-->örsenausblick: Weltweit lassen die Notenbanken steigende Preise zu - fĂŒr AktionĂ€re wird das zum Problem
Von Robert von Heusinger
Drei Worte fassen die SehnsĂŒchte der Investoren, HĂ€ndler und Analysten an den internationalen AktienmĂ€rkten zusammen: âZurĂŒck zur NormalitĂ€t.â So ĂŒberschreibt die Commerzbank ihren Ausblick auf den europĂ€ischen Aktienmarkt 2003. Genauso titelten auch die Strategen von Sal. Oppenheim - allerdings schon zwölf Monate zuvor. Entgegen aller Hoffnungen entpuppte sich das gerade zu Ende gegangene Börsenjahr als das schwĂ€rzeste seit dem Zweiten Weltkrieg: Zum ersten Mal fielen die Kurse das dritte Jahr in Folge, mehr als 40 Prozent verlor der Dax, mehr als 20 Prozent der amerikanische Index Standard & Poorâs 500. Zum dritten Mal hintereinander schlugen Staatsanleihen die Aktie.
Auch wenn die Prognosen fĂŒr 2003 etwas moderater geworden sind und die Baisse zur Vorsicht mahnt: Die Banken setzen schon wieder auf steigende Aktienkurse. Auf NormalitĂ€t eben. Kein einziges der 32 vom Handelsblatt befragten Kreditinstitute sagt fallende Kurse bis Ende des Jahres voraus - im Gegenteil. Bei 3915 Punkten soll der Dax in zwölf Monaten stehen, knapp 30 Prozent höher als heute. Zum Vergleich: FĂŒr Ende 2002 haben dieselben Analysten im Durchschnitt einen Stand von 5780 Punkten vorhergesagt. Es wurden knapp 3000 Punkte weniger.
Auch die neuen Studien haben das Zeug dazu, krĂ€ftig danebenzuliegen. âIch habe selten so viele orientierungslose Analysen gelesenâ, sagt Klaus Sterzig, Manager bei dem deutschen Hedgefonds Arsago. Ganz gleich, welche Analysten man zu Rate zieht, ob die der Deutschen Bank, der hollĂ€ndischen ABN Amro oder der amerikanischen Investmentbank Morgan Stanley, alle erwĂ€hnen zwar die groĂen Risiken fĂŒr 2003, ignorieren sie aber weitgehend bei der Berechnung ihrer Prognosen.
Und das liest sich so: Risiko Nummer eins ist der drohende Krieg im Irak. Es wird zwar zum Krieg kommen, setzen die Analysten voraus, die Amerikaner werden ihn aber rasch gewinnen. âAbnehmende Unsicherheiten im Zuge einer erfolgreichen Invasion im Irakâ werden die konjunkturelle Erholung stĂŒtzen, heiĂt es bei der Deutschen Bank. Die Folge eines schnellen Sieges der US-Truppen am Golf wĂ€ren angenehm: Der Ă-lpreis wĂŒrde krĂ€ftig nachgeben, und Konsumenten und Unternehmen könnten ihr Geld statt dessen anderweitig ausgeben.
Risiko Nummer zwei ist eine weltweite Deflation, also fallende Preise und damit einhergehend eine schrumpfende Wirtschaft. Doch da ist Alan Greenspan vor, der Chef der US-Notenbank Federal Reserve (Fed), verehrt als der mĂ€chtigste Mann an den internationalen FinanzmĂ€rkten. âWir verlassen uns auf den Greenspan-Putâ, gibt Rolf Elgeti zu, Aktienstratege der Commerzbank. Mit âGreenspan-Putâ beschreiben Investoren und Analysten ihr Vertrauen in den Fed-Chef, der alles in seiner Macht stehende tun werde, um die Deflation zu verhindern.
