nereus
09.08.2002, 08:41 |
dottore, eine FrageThread gesperrt |
Hallo dottore!
Sie schreiben an Galiani bezüglich seiner Infragestellung zwischen Arbeitsteilung und dem Eingehen von Kontrakten: Hier wird, wie so oft, wieder einmal die Arbeitsteilung innerhalb von Stammes- und/oder Familienverbänden mit der Arbeitsteilung in einer Geldwirtschaft verwechselt.
Worauf wollen Sie mit dieser Feststellung hinaus?
Wenn in der Stammesgesellschaft erkannt wurde das"gemeinsames" Arbeiten, was zwangsläufig zu einer Arbeitsteilung führen muß, notwendig ist, um die Familie bzw. Sippe als Gemeinschaft zusammen zu halten bzw. am Leben zu erhalten, sprechen Sie von der"einen" Arbeitsteilung.
Wird jedoch in einer Geldwirtschaft diese Spezialisierung beschrieben, meinen Sie eine"andere" Arbeitsteilung.
Wo liegt hier bitte der alles entscheidende Unterschied?
Was zuvor von dem Stammesverband als notwendig erachtet wurde, weil man sich sonst pausenlos auf den Füßen herum getreten wäre, ist also nur eine"minderbemittelte" Arbeitsteilung.
Das haben Sie zwar so nicht geschrieben aber es läßt sich recht eindeutig so interpretieren.
Wenn sich dann, unter dem Druck der Geldwirtschaft, der Spezialisierungsprozeß beschleunigte, können wir dann erst von einer"realen" Arbeitsteilung reden.
Wo fängt das eine an und wo hört das andere auf?
Damit wurde doch nur einem bereits entstehendem Prozeß noch etwas Schubkraft verliehen.
Aber damit wurde die Arbeitsteilung doch nicht erfunden?
Und weiter schreiben Sie: Der erste"Tausch", der über die Bühne ging, war der Tausch von Machterhaltung gegen Machterhaltungsmittel.
Galiani meint: Die Macht ist im allgemeinen aber nicht kreativ.
Sie antworten darauf: Die Macht selbst nicht. Aber jene, die sie dann für gute Vorschläge belohnt. Die Macht war nie Architekt. Das haben jene bewerkstelligt, die dann dafür von der Macht belohnt wurden, z.B. noch Leonardo da Vinci als genialer Festungsbaumeister.
Eigentlich kann man daraus nur eines ableiten.
Schön das es die Macht gibt!
Andernfalls würden wir noch heute in der Höhle am Lagerfeuer sitzen.
Damit erteilen Sie jeglichem Machtprinzip, auch dem grausamsten, im Nachhinein seine Legitimation.
Denn Ihre ersten Märkte sind ja die der Waffen.
Und wozu braucht man Waffen und Krieger?
Kreativität gibt es wohl. Aber diese kann nur durch Belohnung (das dumme Hündchen schnappt nach dem Würstchen des Herrchens) aus den vor sich dahin dösenden Dumpfbacken herausgezaubert werden.
Alleine und ohne Peitsche der gewalttätigen Aufseher im negativen Fall oder durch Bestechung oder Entlohnung im positiven Sinn sind Fortschritt und Entwicklung definitionsgemäß nicht denkbar.
Das die widrige Natur oder die wachsende Bevölkerung die Menschen vorwärts treiben konnte und auch heute noch kann, wird hier komplett unterschlagen oder auch argumentativ als laienhaft oder idealistisch abgefertigt.
Dann sind wohl Sprache und Schrift auch nur Ergebnisse der gewalttätigen Macht?
Dann würde sich die Menschheit - hätte es keine Macht gegeben - wohl heute nur mit dumpfen Schreien und sich auf die Brust trommeln (nach Affenart) verständlich machen?
Ich bin etwas erschrocken über Ihr Menschenbild!
mfG
nereus
<center>
<HR>
</center> |
silvereagle
09.08.2002, 15:45
@ nereus
|
Unerfreuliche Schlussfolgerungen? |
Hallo nereus,
bin zwar bekanntermaßen ;-) NICHT dottore, aber Dein Posting fasst sehr gut all die (brutalen und beinah unaussprechlichen) Schlussfolgerungen zusammen, welche es vielen sehr schwer machen, den Ausführungen dottore's zuzustimmen. Deshalb möchte ich mich hier kurz einklinken, wohlwissend, dass ich Dir eigentlich noch eine Antwort aus einem vorhergehenden Thread schuldig bin... ;-)
Um es gleich vorwegzunehmen: Die Hauptmotivation, sich gegen dottore's Theorie mit aller intellektueller Schärfe zu wehren (was ich sehr sympathisch finde!), erscheint mir eine psychologische zu sein. Aus einer gewissen Angst heraus. Die Angst, wenn diese Theorie durchgeht, was dies für das jeweilige Menschenbild (wie Du es selbst perfekt ausgedrückt hast) insgesamt bedeutet oder - und hier will ich auch gleich wieder gehörig einbremsen - bedeuten könnte.
So war ich einigermassen verwundert, dass R.Deutsch der Meinung war, dottore würde hier ein Loblied auf die"schöpferischen Kräfte" der (bösen!) Macht" abspulen, also quasi auf subtile Art und Weise"dem Bösen" huldigen. Zumindest dieses Missverständnis scheint sich aber vor kurzem aufgelöst zu haben. Auch Theo's Assoziation vom"Antichristen" kommt einem da wieder in den Sinn. Es erscheint mir demnach - zunächst - sehr wichtig, diese neue Theorie (soweit möglich) leidenschaftslos zu betrachten, um nicht in die altbekannte, selbstgebaute Grube des "Es kann nicht sein, was nicht sein DARF" zu fallen... ;-)
Du schreibst:
> Eigentlich kann man daraus nur eines ableiten.
Schön das es die Macht gibt!
Diesen Deinen Gedankengang kann ich problemlos nachvollziehen. Schliesslich möchte ja auch ich in keinster Weise den vielfachen technischen und wirtschaftlichen Fortschritt nicht missen. Der wäre aber dann nach dottore's Theorie nur das Ergebnis brutaler Gewalt, Lüge und Täuschung. Dass ich gerade an einem PC sitze, der mir zudem nicht selbst gehört, sondern mir für ganz andere Zwecke zur Verfügung gestellt wurde, als dieses Posting zu schreiben ;-), stünde demnach ebenso auf sehr fragwürdigem Fundament, wie wenn ich in eine Apotheke gehe, um dort Aspirin zu kaufen. Alles nur Folge der oben erwähnten "Todsünden" Gewalt, Lüge und Täuschung. Wenn die Theorie stimmt.
Ja, Himmel Herrgott noch einmal! Nur mal angenommen, das würde tatsächlich stimmen: Da könnte man doch glatt zum Schluss kommen, dass die gesamte technische, wirtschaftliche und auch gesellschaftliche"Evolution" der letzten paar taudend Jahre ein völliger Irrweg gewesen ist!
Ich will diesen Gedanken vorerst nicht weiter führen. Bereits jetzt sollte klar sein, welch ungeheure Sprengkraft diese Theorie hat. Und zwar für dasGeschichts- und damit Selbstverständnis von Milliarden von Menschen! Dass sie umgekehrt aber - wie ich bereits einmal gepostet habe - auch eine Art Prolog zur Frohen Botschaft sein kann, sei ebenso in den Raum gestellt. Es ist bekanntlich nie zu spät... ;-)
Und noch etwas:
Du schreibst:
> Dann sind wohl Sprache und Schrift auch nur Ergebnisse der gewalttätigen Macht? Dann würde sich die Menschheit - hätte es keine Macht gegeben - wohl heute nur mit dumpfen Schreien und sich auf die Brust trommeln (nach Affenart) verständlich machen?
Das wiederum geht mE in jedem Falle zu weit. Sofern ich dottore richtig verstanden habe, setzt er den Beginn des"Machtphänomens" an die Stelle, wo sich die alte Stammesgesellschaft aufzulösen beginnt. Mannigfache Hinweise dazu (Abgaben immer nur vom anderen Stamm, niemals vom eigenen etc.). Das würde bedeuten, dass die"Macht" nicht für die gesamte Entwicklung und Geschichte der Menschen, sondern nur für einen Teil davon"zuständig" war, und auch hier nur als ein"Katalysator" wirkte. Kein"Schöpfer", weshalb die Angst mE ubegründet ist, ohne Zwingherren würden wir wieder auf Bäumen hausen... ;-)
Das könnte aber wiederum bedeuten, dass ALL DAS (innerhalb der Schöpfung), was die"Macht" auf ihrem Weg nicht brauchen konnte, keineswegs verloren ist. Vielleicht haben wir es einfach nur vergessen.
Gruß, silvereagle
<center>
<HR>
</center> |
Burning_Heart
09.08.2002, 16:01
@ nereus
|
Re: dottore, eine Frage |
>Hallo dottore!
>Sie schreiben an Galiani bezüglich seiner Infragestellung zwischen Arbeitsteilung und dem Eingehen von Kontrakten: Hier wird, wie so oft, wieder einmal die Arbeitsteilung innerhalb von Stammes- und/oder Familienverbänden mit der Arbeitsteilung in einer Geldwirtschaft verwechselt.
