Tempranillo
10.01.2003, 20:31 |
In der"Welt": Von Bismarck lernen Thread gesperrt |
-->Die Genugtuung kann ich mir nicht verkneifen. Ich sag` doch die ganze Zeit, der Alte ist aktueller als man glauben möchte. Verglichen mit dem, was man bei OvB selbst entnehmen kann, ist der Leitartikel aus der Welt mit Wasser, einem sehr dünnen Wässerchen gekocht.
Man würde sich wünschen, die Journalisten und Politiker würden wenigstens einen Satz beherzigen:"Mein höchstes Ideal in Fragen der Aussenpolitik ist Vorurteilsfreiheit."
Von Bismarck lernen
Editorial
von Dietrich Alexander
„Selbstüberschätzung“, so sagte einmal der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck, „Selbstüberschätzung tötet den Erfolg im Keim.“ Vielleicht hat auch der amerikanische Präsident George W. Bush Bismarck gelesen und will deshalb erst einmal eine Sache erfolgreich zu Ende bringen, bevor er eine andere beginnt. Er ist also nicht so vermessen zu glauben, womöglich zwei Kriege zur gleichen Zeit führen zu können: gegen den Irak und gegen Nordkorea.
Die Bush-Administration hat - anders als die amerikanische Ã-ffentlichkeit, Teile des Militärs und die Partner Washingtons - nie ernsthaft darüber diskutiert, ob der Irak die nächste Station im Kampf gegen den weltweiten Terrorismus sein könnte. Nur über das Wie und Wann herrschte Uneinigkeit in Bushs Kabinett und Beraterkorps. Inzwischen scheint kein Weg mehr zurückzuführen, der Truppenaufmarsch am Golf ist in vollem Gange, die UNO kommt in einem Zwischenbericht über das 12 000 Seiten starke irakische Waffendossier zu einem für Bagdad desaströsen Urteil und Saddam Hussein verfällt angesichts seiner schier aussichtslosen Lage in schrillste Kriegsrhetorik.
Sollte es nun also zum Krieg kommen, so erfordert die globale Situation einen schnellen Sieg. Denn im Schatten des Irak-Konfliktes, der schon jetzt einen Großteil der militärischen, geheimdienstlichen und logistischen Kräfte der Amerikaner absorbiert, wächst sich eine weitere „Achsenmacht des Bösen“ zur globalen Bedrohung aus: Nordkorea. In dieser Krise muss die amerikanische Diplomatie Zeit gewinnen, bis die Irak-Krise gelöst ist. Pjöngjang weiß das, fühlt sich sicher und gefällt sich zunehmend in der Rolle des Provokateurs.
Das Prinzip der Abschreckung bescherte der koreanischen Halbinsel 50 Jahre kalten Frieden. Es kann Pjöngjang aber nicht davon abhalten, seine Atomwaffen auf dem Weltmarkt an den höchsten Bieter zu verkaufen, inklusive der entsprechenden Trägertechnologie. Und wenn das höchste Gebot von Osama Bin Ladens zahlungskräftigem Terrornetz Al Qaida kommt, dann bekommt eben Al Qaida den Zuschlag. Skrupel darf man dem autistischen Herrscher im nordkoreanischen Schattenreich nun wirklich nicht unterstellen.
Doch Kim Jong Il sollte sein Blatt nicht überreizen. Bush wird sich auch ihm wieder mehr widmen, wenn er mit Saddam Hussein fertig ist. Einen Krieg gegen eine mutmaßliche Atommacht, die zudem mit dem Rücken zur Wand steht, verbietet sich zwar. Doch einschneidende Sanktionen könnten dem Land des „geliebten Führers“ den Todesstoß versetzen, flankiert von präzisen Militärschlägen etwa gegen den Atomkomplex von Yongbyon. Auch Saddam Husseins Atom-Ambitionen wurden im Juni 1981 im Keim erstickt, als israelische Kampfflugzeuge den irakischen Atomreaktor Osirak angriffen und weit gehend zerstörten. Damals war Washington darüber schockiert, hatte es doch gerade mit Saddam Hussein ein Bündnis gegen das iranische Mullahregime des Ayatollah Khomeini geschmiedet und war im Begriff, den Irak aufzurüsten. Heute muss sich Washington ernsthaft fragen, ob es in Nordkorea nicht genau die gleiche Strategie wie damals die Israelis anzuwenden gezwungen ist, um sich und die Welt vor der Unberechenbarkeit des Kim Jong Il zu schützen. Aber: Eins nach dem anderen - und keine Selbstüberschätzung
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dr.seidel
11.01.2003, 01:19
@ Tempranillo
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Re: Bismarck meint auch: Was gehen uns Probleme im Ausland an? OT. |
-->>Die Genugtuung kann ich mir nicht verkneifen. Ich sag` doch die ganze Zeit, der Alte ist aktueller als man glauben möchte. Verglichen mit dem, was man bei OvB selbst entnehmen kann, ist der Leitartikel aus der Welt mit Wasser, einem sehr dünnen Wässerchen gekocht.
>Man würde sich wünschen, die Journalisten und Politiker würden wenigstens einen Satz beherzigen:"Mein höchstes Ideal in Fragen der Aussenpolitik ist Vorurteilsfreiheit."
>Von Bismarck lernen
>Editorial
>von Dietrich Alexander
>„Selbstüberschätzung“, so sagte einmal der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck, „Selbstüberschätzung tötet den Erfolg im Keim.“ Vielleicht hat auch der amerikanische Präsident George W. Bush Bismarck gelesen und will deshalb erst einmal eine Sache erfolgreich zu Ende bringen, bevor er eine andere beginnt. Er ist also nicht so vermessen zu glauben, womöglich zwei Kriege zur gleichen Zeit führen zu können: gegen den Irak und gegen Nordkorea.