NormalitÀt ist ausgeschlossen
Bei aller Bewunderung fĂŒr Alan Greenspan ĂŒbersehen die Aktienmarktexperten allerdings etwas Entscheidendes: Der Kampf gegen die Deflation schlieĂt die RĂŒckkehr zur NormalitĂ€t aus. Vielmehr verschiebt sich das Koordinatensystem der gĂ€ngigen Wirtschaftspolitik. Oberstes Ziel der Notenbanken ist es nicht mehr, die Inflation im Zaum zu halten, sondern die Wirtschaft zu stimulieren - auf Teufel komm raus. âReflationâ heiĂt das neue Zauberwort. Die Fehler der groĂen Depression von 1930 und der japanischen Malaise von 1990 sollen vermieden werden. Deflation muss abgewehrt werden, bevor sie eintritt. Das war die Botschaft eines Forschungspapiers der amerikanischen Notenbank von Mitte Juni. Jetzt wird diese Erkenntnis in die Tat umgesetzt.
SpĂ€testens mit der Rede von Fed-Gouverneur Ben Bernanke am 22. November, Making Sure That âItâ Doesnât Happen Here (âSicherstellen, dass,Esâ hier nicht passiertâ), hat die US-Notenbank einen epochalen Wechsel eingeleitet. Bernanke zeigte, dass selbst bei einem Notenbankzins von null Prozent, wovon die Amerikaner mit 1,25 Prozent nicht mehr allzu weit entfernt sind, die Zentralbank nicht machtlos wird. âDie US-Regierung hat eine Technologie, Gelddruckmaschine genannt, die es erlaubt, so viele Dollar zu drucken, wie sie will, zu vernachlĂ€ssigbaren Kostenâ, sagte er. Irgendwann werden die vielen Dollar die Preise steigen lassen, also zu Inflation fĂŒhren. Aber Bernanke belieĂ es nicht bei dieser fĂŒr einen Notenbanker provozierenden Aussage. Er zeigte sogar auf, wie die Fed im kommenden Jahr agieren werde, sollte das Deflationsgespenst nicht verschwunden sein: Die Möglichkeiten reichen vom unbegrenzten Kauf lĂ€nger laufender Staatspapiere ĂŒber direkte Kredite an ĂŒberschuldete Unternehmen bis hin zur krĂ€ftigen Dollarabwertung.
Die Rede sei âbahnbrechendâ, attestiert Stephen Roach, der Vordenker unter den amerikanischen Analysten. Sie beendet die Epoche der InflationsbekĂ€mpfung, die der damalige US-NotenbankprĂ€sident Paul Volcker am 6. Oktober 1979 eingelĂ€utet hatte.
Nicht ganz so schrill, aber im Tenor Ă€hnlich Ă€uĂern sich die beiden anderen groĂen Notenbanken der Welt, die Bank of Japan (BoJ) und die EuropĂ€ische Zentralbank (EZB). Letztere hat zum Schrecken vieler konservativer Beobachter Anfang Dezember die Leitzinsen krĂ€ftig gesenkt und durchblicken lassen, dass es dennoch mehr Konjunktur- als Inflationsrisiken gebe. Sie hat sogar die ĂberprĂŒfung ihres engen Inflationszieles von unter zwei Prozent angekĂŒndigt. Und der PrĂ€sident der BoJ muss in der nĂ€chsten Zeit vor allem eine Qualifikation mitbringen. âEr muss ein DeflationsbekĂ€mpfer seinâ, sagt der japanische Premier Junichiro Koizumi.
Wenn die drei gröĂten WirtschaftsmĂ€chte der Welt alles auf eine Karte setzen, nĂ€mlich die Wirtschaft unter Inkaufnahme von Inflation anzukurbeln, dĂŒrfte es ungemĂŒtlich werden. âDiese Politik kann zu noch mehr InstabilitĂ€t an den FinanzmĂ€rkten fĂŒhren, als wir sie in den vergangenen Jahren erlebt habenâ, warnt Bill Gross, der Anleihespezialist der Fondsgesellschaft Pimco.