Im kleinen gibt es noch Freundschaft,im grossen regiert genau das Gegenteil.Der Ursprung allen Ãœbels ist das Profitdenken der Menschen.Daraus entsteht dann die MACHT!
>Worauf wollen Sie mit dieser Feststellung hinaus?
>Wenn in der Stammesgesellschaft erkannt wurde das"gemeinsames" Arbeiten, was zwangsläufig zu einer Arbeitsteilung führen muß, notwendig ist, um die Familie bzw. Sippe als Gemeinschaft zusammen zu halten bzw. am Leben zu erhalten, sprechen Sie von der"einen" Arbeitsteilung.
>Wird jedoch in einer Geldwirtschaft diese Spezialisierung beschrieben, meinen Sie eine"andere" Arbeitsteilung.
>Wo liegt hier bitte der alles entscheidende Unterschied?
siehe oben
>Was zuvor von dem Stammesverband als notwendig erachtet wurde, weil man sich sonst pausenlos auf den Füßen herum getreten wäre, ist also nur eine"minderbemittelte" Arbeitsteilung.
>Das haben Sie zwar so nicht geschrieben aber es läßt sich recht eindeutig so interpretieren.
>Wenn sich dann, unter dem Druck der Geldwirtschaft, der Spezialisierungsprozeß beschleunigte, können wir dann erst von einer"realen" Arbeitsteilung reden.
>Wo fängt das eine an und wo hört das andere auf?
>Damit wurde doch nur einem bereits entstehendem Prozeß noch etwas Schubkraft verliehen.
>Aber damit wurde die Arbeitsteilung doch nicht erfunden?
>Und weiter schreiben Sie: Der erste"Tausch", der über die Bühne ging, war der Tausch von Machterhaltung gegen Machterhaltungsmittel.
>Galiani meint: Die Macht ist im allgemeinen aber nicht kreativ.
>Sie antworten darauf: Die Macht selbst nicht. Aber jene, die sie dann für gute Vorschläge belohnt. Die Macht war nie Architekt. Das haben jene bewerkstelligt, die dann dafür von der Macht belohnt wurden, z.B. noch Leonardo da Vinci als genialer Festungsbaumeister.
>Eigentlich kann man daraus nur eines ableiten.
Alles richtig
> Schön das es die Macht gibt!
>Andernfalls würden wir noch heute in der Höhle am Lagerfeuer sitzen.
Das wäre am besten für die Menschen.
>Damit erteilen Sie jeglichem Machtprinzip, auch dem grausamsten, im Nachhinein seine Legitimation.
>Denn Ihre ersten Märkte sind ja die der Waffen.
>Und wozu braucht man Waffen und Krieger?
>Kreativität gibt es wohl. Aber diese kann nur durch Belohnung (das dumme Hündchen schnappt nach dem Würstchen des Herrchens) aus den vor sich dahin dösenden Dumpfbacken herausgezaubert werden.
>Alleine und ohne Peitsche der gewalttätigen Aufseher im negativen Fall oder durch Bestechung oder Entlohnung im positiven Sinn sind Fortschritt und Entwicklung definitionsgemäß nicht denkbar.
>Das die widrige Natur oder die wachsende Bevölkerung die Menschen vorwärts treiben konnte und auch heute noch kann, wird hier komplett unterschlagen oder auch argumentativ als laienhaft oder idealistisch abgefertigt.
>Dann sind wohl Sprache und Schrift auch nur Ergebnisse der gewalttätigen Macht?
>Dann würde sich die Menschheit - hätte es keine Macht gegeben - wohl heute nur mit dumpfen Schreien und sich auf die Brust trommeln (nach Affenart) verständlich machen?
>Ich bin etwas erschrocken über Ihr Menschenbild!
Überall wo Wirtschaft blüht,läuft irgendwas verkehrt.Jetzt finden wir den Wohlstand gans toll.Aber in 20 Jahren werden wir ihn hassen
>mfG
>nereus
Grüsse an alle
<center>
<HR>
</center> |
silvereagle
09.08.2002, 16:37
@ Burning_Heart
|
'Profitdenken' |
Hallo Burning_Heart,
vorweg: Vielleicht kannst Du in Zukunft Deine Anmerkungen vom Rest des beantworteten Postings ein wenig besser abgrenzen oder hervorheben. Dann tut man sich wesentlich leichter, Deine Aussagen auch zu finden! ;-)
Du schreibst: "Schuld ist das Profitdenken der Menschen."
Welche Menschen meinst Du damit? Angehörige von Stämmen im brasilianischen oder indonesischen Urwald wohl kaum, oder?
Und weiters frage ich: Wäre es nicht ziemlich dumm, für"Profit" soviel zu riskieren ("wer andere nicht ausnützt, bringt's nie zu was"), wenn doch - am unausweichlichen Ende - der gesamte"Profit" zurückgelassen werden muss...?
Will damit sagen:"Profitdenken" erachte ich nicht als"typisch für den Menschen schlechthin", sondern ein Phänomen"westlicher Kultur", welches offenbar so verlockend ist, dass es als wohl größter"Exportschlager" der Geschichte bezeichnet werden kann... ;-) Trotzdem bleibt es eine Illusion, siehe oben.
Den Menschen pauschal"Profitdenken" zu unterstellen, ist also nicht nur eine unzulässige Verallgemeinerung, es drängt auch auf ein - wirklich - negatives Menschenbild: Homo hominis lupus est.
Also keinerlei Hoffnung?
Gruß, silvereagle
<center>
<HR>
</center> |
---- ELLI ----
09.08.2002, 16:40
@ silvereagle
|
Re: 'Profitdenken' / Ja, bitte!.....mT |
>Hallo Burning_Heart,
>vorweg: Vielleicht kannst Du in Zukunft Deine Anmerkungen vom Rest des beantworteten Postings ein wenig besser abgrenzen oder hervorheben. Dann tut man sich wesentlich leichter, Deine Aussagen auch zu finden! ;-)
Ich habe auch nur Buchstabensalat gesehen und es deshalb nicht gelesen.
Wie heißt es so schön?"Und an die Leser denken!" ;-)
<center>
<HR>
</center> |
Burning_Heart
09.08.2002, 17:19
@ silvereagle
|
Re: 'Profitdenken' |
>Hallo Burning_Heart,
>vorweg: Vielleicht kannst Du in Zukunft Deine Anmerkungen vom Rest des beantworteten Postings ein wenig besser abgrenzen oder hervorheben. Dann tut man sich wesentlich leichter, Deine Aussagen auch zu finden! ;-)
Geht klar.
>Du schreibst: "Schuld ist das Profitdenken der Menschen."
>Welche Menschen meinst Du damit? Angehörige von Stämmen im brasilianischen oder indonesischen Urwald wohl kaum, oder?
Ich würde sagen auch da.Aber das grössere Problem dieser Menschen ist,daß sie direkt für unseren Wohlstand bezahlen.
>Und weiters frage ich: Wäre es nicht ziemlich dumm, für"Profit" soviel zu riskieren ("wer andere nicht ausnützt, bringt's nie zu was"), wenn doch - am unausweichlichen Ende - der gesamte"Profit" zurückgelassen werden muss...?
Der einzelne weis es ja nicht.Wie bei elliott brauch es eine Gemeinschaft
>Will damit sagen:"Profitdenken" erachte ich nicht als"typisch für den Menschen schlechthin", sondern ein Phänomen"westlicher Kultur", welches offenbar so verlockend ist, dass es als wohl größter"Exportschlager" der Geschichte bezeichnet werden kann... ;-) Trotzdem bleibt es eine Illusion, siehe oben.
>Den Menschen pauschal"Profitdenken" zu unterstellen, ist also nicht nur eine unzulässige Verallgemeinerung, es drängt auch auf ein - wirklich - negatives Menschenbild: Homo hominis lupus est.
>Also keinerlei Hoffnung?
Die Freisetzung der Atomkraft hat alles verändert außer unserer Denkweise,und deshalb treiben wir auf Katastrophen zu,die ihresgleichen nicht hat.
Albert Einstein
Der mensch ist das einzige Lebewesen,das sich selbst Gesetze auferzwing um sich selbst zu schützen.Das bedeutet schon was
>Gruß, silvereagle
gruß
<center>
<HR>
</center> |
Burning_Heart
09.08.2002, 17:26
@ Burning_Heart
|
:) oha (owT) |
<center>
<HR>
</center>
|
--- ELLI ---
09.08.2002, 17:28
@ Burning_Heart
|
Re::) oha / Nur einmal aufs Knöpfchen drücken ;-) oT (owT) |
<center>
<HR>
</center>
|
ITOma
09.08.2002, 20:35
@ nereus
|
Re: dottore, eine vorsichtige Frage auch von mir |
Hallo dottore,
auch auf die Gefahr hin, daß Sie mir erneut bestätigen, wieviel ich noch lernen muß:
Sie schreiben:"Der erste"Tausch", der über die Bühne ging, war der Tausch von Machterhaltung gegen Machterhaltungsmittel."