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>Die Bush-Administration hat - anders als die amerikanische Ã-ffentlichkeit, Teile des Militärs und die Partner Washingtons - nie ernsthaft darüber diskutiert, ob der Irak die nächste Station im Kampf gegen den weltweiten Terrorismus sein könnte. Nur über das Wie und Wann herrschte Uneinigkeit in Bushs Kabinett und Beraterkorps. Inzwischen scheint kein Weg mehr zurückzuführen, der Truppenaufmarsch am Golf ist in vollem Gange, die UNO kommt in einem Zwischenbericht über das 12 000 Seiten starke irakische Waffendossier zu einem für Bagdad desaströsen Urteil und Saddam Hussein verfällt angesichts seiner schier aussichtslosen Lage in schrillste Kriegsrhetorik.
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>Sollte es nun also zum Krieg kommen, so erfordert die globale Situation einen schnellen Sieg. Denn im Schatten des Irak-Konfliktes, der schon jetzt einen Großteil der militärischen, geheimdienstlichen und logistischen Kräfte der Amerikaner absorbiert, wächst sich eine weitere „Achsenmacht des Bösen“ zur globalen Bedrohung aus: Nordkorea. In dieser Krise muss die amerikanische Diplomatie Zeit gewinnen, bis die Irak-Krise gelöst ist. Pjöngjang weiß das, fühlt sich sicher und gefällt sich zunehmend in der Rolle des Provokateurs.
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>Das Prinzip der Abschreckung bescherte der koreanischen Halbinsel 50 Jahre kalten Frieden. Es kann Pjöngjang aber nicht davon abhalten, seine Atomwaffen auf dem Weltmarkt an den höchsten Bieter zu verkaufen, inklusive der entsprechenden Trägertechnologie. Und wenn das höchste Gebot von Osama Bin Ladens zahlungskräftigem Terrornetz Al Qaida kommt, dann bekommt eben Al Qaida den Zuschlag. Skrupel darf man dem autistischen Herrscher im nordkoreanischen Schattenreich nun wirklich nicht unterstellen.
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>Doch Kim Jong Il sollte sein Blatt nicht überreizen. Bush wird sich auch ihm wieder mehr widmen, wenn er mit Saddam Hussein fertig ist. Einen Krieg gegen eine mutmaßliche Atommacht, die zudem mit dem Rücken zur Wand steht, verbietet sich zwar. Doch einschneidende Sanktionen könnten dem Land des „geliebten Führers“ den Todesstoß versetzen, flankiert von präzisen Militärschlägen etwa gegen den Atomkomplex von Yongbyon. Auch Saddam Husseins Atom-Ambitionen wurden im Juni 1981 im Keim erstickt, als israelische Kampfflugzeuge den irakischen Atomreaktor Osirak angriffen und weit gehend zerstörten. Damals war Washington darüber schockiert, hatte es doch gerade mit Saddam Hussein ein Bündnis gegen das iranische Mullahregime des Ayatollah Khomeini geschmiedet und war im Begriff, den Irak aufzurüsten. Heute muss sich Washington ernsthaft fragen, ob es in Nordkorea nicht genau die gleiche Strategie wie damals die Israelis anzuwenden gezwungen ist, um sich und die Welt vor der Unberechenbarkeit des Kim Jong Il zu schützen. Aber: Eins nach dem anderen - und keine Selbstüberschätzung
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Tempranillo
11.01.2003, 11:30
@ dr.seidel
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Re: Bismarck meint auch: Was gehen uns Probleme im Ausland an? OT. |
-->"Ich fühle keine Verantwortlichkeit für ausländische Zustände", habe ich mal irgendwo gefunden. Wie so oft lässt sich dieser völlig unspektakulär formulierte Satz, wenn man ihn ins Heute übersetzt, in eine regelrechte Systemkritik verwandeln.
Die Verbindung aus beinahe alltäglicher Ausdrucksweise, die dennoch immer oder zumindest fast immer ihren individuellen Stempel trägt, und gedanklicher, sogar seelischer Tiefenschärfe, gehört für mich zum Interessantesten, was ich jemals gelesen habe.
T.
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Miesespeter
11.01.2003, 16:41
@ Tempranillo
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Goetzendaemmerung |
-->Es wird doch langsam Zeit, dass mal jemand dieser Bismarck-Beweihraeucherung hier etwas entgegentritt. Obige Thesen hatten noch ganz andere im Repertoire:
Wir haben das nicht getan, weil sie uns nichts angehen; denn nicht wir, sondern die amerikanischen Staatsmänner bestimmen die inneramerikanische Politik. Uns gehen hauptsächlich die innerdeutschen Verhältnisse an. Wir haben auch keinerlei Grund und überhaupt keine Veranlassung, deutsches politisches Ideengut als Konterbande nach Amerika einzuschmuggeln. Im Gegenteil, die Anschauungen und Methoden, nach denen wir das innerdeutsche Leben ausrichten, sind reines deutsches Patentgut. Sie haben nur für Deutschland Gültigkeit. Allerdings missen wir den Anspruch erheben, da]3, genau so wie wir die inneren Verhältnisse in anderen Staaten respektieren und ihnen polemisch mit größtmöglicher Reserve gegenübertreten, das bei anderen Staaten in eben demselben Maße der Fall sein muß.