Erste Anzeichen fĂŒr die Vorwegnahme des Kurswechsels der Notenbanken an den FinanzmĂ€rkten sind bereits sichtbar. So hat der Goldpreis 2002 den höchsten Stand seit fĂŒnfeinhalb Jahren erreicht. Das alte Image der FluchtwĂ€hrung lebt wieder auf. âGold wird der Star unter den Anlagealternativen der kommenden Jahreâ, ist sich Hedgefondsmanager Sterzig sicher.
Ein Aufschwung? Woher?
Das Dilemma der Notenbanken: Sie haben keine Alternative zur Reflationierung, wollen sie nicht eine schwere Wirtschaftskrise wie in den dreiĂiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts heraufbeschwören. Die Ungleichgewichte der Hausse, die im Börsen- und Konjunkturabschwung offen zutage treten, mĂŒssen auf sanfte Weise behoben werden. Zu viel Investitionen, zu viel Konsum, zu viel Schulden: Auf diese Formel lĂ€sst sich das Leiden Amerikas und mit Abstrichen auch das Problem Europas bringen. US-Unternehmen produzieren unterhalb ihrer KapazitĂ€ten und haben damit keinerlei Macht, Preise zu setzen. Oder andersherum: Die Preise fĂŒr ihre GĂŒter fallen. Hinzu kommt, dass der amerikanische Konsument, an dem noch immer das Wohl und Wehe der Weltwirtschaft hĂ€ngt, erst allmĂ€hlich zu sparen beginnt. âWoher soll der Aufschwung kommen?â, fragt Jan Hatzius, Analyst fĂŒr die amerikanische Wirtschaft bei Goldman Sachs.
Normalerweise beginnen die Konsumenten am Ende der Rezession ihre aufgestaute Nachfrage zu befriedigen und leiten damit den Aufschwung ein, erklĂ€rt er. Doch diesmal ist es anders. âDie Sparquote muss zunĂ€chst auf sechs bis zehn Prozent steigenâ, sagt Hatzius. Im abgelaufenen Jahr ist sie immerhin schon von 2,5 auf 4 Prozent geklettert. Als letzte StĂŒtze fĂŒr den ungehemmten Verbrauch erweist sich der noch immer boomende Immobilienmarkt. Erst wenn dort die Preise stagnieren, schlĂ€gt die Stunde der Wahrheit. Und obwohl die Fed die Zinsen radikal gesenkt hat, haben sich die Finanzierungskonditionen der Unternehmen nicht verbessert. âSie sind so schlecht wie vor einem Jahrâ, sagt Hatzius.
Kampf gegen die Deflation
FĂŒr manche gilt es deshalb als ausgemacht, dass die Fed Mitte nĂ€chsten Jahres beginnt, massiv gegen die Deflation vorzugehen. Die Lage werde sich Anfang 2003 so stark verschlimmern, dass die Fed ihren Worten Taten folgen lasse, erwartet John Butler, Anleihestratege von Dresdner Kleinwort Wasserstein. Am Erfolg zweifelt er nicht: âEher Mitte 2004 als Ende 2004 wird die Inflation zurĂŒck sein.â Inflation sei die ideale Lösung fĂŒr die globale Finanzkrise, so Butler. Die Schuldenlast der Unternehmen verringert sich, sie erhalten Spielraum fĂŒr höhere Preise und können einfacher Gewinne erzielen. Die Banken mĂŒssen weniger faule Kredite abschreiben und sind eher bereit, Geld auszuleihen. Versicherungen und Pensionsfonds können ihre garantierten Mindestauszahlungen besser erfĂŒllen. Und die Konsumenten erfreuen sich ebenso an der verringerten Schuldenlast. Die groĂen Verlierer einer erfolgreichen Reflationierung sind die Besitzer von Staatsanleihen. Steigt die Inflation, brechen die Kurse ein.