Ich möchte zu bedenken geben, daß es auch bei der Eigenbedarfswirtschaft Güter geben kann, die man nicht innerhalb des Stammes selbst herstellen kann. Ich denke da an rituelle Paraphernalia, die sehr oft selten und in der näheren Umgebung nicht vorhanden waren (und bei Naturvölkern heute noch sind): z.B. bestimmte Muscheln (Jakobsmuscheln heute noch bei den Indios des bolivianischen Hochlands als Bestandteil der rituellen"mesa" sehr begehrt!), (Edel-)Steine, Federn von seltenen oder schwierig zu jagenden Vögeln (Quetzal!) etc.
Mit diesen Dingen wurde auch bei Völkern, die keinem Abgaben-Zwang unterlagen, reger Handel getrieben, denn sie wurden zum Gelingen der Rituale benötigt, die ihrerseits wiederum das Wohlergehen der Gemeinschaft sicherstellten. Es gibt zum Beispiel bei den Hopi-Indianern in Arizona, einem Volk, das seinen eigenen Überlieferungen zufolge vor den Spaniern keinerlei Abgaben leistete (auch nicht an die eigenen Priester!), Traditionen, die sich auf die Beschaffung bestimmter rituell benötigter Muscheln, Korallen etc. von der Hunderte von Kilometern entfernten Küste beziehen - durch Tausch-Reisen.
Wäre es nicht denkbar, daß von vielen Völkern besonders begehrte Ritual-Grundstoffe sich zu einem allseits gern akzeptierten Tauschmittel entwickelten? Besonders, wenn sie haltbar, gut zu teilen und möglichst gleichartig waren.
Die Macht bemächtigte sich dieser Dinge besonders gern: nicht nur hatte sie damit ein ausgezeichnetes Tauschmittel in Händen, sondern auch ein Mittel, die eigenen Rituale besonders wirksam zu machen und damit die eigene Erhaltung zu sichern - mit Segen"von oben".
Muscheln, Federn, Edelstein oder Gold (präkolumbische Kulturen in Kolumbien!) hätten also schon einen hohen Wert als Tauschmittel und als Ritualgegenstand besessen, bevor sie von der Macht zum Abgabengut erhoben wurden. Das würde auch mit der Funktion des Tempels als Schatzhaus gut zusammenpassen.
Was meinen Sie dazu?
Gruß
ITOma
<center>
<HR>
</center> |
dottore
09.08.2002, 21:01
@ nereus
|
Re: dottore, eine Frage |
>Hallo dottore!
>Sie schreiben an Galiani bezüglich seiner Infragestellung zwischen Arbeitsteilung und dem Eingehen von Kontrakten: Hier wird, wie so oft, wieder einmal die Arbeitsteilung innerhalb von Stammes- und/oder Familienverbänden mit der Arbeitsteilung in einer Geldwirtschaft verwechselt.
>Worauf wollen Sie mit dieser Feststellung hinaus?
Im Stamm qwird arbeitsteilig produziert, in der Geldwirtschaft arbeitsteilig gewirtschaftet. Der Stamm kennt keine Kontrakte über Arbeitsteilung, die Geldwirtschft ausschließlich (z.B. Arbeit gegen Lohnzahlung in Geld).
>Wenn in der Stammesgesellschaft erkannt wurde das"gemeinsames" Arbeiten, was zwangsläufig zu einer Arbeitsteilung führen muß, notwendig ist, um die Familie bzw. Sippe als Gemeinschaft zusammen zu halten bzw. am Leben zu erhalten, sprechen Sie von der"einen" Arbeitsteilung.
Ja, ist wie die Aufgabe, gemeinsam ein Haus zu bauen - ohne dass jemand der daran Beteiligten in Geld entlihnt wird.
>Wird jedoch in einer Geldwirtschaft diese Spezialisierung beschrieben, meinen Sie eine"andere" Arbeitsteilung.
>Wo liegt hier bitte der alles entscheidende Unterschied?
Im Kontrakt. Der muss auf beiden Seiten erfüllt werden, auf der einen Seite gemeinhin in Geld. Der Kontrakt ist vollstreckbar. Im Stamm wird nicht vollstreckt, in was denn? Höchstens es wird gemeckert.
>Was zuvor von dem Stammesverband als notwendig erachtet wurde, weil man sich sonst pausenlos auf den Füßen herum getreten wäre, ist also nur eine"minderbemittelte" Arbeitsteilung.
Nein, eine durchaus sinnvolle Arbeitsteilung, die aber ohne Kontrakte und Geld auskommt.
>Das haben Sie zwar so nicht geschrieben aber es läßt sich recht eindeutig so interpretieren.
>Wenn sich dann, unter dem Druck der Geldwirtschaft, der Spezialisierungsprozeß beschleunigte, können wir dann erst von einer"realen" Arbeitsteilung reden.
Die reale Arbeitsteilung ist innerhalb von Stamm/Familie. Die monetäre Arbeitsteilung ist in der Geldwirtschaft.
>Wo fängt das eine an und wo hört das andere auf?
Beim Geld, das aus der stammesfremden Abgabe entsteht (Zwang).
>Damit wurde doch nur einem bereits entstehendem Prozeß noch etwas Schubkraft verliehen.
Die Schubkraft ist nicht das Geld, sondern der Zins. Da der erste Zins (census) die Abgabe war, erzwingt sie das Wirtschaften.
>Aber damit wurde die Arbeitsteilung doch nicht erfunden?
Nein.
>Und weiter schreiben Sie: Der erste"Tausch", der über die Bühne ging, war der Tausch von Machterhaltung gegen Machterhaltungsmittel.
Ja. Der Herrscher wollte an der Macht bleiben.
>Galiani meint: Die Macht ist im allgemeinen aber nicht kreativ.
>Sie antworten darauf: Die Macht selbst nicht. Aber jene, die sie dann für gute Vorschläge belohnt. Die Macht war nie Architekt. Das haben jene bewerkstelligt, die dann dafür von der Macht belohnt wurden, z.B. noch Leonardo da Vinci als genialer Festungsbaumeister.
>Eigentlich kann man daraus nur eines ableiten.
> Schön das es die Macht gibt!
Schön ist relativ. Aber ohne Macht etc. hätte es diese Form der Wirtschaftsentwicklung, die wir heute bestaunen können, nicht gegeben. Sie wird nur nicht von jedem als"schön" empfunden, wie Kritik aus allen Ecken zeigt.
>Andernfalls würden wir noch heute in der Höhle am Lagerfeuer sitzen.
Etwas komfortabler vielleicht.
>Damit erteilen Sie jeglichem Machtprinzip, auch dem grausamsten, im Nachhinein seine Legitimation.
Das ist keine Erteilung einer Legitimation, sondern die Beschreibung einer Entwicklung, die sich so vollzogen hat, wie sie sich vollzigen hat.
>Denn Ihre ersten Märkte sind ja die der Waffen.
Ja.
>Und wozu braucht man Waffen und Krieger?
Um Abgaben fordern zu können. Einfaches Prinzip: Andere für sich arbeiten zu lassen, ist für den, der das per Zweang ermöglichen kann, produktiver als selbst zu arbeiten.
>Kreativität gibt es wohl. Aber diese kann nur durch Belohnung (das dumme Hündchen schnappt nach dem Würstchen des Herrchens) aus den vor sich dahin dösenden Dumpfbacken herausgezaubert werden.
Kreativität bezieht sich auf die Vermeidung des Drucks, den die Macht ausübt. Seine Abgaben leistet man produktiver, wenn man bei der Produktion derselben kreativ ist.
>Alleine und ohne Peitsche der gewalttätigen Aufseher im negativen Fall oder durch Bestechung oder Entlohnung im positiven Sinn sind Fortschritt und Entwicklung definitionsgemäß nicht denkbar.
Was meinst Du mit Entwicklung und Fortschritt? Ich denke, die Lebensqualität eines Stammes war nicht so schlecht. Die abgabenfreien Bauern, die ich kennen gelernt habe, waren überaus zufriedene Menschen.
>Das die widrige Natur oder die wachsende Bevölkerung die Menschen vorwärts treiben konnte und auch heute noch kann, wird hier komplett unterschlagen oder auch argumentativ als laienhaft oder idealistisch abgefertigt.
Die wachsende Bevölkerung wurde durch die Macht erzwungen, siehe ausführlich Jean Bodin, den ersten modernen"Staatstheoretiker", der das fürchterliche Buch"Daemonomania" veröffentlicht hat und die Hexenprozesse (gegen die"weisen Frauen", die Verhütung kannten). Sie auch Jean Calvin, der seine Mutter auf den Scheiterhaufen schickte, usw. Die Menschen wollten ihren Bestand in etwa konstant halten.
>Dann sind wohl Sprache und Schrift auch nur Ergebnisse der gewalttätigen Macht?
Schrift ja. Sprache nein. Wer braucht Schrift?
>Dann würde sich die Menschheit - hätte es keine Macht gegeben - wohl heute nur mit dumpfen Schreien und sich auf die Brust trommeln (nach Affenart) verständlich machen?
Nicht unbedingt. Die Samen, ein fast immer noch reiner Stammesverband hoch im Norden, kennen bis heute 300 Worte für Schnee. Die Araber in der Wüste (völlig machtfrei lebend) 200 Worte für Kamel.
>Ich bin etwas erschrocken über Ihr Menschenbild!
Das hat mit Menschenbild nichts zu tun.