Das kann man von den Vereinigten Staaten von Nordamerika nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge nicht behaupten. Fast die gesamte Presse, fast der gesamte Funk und fast der gesamte Film in den Vereinigten Staaten stehen heute im Dienste dieser internationalen, gegen Deutschland betriebenen Welthetze.
Der Senator Pitman hat das am 22. Dezember 1938 ganz brüsk und brutal zum Ausdruck gebracht, als er erklärte:"Das USA.-Volk schätze nicht die Regierung Deutschlands."
Nun sind wir der Überzeugung, daß das USA.-Volk mit dieser Angelegenheit überhaupt nichts zu tun hat. Soweit es sich gegen Deutschland einstellt, ist es lediglich ein Opfer dieser Kampagne. Diese Kampagne selbst aber wird betrieben von gewissen- und skrupellosen internationalen Weltverhetzern, die zum Teil aus außenpolitischen, zum Teil aber auch aus allzu durchsichtigen inneramerikanischen Gründen Deutschland herausfordern.
Aus: Dr. Joseph Goebbels, Die Zeit ohne Beispiel
Bismarck ist der verantwortliche Hauptakteur fuer die Zentralisierung Deutschlands, und somit das Ende der souveraenen kleinen deutschen territorialen Einheiten. Wer Bismarck predigt, muss in der modernisierten Verlaengerung auch Euro und EU gutheissen. Dort wird nichts anderes getan, als Bismarck'sche dirigistische Staatsideen auf die naechsthoere territoriale Einheit zu transponieren.
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Tempranillo
11.01.2003, 18:29
@ Miesespeter
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Re: @ Miesespeter: GIGANTISCHER IRRTUM |
-->>Es wird doch langsam Zeit, dass mal jemand dieser Bismarck-Beweihraeucherung hier etwas entgegentritt. Obige Thesen hatten noch ganz andere im Repertoire:
Gerne, nur bitte mit stichhaltigen Belegen und nicht mit Vorurteilen und Gerüchten. Was Du schreibst, hätte auch ich vor noch nicht allzu langer Zeit gepostet. Die umfangreiche Lektüre der Primarquellen hat mich jedoch eines anderen, ob besseren, wird sich zeigen, belehrt.
> Wir haben das nicht getan, weil sie uns nichts angehen; denn nicht wir, sondern die amerikanischen Staatsmänner bestimmen die inneramerikanische Politik. (...)
Den Zusammenhang zu Goebbels verstehe ich nicht. Aus dem was ich gepostet habe, sollte hervorgegangen sein, dass - und ich finde, diese Unterscheidung verdient Bewunderung, weil sie sich so hervorragend auf das Heute beziehen lässt, man nach OVB 3 Typen von Poliitk auseinanderhalten sollte, Interessenpolitik, Machtpolitik, Gefühlspolitik.
1) Interessenpolitik zielt nach innen, sie bezieht sich auf das EIGENE Land, und hat in erster Linie dessen Wohl im Auge. Die Unterwerfung anderer Länder verbietet sich, weil sie nur Probleme schafft.
2) Machtpolitik drängt nach aussen, bezieht sich v.a. auf andere Länder, will diese in irgendeiner Form unterwerfen. Wogegen sich OvB immer vehement ausgesprochen hat."Deutschland ist saturiert."
3) Gefühlspolitik: hat die Unterscheidung zwischen Eigen- und Fremdinteresse völlig verloren. Führt, durch Ausverkauf der Interessen zum Untergang oder, durch Überschätzung der eigenen Möglichkeiten zum Krieg. In beiden Fällen zur Katastrophe
Wie Du von Bismarck zu Goebbels kommst, ist mir völlig schleierhaft. OvB steht doch gerade für das GEGENTEIL der von Wahnsinn und Idiotie getriebenen Politik. Ich darf Dich daran erinnern, dass OvB anno 1866 Ã-sterreich aus dem Deutschen Bund hinausgeworfen hat, Hitler und Goebbels haben den"Fehler" Bismarcks, wie sie glaubten, wieder korrigiert, durch den Anschluss 1938.
>Bismarck ist der verantwortliche Hauptakteur fuer die Zentralisierung Deutschlands, und somit das Ende der souveraenen kleinen deutschen territorialen Einheiten.
Miesespeter, das ist der größte Irrtum, den man begehen kann. Nur weil ich früher genauso gedacht habe, sage ich, die größte Dummheit, was Du bitte nicht als persönliche Pöbelei verstehst. Wenn ja, entschuldige ich mich im Voraus.
Mit 1871 war, insoweit hast Du Recht, das Ende der deutschen Kleinstaaterei gekommen. Es wäre jedoch völlig falsch, diesen Zustand mit einem Zentralismus a la Francaise und EU zu identifizieren. OvB selbst hat sich wiederholt als strengen Gegner eines einheitlichen Zentralstaates bekannt, mit Argumenten, die es wirklich in sich haben, die m.E. so überzeugend sind, dass man die Frage, ob er es in diesem Augenblick - und deren gab es viele - auch wirklich so gemeint hat, vernachlässigen kann.
OvB begründet seine Absage an den einheitlichen Zentralstaat damit, dass so etwas mit dem katholischen und auf seine Eigenständigkeit immer eifersüchtig bedachten Bayern (!!!) doch überhaupt nicht machbar sei. Noch in der Zeit nach seinem Rücktritt ist er voll der Anerkennung für weiß-blaue Extrawürste. Ich darf daran erinnern, dass Bayern im, wie Du sagst vereinheitlichten Staatswesen, eine eigene Armee, ein eigenes Post- und Bahnwesen hatte, und so gesehen, unabhängiger war als heute.