Doch was bedeutet Inflation fĂŒr Aktien? ZunĂ€chst ist Inflation besser als Deflation, da mehr Unternehmen die Krise ĂŒberleben werden. Allerdings bedeute Inflation nicht automatisch Wirtschaftswachstum, bemerkt Barton Biggs von Morgan Stanley und warnt vor Stagflation, also kaum Wirtschaftswachstum bei gleichzeitig hoher Inflation - so wie in den siebziger Jahren. Das war ein verlorenes Jahrzehnt fĂŒr die Besitzer von Dividendentiteln. Und es macht auch einen Unterschied, ob die Inflation den Notenbanken, die sich so nach ihr sehnen, aus dem Ruder lĂ€uft oder unter Kontrolle bleibt. âEine zweistellige Inflationsrate wĂ€re ein Desasterâ, prophezeit Biggs. Die Kurs-Gewinn- VerhĂ€ltnisse wĂŒrden kollabieren und damit die Aktienkurse. âAktien haben sich in der Vergangenheit stets in einem Umfeld geringer Inflation am besten entwickelt.â
Zurzeit ist Inflation kein Thema, und niemand weiĂ, ob die Reflationierung ĂŒberhaupt gelingt. Deshalb wĂ€re es klug, die Anleger nĂ€hmen die Sorgen der Notenbanker vor einer heraufziehenden Deflation ernst. Leider tun sie es nicht. Die Dezember-Umfrage der Investmentbank Merrill Lynch unter weltweit tĂ€tigen Fondsmanagern zeigt eine weiter ansteigende Zuversicht fĂŒr Aktien. 83 Prozent der Fondsmanager rechnen mit steigenden Kursen auf Jahressicht. âDieser Optimismus spricht gegen die Aktieâ, sagt Richard Bernstein von Merrill Lynch, der gröĂte Pessimist unter Amerikas Aktienstrategen, der allerdings drei Jahre in Folge Recht behalten hat. Die ungebrochene Lust auf Aktien, an der Spekulation, ist typisch fĂŒr das Ende eines Zyklus. Ein neuer Trend wird nur dann geboren, wenn niemand mehr etwas von Aktien wissen will.
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-->>örsenausblick: Weltweit lassen die Notenbanken steigende Preise zu - fĂŒr AktionĂ€re wird das zum Problem
>Von Robert von Heusinger
>Drei Worte fassen die SehnsĂŒchte der Investoren, HĂ€ndler und Analysten an den internationalen AktienmĂ€rkten zusammen: âZurĂŒck zur NormalitĂ€t.â So ĂŒberschreibt die Commerzbank ihren Ausblick auf den europĂ€ischen Aktienmarkt 2003. Genauso titelten auch die Strategen von Sal. Oppenheim - allerdings schon zwölf Monate zuvor. Entgegen aller Hoffnungen entpuppte sich das gerade zu Ende gegangene Börsenjahr als das schwĂ€rzeste seit dem Zweiten Weltkrieg: Zum ersten Mal fielen die Kurse das dritte Jahr in Folge, mehr als 40 Prozent verlor der Dax, mehr als 20 Prozent der amerikanische Index Standard & Poorâs 500. Zum dritten Mal hintereinander schlugen Staatsanleihen die Aktie.
>Auch wenn die Prognosen fĂŒr 2003 etwas moderater geworden sind und die Baisse zur Vorsicht mahnt: Die Banken setzen schon wieder auf steigende Aktienkurse. Auf NormalitĂ€t eben. Kein einziges der 32 vom Handelsblatt befragten Kreditinstitute sagt fallende Kurse bis Ende des Jahres voraus - im Gegenteil. Bei 3915 Punkten soll der Dax in zwölf Monaten stehen, knapp 30 Prozent höher als heute. Zum Vergleich: FĂŒr Ende 2002 haben dieselben Analysten im Durchschnitt einen Stand von 5780 Punkten vorhergesagt. Es wurden knapp 3000 Punkte weniger.
