. Was, wenn die Börse a) ein evolutionsfreier Raum ist? b) Was, wenn sie einer schnellen Evolution unterliegt und obendrein einer sich beschleunigenden? c) Was geschieht bei kreativen Eingriffen, z.B. Änderung der Börsenregeln (die Änderung der Versteigerungsregeln bei der UMTS-Auktion wurde schon diskutiert)? Aktiensplits haben die bekannten Auswirkungen, ebenso die Umstellung auf"kleinere" Stücke? Was, wenn alle Aktien auf Ministücke umgestellt werden, bekanntlich ist es von 1 auf 2 Euro etwas anderes als von 1000 auf 2000, obwohl es beide Male um 100 % geht?
Und die Nicht-Zielgerichtetheit ist biologisch höchst fraglich. Afrikanische Kuckucksvögel geben ihren Sprösslingen genau jene Gaumenflecken mit, auf die ihre Wirtsvögel mit Futterreflex reagieren. Diese Flecken sind bei den Wirtsvögeln fein ausdifferenziert und verändern sich immer wieder. Kuckucke, die darauf nicht in der selben Generation reagieren, warten vergeblich auf Nachkommen.
Davon, wie Dr. B. schreibt, dass durch"zufällige Mutationen" neue Merkmale entstehen, kann unter biologischen Aspekten nach letztem Forschungsstand keine Rede sein.
Wir müssen hier offenbar noch erheblich tiefer schürfen, um weiter zu kommen. Evolution klingt gut, aber vielleicht ist sie ein Denkfehler? Ich weiß es nicht.
Grüße
d.
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