Ich würde Dich bitten, Dir klar zu machen, dass die Reichs-Idee den beinahe vollkommenen Gegensatz zum Zentralstaat bildet. Es sollte, so OvB, die Zusammenfügung heterogener Elemente in einem größeren Ganzen sein. Es war also von Anfang an föderativ konzipiert. Föderativer als die heutige EU. Bitte nicht immer Reich mit Drittem Reich gleichsetzen.
Noch einmal will ich Bismarck selbst zu Wort kommen lassen, meine Beweihräucherung fortsetzen, weil es schwer ist, nicht hingerissen zu sein.
"Es handelt sich für alle ehrlichen und einsichtigen Bayern auch darum, die Selbstverwaltung ihres Landes zu betonen. Darauf halte ich gerade unter den gegenwärtigen Umständen ein sehr großes Stück. Unter dem Schutz dieser Selbständigkeit kann die politische Erziehung besser gedeihen als unter der Bevormundung kurzsichtiger und abhängiger preußischer Landräte (...)Wohin kommt das deutsche Volk, wenn die Zentralgewalt in Berlin beim Mangel eines Widerspruchs bis zur Willkürherrschaft erstarken kann." (Bismarck-Gespräche Bd. 3, S. 94)
>Wer Bismarck predigt, muss in der modernisierten Verlaengerung auch Euro und EU gutheissen. Dort wird nichts anderes getan, als Bismarck'sche dirigistische Staatsideen auf die naechsthoere territoriale Einheit zu transponieren.
Danke für diesen Satz. Damit hast Du, und ich glaube, die Zitate waren eindrucksvoll genug, den kapitalsten Irrtum hingeschrieben, dem auch ich lange Zeit aufgesessen bin. Es ist exakt das Gegenteil der Fall. Bei OvB, wurde von mir schon mal gepostet, gibt es sogar Fundstellen, in denen er sich gegen eine Vereinheitlichung der Rechtschreibung wendet, womit die Absage an die dirigistische Staatside geradezu schrullige Züge angenommen hat.
T.
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Miesespeter
11.01.2003, 19:05
@ Tempranillo
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GIGANTISCHER IRRTUM und Politikverstaendnis |
-->>>Wer Bismarck predigt, muss in der modernisierten Verlaengerung auch Euro und EU gutheissen. Dort wird nichts anderes getan, als Bismarck'sche dirigistische Staatsideen auf die naechsthoere territoriale Einheit zu transponieren.
>Danke für diesen Satz. Damit hast Du, und ich glaube, die Zitate waren eindrucksvoll genug, den kapitalsten Irrtum hingeschrieben, dem auch ich lange Zeit aufgesessen bin. Es ist exakt das Gegenteil der Fall. Bei OvB, wurde von mir schon mal gepostet, gibt es sogar Fundstellen, in denen er sich gegen eine Vereinheitlichung der Rechtschreibung wendet, womit die Absage an die dirigistische Staatside geradezu schrullige Züge angenommen hat.
>T. >
Ich habe einen Grundsatz, der lautet: Nicht auf seine Worte, sondern auf seine taten sollst Du sehen. Wenn Du mich also ueberzeugen willst (und ich bin keineswegs so OVB-fest, dass dies nicht meoglich ist), dann bitte mit Fakten. Politikergewaesch zitieren reicht nicht. George Bush kannst Du sonst als Friedensengel zitieren, und Gerhard Schroeder als Befreier des Mittelstands. Und Goebbels als begeisterten Fuersprecher nationaler Autonomie. Die Kunst der Politik besteht gerade eben darin, so gut zu luegen, dass man das Publikum mit seinen Aussagen 'einkauft', waehrend man genau das Gegenteil betreibt. Luege ist das zentrale Kerninstrument der Politik.
Und soweit ich es beurteilen kann, hat Bismarcks Regentschaft nicht zu einer staerkeren Dezentralisierung und Foerderung der Autonomitaet der Regionen beigetragen.
Um also bei meinem Beispiel der EU zu bleiben: Reden nicht auch heute alle Politiker von dem Erhalt der nationalen Souveraenitaet und der Staerke des foederativen Gedankens in der EU??? Haben nicht auch heute alle Staaten ihre eigene Armee und ihr Postwesen? Ist also durch die EU nicht auch geradezu vorbildlich die Annahme einer dirigistischen Zentralismusidee widerlegt?
Also hier mal eine Frage, die zum Kern des Souveraenitaetsproblems vordringt: Hat Bismarck eine reichsweit bindende STEUERPOLITIK betrieben, welche die Steuersubjekte auch in Bayern nun zukuenftig dazu zwang, Abgaben nach Berlin zu zahlen, ueber deren Verwendung sie nicht mehr autonom entscheiden konnten?
Haben die Kleinstaaten ihre WAEHRUNGSHOHEIT beibehalten? (Vgl. Euro/Reichsmark)
Wurde die Sozialgesetzgebung und eine dirigistische Wirtschaftspolitik vom Reich betrieben und somit die Kleinstaaten ihrer wirtschaftspolitischen Autonomitaet enthoben?
Wer Politik analysiert, muss dem Grundsatz 'Follow the money' Rechnung tragen. Eine kleine Wahrheit gibt oft den Kredit fuer eine grosse Luege, und eine kleine Freiheit den Kredit fuer eine grosse Unterwerfung.
Ich bitte doch nachdruecklich um Widerlegung, damit auch ich meinen IRRTUM erkennen kann.
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Tempranillo
11.01.2003, 20:07
@ Miesespeter
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Re: Jetzt geht` s ans Eingemachte |
-->>Ich habe einen Grundsatz, der lautet: Nicht auf seine Worte, sondern auf seine taten sollst Du sehen.