Ich bin viel gereist. Die stolzesten, zufriedendsten und glücklichsten Menschen waren jene, auf die kein Machtsystem zugreifen konnte.
Ãœbernachte mal bei den Tuaregs.
Gruß!
<center>
<HR>
</center> |
dottore
09.08.2002, 21:05
@ silvereagle
|
Re: Stimme zu! Danke für die Interpretation (owT) |
<center>
<HR>
</center>
|
dottore
09.08.2002, 21:23
@ ITOma
|
Re: dottore, eine vorsichtige Frage auch von mir |
>Hallo dottore,
>auch auf die Gefahr hin, daß Sie mir erneut bestätigen, wieviel ich noch lernen muß:
Ach was.
>Sie schreiben:"Der erste"Tausch", der über die Bühne ging, war der Tausch von Machterhaltung gegen Machterhaltungsmittel."
>Ich möchte zu bedenken geben, daß es auch bei der Eigenbedarfswirtschaft Güter geben kann, die man nicht innerhalb des Stammes selbst herstellen kann.
Ja,die gibts. Aber woher soll der Stamm wissen, dass es sie gibt? Weiß er nicht, dass es sie gibt, ist es wurscht. Weiß er es, muss er bei einam anderen Stammm abgeschaut haben. Dann kann er es so belassen wie es ist, oder er greift an.
Letzteres ist typisch für die frühe Geschichte. Jeder Herrscher wollte schließlich das haben, was der andere schon hatte. Rest dann die Kriege bis heute. Heute ist es übrigens nicht anders. Die Amis können keine Autos. Also?
Sie importieren ohne zu bezahlen.
>Ich denke da an rituelle Paraphernalia, die sehr oft selten und in der näheren Umgebung nicht vorhanden waren (und bei Naturvölkern heute noch sind): z.B. bestimmte Muscheln (Jakobsmuscheln heute noch bei den Indios des bolivianischen Hochlands als Bestandteil der rituellen"mesa" sehr begehrt!), (Edel-)Steine, Federn von seltenen oder schwierig zu jagenden Vögeln (Quetzal!) etc.
Alles richtig. Aber zuerst muss man diese Sachen kennen. Dann entscheiden, wie es weiter gehen soll. Nicht-Haben oder sich mit Gewalt aneignen.
>Mit diesen Dingen wurde auch bei Völkern, die keinem Abgaben-Zwang unterlagen, reger Handel getrieben, denn sie wurden zum Gelingen der Rituale benötigt, die ihrerseits wiederum das Wohlergehen der Gemeinschaft sicherstellten.
Mit was sollte der Nicht-Haben-Stamm Handel treiben? Er hatte das nicht, was der andere hatte. Und konnte auch nichts Entsprechendes, den anderen Stamm Interessierendes anbieten.
>Es gibt zum Beispiel bei den Hopi-Indianern in Arizona, einem Volk, das seinen eigenen Überlieferungen zufolge vor den Spaniern keinerlei Abgaben leistete (auch nicht an die eigenen Priester!), Traditionen, die sich auf die Beschaffung bestimmter rituell benötigter Muscheln, Korallen etc. von der Hunderte von Kilometern entfernten Küste beziehen - durch Tausch-Reisen.
Was haben die Hopi angeboten? Aber davor muss schon mal geklärt werden, wie sie denn überhaupt auf die Idee kommen konnten, dass sie Muscheln oder Korallen rituell benötigten. Wie kamen sie auf diese Idee?
>Wäre es nicht denkbar, daß von vielen Völkern besonders begehrte Ritual-Grundstoffe sich zu einem allseits gern akzeptierten Tauschmittel entwickelten? Besonders, wenn sie haltbar, gut zu teilen und möglichst gleichartig waren.
Der älteste Ritual-Stoff ist, jedenfalls im Abendland, Gold. Kirchen bis heute. Warum wohl?
>Die Macht bemächtigte sich dieser Dinge besonders gern: nicht nur hatte sie damit ein ausgezeichnetes Tauschmittel in Händen, sondern auch ein Mittel, die eigenen Rituale besonders wirksam zu machen und damit die eigene Erhaltung zu sichern - mit Segen"von oben".
Dass Macht ihre Gewaltausübung immer ritualisiert, ist richtig und auch klar, warum. Siehe beim Gold schon das Goldene Kalb und das anschließende Verschwinden des Goldes in der"Bundeslade".
>Muscheln, Federn, Edelstein oder Gold (präkolumbische Kulturen in Kolumbien!) hätten also schon einen hohen Wert als Tauschmittel
Woher die Kenntnis von den schönen Dingen? Schickte der Stamm Kundschafter? as tat der Stamm als nähstes? Er stand vor der Wahl, nichts zu tun oder sich das fremde"Ritualmittel" mit Gewalt anzueignen. Kopfjäger usw.
>und als Ritualgegenstand besessen, bevor sie von der Macht zum Abgabengut erhoben wurden. Das würde auch mit der Funktion des Tempels als Schatzhaus gut zusammenpassen.
>Was meinen Sie dazu?
Der Zusammenhang zwischen Macht und Schatzhaus ist evident. Die Perser horteten unglaubliche Mengen Edelmetall, förderten selbst aber nicht ein Gramm davon.
Gruß!
<center>
<HR>
</center> |
nereus
10.08.2002, 11:59
@ dottore
|
Re: dottore, eine Frage - und ein paar Antworten ;-) |
Hallo dottore!
Nun habe ich ein paar mal Ihr ausführliches Posting überflogen und versuche Ihre Antwort einmal aufzuarbeiten.
Ursprünglich ging es ja um die Arbeitsteilung von der behauptet wurde, dass diese eine Folge des Abgabenzwanges gewesen sei.
Mguder hat mich diesbezüglich kurz und bündig abgefertigt - ich leide noch immer darunter.
Später wurde dann zwischen der Arbeitsteilung der Stammesgesellschaft und der in einer Geldwirtschaft unterschieden.
Dann schreiben Sie u.a.: Ja, ist wie die Aufgabe, gemeinsam ein Haus zu bauen - ohne dass jemand der daran Beteiligten in Geld entlohnt wird.
Da baut also jemand mit nachbarschaftlicher Hilfe ein Haus und alle packen kräftig mit zu.
So ganz selbstlos kann diese Hilfe aber nicht sein da man zuvor vielleicht selbst die Hilfe des Häuslebauers in Anspruch nahm oder davon ausgeht, dass man später auf Ihn zurückgreifen kann.
Man fühlt sich ihm einfach verpflichtet und hegt daher eine gewisse Erwartungshaltung.
Dieses"Verpflichtet sein" hat überhaupt nichts mit Macht und Abgaben zu tun.
Es ist eine moralische Schuld die sich aus dem Zusammenleben vieler Menschen nun einmal ergibt. Und dies geschieht ohne unterschriebenen Vertrag.
Wo ist der Unterschied zwischen dem Zustecken von z.B. 500 EUR oder dem Versprechen des Häuslebauers? Dieser sagt nämlich: Wenn Du nächstes Jahr Dein Grundstück in Ordnung bringst, baue ich Dir einen neuen Zaun als Dank das Du mir jetzt so hilfreich zur Seite standst. Du musst nur das Material besorgen.
Es ist doch völlig wurst ob sich dahinter ein einklagbarer Vertrag verbirgt oder ob da nur ein mündliches Versprechen abgegeben wurde.
Hält sich der zukünftiger Zaunbauer nicht an sein einst abgegebenes Versprechen wird ihn der Helfer beim nächsten Mal eine lange Nase machen.
Daher kann ich ihrem"Nichtentlohnen" so nicht ohne weiteres folgen, was ehrenamtliche Tätigkeit oder charitatives Tun nicht ausschließt.
Ich fragte: Wo liegt hier bitte der alles entscheidende Unterschied?
Sie antworten: Im Kontrakt. Der muss auf beiden Seiten erfüllt werden, auf der einen Seite gemeinhin in Geld. Der Kontrakt ist vollstreckbar. Im Stamm wird nicht vollstreckt, in was denn? Höchstens es wird gemeckert.
Es wird höchstens gemeckert? Na, sie machen mir ja Spaß.
Bei Nichteinhaltung der Regeln droht der Ausschluß aus der Gemeinschaft was wahrscheinlich den Tod bedeuten könnte. Anfangs wird sicherlich gemeckert, aber ab einem bestimmten Punkt wird zusätzlich mal kräftig hingelangt.
Irgendwo habe ich mal gelesen, weiß jetzt leider nicht mehr wo genau, das ein Stamm in Indonesien oder Afrika, das Nichtbeachten seiner Regeln und Sitten drakonisch bestraft.
Ich sehe keinen Unterschied darin ob man mich, von einem ordentlichen Gericht, zu einer Geldstrafe oder gemeinnütziger Arbeit verurteilt oder ob die permanente Nichteinhaltung meiner gegebenen Versprechen durch Auflauern im dunklen Flur, mit dem Ergebnis eines vierwöchigen Gipsbettaufenthaltes, dankend entlohnt wird.
So handzahm, wie Sie unterstellen, ist die Sippe von damals und heute nicht.
Sie schreiben bezüglich der Arbeitsteilung in der Stammesgesellschaft:
Nein, eine durchaus sinnvolle Arbeitsteilung, die aber ohne Kontrakte und Geld auskommt.