>Auch die neuen Studien haben das Zeug dazu, krĂ€ftig danebenzuliegen. âIch habe selten so viele orientierungslose Analysen gelesenâ, sagt Klaus Sterzig, Manager bei dem deutschen Hedgefonds Arsago. Ganz gleich, welche Analysten man zu Rate zieht, ob die der Deutschen Bank, der hollĂ€ndischen ABN Amro oder der amerikanischen Investmentbank Morgan Stanley, alle erwĂ€hnen zwar die groĂen Risiken fĂŒr 2003, ignorieren sie aber weitgehend bei der Berechnung ihrer Prognosen.
>Und das liest sich so: Risiko Nummer eins ist der drohende Krieg im Irak. Es wird zwar zum Krieg kommen, setzen die Analysten voraus, die Amerikaner werden ihn aber rasch gewinnen. âAbnehmende Unsicherheiten im Zuge einer erfolgreichen Invasion im Irakâ werden die konjunkturelle Erholung stĂŒtzen, heiĂt es bei der Deutschen Bank. Die Folge eines schnellen Sieges der US-Truppen am Golf wĂ€ren angenehm: Der Ă-lpreis wĂŒrde krĂ€ftig nachgeben, und Konsumenten und Unternehmen könnten ihr Geld statt dessen anderweitig ausgeben.
>Risiko Nummer zwei ist eine weltweite Deflation, also fallende Preise und damit einhergehend eine schrumpfende Wirtschaft. Doch da ist Alan Greenspan vor, der Chef der US-Notenbank Federal Reserve (Fed), verehrt als der mĂ€chtigste Mann an den internationalen FinanzmĂ€rkten. âWir verlassen uns auf den Greenspan-Putâ, gibt Rolf Elgeti zu, Aktienstratege der Commerzbank. Mit âGreenspan-Putâ beschreiben Investoren und Analysten ihr Vertrauen in den Fed-Chef, der alles in seiner Macht stehende tun werde, um die Deflation zu verhindern.
>NormalitÀt ist ausgeschlossen
>Bei aller Bewunderung fĂŒr Alan Greenspan ĂŒbersehen die Aktienmarktexperten allerdings etwas Entscheidendes: Der Kampf gegen die Deflation schlieĂt die RĂŒckkehr zur NormalitĂ€t aus. Vielmehr verschiebt sich das Koordinatensystem der gĂ€ngigen Wirtschaftspolitik. Oberstes Ziel der Notenbanken ist es nicht mehr, die Inflation im Zaum zu halten, sondern die Wirtschaft zu stimulieren - auf Teufel komm raus. âReflationâ heiĂt das neue Zauberwort. Die Fehler der groĂen Depression von 1930 und der japanischen Malaise von 1990 sollen vermieden werden. Deflation muss abgewehrt werden, bevor sie eintritt. Das war die Botschaft eines Forschungspapiers der amerikanischen Notenbank von Mitte Juni. Jetzt wird diese Erkenntnis in die Tat umgesetzt.
>SpĂ€testens mit der Rede von Fed-Gouverneur Ben Bernanke am 22. November, Making Sure That âItâ Doesnât Happen Here (âSicherstellen, dass,Esâ hier nicht passiertâ), hat die US-Notenbank einen epochalen Wechsel eingeleitet. Bernanke zeigte, dass selbst bei einem Notenbankzins von null Prozent, wovon die Amerikaner mit 1,25 Prozent nicht mehr allzu weit entfernt sind, die Zentralbank nicht machtlos wird. âDie US-Regierung hat eine Technologie, Gelddruckmaschine genannt, die es erlaubt, so viele Dollar zu drucken, wie sie will, zu vernachlĂ€ssigbaren Kostenâ, sagte er. Irgendwann werden die vielen Dollar die Preise steigen lassen, also zu Inflation fĂŒhren. Aber Bernanke belieĂ es nicht bei dieser fĂŒr einen Notenbanker provozierenden Aussage. Er zeigte sogar auf, wie die Fed im kommenden Jahr agieren werde, sollte das Deflationsgespenst nicht verschwunden sein: Die Möglichkeiten reichen vom unbegrenzten Kauf lĂ€nger laufender Staatspapiere ĂŒber direkte Kredite an ĂŒberschuldete Unternehmen bis hin zur krĂ€ftigen Dollarabwertung.