Die ersten freien und geheimen Wahlen wurden in D-Land unter OvB durchgeführt. Kommentar des Königs:"Aber Bismarck, damit raten sie mir ja zur Revolution!"
>Wenn Du mich also ueberzeugen willst (und ich bin keineswegs so OVB-fest, dass dies nicht meoglich ist), dann bitte mit Fakten.
So versessen darauf, andere zu überzeugen, bin ich gar nicht. Ich bin schon froh, wenn ich Anregungen geben kann.
> Politikergewaesch zitieren reicht nicht. George Bush kannst Du sonst als Friedensengel zitieren, und Gerhard Schroeder als Befreier des Mittelstands. Und Goebbels als begeisterten Fuersprecher nationaler Autonomie. Die Kunst der Politik besteht gerade eben darin, so gut zu luegen, dass man das Publikum mit seinen Aussagen 'einkauft', waehrend man genau das Gegenteil betreibt. Luege ist das zentrale Kerninstrument der Politik.
Jetzt bringst Du mich ins Schwitzen. Auf den Konter mit dem Politikergewäsch war ich nicht gefasst. Trotzdem werde ich nicht kneifen, und wenn es sein muss eben sagen, im Moment weiß ich es nicht, ich muß noch weiter recherchieren. Insofern bin auch ich ergebnisoffen - aber trotzdem noch, hoffentlich, ganz dicht.
Aber es gibt ein schlagendes Argument, das für die Ehrlichkeit OvBs spicht. Er wurde nicht gewählt, sondern vom König/Kaiser ernannt, und konnte es sich folglich leisten, unbeliebt zu sein.
>Und soweit ich es beurteilen kann, hat Bismarcks Regentschaft nicht zu einer staerkeren Dezentralisierung und Foerderung der Autonomitaet der Regionen beigetragen.
Verglichen mit der Situation im Deutschen Bund hat OvB`s Reichsgründung sicher nicht zu einer verstärkten Dezentralisierung und Förderung regionaler Autonomie geführt, ganz klar. Worauf ich hinauswollte: Von einem Einheitsstaat wie in Frankreich und demnächst vielleicht in der gesamten EU konnte keine Rede sein, und erst recht nicht von einer Diktatur wie zu Zeiten der Rheydter Großschnauze.
>Um also bei meinem Beispiel der EU zu bleiben: Reden nicht auch heute alle Politiker von dem Erhalt der nationalen Souveraenitaet und der Staerke des foederativen Gedankens in der EU??? Haben nicht auch heute alle Staaten ihre eigene Armee und ihr Postwesen? Ist also durch die EU nicht auch geradezu vorbildlich die Annahme einer dirigistischen Zentralismusidee widerlegt?
Der Vergleich Bismarck-Reich und EU ist ein wenig rabulistisch, weil die EU ein Zusammenschluss mehrer Nationen mit unterschiedlichen Sprachen, unterschiedlichem kulturellen Hintergrund ist, was - zumindest in dieser Form -1871 nicht der Fall war. Dein Argument würde besser zünden, wenn es in der EU so etwas gäbe wie ein Staatsvolk. Ich glaube, damit ist Unterschied klar.
Leider redet kein deutscher Politiker von nationaler Souveränität, im Gegenteil, sie betonen doch immer den Integrationsgedanken.
>Also hier mal eine Frage, die zum Kern des Souveraenitaetsproblems vordringt: Hat Bismarck eine reichsweit bindende STEUERPOLITIK betrieben, welche die Steuersubjekte auch in Bayern nun zukuenftig dazu zwang, Abgaben nach Berlin zu zahlen, ueber deren Verwendung sie nicht mehr autonom entscheiden konnten?
Warum mußt Du solche Fragen stellen? An dieser Stelle muß ich passen. Ich gehe aber davon aus, dass die Frage der Steuern in Berlin entschieden wurde. Vielleicht kann dottore etwas beisteuern.
>Haben die Kleinstaaten ihre WAEHRUNGSHOHEIT beibehalten? (Vgl. Euro/Reichsmark)
Die Frage hatten wir vor zwei Jahren schon mal. Wieder bringst Du mich sauber ins Schleudern. Ich glaube es gab, vereinfacht gesprochen, zwei Währungszonen, im Süden den Gulden, im Norden den Taler. Wie das Verhältnis war zwischen Münzgeld und Papiergeld, da steig` ich jetzt aus und wende mich an R. Deutsch und dottore. Zu berücksichtigen wäre auch die Frage, wie im Gokdstandard Währungshoheit definiert ist.
>Wurde die Sozialgesetzgebung und eine dirigistische Wirtschaftspolitik vom Reich betrieben und somit die Kleinstaaten ihrer wirtschaftspolitischen Autonomitaet enthoben?
Ja.
>Wer Politik analysiert, muss dem Grundsatz 'Follow the money' Rechnung tragen. Eine kleine Wahrheit gibt oft den Kredit fuer eine grosse Luege, und eine kleine Freiheit den Kredit fuer eine grosse Unterwerfung.
Ja.
>Ich bitte doch nachdruecklich um Widerlegung, damit auch ich meinen IRRTUM erkennen kann.
Der Irrtum, gegen den ich versucht habe, loszuziehen, im übrigen auch mein eigener, ist der, in OvB den Inbegriff des zentralisierten Einheitsstaates zu sehen. Davon glaube ich, sind wir ausgegangen.
Den Anfang machte Deine Antwort auf mein Zitat"Ich fühle keine Verantwortlichkeit für ausländische Zustände".
