Wal Buchenberg
13.07.2002, 18:48 |
K. Marx zu dottores Theorie Thread gesperrt |
„Da die Staatsschuld ihren Rückhalt in den Staatseinkünften hat, die die jährlichen Zins- usw. Zahlungen decken müssen, so wurde das moderne Steuersystem notwendige Ergänzung des Systems der Nationalanleihen. Die Anleihen befähigen die Regierung, außerordentliche Ausgaben zu bestreiten, ohne dass der Steuerzahler es sofort fühlt, aber sie erfordern doch für die Folge erhöhte Steuern. Andererseits zwingt die durch Anhäufung nacheinander eingegangener Schulden verursachte Steuererhöhung die Regierung, bei neuen außerordentlichen Ausgaben stets neue Anleihen aufzunehmen. Die modernen Staatsfinanzen, deren Drehungsachse die Steuern auf die notwendigsten Lebensmittel (also deren Verteuerung) bilden, trägt daher in sich selbst den Keim automatischer Progression. Die Überbesteuerung ist nicht ein Zwischenfall, sondern vielmehr Prinzip....
Der zerstörende Einfluss, den es auf die Lage der Lohnarbeiter ausübt, geht uns hier jedoch weniger an als die durch es bedingte gewaltsame Enteignung des Bauern, des Handwerkers, kurz aller Bestandteile der kleinen Mittelklasse....
Verstärkt wird seine ausbeuterische Wirkung durch das Schutzzollsystem, das einer seiner integrierenden Teile ist.
Der große Anteil an der Kapitalisierung des Reichtums und der Ausbeutung der Massen, der auf die öffentliche Schuld und das ihr entsprechende Finanzsystem fällt, hat eine Menge Schriftsteller, wie Cobbett, Doubleday und andere, dahin geführt, mit Unrecht hierin die Grundursache des Elends der modernen Völker zu suchen.“ K. Marx, Kapital I. MEW 23, 784.
(Eindeutschungen in Kursiv)
Gruß Wal Buchenberg
<center>
<HR>
</center> |
dottore
14.07.2002, 13:35
@ Wal Buchenberg
|
Re: Staat vs. Kapitalisten: Wer kassiert MEHR Mehrwert? Wer verelendet stärker? |
Hi Wal,
danke für den schönen Text. Marx ist doch immer wieder ein Genuss, auch wenn der Genuss bei mir geringer ausfällt als bei Dir.
>„Da die Staatsschuld ihren Rückhalt in den Staatseinkünften hat, die die jährlichen Zins- usw. Zahlungen decken müssen, so wurde das moderne Steuersystem notwendige Ergänzung des Systems der Nationalanleihen. Die Anleihen befähigen die Regierung, außerordentliche Ausgaben zu bestreiten, ohne dass der Steuerzahler es sofort fühlt, aber sie erfordern doch für die Folge erhöhte Steuern.
Richtig. Bloß: Staatsanleihen sind kapitalmarkt-relevant, siehe crowding-out-Effekt, beeinflussen die Kapitalisten also ganz direkt (Hochzinsen, Kreditklemme, Haussen-Baissen, IPO-Probleme, usw.). Was den Kapitalisten beeinflusst, beeinflusst die Geschäfte, damit die Erlöse, die Erträge, die Investitionen, die Arbeitsplätze, die Lohnhöhe, usw.
Marx kannte nur das Eigenkapital, unternehmerische Fremdfinanzierung war ihm nicht geläufig und die Interdependenz zwischen beiden auch nicht.
>Andererseits zwingt die durch Anhäufung nacheinander eingegangener Schulden verursachte Steuererhöhung die Regierung, bei neuen außerordentlichen Ausgaben stets neue Anleihen aufzunehmen. Die modernen Staatsfinanzen, deren Drehungsachse die Steuern auf die notwendigsten Lebensmittel (also deren Verteuerung) bilden, trägt daher in sich selbst den Keim automatischer Progression. Die Überbesteuerung ist nicht ein Zwischenfall, sondern vielmehr Prinzip....