Das Geld ist doch letztlich auch ein Kontrakt.
Wie ich oben geschrieben habe macht es in der allerletzten Konsequenz keinen großen Unterschied ob ich meine schriftlich gegebenen Versprechen dauernd missachte oder ob ich den freundschaftlichen Handschlag oder die mündliche Zusage immer wieder unterlaufe.
Ich frage: Wo fängt das eine an und wo hört das andere auf?
Sie antworten: Beim Geld, das aus der stammesfremden Abgabe entsteht (Zwang).
Der Zwang ergibt sich aus der getroffenen Vereinbarung, mit und ohne Macht.
Es muss nicht immer die Polizei oder der Staatsanwalt einrücken.
Böse Gerüchte, zerstochene Reifen und drei gebrochene Rippen erfüllen auch ihren Zweck.
Und schließlich frage ich: Aber damit wurde die Arbeitsteilung doch nicht erfunden?
Sie antworten: Nein.
Danke für's Gespräch. ;-)
Nochmals Sie: Aber ohne Macht etc. hätte es diese Form der Wirtschaftsentwicklung, die wir heute bestaunen können, nicht gegeben. Sie wird nur nicht von jedem als"schön" empfunden, wie Kritik aus allen Ecken zeigt.
Hierbei möchte ich Ihnen zustimmen. Die Geschwindigkeit hat durch den Zinsdruck ganz sicher zugenommen, aber das hatten Galiani oder ich auch nie in Frage gestellt.
Was meinst Du mit Entwicklung und Fortschritt?
Damit meinte ich eine 500 km lange Strecke einmal zu Fuß, zu Pferde, mit dem Auto oder dem Flugzeug zurückzulegen. Technischer Fortschritt wäre hier sicherlich erkennbar.
Ich denke, die Lebensqualität eines Stammes war nicht so schlecht. Die abgabenfreien Bauern, die ich kennen gelernt habe, waren überaus zufriedene Menschen.
Nun ja, darüber lässt sich sicherlich trefflich streiten.
Was ist Lebensqualität? Das muß wohl jedes Individuum für sich selbst herausfinden.
Manche sollen sogar an ihrem Lebensende festgestellt haben, dass sie eigentlich am Leben vorbei gelebt haben.
Die wachsende Bevölkerung wurde durch die Macht erzwungen, siehe ausführlich Jean Bodin, den ersten modernen"Staatstheoretiker", der das fürchterliche Buch"Daemonomania" veröffentlicht hat und die Hexenprozesse (gegen die"weisen Frauen", die Verhütung kannten).
Womit erklären Sie sich die dramatische Bevölkerungszunahme in Afrika, in Asien oder in Lateinamerika?
Weil die amtierende Macht das so will?
In China wird sogar die Ein-Kind-Ehe propagiert. Wer sich nicht daran hält wird abgestraft.
Und in China gibt es doch ganz sicherlich eine Macht, oder?
mfG
nereus
<center>
<HR>
</center> |
Galiani
10.08.2002, 19:15
@ nereus
|
@nereus Re: 'dottore, eine Frage' - Habe das erst jetzt entdeckt! Antwort: |
Lieber nereus
Deine Frage ist natürlich vollkommen berechtigt. Dottore spielt hier wieder mal mit Begriffen. Er vertauscht bewußt den Begriff der"Arbeitsteilung" (in der Familie) mit dem Begriff der"Arbeitsteiligkeit", der einen ökonomischen Sachverhalt beschreibt.
Warum tut er das: Um genau aus dem logischen Widerspruch herauszukommen, der Dir aufgefallen ist!
Der Übergang zur"arbeitsteiligen Produktionsweise" ist ein höchst kreativer Schritt, zu dem"die Macht" gar nicht fähig wäre; nur freie Menschen erfinden sowas. Alle Erfahrung zeigt, daß die Arbeitsteiligkeit immer dann zurückgeht, wenn"die Macht" ihren Dorn ins Fleisch der Menschen drückt.
Dottore muß also einen logischen Spagat machen, mit dem er seine seltsame Behauptung begründen kann, daß die"Arbeitsteiligkeit" zwar von den Menschen"erfunden", gleichzeitig aber von der Macht"erzwungen" wurde. Das gelingt ihm, indem er die Bedeutung des Begriffes"Arbeitsteiligkeit" maßlos erweitert, bis sie auch die familiäre"Arbeitsteilung" mit umfaßt, die damit im Grunde überhaupt nichts zu tun hat.
Ich darf nochmals anführen, was ich diesbezüglich an André geschrieben habe:
[i]<font color="FF0000">Schau André, das ist wieder so eine Sache, wo dottore Begriffe sozusagen"hinterrücks" umdeutet und so lange dreht und quält, bis sie schließlich so weit gespannt sind, daß sie nichts mehr beweisen und ihm dadurch wieder ins Konzept passen. Ein Leser, der nicht sehr genau darauf achtet, kann darauf leicht hereinfallen.
"Arbeitsteiliges Schaffen" im Familien- und Sippenverband ist natürlich ganz etwas anderes wie das, was der Ã-konom unter"Arbeitsteiligkeit" versteht! Indem die beiden Dinge aber gleichgesetzt werden, wird der Begriffsinhalt auf unzulässige Weise so erweitert, daß er seine spezifische Bedeutung und mein Argument seine Beweiskraft verliert. Schon Schopenhauer hat genau diese Vorgangsweise einem Diskutanten empfohlen, wenn er nicht mehr weiter weiß. (In seiner berühmten"Eristik", der"Kunst Recht zu behalten".) Es ist dies einer der Tricks, die dottore meisterhaft beherrscht:
"Arbeitsteiliges Produzieren" im wissenschaftlichen Sinn heißt nicht, daß der Vater auf die Jagd geht, die Mutter die Socken stopft und die Kinder das Geschirr waschen, sondern bedeutet grosso modo, daß nicht mehr jeder ausschließlich das herstellt, was er selbst (und seine Familie) zum Leben braucht, sondern daß sich eine Berufs-Schichtung und -Spezialisierung einstellt, bei der z.B. der Bäcker mehr Brot bäckt, als er selbst verbraucht, wobei er diesen Überschuß über den Eigenbedarf verkauft und dafür vom Schneider, Schuster und Bauern Produkte aus dessen Überschuß kauft.
Und nachdem wir den Begriff damit wieder auf seine wirkliche ökonomische Bedeutung reduziert haben, sieht man, daß es sehr wohl einen Widerspruch darstellt, wenn dottore behauptet, diese arbeitsteilige Produktionsweise (und das dabei sofort notwendige Tauschmittel"Geld") sei einmal von der"Macht" erzwungen und gleichzeitig von den Menschen erfunden worden.[/i]</font>
Grüße
<center>
<HR>
</center> |
dottore
10.08.2002, 22:23
@ nereus
|
Re: Gesellschaftliche Ächtung ist nicht vorab vereinbarter Kontrakt |
>Hallo dottore!
>Nun habe ich ein paar mal Ihr ausführliches Posting überflogen und versuche Ihre Antwort einmal aufzuarbeiten.
>Ursprünglich ging es ja um die Arbeitsteilung von der behauptet wurde, dass diese eine Folge des Abgabenzwanges gewesen sei.
Hallo nereus!
Die mit Hilfe von Kontrakten abgewickelte Arbeitsteilung. Kontrakte enthalten vorab vereinbarte Leistungen bzw. - im Rahmen der allgemein geltenden sonstigen Zivil-Gesetze - entsprechende Strafen bei Nicht-Erfüllung.
>Mguder hat mich diesbezüglich kurz und bündig abgefertigt - ich leide noch immer darunter.
>Später wurde dann zwischen der Arbeitsteilung der Stammesgesellschaft und der in einer Geldwirtschaft unterschieden.
Das war von vorneherein klar, siehe Heinsohn/Steiger. Ich hatte es allerdings voraus gesetzt, ohne zu wissen, dass es nicht allgemein bekannt war. Bitte um Entschuldigung.
>Dann schreiben Sie u.a.: Ja, ist wie die Aufgabe, gemeinsam ein Haus zu bauen - ohne dass jemand der daran Beteiligten in Geld entlohnt wird.
>Da baut also jemand mit nachbarschaftlicher Hilfe ein Haus und alle packen kräftig mit zu.
So läuft es im Stamm. Das Wort"Nachbar" ist heute geldwirtschaftlich besetzt. Im Stamm gibt es diesen"Nachbarn" nicht.
>So ganz selbstlos kann diese Hilfe aber nicht sein da man zuvor vielleicht selbst die Hilfe des Häuslebauers in Anspruch nahm oder davon ausgeht, dass man später auf Ihn zurückgreifen kann.
Richtig. In modernen Geldwirtschaften. Es ist übrigens bei stammesähnlichen Gemeinschaften immer noch so, siehe z.B. die Amish People.
>Man fühlt sich ihm einfach verpflichtet und hegt daher eine gewisse Erwartungshaltung.
In unserer heutigen Geldwirtschaft ja.
>Dieses"Verpflichtet sein" hat überhaupt nichts mit Macht und Abgaben zu tun.
Ja.