Ist Dir aufgefallen, dass mit diesem Satz die EU und damit auch der gesamteuropäische Einheitsstaat, die Willkürherrschaft der Brüsseler Bürokraten erledigt ist? Das steckt doch hinter dem ganzen Integrationsgesabber unserer Politiker, uns für ausländische Zustände in die Verantwortung nehmen.
Wenn ich für ausländische Zustände nicht verantwortlich bin, womit will man mich dann bewegen, für französische, spanische, portugiesische und demnächst türkische Bauern zu zahlen? Das ist doch was! Das sollte man doch endlich mal praktizieren. Der EU-Zentralismus ist damit erledigt.
T.
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Miesespeter
11.01.2003, 20:40
@ Tempranillo
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Re: Jetzt geht` s ans Eingemachte |
-->>Verglichen mit der Situation im Deutschen Bund hat OvB`s Reichsgründung sicher nicht zu einer verstärkten Dezentralisierung und Förderung regionaler Autonomie geführt, ganz klar.
Danke.
Worauf ich hinauswollte: Von einem Einheitsstaat wie in Frankreich und demnächst vielleicht in der gesamten EU konnte keine Rede sein, und erst recht nicht von einer Diktatur wie zu Zeiten der Rheydter Großschnauze.
Vielleicht demnaechst in der EU. Noch ists auch kein Einheitsstaat. Also durcaus vergleichbar. Der zweite Schritt kommt immer erst nach dem ersten. Ich halte es nicht fuer guenstig, wenn derjenige, der den ersten Schritt einleitet, voellig von der Verantwortung fuer den zweiten freigesprochen werden soll.
>>Um also bei meinem Beispiel der EU zu bleiben: Reden nicht auch heute alle Politiker von dem Erhalt der nationalen Souveraenitaet und der Staerke des foederativen Gedankens in der EU??? Haben nicht auch heute alle Staaten ihre eigene Armee und ihr Postwesen? Ist also durch die EU nicht auch geradezu vorbildlich die Annahme einer dirigistischen Zentralismusidee widerlegt?
>Der Vergleich Bismarck-Reich und EU ist ein wenig rabulistisch, weil die EU ein Zusammenschluss mehrer Nationen mit unterschiedlichen Sprachen, unterschiedlichem kulturellen Hintergrund ist, was - zumindest in dieser Form -1871 nicht der Fall war. Dein Argument würde besser zünden, wenn es in der EU so etwas gäbe wie ein Staatsvolk. Ich glaube, damit ist Unterschied klar.
Den finde ich zu einfach. Auch im Deutschen Bund gabs kein Staatsvolk. Das wurde herbeidefiniert aufgrund gemeinsamer Kultur, Geschichte und Sprache. Bis auf die Sprache die gleichen Motive, die auch bei der europaeischen 'Einigung' ins Feld geschickt werden.
>Leider redet kein deutscher Politiker von nationaler Souveränität, im Gegenteil, sie betonen doch immer den Integrationsgedanken.
Sie reden eben von europaeischer Identitaet. Also das gleiche, nur eine Territorialeinheit hoeher.
>Der Irrtum, gegen den ich versucht habe, loszuziehen, im übrigen auch mein eigener, ist der, in OvB den Inbegriff des zentralisierten Einheitsstaates zu sehen. Davon glaube ich, sind wir ausgegangen.
Da habe ich mich vielleicht missverstaendlich ausgedrueckt. Ich sehe Bismarck lediglich als einen Hauptakteur der Zentraliserung.
>Den Anfang machte Deine Antwort auf mein Zitat"Ich fühle keine Verantwortlichkeit für ausländische Zustände".
>Ist Dir aufgefallen, dass mit diesem Satz die EU und damit auch der gesamteuropäische Einheitsstaat, die Willkürherrschaft der Brüsseler Bürokraten erledigt ist? Das steckt doch hinter dem ganzen Integrationsgesabber unserer Politiker, uns für ausländische Zustände in die Verantwortung nehmen.
>Wenn ich für ausländische Zustände nicht verantwortlich bin, womit will man mich dann bewegen, für französische, spanische, portugiesische und demnächst türkische Bauern zu zahlen? Das ist doch was! Das sollte man doch endlich mal praktizieren. Der EU-Zentralismus ist damit erledigt.
Du machst wieder den Fehler, das Prinzip nicht auf heutige Zustaende zu uebertragen. Heute wuerde Bismarck sagen: 'Ich sehe keine Verantwortung fuer aussereuropaeische Zustaende' und wuerde dich sehr wohl dazu bewegen, fuer spanische und polnische Bauern zu bezahlen, vorausgesetzt Berlin wuerde den Haupteinflussfaktor in der EU darstellen. Der europaeische Unionsprozess ist von seinem Wesen in keiner Weise vom deutschen Reichsprozess zu unterscheiden. Immer geht es um die Abgabe von Autonomitaet und wirtschaftlicher Freiheit von mehreren kleineren, ueberschaubareren Territorialeinheit zu einer groesseren, zentral gefuehrten Einheit. Bismarck war damit in seiner Zeit auch keineswegs allein. Er war fuer Deutschland, was Lincoln fuer die USA war.
Dass Bismarck als Persoenlichkeit und auch als Politikpokerer eine gute Nummer abgab, will ich dabei nicht in Rede stellen.
Auch ob Deutschland damals mit seiner kleinstaatlichen Freiheit ueberhaupt etwas haette anfangen koennen, will ich lieber nicht beurteilen.
