Oracle
08.11.2002, 23:01 |
Béguelin(Pictet):" 1929 und 2000 - Kein Vergleich" Thread gesperrt |
-->Béguelin (Pictet):"1929 und 2000 - Kein Vergleich"
Frankfurt (fondsweb.de) - Heute meldet sich Jean-Pierre Béguelin, Chef-Ã-konom bei Pictet, mit seiner Studie"1929 und 2000 - Kein Vergleich" zu Wort:
"Seit etwa drei Jahren sind die Börsen rückläufig und die Baisse hat sich im letzten Sommer leider noch verstärkt. Dieser rasche und allgemeine Aktienrückgang an den wichtigsten Märkten ließ viele befürchten, die Wirtschaft könnte in eine Depression mit Deflation, Unterbeschäftigung und weit verbreiteter Not abgleiten. Darum soll hier die gegenwärtige Wirtschaftslage mit derjenigen der Deflationsphase der 30er Jahre verglichen werden. Wir wollen jedoch nur die USA betrachten, denn trotz Euro-Einführung scheint das Grippesyndrom - wenn die USA niesen, hat Europa schon Schnupfen - heute mehr denn je zuzutreffen, vor allem bei den Finanzmärkten", so Béguelin.
"Vergleich 1929/2000"
Der Pictet-Ã-konom weiter:"Der Index S&P Composite zwar seit März 2000 um etwa 40% gesunken, aber im April 1932 - also 31 Monate nach dem Krach - hatte er bereits 80% verloren, um dann bis zum absoluten Tiefpunkt des Marktes im Juli 1932 weitere 25% einzubüßen. Auch ein Vergleich der Wirtschaftsdaten ist frappierend. Das amerikanische BIP sackte in den 30er Jahren buchstäblich in sich zusammen - um 32% zwischen dem höchsten und tiefsten Stand der Krise -, während es heute trotz einer Rezession im Jahr 2001 und der Attentate vom 11. September um etwa 4% über seinem Niveau von Anfang 2000 steht. Auch die Arbeitslosenzahlen erreichten im Jahr 1933 in der schlimmsten Rezessionszeit 25%, während sie heute bei 6% stehen. So einfach diese Vergleiche auch sein mögen, so machen sie doch deutlich, wie stark sich die Finanz- und die Konjunkturlage zwischen den beiden Krisen unterscheiden."
"Eine echte Deflation"
Aber was ist mit der in der Presse so oft erwähnten Deflation, fragt der Pictet-Stratege und gibt als Antwort:"Es ist derzeit verfehlt, von einer Deflation oder Vor-Deflation zu sprechen. In den Vereinigten Staaten sanken die Konsumentenpreise, die am wenigsten volatil sind, von Oktober 1929 bis April 1933 jährlich um 7,8%, dagegen stiegen sie von März 2000 bis September 2001 im Jahresdurchschnitt um 2,3%. Seit der Nobelpreisträger Milton Friedman und seine Mitarbeiterin Anna Schwartz 1963 A monetary history for the United States veröffentlichten, ist den meisten Ã-konomen klar, dass die schlecht geführte Geldpolitik des Federal Reserve die klassische Rezession von 1929-30 in die Depression der Jahre 1931-33 ausarten ließ. Einige jedoch - die sich selbst gern als Ã-sterreichische Schule bezeichnen - behaupten entgegen dieser geläufigen Interpretation des Geschehenen, die Fehler der damaligen US-Währungsbehörde seien ein echter Mythos. Im Nachhinein scheint der Fall klar zu sein. Hier soll nicht der Stab über die Verantwortlichen gebrochen werden, die anhand ihrer Kenntnisse, Informationen und Erfahrungen bestmöglich zu handeln glaubten. Das Federal Reserve senkte den Diskontsatz zwischen 1930 und 1931 von 6% auf 1,5%, was aber angesichts des einsetzenden Preisverfalls eindeutig zu spät geschah. Heute haben die amerikanischen Währungsbehörden die gleichen Fehler zum Glück nicht wiederholt. Es bleibt zu hoffen, dass sie in Zukunft noch weiser handeln. Aber zu behaupten, die Geldpolitik habe bei der Depression der 30er Jahre keine wesentliche Rolle gespielt, zeugt von vollkommener Unkenntnis der geldpolitischen Übertragungsmechanismen."
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- ELLI -
09.11.2002, 07:21
@ Oracle
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Re: Béguelin(Pictet):" 1929 und 2000 - Kein Vergleich" |
-->Der Artikel...
>....zeugt von vollkommener Unkenntnis der geldpolitischen Übertragungsmechanismen."
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Diogenes
09.11.2002, 10:33
@ Oracle
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Re: Béguelin(Pictet):" 1929 und 2000 - Kein Vergleich" / stimmt |
-->Hi Oracle,
Ein Eintrag mehr fürs Kuriositätenkabinett *g*.
29 waren wir weit besser dran als heute. Wir hatten Gold als Geld (Geld netto), der Schuldenberg war niedriger, die Beteiligung an der Spekublase war weit geringer, der Staat zurückhaltender bei Steuern und Wirtschaftseingriffen,...
>Das Federal Reserve senkte den Diskontsatz zwischen 1930 und 1931 von 6% auf 1,5%, was aber angesichts des einsetzenden Preisverfalls eindeutig zu spät geschah.