>Es ist eine moralische Schuld die sich aus dem Zusammenleben vieler Menschen nun einmal ergibt. Und dies geschieht ohne unterschriebenen Vertrag.
Ja.
>Wo ist der Unterschied zwischen dem Zustecken von z.B. 500 EUR oder dem Versprechen des Häuslebauers?
Zustecken ist ein Schenkungsvertrag mit allen Konsequenzen. Ein Versprechen ist kaum mehr einklagbar. Es gibt noch eine zwielichtige Zone, z.B. im Erbrecht. Selbst das Ehe-Versprechen ist nicht mehr einklagbar (Kranzgeld usw.).
>Dieser sagt nämlich: Wenn Du nächstes Jahr Dein Grundstück in Ordnung bringst, baue ich Dir einen neuen Zaun als Dank das Du mir jetzt so hilfreich zur Seite standst. Du musst nur das Material besorgen.
Ja.
>Es ist doch völlig wurst ob sich dahinter ein einklagbarer Vertrag verbirgt oder ob da nur ein mündliches Versprechen abgegeben wurde.
Nein, der Unterschied liegt auf der Hand. Verträge sind jederzeit ohne Wenn und Aber einklagbar (simpler Urkundsprozess ohne mündliche Verhandlung), Versprechen als solche praktisch nicht mehr.
>Hält sich der zukünftiger Zaunbauer nicht an sein einst abgegebenes Versprechen wird ihn der Helfer beim nächsten Mal eine lange Nase machen.
Wahrscheinlich.
>Daher kann ich ihrem"Nichtentlohnen" so nicht ohne weiteres folgen, was ehrenamtliche Tätigkeit oder charitatives Tun nicht ausschließt.
Jedem ist es unbenommen, auch in einer Geldwirtschaft karitativ zu sein.
>Ich fragte: Wo liegt hier bitte der alles entscheidende Unterschied?
Caritas ist jederzeit möglich. Dies hat aber mit einer Geld- und Kontraktwirtschaft, deren Kennzeichen die Vollstreckungsmöglichkeit ist, nichts zu tun.
Wir können gern auch eine Wirtschaft konstruieren, in der es keinerlei vollstreckbare Verträge gibt, sondern nur"moralische Verpflichtungen". Dies entspricht nur leider nicht dem, was wir heute haben.
Aber möglich ist alles. Es müssten sich dann alle, die auf Kontrakt und dessen Erfüllung hin arbeiten, sich gegenseitig auf die gleiche Leistungserbringung freiwillig verständigen.
Das bekannte Freigeld-Problem.
>Sie antworten: Im Kontrakt. Der muss auf beiden Seiten erfüllt werden, auf der einen Seite gemeinhin in Geld. Der Kontrakt ist vollstreckbar. Im Stamm wird nicht vollstreckt, in was denn? Höchstens es wird gemeckert.
>Es wird höchstens gemeckert? Na, sie machen mir ja Spaß.
>Bei Nichteinhaltung der Regeln droht der Ausschluß aus der Gemeinschaft was wahrscheinlich den Tod bedeuten könnte. Anfangs wird sicherlich gemeckert, aber ab einem bestimmten Punkt wird zusätzlich mal kräftig hingelangt.
So schaut es in der Regel aus.
>Irgendwo habe ich mal gelesen, weiß jetzt leider nicht mehr wo genau, das ein Stamm in Indonesien oder Afrika, das Nichtbeachten seiner Regeln und Sitten drakonisch bestraft.
Ist vermutlich noch weiter verbreitet.
>Ich sehe keinen Unterschied darin ob man mich, von einem ordentlichen Gericht, zu einer Geldstrafe oder gemeinnütziger Arbeit verurteilt oder ob die permanente Nichteinhaltung meiner gegebenen Versprechen durch Auflauern im dunklen Flur, mit dem Ergebnis eines vierwöchigen Gipsbettaufenthaltes, dankend entlohnt wird.
Das Gericht tritt nur nach Abschluss eines nicht erfüllten Kontrakts in Aktion. Ansonsten kann es durchaus so sein.
>So handzahm, wie Sie unterstellen, ist die Sippe von damals und heute nicht.
Es gibt sehr geduldige Sippen. Kenne das aus meiner Verwandtschaft.
>Sie schreiben bezüglich der Arbeitsteilung in der Stammesgesellschaft:
> Nein, eine durchaus sinnvolle Arbeitsteilung, die aber ohne Kontrakte und Geld auskommt.
>Das Geld ist doch letztlich auch ein Kontrakt.
Das Geld ist ein Kontrakt, ohne Frage. Also einklagbar. Wenn auch - wie heute - nur in etwas, was wiederum Geld ist (GZ).
>Wie ich oben geschrieben habe macht es in der allerletzten Konsequenz keinen großen Unterschied ob ich meine schriftlich gegebenen Versprechen dauernd missachte oder ob ich den freundschaftlichen Handschlag oder die mündliche Zusage immer wieder unterlaufe.
Es gibt schon Unterschiede. Sie wurden in Gesetzen immer deutlicher herausgearbeitet. Alle frühen Gesetze sind letztlich Strafrechts-Kataloge: Was passiert mir (muss ich zahlen usw.), wenn ich etwas tue, was den üblichen oder gemeinschaftlichen Vorschriften zuwiderläuft.
>Ich frage: Wo fängt das eine an und wo hört das andere auf?
>Sie antworten: Beim Geld, das aus der stammesfremden Abgabe entsteht (Zwang).
>Der Zwang ergibt sich aus der getroffenen Vereinbarung, mit und ohne Macht.
Der stammesinterne Zwang ist keine eindeutig definierte Angelegenheit. Die klare Definition der"Strafe" ergibt sich erst mit der Kodifizierung. Und die lautet auf eindeutig (Menge, Gewicht, Zahl usw.) definierte Leistungen.
>Es muss nicht immer die Polizei oder der Staatsanwalt einrücken.
Nach der Kodifizierung ja. Nicht der Staatsanwalt, sondern der Gerichtsvollzieher.
>Böse Gerüchte, zerstochene Reifen und drei gebrochene Rippen erfüllen auch ihren Zweck.
Einen Zweck schon. Aber nicht die in der Kodifizierung vorgeschriebenen Leistungen.
>Und schließlich frage ich: Aber damit wurde die Arbeitsteilung doch nicht erfunden?
>Sie antworten: Nein.
>Danke für's Gespräch. ;-)
Die geldwirtschaftliche Arbeitsteilung (nicht die Teilung von Produktionsabläufen) basiert auf Kontrakten, die nach vorher festgelegter Erfüllung drängen.
>Nochmals Sie: Aber ohne Macht etc. hätte es diese Form der Wirtschaftsentwicklung, die wir heute bestaunen können, nicht gegeben. Sie wird nur nicht von jedem als"schön" empfunden, wie Kritik aus allen Ecken zeigt.
>Hierbei möchte ich Ihnen zustimmen. Die Geschwindigkeit hat durch den Zinsdruck ganz sicher zugenommen, aber das hatten Galiani oder ich auch nie in Frage gestellt.
Diese Wirtschaftsleistung basiert auf Kontrakten (also eindeutig nach Termin, Art und Summe der Leistung bestimmten Abläufen). Vor diesen Kontrakten, die auf Leistung und Gegenleistung basieren, haben wir die <b<Abgabe[/b], also eine Leistung ohne oder mit fingierter oder"religiös" oder"ideologisch" überhöhter Gegenleistung ("Staat schützt","Gesellschaftsvertrag" usw.).
Der Zinsdruck ist ein absolutes Novum der Geschichte gewesen. Der Zins ist immer zuerst die Abgabe (= census = Steuer). Also öffentlich-rechtlich.
Der private Zins ist ohne besicherten Kredit nicht vorstellbar. Die Besicherung selbst wiederum nicht ohne Macht (= Garant für privates Eigentum). Und die Vollstreckung auch nicht.
> Was meinst Du mit Entwicklung und Fortschritt?
>Damit meinte ich eine 500 km lange Strecke einmal zu Fuß, zu Pferde, mit dem Auto oder dem Flugzeug zurückzulegen. Technischer Fortschritt wäre hier sicherlich erkennbar.
Technischer Fortschritt ist ziemlich relativ. Die Maja kannten selbstverständlich das Rad, aber sie transportierten ihre Abgaben über weite Strecken persönlich bis zum Tempel (Abgabenplatz).
Wir dürfen nicht übersehen, was den technischen Fortschritt als angewandten technischen Fortschritt verursacht hat. Im alten Rom gab es bereits Dampfmaschinen (siehe die schöne Stelle bei Amalrik), aber sie wurden nicht für die Steigerung der Minenproduktion benötigt, da die römischen Minen nicht abgesoffen sind.
> Ich denke, die Lebensqualität eines Stammes war nicht so schlecht. Die abgabenfreien Bauern, die ich kennen gelernt habe, waren überaus zufriedene Menschen.
>Nun ja, darüber lässt sich sicherlich trefflich streiten.
Selbstverständlich. Jeder hat da so seine Erfahrungen.
>Was ist Lebensqualität? Das muß wohl jedes Individuum für sich selbst herausfinden.
Ja.
>Manche sollen sogar an ihrem Lebensende festgestellt haben, dass sie eigentlich am Leben vorbei gelebt haben.