Dennoch halte ich ihn als Vorbild fuer die heutige geschichtliche Situation fuer voellig untauglich. Es fehlen nicht die Integratoren mit wundervollen Projekten fuer das ganz Grosse. Beispiele wie die Schweiz, Slowenien oder auch die baltischen Laender zeigen auf, dass Kleinstaaterei - eine halbwegs zurechnungsfaehige Bevoelkerung vorausgesetzt - durchaus die sympathischere, und auch erfolgreichere Variante darstellen kann. Insofern waere mir Wilhelm Tell als historisches Leitbild allemal lieber als Bismarck. Leider haben wir nur Frau Landrätin Kerstin Kassner.
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Miesespeter
11.01.2003, 21:29
@ Miesespeter
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Zusatz: Politik und Geschichte fuers Tagesgeschaeft |
-->Noch ein Zusatz sei erlaubt:
Ist es nicht bemerkenswert, dass noch heute, 130 Jahre nach der deutschen 'Einigung', der produktive Sueden Deutschlands den Norden, insbesondere den Nordosten, massiv subventioniert? Und dass im Norden, ausserhalb der freien Hansestadt Hamburg, abgesehen von ein paar staatswirtschaftlichen Prestigeprojekten (Volkswagen) praktisch eine Wirtschaftswueste existiert? Ebenso wie in Italien, wo seit der nationalen 'Einigung' der Norden den Sueden und den mafioesen Moloch Rom zu finanzieren hat? So sehen die Resultate von Zentralisierung aus!
Und sie haben alle neun Katzenleben. Du kannst sicher davon ausgehen, dass die produktiven Regionen in Europa auch in hundert Jahren noch ihr Sozialprodukt an die 'unterentwickelten' Nettoempfaenger abtreten werden. Der buergerliche Mittelstand uebersieht immer wieder in seinem rationalistischen Idealismus die historisch bestimmende Kraft des instrumentalisierten Mobs, welcher seit Jahrtausenden die Weltgeschichte bestimmt (ein Kudo an dottores Machttheorie). Waere der Mittelstand wirklich rational, so wuerde er diesen alles ueberragenden Faktor in seine wirtschaftlichen Entscheidungen miteinfaktorieren, anstatt alle 20 Jahre wieder dagegen hilflos anzularmoyieren. Der homo oeconomicus stellt sich nicht gegen die menschliche Natur, sondern akkomodiert sie.
Daher ist es vom Ansatz falsch, wenn Du forderst, nicht fuer tuerkische und griechische Tomaten (die noch darueber hinaus nur auf Papier aus zweifelhaften Amtsschubladen gewachsen sind) bezahlen zu muessen. Eine rationale Einstellung waere, selber aktiv in die 'europaeische Integration' einzugreifen, und dabei dann Sorge zu tragen, dass nicht mehr alle Mittel in fremder Leute Taschen, sondern auch in die Deinigen umverteilt werden. Das ist ein europaeischer Zukunftsmarkt! Mit allerhoechstem Wachstumspotential! Hierhin muessen die Augen des aufmerksamen Unternehmers gerichtet sein. Die Moeglichkeiten sind unbegrenzt: Man denke nur an die Notwendigkeit von Windkraftanlagen in Suedanatolien, des oekologischen Getreideanbaus in Schlesien, der Stadtkernerneuerung in Bulgarien! Follow the money!
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Tempranillo
11.01.2003, 22:10
@ Miesespeter
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Re: Bald haben wir nichts mehr, worüber wir streiten können |
-->>Vielleicht demnaechst in der EU. Noch ists auch kein Einheitsstaat. Also durchaus vergleichbar.
Worüber streiten wir eigentlich noch? So wie ich es jetzt sehe, haben wir beide eine gemeinsame Abneigung, den autoritären, zentralistischen Einheitsstaat, aktuell in Gestalt der EU. Auseinander sind wir in der Frage, ob es möglich ist OvB als Kronzeugen anzuführen?
> Ich halte es nicht fuer guenstig, wenn derjenige, der den ersten Schritt einleitet, voellig von der Verantwortung fuer den zweiten freigesprochen werden soll.
Die Annahme, OvB als geistigen Urheber der EU-Vereinheitlichung zu betrachten, erwischt mich wieder auf dem falschen Fuß. So habe ich es noch nicht gesehen. Das muß ich erst mal verdauen. Im Moment würde ich einwenden, dass die ersten Schritte in Richtung Einheitsstaat sicher nicht in D-Land erfolgt sind, sondern woanders. Frankreich wäre an erster Stelle zu nennen. Insofern wäre OvB eher als Mitläufer einzustufen, denn als treibende Kraft.
>Sie reden eben von europaeischer Identitaet. Also das gleiche, nur eine Territorialeinheit hoeher.
Der Einwand hat auch etwas. Mir scheint nur, die europäische Identität ist ein Konstrukt, ein Phantom. Wie im übrigen jede Definition eine Konstruktion, wenn man so will, eine Erfindung ist. Die Frage ist aber, inwieweit sich diese Konstruktionen an der Wirklichkeit bewähren, oder zumindest eine Entsprechung in der Wirklichkeit finden? Bei der Frage nach eine europäischen bzw. nationalen Identität stellt sich schnell heraus, dass die europäische v.a. in den Gehirnen gewisser Politiker existiert, wogegen die Nationalstaatsbewegung des 19. Jahrhunderts breitesten Rückhalt in der Bevölkerung hatte.
Unter demokratischem Aspekt (Mehrheit/Minderheit) kann ich also sehr wohl von einer national definierten Identität ausgehen, eine europäische dagegen als Hirngespinst abgehobener Bürokraten bezeichnen. Noch mal anders formuliert: OvB hat etwas aufgegriffen, was bereits existierte, ein deutsches Nationalgefühl. Die Eurokraten dagegen beschwören ein Phantom.
