Sorge um Immobilienblase in
Großbritannien
Stärkster Anstieg der Häuserpreise seit 1989 /
Notenbank im Dilemma /"Zinserhöhung nicht vor
August"
chs. LONDON, 1. Juli. Die Hauspreise in Großbritannien
scheinen nur eine Richtung zu kennen: nach oben. Die
jüngste Erhebung der Bausparkasse Nationwide ergab für
den Monat Juni einen Anstieg der durchschnittlichen Preise
von 19,8 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Im
zweiten Quartal verzeichneten die Preise damit das größte
Plus seit 1989.
Diese Jahreszahl ruft in Großbritannien schmerzhafte
Erinnerungen hervor, denn mit ihr begann die letzte große
Immobilienblase zu platzen, die Tausende von Heimbesitzern
in die Falle des"Negative Equity" laufen ließ. Dabei
übersteigen die Schulden den Wert des Hauses, und das ist
besonders bitter, wenn man so wie viele Briten die
Verzinsung nicht über Jahre festgezurrt hat, sondern flexibel
mit jeder Leitzinsänderung der Notenbank schwanken läßt.
Steigen dann nämlich die Zinsen aufgrund von
Inflationssorgen, können die Hausbesitzer den Schuldendienst
oft nicht mehr leisten.
Nach Ansicht der meisten Ã-konomen ist der aktuelle Anstieg
der Preise nicht mehr mit fundamentalen Entwicklungen zu
rechtfertigen. Die Zahl der Neubauten liegt zwar auf
historisch niedrigem Niveau, bei niedriger Arbeitslosigkeit
sind die Einkommen weitgehend stabil, und die Zahl der
Haushalte nimmt aufgrund geänderter Lebensgewohnheiten
zu (Stichwort Single-Haushalte). Doch die nun erlebten
Zuwächse übersteigen solche langfristigen Trends. Insofern
wächst die Sorge vor einer spekulativen Blase, die mit abrupt
einbrechenden Preisen bald platzen könnte. In der
vergangenen Woche hat sogar der Council of Mortgage
Lenders, der die Bausparkassen vertritt, die Bank von
England aufgefordert, mit einer Zinserhöhung bald für eine
Abkühlung zu sorgen. Dieser Schritt - in seiner zehnjährigen
Geschichte ein Novum für den Bausparkassenverband -
setzten Kommentatoren mit der Analogie von den Gänsen
gleich, die für den Weihnachtsbraten stimmen. Doch die
Bausparkassen ziehen einen kontrollierten Abbau der
Preisübertreibungen einem harten Einbruch vor, weil letzterer
große langfristige Schäden hinterlassen kann.
Die Bank von England steht vor einem Dilemma, wenn ihr
geldpolitisches Komitee am Mittwoch und Donnerstag zu
ihrer monatlichen Sitzung zusammenkommt:"Eine
Zinserhöhung ist aufgrund der Stärke der heimischen
Nachfrage eindeutig gerechtfertigt, aber die weltweiten
Entwicklungen sprechen dafür, daß die Bank erst einmal
stillhält", sagt David Hiller, Volkswirt bei Barclays Capital.
Zudem fiel im Mai die Inflationsrate auf 1,8 Prozent, den
niedrigsten Stand seit 1975, und für Juni wird eine weitere
Abschwächung erwartet. Das verarbeitende Gewerbe steckt
im Gegensatz zum Dienstleistungssektor trotz jüngster
Verbesserungen weiter in der Rezession, und auch wenn
etliche Beobachter aufgrund von Meßschwierigkeiten die
Aussagekraft der offiziellen Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt
in Frage stellen, wurde für das letzte Quartal 2001 und erste
Quartal 2002 nur ein Wachstum von jeweils 0,1 Prozent
ausgewiesen. In einer Reuters-Umfrage der vergangenen
Woche sagten alle 25 befragten Ã-konomen voraus, daß die
Bank von England am Donnerstag die Beibehaltung des
Leitzinses bei 4,0 Prozent verkünden werde. Nach Ansicht
von fünfzehn Volkswirten werde die erste Erhöhung seit
mehr als zwei Jahren im August kommen, der Rest glaubt an
spätere Steigerungen.
Die Optimisten in der Hauspreis-Debatte weisen darauf hin,
daß sich die durchschnittliche Hypothekenbelastung mit 35
Prozent des verfügbaren Einkommens noch im Rahmen
halte, nach 44 Prozent 1992 und 50 Prozent 1982. Zudem
seien Zeichen einer Abkühlung zu erkennen. Vor allem in
London sinken derzeit die Mieten, nicht zuletzt weil
Ausländer weniger Wohnraum nachfragen, und daher halten
sich nun auch die Investoren zurück, die Immobilien zum
Vermieten kaufen wollen. Zudem hat sich die
Wachstumsrate der Immobilienpreise in der Hauptstadt, die
oft der landesweiten Entwicklung vorausläuft, im Juni nach
Angaben von Nationwide im Gegensatz zu allen anderen
Regionen in Großbritannien abgeschwächt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.07.2002, Nr. 150 / Seite 21
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