Soll es geben.
> Die wachsende Bevölkerung wurde durch die Macht erzwungen, siehe ausführlich Jean Bodin, den ersten modernen"Staatstheoretiker", der das fürchterliche Buch"Daemonomania" veröffentlicht hat und die Hexenprozesse (gegen die"weisen Frauen", die Verhütung kannten).
>Womit erklären Sie sich die dramatische Bevölkerungszunahme in Afrika, in Asien oder in Lateinamerika?
Zunächst war vom 16. Jh. die Rede. Aber nehmen wir die Bevölkerungspolitik der Katholischen Kirche. Die kenne ich ganz gut und kann versichern, dass sie sich aus sich selbst heraus erklärt: Machtmaximierung durch Gläubigenmaximierung.
>Weil die amtierende Macht das so will?
>In China wird sogar die Ein-Kind-Ehe propagiert. Wer sich nicht daran hält wird abgestraft.
>Und in China gibt es doch ganz sicherlich eine Macht, oder?
Das Beispiel China bestätigt die Machttheorie: Zu viele Menschen bringen wiederum Probleme mit sich, welche die Macht selbst gefährden könnte.
Gruß!
<center>
<HR>
</center> |
nereus
11.08.2002, 12:02
@ dottore
|
Re: Gesellschaftliche Ächtung - mir wird langsam schwindelig, aber nicht.. |
-->.. etwa wegen des Themas.
Hallo dottore!
Wenn wir schon von zwei Arbeitsteilungen ausgehen, von einer in der Stammesgesellschaft und einer in der Geldwirtschaft und uns darüber hinaus darin einig sind, dass die Geldwirtschaft sich aus der Stammesgesellschaft entwickelte und nicht umgekehrt, dann darf man doch sicherlich folgendes konstatieren:
Unter einer gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Entwicklung darf man wohl eine lang andauere Periode verstehen bei denen sich zahlreiche - wenn nicht alle - in einander in Beziehung stehenden, Determinanten dieser Gesellschaft ändern. Das gilt für die beteiligten Menschen ebenso wir für die Produktionsmittel, die sie umgebende Umwelt und natürlich auch für eben diese Beziehungen.
Da alle in einem hochkomplexen Zusammenhang stehen, muss es zwangsweise mehr oder weniger starke Rückkoppelungseffekte geben.
Wenn also zunächst die Bevölkerungszunahme auf begrenzten Raum für eine Arbeitsteilung in der Sippe sorgte, kann nur dies eine wesentliche Voraussetzung für die sich später daran anschließende, wenn auch auf höherem Niveau angesiedelte, Arbeitsteilung in der Geldwirtschaft sein.
Es ist ja nicht so, dass der liebe Gott oder irgendeine Macht einfach in die Hände klatscht und befiehlt:
"Ab jetzt ist die Zeit der Stämme und Sippen vorbei und nun beginnt mit sofortiger Wirkung die Geldwirtschaft!"
Das kann maximal für ein fest umrissenes Gebiet gelten aber nicht für die ganze Welt.
Das wissen Sie doch genauso gut wie ich.
Die Übergänge sind fließend und man baut die eine neue Gesellschaft auf Erfahrungen der alten auf.
Ob diese, die nachfolgende Gesellschafts- u. Wirtschaftsform dann besser wird, sei jetzt mal dahin gestellt. Wobei sich dann wieder die Frage erhebt: Was ist eigentlich besser?
Somit kann man die Arbeitsteilung der Geldwirtschaft unmöglich loslösen aus der Zeit davor und mir ist eigentlich nicht klar warum Sie so darauf erpicht sind.
Hinsichtlich meiner Feststellung: Es ist doch völlig wurst ob sich dahinter ein einklagbarer Vertrag verbirgt oder ob da nur ein mündliches Versprechen abgegeben wurde.
antworten Sie: Nein, der Unterschied liegt auf der Hand. Verträge sind jederzeit ohne Wenn und Aber einklagbar (simpler Urkundsprozess ohne mündliche Verhandlung), Versprechen als solche praktisch nicht mehr.
Dieser Unterschied ist zweifellos klar. Nur ging es mir bei dieser Betrachtung um die letztlich darausfolgende praktische Wirkung. Die Nichterfüllung des Versprechens wird zweifellos Konsequenzen haben, auch ohne ordentliches Gericht.
Die Gründe für die Entstehung eines Rechtswesens dürften doch darin zu suchen sein, dass es mit der Zunahme der Bevölkerung und der damit verbundenen Kompliziertheit der Beziehungen untereinander ein Regelwerk geschaffen werden musste dem sich alle Beteiligten unterwarfen im Sinne von gesellschaftlicher Gerechtigkeit.
Einige hielten sich eben nicht an die abgegebenen Versprechen und daher wurde es zwingend notwendig diese Vereinbarungen niederzuschreiben bzw. diese zu beurkunden, und zwar genau um diese schwarzen Schafe auf den Pfad der Tugend zurückzuführen.
Wenn sich alle an die getroffenen Vereinbarungen gehalten hätten, wäre eine Gerichtsbarkeit doch nicht erforderlich.
Sie unterstellen jedoch, dass sich das Rechtswesen ebenfalls aus Abgaben und der herrschenden Macht herleiten lässt.
Das die Macht das Recht benutzt oder auch beugt ist aber etwas anderes als dieser zuzuschreiben sie sei überhaupt für dessen Entstehung verantwortlich.
In einem bundesdeutschen Lexikon steht u.a. zum Begriff RECHT:
.. im objektiven Sinne die Gesamtheit aller Vorschriften (Rechtsnormen), die das Verhalten der Menschen und die Lebensverhältnisse in der staatlichen Gemeinschaft regeln (Rechtsordnung).
Soziologie: .. Summe von Normen, die über die sozialen Nomen hinaus das Zusammenleben der Menschen in bestimmte Regeln fasst und diese mit verbindlichen Sanktionen durchsetzen.
Aber in einem ostdeutschen Lexikon (Volkseigener Verlag Leipzig, 1957) fand ich folgendes unter dem Begriff RECHT:
im objektiven Sinne die Gesamtheit der den Willen der herrschenden Klasse ausdrückenden u. von der Staatsmacht festgesetzten oder sanktionierten Verhaltensregeln (Normen), deren Einhaltung und Anwendung durch die staatliche Zwangsgewalt (Gerichte usw.) gewährleistet wird, um die gesellschaftlichen Verhältnisse im Interesse der herrschenden Klasse in ihrer Gesamtheit zu festigen u. zu entwickeln. Es entstand als Folge des Zerfalls der Urgemeinschaft in antagonistische Klassen, verursacht durch das Aufkommen des Privateigentums, indem die besitzende Minderheit gegenüber der ausgebeuteten Mehrheit Regeln gab u. diese mit Gewalt durchsetzte...
Muss ich nach ihren Ausführungen der letzten Tage nun folgendes ableiten?
Das West-Lexikon verschleiert dogmatisch die wahren Ursachen und Zusammenhänge.
Das Ost-Lexikon deckt, trotz einiger hölzerner Begriffe, die wahren Hintergründe der allmächtigen Macht auf.
Wenn ich jetzt sage: Ich bin nur verwirrt wäre das sogar noch untertrieben.
Sie schreiben ja nicht einfach nur so etwas dahin.
in wachsender Sorge
nereus
|
dottore
11.08.2002, 14:20
@ nereus
|
Re: Gesellschaftliche Ächtung - mir wird langsam schwindelig, aber nicht.. |
-->>.. etwa wegen des Themas.
>Hallo dottore!
>Wenn wir schon von zwei Arbeitsteilungen ausgehen, von einer in der Stammesgesellschaft und einer in der Geldwirtschaft und uns darüber hinaus darin einig sind, dass die Geldwirtschaft sich aus der Stammesgesellschaft entwickelte und nicht umgekehrt,
Hallo nereus!
Die Basis der Geldwirtschaft ist das - im Stamm unbekannte - private Eigentum an Grund und Boden. Siehe HS rauf und runter.
>dann darf man doch sicherlich folgendes konstatieren:
>Unter einer gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Entwicklung darf man wohl eine lang andauere Periode verstehen bei denen sich zahlreiche - wenn nicht alle - in einander in Beziehung stehenden, Determinanten dieser Gesellschaft ändern. Das gilt für die beteiligten Menschen ebenso wir für die Produktionsmittel, die sie umgebende Umwelt und natürlich auch für eben diese Beziehungen.
Ja.
>Da alle in einem hochkomplexen Zusammenhang stehen, muss es zwangsweise mehr oder weniger starke Rückkoppelungseffekte geben.
Ja.
>Wenn also zunächst die Bevölkerungszunahme auf begrenzten Raum für eine Arbeitsteilung in der Sippe sorgte, kann nur dies eine wesentliche Voraussetzung für die sich später daran anschließende, wenn auch auf höherem Niveau angesiedelte, Arbeitsteilung in der Geldwirtschaft sein.
Die Sippe sah ihren Raum zunächst nicht als begrenzt an. Die Altorientalisten gehen aufgrund ihrer stratigrafischen befunde von 5 ha (200 Personen pro ha) aus.
