-->Spitzenklasse? Eine herrschende Klasse auf dem Prüfstand
Wie viele Personen einer herrschenden Klasse muss man kennen, um Aussagen über die herrschende Klasse eines Landes insgesamt machen zu können? Der traditionsreichen britischen Wirtschaftszeitung „The Economist“, die schon Karl Marx gelesen hatte, reichen dafür ganze 100 Leute (siehe Namenliste unten).
Welche Art von Leuten rechnet der Economist zur herrschenden Klasse? Aus dem Geschichtsunterricht weiß man, dass man früher in die herrschende Klasse geboren wurde. Von der Marxschen Kritik des Kapitalismus weiß man, dass man die Zugehörigkeit zur herrschenden Klasse erwerben und damit auch erben kann. Aus Erfahrung weiß man, dass Einzelne auch in die herrschende Klasse kooptiert werden und dass dafür - neben Loyalität - eine gewisse Schul- und Hochschulbildung nützlich ist.
Über die Kooptierung in die herrschende Klasse Großbritanniens weiß der ‚Economist’ zu berichten: „British society is not, compared with other countries, particularly rigid. Britain’s ruling class has always been rather good at absorbing outsiders. That’s one of the reasons, why it managed to avoid a revolution of the sort that decapitated society in so many European countries.” (The Economist, 07.12.2002).
Karl Marx hatte das nicht anders gesehen: „Je mehr eine herrschende Klasse fähig ist, die bedeutendsten Männer der beherrschten Klasse in sich aufzunehmen, desto solider und gefährlicher ist ihre Herrschaft.“ (Kapital III, MEW 25, 614).
Was weiß der ‚Economist’ über die britische herrschende Klasse zu vermelden?
Schulbildung: Nur 18 % haben keine Universitätsbildung. Ein Prozent (die Queen) hat überhaupt keine Schulbildung.
Alter: Das Durchschnittsalter ist 57 Jahre. 1972 waren es 58 Jahre.
Frauenanteil: Der Frauenanteil ist seit 1972 gestiegen und erreicht jetzt 5 %.
Ausländeranteil: Auch der Ausländeranteil ist gestiegen.
Das ist schon alles, was uns der Economist über die herrschende Klasse in Großbritannien mitteilen will, wenn man von der wenig überraschenden Information absieht, dass das Image der herrschenden Klasse in Großbritannien um nichts besser ist, als das Ansehen der Herrschenden in Deutschland: „The establishment is mediocre, uncompetitive, technophobic, snobby, and responsible for much of what went wrong in Britain in the 20th century”. („Das Establishment stellen Durchschnittstypen ohne wirkliche Kenntnisse, die technikfeindlich und arrogant sind und die die Hauptverantwortung für all die Katastrophen tragen, die Großbritannien im 20. Jahrhundert erlebt hat.“) (The Economist, 07.12.2002).
Man muss der britischen Volksmeinung allerdings das Kompliment machen, dass sie in einem Punkt klarer sieht als viele Deutschen: Bei uns ist es immer noch üblich, für die Katastrophen, die das 3. Reiches über Deutschland und die Welt gebracht hat, nicht die Herrschenden des damaligen Deutschland, sondern mit der Kollektivschuld-Lüge „die Deutschen“ insgesamt verantwortlich zu machen.
Was an der Liste des Economist auffällt:
Die Economist-Liste der 100 Mächtigen von Großbritannien enthält zwar 63 Personen in staatlichen oder halbstaatlichen Führungspositionen, 7 Führungspositionen in gesellschaftlichen und 4 in kirchlichen Stellen sowie 26 Firmenchefs, aber keinen einzigen Kapitaleigner. Das ist umso bemerkenswerter, als sich der Economist auf seinen Wirtschafts- und Finanzseiten immer für „Shareholder value“, für Macht und Einfluss der großen Aktienbesitzer stark macht.
Darin zeigt sich die herrschende Arbeitsteilung: Mussten im Mittelalter die Großgrundbesitzer auch staatliche Herrschaftsfunktionen wahrnehmen, so konzentrieren sich die Besitzer der modernen Produktionsmittel, die Kapitaleigner, auf ihre privaten Lohnarbeiter-Armeen und überlassen die Staatsgeschäfte ihren „Staatsdienern“. Diese Arbeitsteilung spiegelt sich sogar noch in den Zeitungsrubriken wieder: Im Wirtschaftsteil einer Zeitung darf und muss Interesse und Einfluss der Kapitaleigner verfochten werden. Im politischen Teil der Zeitung kommen Kapitaleigner als Machtausübende nicht vor.