Völlig richtig. Die Teuerung beeinflusst die Lage der Lohnarbeiter nicht? Bitte die gewaltigen Debatten zum Thema"indirekte Steuern" nachlesen. Beginnt schon mit der"Akzise-Diskussion" im 17. Jh., also lange vor dem Phänomen der industriellen Arbeiterschaft.
>Der zerstörende Einfluss, den es auf die Lage der Lohnarbeiter ausübt, geht uns hier jedoch weniger an
Warum weniger, wenn doch"zerstörerisch"?
>als die durch es bedingte gewaltsame Enteignung des Bauern, des Handwerkers, kurz aller Bestandteile der kleinen Mittelklasse....
>Verstärkt wird seine ausbeuterische Wirkung durch das Schutzzollsystem, das einer seiner integrierenden Teile ist.
Wer hat denn wen mehr ausgebeutet? Der Staat oder die Kapitalisten?
Was ist denn höher: Die direkten oder indirekten Abgaben, die alle Lohnarbeiter in Summa an den Ausbeuter Staat abführen müssen oder die Summe des Mehrwerts, den die ausbeutenden Kapitalisten den Arbeitern vorenthalten?
Das ist doch ganz leicht auszurechnen. In beiden Fällen verfügt der Arbeiter über etwas nicht, über das er verfügen könnte.
Die Verausgabung des Vorenthaltenen (Staat gibt Steuern wieder aus), Kapitalist den Mehrwert (er bunkert ihn nicht im Keller) führt automatisch zum Fluss der Mittel in den Arbeitsmarkt. Staat investiert oder subventioniert, Kapitalist verprasst oder investiert.
Wie viele Mehrwertverausgabungsstellen gibt es (BRD-Firmenkassen)? Mindestens 5 Millionen (genaue Zahlen mangels aktueller Betriebsstättenzählung nicht verfügbar).
Wie viele Staatsausgabenstellen gibt es (BRD-öffentliche Kassen): maximal 25.000 (Kleingemeinden inkl.)
Verhältnis: 200: 1.
Die Betriebe (Kapitalisten) streuen also breiter als es die öffentliche Hand je könnte. Geld ex Kapialisten also direkter und schneller (sowieso) wieder im Arbeitsmarkt gesamt als Staatsausgaben.
Was sagt nun der Marxist dazu?
>Der große Anteil an der Kapitalisierung des Reichtums und der Ausbeutung der Massen, der auf die öffentliche Schuld und das ihr entsprechende Finanzsystem fällt, hat eine Menge Schriftsteller, wie Cobbett, Doubleday und andere, dahin geführt, mit Unrecht hierin die Grundursache des Elends der modernen Völker zu suchen.“ K. Marx, Kapital I. MEW 23, 784.
Die"Ausbeutung der Massen" durch den Staat wird also von Marx konzediert. Warum haben dann Cobbett, Doubleday usw."Unrecht"?
Die"Grundursache des Elends" - lassen wir es ruhig so stehen. Jetzt nehmen wir mal einen von beiden (Staat oder Kapital) weg.
Frage: Würden sich die Lohnarbeiter besser stellen, wenn der Staat verschwände oder wenn das Kapital verschwände? In welchem Fall wären sie weniger"elend" dran?
Gruß!
<center>
<HR>
</center> |
Wal Buchenberg
14.07.2002, 15:57
@ dottore
|
Re: Staat vs. Kapitalisten: Wer kassiert MEHR Mehrwert? Wer verelendet stärker? |
>Die"Ausbeutung der Massen" durch den Staat wird also von Marx konzediert. Warum haben dann Cobbett, Doubleday usw."Unrecht"?
>Die"Grundursache des Elends" - lassen wir es ruhig so stehen. Jetzt nehmen wir mal einen von beiden (Staat oder Kapital) weg.
>Frage: Würden sich die Lohnarbeiter besser stellen, wenn der Staat verschwände oder wenn das Kapital verschwände? In welchem Fall wären sie weniger"elend" dran?