>Da habe ich mich vielleicht missverstaendlich ausgedrueckt. Ich sehe Bismarck lediglich als einen Hauptakteur der Zentraliserung.
Ja, aber mir scheint Deine Ablehnung zentralisierender, vereinheitlichender Tendenzen nicht wirklich begründet. Zum Problem wird das doch erst dann, wenn darüber Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie verloren gehen, was bei der Europäischen Einheit zwangsläufig der Fall sein muss.
Bei der nationalstaatlichen Einigung verhält es sich genau umgekehrt, weil doch erst nationalsstaatliche Strukturen - ob eher föderativ oder zentralistisch halte ich für gar nicht so wichtig - Freiheit, Demokratie, Rechtsstaat, Soziale Sicherung, Innere und Äussere Sicherheit ermöglichen.
>Du machst wieder den Fehler, das Prinzip nicht auf heutige Zustaende zu uebertragen. Heute wuerde Bismarck sagen: 'Ich sehe keine Verantwortung fuer aussereuropaeische Zustaende' und wuerde dich sehr wohl dazu bewegen, fuer spanische und polnische Bauern zu bezahlen, vorausgesetzt Berlin wuerde den Haupteinflussfaktor in der EU darstellen. Der europaeische Unionsprozess ist von seinem Wesen in keiner Weise vom deutschen Reichsprozess zu unterscheiden.
Doch. Der deutsche Reichsprozess hat eine Reihe von Problemen gelöst:
- Klärung des preußisch-österreichischen Dualismus
- Sicherheit nach aussen
- Unabhängigkeit von ausländischen Einflüssen
- Einrichtung von Systemen der Sozialen Sicherung
- Erste, wenn auch zaghafte Demokratisierung (Parlament)
- Grundlage wirtschaftlichen Aufschwungs (Zollverein)
- Befriedigung des vom Volke getragenen Wunsches nach nationaler Einheit
Welches Problem sollte die Europ. Einigung lösen?
- Nicht eines, alles nur Phrase
Ob ich zu Zeiten von OvB dazu bewegt worden wäre, für spanische und polnische Bauern zu zahlen, ist rein hypothetisch. Ich gehe davon aus, dass OvB unauflöslich mit dem nationalen Rahmen verküpft ist. Fällt dieser Rahmen weg, bin ich natürlich schachmatt. Aber das Recht, die Reichweite von Eingungsbewegungen zu definieren, lasse ich mir natürlich nicht nehmen. Dass das eine Definition, wenn Du so willst, eine dogmatische Setzung ist, ist klar. Aber wenn ich darauf verzichte habe ich nur noch die Wahl zwischen einem weltweiten, zentralistischen, diktatorischen Einheitsstaat und einer"Gesellschaft" - der Begriff paßt jetzt überhaupt nicht mehr - völlig zusammenhangloser, atomisierter Individuen.
Das Problem, das Du im Zusammenhang mit Zentralisierung und nationaler, von mir aus übernationaler Einigung beschreibst, kann man glaube ich lösen, ohne das Kind mit dem Bade, den staatlichen Rahmen mit der Freiheit, auszuschütten. Man muss die vereinheitlichenden Tendenzen striktest in den Dienst demokratischer Prinzipien stellen. Auf der nationalen Ebene hat das doch, wenn auch mit erheblichen Schwächen, funktioniert.
Im übernationalen Rahmen muss das alles, und zwar zwangsläufig, verloren gehen. Davon gibt uns die EU hervorragendes Anschauungsmaterial.
>Auch ob Deutschland damals mit seiner kleinstaatlichen Freiheit ueberhaupt etwas haette anfangen koennen, will ich lieber nicht beurteilen.
Erst nach Abschaffung der Kleinstaaterei begunnen zarte Freiheitspflänzchen zu sprießen.
>Dennoch halte ich ihn als Vorbild fuer die heutige geschichtliche Situation fuer voellig untauglich.
Kein Vorbild, aber eine wunderbare Anregung. So viele schöne Argumente, mit der man die Absurdität der EU darstellen kann. Warum sollte ich auf so eine Quelle verzichten. So gesegnet sind wir in D-Land mit grossen Politikern weiß Gott nicht. Ob OvB dann wieder, gewissermaßen als Ironie der Geschichte, eine Tendenz verkörpert, die sein eigenes Werk dann ad absurdum geführt hätte, ist eine hochinteressante Frage, die leider den Nachteil hat, dass sie Spekulation bleiben muß. Wenn ich was finde, werde ich es sofort posten. Interessiert mich sehr!
>Insofern waere mir Wilhelm Tell als historisches Leitbild allemal lieber als Bismarck.
Ja, wenn er denn gelebt hätte. Was mich an OvB so fasziniert, ist nicht die Rolle als Leitbild, mich fasziniert es, zu sehen, wie man am Beispiel OvBs eine ungeheure Gehirnwäsche darstellen kann. So ziemlich alles, was man von ihm zu wissen glaubt kann man ins Gegenteil verkehren, und ist dann der Wahrheit bei weitem näher als wenn man in den seichten Gewässern der Konvention schippert. Ich habe den Eindruck, dein Urteil ist viel zu streng. Was Du über OvB schreibst, kommt mir in weiten Teilen so bekannt vor. Als wär`s ein Stück von mir. Ich gebe aber zu, dass meine Sympathie sehr viel mehr auf seine Reden Schriften und Briefe zurückgeht als auf sein Handeln.
>Leider haben wir nur Frau Landrätin Kerstin Kassner.
Ja,ja hart im Raume stoßen sich die Sachen, oder so.
Das war mal eine interessante Diskussion, voller Anregungen.
Danke
Tempranillo
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