Wal Buchenberg, 9.12.2002
Anhang:
Die Mächtigen 100 von Großbritannien:
Gerry Adams, President, Sinn Fein
Edward Balls, Chief economic adviser to Treasury
Percy Barnevik, Chairman AstraZeneca
David Bean, Chairman, Bar Council
Margaret Beckett, Environment secretary
Maarten van den Bergh, Chairman, Lloyds TSB
Tony Blair, Prime minister
Sir Christopher Bland, Chairman, BT
David Blunkett, Home secretary
Lord Blyth, Chairman, Diageo
Sir John Bond, Chairman, HSBC
Sir Albert Bore, Leader, Birmingham City Council
Richard Bowker, Chairman Strategic Rail Authority
Sir John Boyd, Chairman of trustees, British Museum
Sir Alec Broers, Vice chancellor Cambridge University
Martin Broughton, Chairman, British American Tobacco
Gordon Brown, Chancellor of the exchequer
David Calvert-Smith, Director of public prosecutions
Sir Graeme Catto, President General Medical Council
Robin Cook, Leader of the House of Commons
Donald Cruickshank, Chairman, London Stock Exchange
Alistair Darling, Transport secretary
Sir Richard Dearlove, Head of MI 6
Iain Duncan, Smith, Leader of the opposition
Greg Dyke, Director-general, BBC
Elizabeth II, Queen
Niall FitzGerald, Chairman, Unilever
Roderick Floud, President, Universities UK
John Gardiner, Chairman Tesco
Sir Edward George, Governor, Bank of England
Anthony Giddens, Director, LSE
Ben Gill, President, National Farmers‘ Union
Tony Hall, Executive director Royal Opera House
Patricia Hewitt, Trade and industry secretary
Sir Christopher Hogg, Chairman, GlaxoSmithKline
Geoffrey Hoon, Defence secretary
Michael Howard, Shadow chancellor
Paul Hyett, President, RIBA
Lord Irvine, Lord Chancellor
Sir Robin Janvrin, Private secretary to the queen
Sir Michael Jay, Head of diplomatic service
Digby Jones, Director general CBI
Charles Kennedy, Leader, Liberal Democrat Party
David King, Chief scientific adviser to the government
Neil Kinnock, EC commissioner
Richard Leese, Leader, Manchester City Council
Allan Leighton, Chairman, Royal Mail
Lord Levene, Chairman Lloyd's of London
Helen Liddell, Scottish secretary
Ken Livingstone, Mayor of London
Sir Colin Lucas, Vice-chancellor Oxford University
Finlay Macdonald, Moderator, Church of Scotland
Lord MacLaurin, Chairman Vodafone
Eliza Manningham-Buller, Head of MIS
Michael Martin, Speaker of the House of Commons
Sir George Mathewson, Chairman, Royal Bank of Scotland
Lord May, President, Royal Society
Sir Christopher Meyer, Ambassador to the United States
Sir Peter Middleton, Chairman, Barclays
Alan Milburn, Health secretary
John Monks, General secretary TUC
Sir Mark Moody-Stuart, Chairman Anglo American
Derek Morris Chairman, Competition Commission
Sir Peter Morris, President, Royal College of Surgeons
Paul Murphy, Northern Ireland secretary
Cormac Murphy-O‘Connor, Archbishop of Westminster
Adrian Noble, Artistic director, RSC
Sir Trevor Nunn, Artistic director National Theatre
Charles Nunneley, Chairman, National Trust
Gus O‘Donnell, Permanent secretary to the Treasury
Sir John Parker, Chairman, National Grid Transco
Chris Patten, EC commissioner
Lord Phillips, Master of the Rolls
John Prescott, Deputy prime minister
Sir Tim Rice, President, MCC
Gerry Robinson, Chairman, Arts Council
Jonathan Sacks, Chief Rabbi
Sir Nigel Sheinwald, Ambassador to the EU
Christopher Spence, Senior steward, Jockey Club
Sir Peter Squire, Chief of the air staff
Sir John Stevens, Commissioner Metropolitan Police
Lord Stevenson, Chairman Halifax Bank of Scotland
Jack Straw, Foreign secretary
Ross Stretton, Director, Royal Ballet
Peter Sutherland, Chairman, BP
John Swinney, Leader, Scottish National Party
Sir Colin Terry, Chairman, Engineering Council
Geoff Thompson, Chairman, Football Association
Robert Thomson, Editor, the Times
David Trimble, Leader, Ulster Unionist Party
Sir Andrew Turnbull, Cabinet secretary
Sir Michael Walker, Chief of army general staff
Philip Watts, Chairman, Shell Transport and Trading
Sir Alan West, First sea lord
Lord Williams, Leader of the House of Lords
Sir Peter Williams, President, British Association
Rowan Williams, Archbishop of Canterbury
Sir Robert Wilson, Chairman, Rio Tinto
Lord Woolf, Lord Chief Justice
Peter Wyman, President, Institute of Chartered Accountants
Aus: The Economist, 07.12.2002
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-->Hi Wal,
>Die Economist-Liste der 100 Mächtigen von Großbritannien enthält zwar 63 Personen in staatlichen oder halbstaatlichen Führungspositionen, 7 Führungspositionen in gesellschaftlichen und 4 in kirchlichen Stellen sowie 26 Firmenchefs, aber keinen einzigen Kapitaleigner.