>Gruß!
Hallo dottore,
diesen Kopf, in welchem Fall die Lohnarbeiter "weniger elend dran" sind, haben sich alle Sozialdemokraten, Kommunisten, Marxisten usw. zerbrochen. In diese Alternative lässt sich Marx nicht zwängen.
Marx wollte nicht weniger Elend, sondern Beseitigung jedes Elends: Sowohl des Elends der Ausbeutung - egal ob durch Staat oder Kapital - als auch des Elends der Unmündigkeit - egal ob ein Staatsherr oder ein Arbeitsherr dir seinen Willen aufzwingt.
Die einfachen Gegenmittel gegen staatliches wie kapitalistisches Elend heißen: Selbstbestimmung und Selbstverwaltung
Gruß Wal Buchenberg
Im übrigen: Ich bezeichne mich nicht als"Marxist", - so kann sich jeder nennen, der von Marx etwas gelesen, aber nichts verstanden hat.
Ich bezeichne mit als"Marx-Schüler". Das ist sowohl bescheidener wie anspruchsvoller als ein"Marxist".
Bescheidener, weil ich für meine Gedanken keine Originalität beanspruche und nicht glaube, Marx"verbessern" zu können.
Anspruchsvoller, weil eine Schülerschaft zum Ziel hat, den Lehrer zu verstehen.
<center>
<HR>
</center> |
dottore
14.07.2002, 16:51
@ Wal Buchenberg
|
Re: 'Einfache' Gegenmittel- na denn mal los, Sisyphos! |
>>Die"Ausbeutung der Massen" durch den Staat wird also von Marx konzediert. Warum haben dann Cobbett, Doubleday usw."Unrecht"?
>>Die"Grundursache des Elends" - lassen wir es ruhig so stehen. Jetzt nehmen wir mal einen von beiden (Staat oder Kapital) weg.
>>Frage: Würden sich die Lohnarbeiter besser stellen, wenn der Staat verschwände oder wenn das Kapital verschwände? In welchem Fall wären sie weniger"elend" dran?
>>Gruß!
>Hallo dottore,
>diesen Kopf, in welchem Fall die Lohnarbeiter "weniger elend dran" sind, haben sich alle Sozialdemokraten, Kommunisten, Marxisten usw. zerbrochen. In diese Alternative lässt sich Marx nicht zwängen.
Moooment! So einfach geht's nun nicht. Schließlich schreibt Marx selbst (d.h. ich habe es von Dir als Marx-Zitat):
"Der große Anteil an der Kapitalisierung des Reichtums und der Ausbeutung der Massen, der auf die öffentliche Schuld und das ihr entsprechende Finanzsystem fällt, hat eine Menge Schriftsteller, wie Cobbett, Doubleday und andere, dahin geführt, mit Unrecht hierin die Grundursache des Elends der modernen Völker zu suchen."
Mit dieser Aussage zwängt Marx doch selbst!
Wenn Unrecht: Warum also falsch?
Wenn nicht hierin: Wo sonst?
Wenn nicht die Grundursache: Welche dann?
Wenn Ursache: Welche noch?
Ich sehe schon ein, dass Marx auf keinen Fall von der Grundursache"Kapital" lassen kann. Dann müsste aber das Kapital den Staat mit dem Elend, das der verursacht, irgendwie herbeizwingen. Das liefe wieder auf die These hinaus, dass es Kapital & Kapitalisten mit ihrer zwar vorhandenen, aber relativ geringen Macht verglichen mit der Staatsmacht vor der Gewaltmacht gegeben habe. Dies ist historisch falsch.
Und theoretisch nicht nachvollziehbar: Warum sollten sich die Kapitalisten eine Macht geschaffen haben, die sie jederzeit unterjochen konnte, was oft genug der Fall war? Die Waffenmacht als Folge (!) und dann als Lakai der Wirtschaftsmacht?