"Most of... fields... within 1 km of farmer's homes; the farthest field is at a distance of 2,2 km." (Kramer, Village Ethnoarchaeology. Rural Iran in Archaeological Perspective, 1982, zit. bei Bernbeck).
>Es ist ja nicht so, dass der liebe Gott oder irgendeine Macht einfach in die Hände klatscht und befiehlt:
>"Ab jetzt ist die Zeit der Stämme und Sippen vorbei und nun beginnt mit sofortiger Wirkung die Geldwirtschaft!"
Nein, so ist es nicht. Sobald das jeweilige Familien-, Sippen- oder Stammesgebiet von einer Außenmacht bedroht wird und die dort einbrechende Macht Abgaben fordert, ist es mit der Eigenwirtschaft vorbei. Dann muss Surplus erstellt werden, der abgegeben werden muss. Aus dem Zwangs-Surplus dann Entwicklung der Geldwirtschaft, wie mehrfach beschrieben.
>Das kann maximal für ein fest umrissenes Gebiet gelten aber nicht für die ganze Welt.
Ja, es beginnt logischerweise in fest umrissenen und klar lokalisierbaren Gebieten. Die antike Geschichte beginnt als Macht- und Fremdzwangsgeschichte in Mesopotamien (Naher Osten mit Akkad, usw.).
>Das wissen Sie doch genauso gut wie ich.
Ja, das weiß ich. Die Gewalt- und Kriegsgeschichte des Abendlandes beginnt genau dort. Gleichzeitig waren weite Teile der Erde völlig Fremdmacht-frei.
>Die Übergänge sind fließend und man baut die eine neue Gesellschaft auf Erfahrungen der alten auf.
Die Übergänge sind nicht fließend, leider. Sobald sich einmal Macht- und Zwangssysteme festgesetzt haben, setzen sie sich fort.
Würden heute alle Amerikaner - außer den Indianern - tot umfallen, würden die Indianer nicht etwas wieder in den Vor-Eigentumszustand zurückkehre, sondern das US-Land würde sofort von allen Seiten und Mächten okkupiert.
>Ob diese, die nachfolgende Gesellschafts- u. Wirtschaftsform dann besser wird, sei jetzt mal dahin gestellt. Wobei sich dann wieder die Frage erhebt: Was ist eigentlich besser?
Das kann ich nicht beurteilen, weil mir entsprechende, genügende Erfahrungswerte aus Nicht-Macht-Gesellschaften fehlen.
>Somit kann man die Arbeitsteilung der Geldwirtschaft unmöglich loslösen aus der Zeit davor und mir ist eigentlich nicht klar warum Sie so darauf erpicht sind.
Richtig. Einmal Geldwirtschaft, immer Geldwirtschaft. Es sei denn wir erleben eine gleichmäßig über die gesamte Welt verteilte Redimensionierung der Weltbevölkerung. Mit 80.000 Einwohnern (statt 80 Millionen) in Deutschland kämen wir bestens ohne Geldwirtschaft aus. Wie Tacitus berichtet, kannten die Germanen selbst kein eigenes Geld (anders die Kelten, die Römer, usw.).
>Hinsichtlich meiner Feststellung: Es ist doch völlig wurst ob sich dahinter ein einklagbarer Vertrag verbirgt oder ob da nur ein mündliches Versprechen abgegeben wurde.
>antworten Sie: Nein, der Unterschied liegt auf der Hand. Verträge sind jederzeit ohne Wenn und Aber einklagbar (simpler Urkundsprozess ohne mündliche Verhandlung), Versprechen als solche praktisch nicht mehr.
>Dieser Unterschied ist zweifellos klar. Nur ging es mir bei dieser Betrachtung um die letztlich darausfolgende praktische Wirkung. Die Nichterfüllung des Versprechens wird zweifellos Konsequenzen haben, auch ohne ordentliches Gericht.
Ja, es dürfte irgendwelche Konsequenzen geben. Aber im Gegensatz zu den im Kontrakt vorab fest gelegten Konsequenzen, sind sie a priori willkürlich. Das kann von der Tötung bis zum Verzeihen reichen. Gewisse Usancen werden sich durchaus einschleifen können.
>Die Gründe für die Entstehung eines Rechtswesens dürften doch darin zu suchen sein, dass es mit der Zunahme der Bevölkerung und der damit verbundenen Kompliziertheit der Beziehungen untereinander ein Regelwerk geschaffen werden musste dem sich alle Beteiligten unterwarfen im Sinne von gesellschaftlicher Gerechtigkeit.
Die Zunahme der Bevölkerung spielt für die Entstehung von privatem Eigentum (und allem daraus Folgenden) durchaus eine wichtige Rolle. Wie gesagt: bei 6 Millionen statt 6 Milliarden Menschen weltweit, erübrigen sich solche Regelungen.
Unterworfen im Sinne einer freiwilligen Gemeinschaftsaktion ("Gesellschaftsvertrag") hat sich niemand. Das"Regelwerk" wurde nicht von gleich freien Privaten entwickelt und verabschiedet, sondern immer von oben (zumindest einer Machtelite, siehe sogar die"founding fathers", Thomas Jefferson u.v.a.m. hielten Sklaven) nach unten durchgesetzt.
>Einige hielten sich eben nicht an die abgegebenen Versprechen und daher wurde es zwingend notwendig diese Vereinbarungen niederzuschreiben bzw. diese zu beurkunden, und zwar genau um diese schwarzen Schafe auf den Pfad der Tugend zurückzuführen.
Die Versprechenden haben es nicht selbst niedergeschrieben. Dann wären wir wieder beim individuellen Kontrakt.
>Wenn sich alle an die getroffenen Vereinbarungen gehalten hätten, wäre eine Gerichtsbarkeit doch nicht erforderlich.
Das ist richtig. Die ältesten Kodifizirungen sind im wesentlichen Strafrechts-Kataloge.
>Sie unterstellen jedoch, dass sich das Rechtswesen ebenfalls aus Abgaben und der herrschenden Macht herleiten lässt.
Das Rechtswesen muss zuvörderst die Abgaben sichern. Es herrscht sich schlecht, wenn niemand Abgaben leistet.
>Das die Macht das Recht benutzt oder auch beugt ist aber etwas anderes als dieser zuzuschreiben sie sei überhaupt für dessen Entstehung verantwortlich.
Es gibt kein mir bekanntes frühes Recht (Hammurabi, Moses, XII Tafeln, Codex Justiniani, lex salica usw.), das nicht von oben erlassen worden wäre.
>In einem bundesdeutschen Lexikon steht u.a. zum Begriff RECHT:
>.. im objektiven Sinne die Gesamtheit aller Vorschriften (Rechtsnormen), die das Verhalten der Menschen und die Lebensverhältnisse in der staatlichen Gemeinschaft regeln (Rechtsordnung).
Ja, es wird bereits die Staatsmacht vorausgesetzt unter dem schönen Ausdruck"staatliche Gemeinschaft". So etwas wie die"staatliche Gemeinschaft" wird leider nicht definiert, oder wurde etwa beschlossen, sondern als existent vorausgesetzt.
>Soziologie: .. Summe von Normen, die über die sozialen Nomen hinaus das Zusammenleben der Menschen in bestimmte Regeln fasst und diese mit verbindlichen Sanktionen durchsetzen.
Für Sanktionen benötigt man leider Macht. Die geht also als bereits existent den Sanktionen voraus.
>Aber in einem ostdeutschen Lexikon (Volkseigener Verlag Leipzig, 1957) fand ich folgendes unter dem Begriff RECHT:
> im objektiven Sinne die Gesamtheit der den Willen der herrschenden Klasse ausdrückenden u. von der Staatsmacht festgesetzten oder sanktionierten Verhaltensregeln (Normen), deren Einhaltung und Anwendung durch die staatliche Zwangsgewalt (Gerichte usw.) gewährleistet wird, um die gesellschaftlichen Verhältnisse im Interesse der herrschenden Klasse in ihrer Gesamtheit zu festigen u. zu entwickeln. Es entstand als Folge des Zerfalls der Urgemeinschaft in antagonistische Klassen, verursacht durch das Aufkommen des Privateigentums, indem die besitzende Minderheit gegenüber der ausgebeuteten Mehrheit Regeln gab u. diese mit Gewalt durchsetzte...
Wenn der übliche sozialistische Schnickschnack weggelassen wird -"Klasse","besitzende Minderheit" (völlig falsch übrigens, da wieder Verwechslung von Besitz mit Eigentum! In der DDR gab es fast nur Besitzer, z.B. Mieter, und das war die eindeutige Mehrheit)"Ausbeutung" - ist dies richtig.
>Muss ich nach ihren Ausführungen der letzten Tage nun folgendes ableiten?
>Das West-Lexikon verschleiert dogmatisch die wahren Ursachen und Zusammenhänge.
>Das Ost-Lexikon deckt, trotz einiger hölzerner Begriffe, die wahren Hintergründe der allmächtigen Macht auf.
So ist es, leider.
>Wenn ich jetzt sage: Ich bin nur verwirrt wäre das sogar noch untertrieben.
>Sie schreiben ja nicht einfach nur so etwas dahin.
>in wachsender Sorge
Du musst Dir um mich keine Sorgen machen. Es gibt keinen größeren Anti-Sozialisten als mich.
Gruß!
|