>Die Rede sei âbahnbrechendâ, attestiert Stephen Roach, der Vordenker unter den amerikanischen Analysten. Sie beendet die Epoche der InflationsbekĂ€mpfung, die der damalige US-NotenbankprĂ€sident Paul Volcker am 6. Oktober 1979 eingelĂ€utet hatte.
>Nicht ganz so schrill, aber im Tenor Ă€hnlich Ă€uĂern sich die beiden anderen groĂen Notenbanken der Welt, die Bank of Japan (BoJ) und die EuropĂ€ische Zentralbank (EZB). Letztere hat zum Schrecken vieler konservativer Beobachter Anfang Dezember die Leitzinsen krĂ€ftig gesenkt und durchblicken lassen, dass es dennoch mehr Konjunktur- als Inflationsrisiken gebe. Sie hat sogar die ĂberprĂŒfung ihres engen Inflationszieles von unter zwei Prozent angekĂŒndigt. Und der PrĂ€sident der BoJ muss in der nĂ€chsten Zeit vor allem eine Qualifikation mitbringen. âEr muss ein DeflationsbekĂ€mpfer seinâ, sagt der japanische Premier Junichiro Koizumi.
>Wenn die drei gröĂten WirtschaftsmĂ€chte der Welt alles auf eine Karte setzen, nĂ€mlich die Wirtschaft unter Inkaufnahme von Inflation anzukurbeln, dĂŒrfte es ungemĂŒtlich werden. âDiese Politik kann zu noch mehr InstabilitĂ€t an den FinanzmĂ€rkten fĂŒhren, als wir sie in den vergangenen Jahren erlebt habenâ, warnt Bill Gross, der Anleihespezialist der Fondsgesellschaft Pimco.
>Erste Anzeichen fĂŒr die Vorwegnahme des Kurswechsels der Notenbanken an den FinanzmĂ€rkten sind bereits sichtbar. So hat der Goldpreis 2002 den höchsten Stand seit fĂŒnfeinhalb Jahren erreicht. Das alte Image der FluchtwĂ€hrung lebt wieder auf. âGold wird der Star unter den Anlagealternativen der kommenden Jahreâ, ist sich Hedgefondsmanager Sterzig sicher.
>Ein Aufschwung? Woher?
>Das Dilemma der Notenbanken: Sie haben keine Alternative zur Reflationierung, wollen sie nicht eine schwere Wirtschaftskrise wie in den dreiĂiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts heraufbeschwören. Die Ungleichgewichte der Hausse, die im Börsen- und Konjunkturabschwung offen zutage treten, mĂŒssen auf sanfte Weise behoben werden. Zu viel Investitionen, zu viel Konsum, zu viel Schulden: Auf diese Formel lĂ€sst sich das Leiden Amerikas und mit Abstrichen auch das Problem Europas bringen. US-Unternehmen produzieren unterhalb ihrer KapazitĂ€ten und haben damit keinerlei Macht, Preise zu setzen. Oder andersherum: Die Preise fĂŒr ihre GĂŒter fallen. Hinzu kommt, dass der amerikanische Konsument, an dem noch immer das Wohl und Wehe der Weltwirtschaft hĂ€ngt, erst allmĂ€hlich zu sparen beginnt. âWoher soll der Aufschwung kommen?â, fragt Jan Hatzius, Analyst fĂŒr die amerikanische Wirtschaft bei Goldman Sachs.
>Normalerweise beginnen die Konsumenten am Ende der Rezession ihre aufgestaute Nachfrage zu befriedigen und leiten damit den Aufschwung ein, erklĂ€rt er. Doch diesmal ist es anders. âDie Sparquote muss zunĂ€chst auf sechs bis zehn Prozent steigenâ, sagt Hatzius. Im abgelaufenen Jahr ist sie immerhin schon von 2,5 auf 4 Prozent geklettert. Als letzte StĂŒtze fĂŒr den ungehemmten Verbrauch erweist sich der noch immer boomende Immobilienmarkt. Erst wenn dort die Preise stagnieren, schlĂ€gt die Stunde der Wahrheit. Und obwohl die Fed die Zinsen radikal gesenkt hat, haben sich die Finanzierungskonditionen der Unternehmen nicht verbessert. âSie sind so schlecht wie vor einem Jahrâ, sagt Hatzius.