Die hätte den Diskontsatz ERHÃ-HEN müssen - anno 1925. (Und die Welt hätte ihre Hausaufgaben in Sachen währung nach WK1 machen müssen)
>Heute haben die amerikanischen Währungsbehörden die gleichen Fehler zum Glück nicht wiederholt.
Doch haben sie in wesentlichen, siehe 1995 ff, das sollte genügen. Von all dem Filckwerk, das seit Ende WK2 gemacht wurde, will ich gar nicht anfangen.
>Es bleibt zu hoffen, dass sie in Zukunft noch weiser handeln.
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>Aber zu behaupten, die Geldpolitik habe bei der Depression der 30er Jahre keine wesentliche Rolle gespielt,....
Un ob sie eine wesentliche rolle gespiet hat. Die Geldpolitik der Fed war DER Faktor für die Depression.
Die Fed hat die Krise der 30er verursacht, so wie die ZB's die jetzige. Die Lehre daraus: Politik hat beim Geld nichts verloren! Und auch nichts in der Wirtschaft. Geldpolitik und Wirtschaftspolitik sind Widersprüche in sich selber.
>...zeugt von vollkommener Unkenntnis der geldpolitischen
Übertragungsmechanismen.
Die Unkenntnis der geldpolitischen Übertragundsmechanismen" (toller Ausdruck, ich erzittere in Ehrfurcht) offenbart sich darin, daß gewisse Ã-könömen glauben, man könnte Schulden mit mehr Schulden kurieren.
Der Plunder wurde während des Booms gemacht, nicht danach. An den Fehlern, die bereits gemacht wurden, ändern alle Zinssenkungen der Welt nichts. Der größte Plunder überhaupt ist unser Kredit-Papiergeld.
"Geldpolitischen Übertragungsmechanismen" heißt zu gut deutsch: Schulden müssen bedient werden. Sie werden immer bezahlt, wenn nicht vom Schuldner dann vom Gläubiger.
Gruß
Diogenes
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Bob
09.11.2002, 14:21
@ Oracle
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Re: Béguelin(Pictet):" 1929 und 2000 - Kein Vergleich" - und ob! |
-->Ich hatte hier gelegentlich den Zusammenhang schon erläutert.
Das Verbindende liegt in dem Begriff der"Kondratieffdepression". Als Kondratieffdepression bezeichnete Schumpeter das dritte Viertel des ca. 60-jährigen Kondratieffzyklus. Leider habe ich das Bild nicht gescannt aber vielleicht weiss ja jemand, wo es zu finden ist. Bei einer Sinuskurve sind das die Stellen zwischen Pi und 1,5*Pi (also etwa die Jahre 30-45).
Vorangegangene Kondratieffdepressionen sind die Jahre: 1929-50, 1873-85, 1822-30 ungefähr jedenfalls. Im Nachhinein hat man diese Epochen gerne als"Große Depressionen" bezeichnet. Dieses Schicksal blüht vermutlich auch unserer Zeit (seit 1998).
Nun gibt es nach Schumpeter nicht nur Kodratieffs, sondern auch Juglars (10 Jahre) und Kitchins (3 Jahre), die sich überlagern. Die schärfste Krise findet statt in der ersten Kitchindepression in der ersten Juglardepression nach Eintritt in die Kondratieffdepression, also dort, wo die Depressionen der drei Zyklen zusammenfallen. Man beachte, dass dies in 60 Jahren nur ein einzigesmal passiert.
Diese Zeit liegt aber bereits hinter uns. Der Kitchin (Lagerhaltung) ist seit ca. August/September 2002 wieder expansiv. Die 9-12 Monate von Mitte 2001 bis Mitte 2002 sind demnach der Krisenhöhepunkt gewesen. Die Juglarerholung dürfte noch etwas auf sich warten lassen ("Capital-Spending"). Nächste kritische Phase ist, wenn die Lagerhaltung wieder zurückgeht und Capital-Spending nicht sofort nachfolgt. Da kann man eine"Nachkrise" erwarten. 1933 sind da einige Banken zusammengebrochen.
Eine ganz andere Frage ist die Grundstimmung der Epoche. Stand in Kondratieffaufschwung und -Rezession das Hervorbringen von Innovation im Vordergrund, so steht in der Depression bzw. in der nachfolgenden Erholung ein Vorgang im Mittelpunkt, für den ich keinen besseren Ausdruck finde als"Rationalisierung". Die weiteren Aussichten für die Wirtschaft hängen ganz entscheidend davon ab, wie gut diese Rationalisierung gelingt.
Die Rationalisierung ist Staatsaufgabe.
Weitere Erläuterungen sowie Ausführungen zu den besonderen Herausforderungen der Epoche findet Ihr in meinen zwei Pamphleten:
Warnung vor dem Crash
National = rational, international = irrational
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dottore
10.11.2002, 10:08
@ Oracle
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Re: Es gibt nur zwei Möglichkeiten - entweder Pictet glaubt an den Unfug... |
-->
... dann wir das Haus kaum den 200. Jahrestag erleben (2005). So viel Stuss in so wenig Zeilen, das ist auch eine Kunst!
Oder sie streuen dem Publikum Sand in die Augen, damit man seine eigenen Angelegenheiten in aller Ruhe ordnen kann.
Ich tippe auf Plan B.
Gruß!
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