Könntest Du freundlicherweise welche nennen? Irgendwer muss es doch sein.
Dann gleich noch ne Frage: Das mit Abstand größter Kapital (hier Anteilsscheine, Aktien) wird in GB seit jeher von Fonds verwaltet. Auf ihnen basiert auch die gesamte Altersversorgung. Wer ist bei den Fonds der Kapitaleigner (außer dem Fonds natürlich) bzw. wer würde zur herrschenden Klasse zählen?
>Das ist umso bemerkenswerter, als sich der Economist auf seinen Wirtschafts- und Finanzseiten immer für „Shareholder value“, für Macht und Einfluss der großen Aktienbesitzer stark macht.
Diese"großen Aktienbesitzer" fehlen in der Tat. Wer mag es sein und wo sitzen die?
>Darin zeigt sich die herrschende Arbeitsteilung: Mussten im Mittelalter die Großgrundbesitzer auch staatliche Herrschaftsfunktionen wahrnehmen,
Die haben sie nicht wahr-, sondern buchstäblich ab-genommen.
>so konzentrieren sich die Besitzer der modernen Produktionsmittel, die Kapitaleigner, auf ihre privaten Lohnarbeiter-Armeen und überlassen die Staatsgeschäfte ihren „Staatsdienern“.
Der durchschnittliche Lohnarbeiter hat - jedenfalls zum Ende seines Berufslebens - einen Kapitalstock (siehe Rente oben) in Höhe von > 50.000 Pfund. Ist er als"Kapitaleigner" (das selbstgenutzte Haus kommt oft dazu, die Hauspreise sind seit 2000 um mehr als 30 % gestiegen) jetzt nur Kapitaleigner, der Lohnarbeiter unterhält usw. - oder wie wäre er zu definieren?
Es geht um eine"Kapitalsumme", also in Kapital angelegt (physische Sachen) in den Händen von abhängig Beschäftigten (Lohnarbeitern?) von > 1 Billion Pfund Sterling.
>Diese Arbeitsteilung spiegelt sich sogar noch in den Zeitungsrubriken wieder: Im Wirtschaftsteil einer Zeitung darf und muss Interesse und Einfluss der Kapitaleigner verfochten werden.
Ich kenne die englischen Zeitungen recht gut. Sie alle haben ausführliche Börsenteile und geben gerade dem Massenpublikum ununterbrochen Tipps zur Anlage in Kapital (obiger Sinn, also jenes Kapital, das mit Lohnarbeitern bemannt werden muss, um überhaupt Output erbringen zu können). Selbst die reinen Massenblätter haben regelmäßig erscheinende Teile wie"Your Money" o.ä. Dabei geht's um Gesamtauflagen von ca. 16 bis 18 Millionen Stück pro Tag.
Eine größere Zeitung, die"Lohnarbeiter"-Interessen vertritt, also in irgendeiner Form gegen das"Kapital" oder"Kapitaleigner" schreibt, kann ich nicht entdecken. Was ist da los?
>Im politischen Teil der Zeitung kommen Kapitaleigner als Machtausübende nicht vor.
Warum nicht? Warum fehlt Rupert Murdoch in der Liste unten? Weil er einen US-Pass hat? Die Wahlen in GB beeinflusst er (pro Blair), aber alle, die bei ihm arbeiten, meinen, sie verdienen recht gut. Wie ließe sich die Ausbeutung oder der Ausbeutungsgrad bei Murdoch's News Corp. messen?
Andererseits gibt es Millionen News Corp.-Aktionäre, die ihrerseits z.T. bei Murdoch arbeiten bzw. sonst wie abhängig beschäftigt sind.
Dass mir das mit der Ausbeutung gesamtwirtschaftlich nicht einleuchtet (siehe Marx selbst: wo kommt das Geld her, um den Mehrwert zu versilbern), ist bekannt. Aber wie ist das einzelwirtschaftlich? Ein Unternehmen hat beispielsweise Belegschaftsaktien: Was passiert dann konkret?
Gruß!