>Kampf gegen die Deflation
>FĂŒr manche gilt es deshalb als ausgemacht, dass die Fed Mitte nĂ€chsten Jahres beginnt, massiv gegen die Deflation vorzugehen. Die Lage werde sich Anfang 2003 so stark verschlimmern, dass die Fed ihren Worten Taten folgen lasse, erwartet John Butler, Anleihestratege von Dresdner Kleinwort Wasserstein. Am Erfolg zweifelt er nicht: âEher Mitte 2004 als Ende 2004 wird die Inflation zurĂŒck sein.â Inflation sei die ideale Lösung fĂŒr die globale Finanzkrise, so Butler. Die Schuldenlast der Unternehmen verringert sich, sie erhalten Spielraum fĂŒr höhere Preise und können einfacher Gewinne erzielen. Die Banken mĂŒssen weniger faule Kredite abschreiben und sind eher bereit, Geld auszuleihen. Versicherungen und Pensionsfonds können ihre garantierten Mindestauszahlungen besser erfĂŒllen. Und die Konsumenten erfreuen sich ebenso an der verringerten Schuldenlast. Die groĂen Verlierer einer erfolgreichen Reflationierung sind die Besitzer von Staatsanleihen. Steigt die Inflation, brechen die Kurse ein.
>Doch was bedeutet Inflation fĂŒr Aktien? ZunĂ€chst ist Inflation besser als Deflation, da mehr Unternehmen die Krise ĂŒberleben werden. Allerdings bedeute Inflation nicht automatisch Wirtschaftswachstum, bemerkt Barton Biggs von Morgan Stanley und warnt vor Stagflation, also kaum Wirtschaftswachstum bei gleichzeitig hoher Inflation - so wie in den siebziger Jahren. Das war ein verlorenes Jahrzehnt fĂŒr die Besitzer von Dividendentiteln. Und es macht auch einen Unterschied, ob die Inflation den Notenbanken, die sich so nach ihr sehnen, aus dem Ruder lĂ€uft oder unter Kontrolle bleibt. âEine zweistellige Inflationsrate wĂ€re ein Desasterâ, prophezeit Biggs. Die Kurs-Gewinn- VerhĂ€ltnisse wĂŒrden kollabieren und damit die Aktienkurse. âAktien haben sich in der Vergangenheit stets in einem Umfeld geringer Inflation am besten entwickelt.â
>Zurzeit ist Inflation kein Thema, und niemand weiĂ, ob die Reflationierung ĂŒberhaupt gelingt. Deshalb wĂ€re es klug, die Anleger nĂ€hmen die Sorgen der Notenbanker vor einer heraufziehenden Deflation ernst. Leider tun sie es nicht. Die Dezember-Umfrage der Investmentbank Merrill Lynch unter weltweit tĂ€tigen Fondsmanagern zeigt eine weiter ansteigende Zuversicht fĂŒr Aktien. 83 Prozent der Fondsmanager rechnen mit steigenden Kursen auf Jahressicht. âDieser Optimismus spricht gegen die Aktieâ, sagt Richard Bernstein von Merrill Lynch, der gröĂte Pessimist unter Amerikas Aktienstrategen, der allerdings drei Jahre in Folge Recht behalten hat. Die ungebrochene Lust auf Aktien, an der Spekulation, ist typisch fĂŒr das Ende eines Zyklus. Ein neuer Trend wird nur dann geboren, wenn niemand mehr etwas von Aktien wissen will.
ach so die quelle!
<ul> ~ Die Zeit - Börsen 2003</ul>
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