Roland Leuschel
Zinssenkung der Fed ante portas?
Erinnern Sie sich, als sich vor 5 Jahren die Mächtigsten dieser Welt zum G8-Gipfel in Denver trafen und Präsident Clinton triumphierend erklären konnte: « Amerikas Wirtschaft ist die gesündeste in einer Generation und die stärkste in der Welt » (America’s economy is the healthiest in a generation and the strongest in the world).
Hochmut kommt bekanntlich vor den Fall, heisst es schon in der Bibel, und als Realist (= Optimist mit Erfahrung) muss ich wie alle Anleger folgende Fakten berücksichtigen:
- Zum ersten Mal seit den späten 20er Jahren sind die Aktienbörsen gefallen, obwohl sich die Wirtschaft erholte (6,1% Wachstum im ersten Quartal 2002 in Amerika).
- Der « übermächtige » Dollar ist ebenfalls in die Knie gegangen (rund -10% gegenüber dem Euro), bei gleichzeitig stärkerem Wachstum der amerikanischen Wirtschaft gegenüber Europa und Japan.
Hinter dieser Entwicklung stehen eine Reihe von ÄNGSTEN:
- Die amerikanische Konjunktur könnte wie in diesen Kolumnen öfters erwähnt einen erneuten Rückschlag erleben (sg. « Double Dip », nicht zu verwechseln mit dem harmlosen « Double Mac »). Die wirtschaftliche Erholung Europas bzw. Japans würde damit in weite Ferne rücken.
- Der Verlust des Vertrauens der Anleger in « American Corporate ». Über 1.000 Gesellschaften mussten ihre Gewinne seit 1997 « berichtigen ». Damit weiss auch niemand wie teuer amerikanische Aktien sind. « Wenn man den Gewinnzahlen nicht trauen kann, ist kein Kurs-Gewinn-Verhältnis zu niedrig », sagte Mitch Zacks, Chef von Zacks Investment Research in New York.
- Der leichte Einbruch des amerikanischen Dollars könnte zu einem Kollaps des Dollars führen, angesichts der Tatsache, dass das Leistungsbilanzdefizit steigt (4% des BIP), und die Rekordhöhe von 6,5% erreichten könnte.
- Das amerikanische Haushaltsdefizit könnte wieder kräftig (auf 1,5% des BIP) steigen. Nicht zuletzt wird es daher immer wahrscheinlicher, dass Alan Greenspan nochmals die Zinsen senken wird, obwohl wir bereits auf dem niedrigsten Niveau seit 40 Jahren sind.
Höhere Haushaltsdefizite weltweit, laxe Geldpolitik, bzw. steigende Geldmengen weltweit, explodierende Militärausgaben wegen der Terrorbekämpfung etc. sind ein Gemisch aus dem in der Vergangenheit die sogenannte Stagflation entstand, das heisst relativ geringes Wachstum (1 bis 2%) und höhere Inflationsraten (4 bis 6%). Das fürchten die Märkte, obwohl natürlich dieses Szenario einem Börsenkrach und einem brutalen Einbruch der Finanzmärkte vorzuziehen wäre.
Fazit: Im letzten Jahrhundert kannten wir drei grosse Baisse-Perioden: von September 1906 bis Dezember 1921, von September 1929 bis Juni 1949 und von Dezember 1968 bis Juli 1982. In diesen Perioden gingen die Aktienkurse (gemessen am inflationsbereinigten S&P Index) im Durchschnitt um 66% zurück, und sie dauerten 16 Jahre. Wir stehen also nach 2 Jahren Aktienbaisse und rund 30% Kursrückgang erst am Anfang eines solchen Zyklus. Stellen Sie sich darauf ein! Im Herbst 1999 zitierte ich bei einem Vortrag im Forum in Frankfurt Warren Buffett, der für die nächsten 17 Jahre einen Return p.a. von 4 bis 6% prophezeite, wobei er glaubte, die Zahl würde näher an 4% stehen. Ich selbst habe eine Periode der Stagflation von 1968 bis 1982 in meiner Karriere als Stratege einer Brüsseler Grossbank direkt miterlebt. Wenn Sie nicht clever genug waren, um sogenannte « Rallyes » auszunützen stand es schlecht um Ihre Performance. Es könnte sein, dass wir jetzt eine solche Rallye von 10 bis 15% erleben, da der Markt schon seit einiger Zeit mit schlechten Nachrichten überfüttert wurde, und es in der Sommerpause ruhiger werden könnte. Daher empfehle ich zwar grundsätzlich eine grosse Anleihen- bzw. Cash-Position zu behalten, aber auch sogenannte Value-Aktien zu kaufen. In meiner Kolumne Anfang Mai (« Fairer Wert der Deutschen Telekom unter 8 Euro ») empfahl ich limitierte Kauforders für Blue Chips wie IBM abzugeben, und zwar zwischen 60 und 75 Dollar. Nun der Kurs fiel auf 66, und inzwischen hat IBM eine P/E von unter 17. Erst wenn diese Aktie unter 45 fallen sollte (einen Kurs, den sie im Crashjahr 1987 erreichte), sollte sich der Anleger echte Sorgen machen.
Roland Leuschel
(von www.boerse.de)
02.07.2002
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