>Wal Buchenberg, 9.12.2002
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>Anhang:
>Die Mächtigen 100 von Großbritannien:
>Gerry Adams, President, Sinn Fein
>Edward Balls, Chief economic adviser to Treasury
>Percy Barnevik, Chairman AstraZeneca
>David Bean, Chairman, Bar Council
>Margaret Beckett, Environment secretary
>Maarten van den Bergh, Chairman, Lloyds TSB
>Tony Blair, Prime minister
>Sir Christopher Bland, Chairman, BT
>David Blunkett, Home secretary
>Lord Blyth, Chairman, Diageo
>Sir John Bond, Chairman, HSBC
>Sir Albert Bore, Leader, Birmingham City Council
>Richard Bowker, Chairman Strategic Rail Authority
>Sir John Boyd, Chairman of trustees, British Museum
>Sir Alec Broers, Vice chancellor Cambridge University
>Martin Broughton, Chairman, British American Tobacco
>Gordon Brown, Chancellor of the exchequer
>David Calvert-Smith, Director of public prosecutions
>Sir Graeme Catto, President General Medical Council
>Robin Cook, Leader of the House of Commons
>Donald Cruickshank, Chairman, London Stock Exchange
>Alistair Darling, Transport secretary
>Sir Richard Dearlove, Head of MI 6
>Iain Duncan, Smith, Leader of the opposition
>Greg Dyke, Director-general, BBC
>Elizabeth II, Queen
>Niall FitzGerald, Chairman, Unilever
>Roderick Floud, President, Universities UK
>John Gardiner, Chairman Tesco
>Sir Edward George, Governor, Bank of England
>Anthony Giddens, Director, LSE
>Ben Gill, President, National Farmers‘ Union
>Tony Hall, Executive director Royal Opera House
>Patricia Hewitt, Trade and industry secretary
>Sir Christopher Hogg, Chairman, GlaxoSmithKline
>Geoffrey Hoon, Defence secretary
>Michael Howard, Shadow chancellor
>Paul Hyett, President, RIBA
>Lord Irvine, Lord Chancellor
>Sir Robin Janvrin, Private secretary to the queen
>Sir Michael Jay, Head of diplomatic service
>Digby Jones, Director general CBI
>Charles Kennedy, Leader, Liberal Democrat Party
>David King, Chief scientific adviser to the government
>Neil Kinnock, EC commissioner
>Richard Leese, Leader, Manchester City Council
>Allan Leighton, Chairman, Royal Mail
>Lord Levene, Chairman Lloyd's of London
>Helen Liddell, Scottish secretary
>Ken Livingstone, Mayor of London
>Sir Colin Lucas, Vice-chancellor Oxford University
>Finlay Macdonald, Moderator, Church of Scotland
>Lord MacLaurin, Chairman Vodafone
>Eliza Manningham-Buller, Head of MIS
>Michael Martin, Speaker of the House of Commons
>Sir George Mathewson, Chairman, Royal Bank of Scotland
>Lord May, President, Royal Society
>Sir Christopher Meyer, Ambassador to the United States
>Sir Peter Middleton, Chairman, Barclays
>Alan Milburn, Health secretary
>John Monks, General secretary TUC
>Sir Mark Moody-Stuart, Chairman Anglo American
>Derek Morris Chairman, Competition Commission
>Sir Peter Morris, President, Royal College of Surgeons
>Paul Murphy, Northern Ireland secretary
>Cormac Murphy-O‘Connor, Archbishop of Westminster
>Adrian Noble, Artistic director, RSC
>Sir Trevor Nunn, Artistic director National Theatre
>Charles Nunneley, Chairman, National Trust
>Gus O‘Donnell, Permanent secretary to the Treasury
>Sir John Parker, Chairman, National Grid Transco
>Chris Patten, EC commissioner
>Lord Phillips, Master of the Rolls
>John Prescott, Deputy prime minister
>Sir Tim Rice, President, MCC
>Gerry Robinson, Chairman, Arts Council
>Jonathan Sacks, Chief Rabbi
>Sir Nigel Sheinwald, Ambassador to the EU
>Christopher Spence, Senior steward, Jockey Club
>Sir Peter Squire, Chief of the air staff
>Sir John Stevens, Commissioner Metropolitan Police
>Lord Stevenson, Chairman Halifax Bank of Scotland
>Jack Straw, Foreign secretary
>Ross Stretton, Director, Royal Ballet
>Peter Sutherland, Chairman, BP
>John Swinney, Leader, Scottish National Party
>Sir Colin Terry, Chairman, Engineering Council
>Geoff Thompson, Chairman, Football Association
>Robert Thomson, Editor, the Times
>David Trimble, Leader, Ulster Unionist Party
>Sir Andrew Turnbull, Cabinet secretary
>Sir Michael Walker, Chief of army general staff
>Philip Watts, Chairman, Shell Transport and Trading
>Sir Alan West, First sea lord
>Lord Williams, Leader of the House of Lords
>Sir Peter Williams, President, British Association
>Rowan Williams, Archbishop of Canterbury
>Sir Robert Wilson, Chairman, Rio Tinto
>Lord Woolf, Lord Chief Justice
>Peter Wyman, President, Institute of Chartered Accountants
>Aus: The Economist, 07.12.2002
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