Wenn jemals Kapitalisten bei Verstand gewesen wäre, hätten sie gerade das nicht getan. Nach dem Motto: Ich (Kapitalist) produziere Bajonette und Berettas, aber statt sie selbst zu halten und zu nutzen (very useful tools) liefere ich sie zur"weiteren Verwendung" an irgendjemand (Staat) ab.
Das haut nicht hin.
>Marx wollte nicht weniger Elend, sondern Beseitigung jedes Elends: Sowohl des Elends der Ausbeutung - egal ob durch Staat oder Kapital - als auch des Elends der Unmündigkeit - egal ob ein Staatsherr oder ein Arbeitsherr dir seinen Willen aufzwingt.
>Die einfachen Gegenmittel gegen staatliches wie kapitalistisches Elend heißen: Selbstbestimmung und Selbstverwaltung
"Einfache" Gegenmittel? In der Theorie. Jedoch in der Praxis vollständig ausgeschlossen. So leid es mir tut.
Marx ist mit seinem eigenen Schicksal Beweis genug. Schließlich floh er nicht vor deutschen Kapitalisten, sondern vor der deutschen Staatsmacht.
Das mit Selbstbestimmung und -verwirklichung klingt gut und kann einem durchaus auch als Lebensziel dienen. Die zunehmende Enttäschung darüber, dass dieses Ziel aber immer weiter wegrückt, je näher man ihm gekommen zu sein wähnt, wird in tiefer Verbitterung enden.
Das solltest Du rechtzeitig bedenken.
Und wenn wir uns schon mit Vergleichen belegen (meine Wenigkeit als Robert Burton redivivus enttarnt): Was hältst Du von Sisyphos? Die Arbeit, die Du Dir als Marx-Schüler gemacht hast, nötigt größte Achtung ab. Hoffentlich kullert sie Dir nicht immer wieder vor die Füße.
Desillusioniert-desillusionierenden Gruß!
<center>
<HR>
</center> |
Wal Buchenberg
14.07.2002, 17:02
@ dottore
|
Wal ein Sisyphos? und wenn! - Ist nicht jeder Lohnarbeiter ein Sisyphos? (owT) |
<center>
<HR>
</center>
|
Uwe
14.07.2002, 18:45
@ dottore
|
Kapital vor Staatsmacht ( = Gewaltmacht ) |
dottore:[i]... Dann müsste aber das Kapital den Staat mit dem Elend, das der verursacht, irgendwie herbeizwingen. Das liefe wieder auf die These hinaus, dass es Kapital & Kapitalisten mit ihrer zwar vorhandenen, aber relativ geringen Macht verglichen mit der Staatsmacht vor der Gewaltmacht gegeben habe. Dies ist historisch falsch.[/i]
<center> ).
Damit ist aber eben der"übertragene Schutz" der eigentliche Auslöser der Macht. Das"Kapital", nun wieder im wirtschaftlichem Sinne gemeint, nutzt diesen genauso (oder gar verstärkt), wie der"Private". Warum soll also nicht maßgebliche Vertreter mit Kapital ureigenste Interessen z.B. an der Entstehung des Deutschen Reiches (1870/71), der Abspaltung der Südstaatzen von den Nordstaaten (USA), der Gründung der Vereinigten Staaten,... gehabt haben?
Das allerdings der vermeintliche Idealfall, das Wiedererlangen der totalen Eigenverantwortlichkeit aller Einzelpersonen/-gruppen (Selbstverwaltung), je wieder möglich sein wird, kann ich mir nicht praxisgerecht vorstellen. Jedoch warum sollte es nicht möglich sein, die Macht kontrollierbar werden zu lassen, bildlich: wie in ihren Frühzeiten der Machtentstehung, wo ein"Priester" (Machtinhaber), der denn doch nicht mit den Naturgewalten (der Macht) richtig umgehen konnte, vertrieben wurde. Das hierzu geschriebene und wesensbedingte Gesetze der jetzigen Macht diesen Vorstellungen der"Machtkontrolle" im Wege stehen, ist mir wohl klar.
Gruß
Uwe
<center>
<HR>
</center> |