-->Auch in der Schweiz geraten die Renten-Säulen ins Wanken
Börsenkrise bringt Unterdeckung in die Pensionskassen / Rasche Sanierung nötig / Wird der Zins weiter gesenkt?
km. BERN, 4. März. Nicht nur die Deutschen beneiden die Schweizer um ihr solides Rentensystem, das auf mehreren Säulen ruht. Es kann die Alterung der Gesellschaft besser bewältigen, weil zusätzlich zum Umlageverfahren zwischen Berufstätigen und Rentnern in der staatlichen Rentenkasse (AHV) bereits seit langem eine kapitalgedeckte Versicherung existiert. In dieser zweiten Säule, der beruflichen Vorsorge (BVG), wurde in Pensionskassen bereits ein Altersguthaben von etwa 500 Milliarden Franken ( 340 Milliarden Euro) angespart. Das ist ein Viertel mehr als das derzeitige Schweizer Bruttoinlandsprodukt. Jeder der 3,2 Millionen Versicherten hat somit durchschnittlich 150 000 Franken für das Alter. Trotz dieses Polsters schlafen manche Schweizer in letzter Zeit nicht mehr so gut, weil in der Börsenkrise diese zweite Renten-Säule etwas wackelt.
Die Pensionskassen hatten im Börsen-Boom einen Teil des Vermögens auch in Aktien angelegt. Nach dem Kurssturz reicht das Kapital jedoch nicht aus, um sämtliche künftigen Renten zu finanzieren. Man schätzt, daß etwa die Hälfte der Pensionskassen eine Unterdeckung hat. Bei einigen sind es 90 Prozent, bei anderen deckt das Kapital nur noch 80 Prozent der zugesagten Leistungen. Auf alle Fälle fehlen irgendwann vielleicht mehr als 50 Milliarden Franken, wenn die Börse sich nicht bessert. Daß dies zu einem gefährlichen Riß in der zweiten Schweizer Renten-Säule führt, ist unwahrscheinlich: Die berufliche Vorsorge und damit die Kapitalreserven sind dezentralisiert auf einige tausend Pensionskassen. Das dürfte einen Kollaps verhindern. Die Kassen unterstehen auch staatlicher Aufsicht und waren in der Anlagepolitik zur Risikodiversifikation verpflichtet, was übermäßig hohe Aktienengagements wohl verhindert hat.
Warnungen von Experten haben dennoch nicht allein die Versicherten verunsichert, sondern auch die Politiker alarmiert. Sie planen nun eine rasche Sanierung mit Hilfe einer vorgezogenen Gesetzesänderung, damit nicht bei einer fortdauernden Börsenkrise irgendwann die erste Pensionskasse insolvent wird und vom Sicherheitsfonds aufgefangen werden muß. Eine Alterskasse der Bundesbahnen (SBB) hat bereits Staatshilfe bei der Sanierung angefordert. Sie war erst kurz vor der Börsenwende privatisiert worden und hat - im Gegensatz zu anderen Pensionseinrichtungen - mehr Rentner als Beitragszahler, was die Probleme verschärft.
Die Schweizer Regierung hatte bereits im Herbst eine erste Maßnahme ergriffen und die Mindestverzinsung der Pensionskassen auf Altersguthaben Anfang 2003 von 4 auf 3,25 Prozent gesenkt. Schon bei diesem Schritt hatte es Ärger gegeben: Gewerkschaften sprachen damals von einem"Rentenklau" und beschuldigten den Versicherungskonzern Swiss Life/Rentenanstalt, in guten Börsenzeiten nicht alles Geld den Pensionären gutgeschrieben zu haben. Der Unmut könnte jetzt noch größer werden, weil nun härtere Sanierungsschritte folgen sollen. Da geht es nicht mehr allein um den Mindestzins für Altersguthaben. Um die Unterdeckung der Pensionskassen zu beseitigen, wird sogar erwogen, die Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern für eine bestimmte Frist zu erhöhen oder aber die Renten zu kürzen.
Der Verteilungskonflikt zwischen Beschäftigten und Rentnern, Gewerkschaftern und Arbeitgebern ist noch nicht entbrannt, weil man einerseits hofft, daß die Börsenkrise in einigen Monaten vorbei ist und damit auch die Unterdeckung beseitigt wird. Überdies liegt der Gesetzentwurf noch nicht vor. Erst im Juni will die Regierung darüber beraten; im Herbst soll die Vorlage in das Parlament kommen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.03.2003, Nr. 54 / Seite 11
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