dottore
29.03.2003, 16:34 |
Juden, Grundbesitz, Zinsverbot usw. Thread gesperrt |
-->Hi,
einige Hinweise zur Realität der Juden zwischen Mittelalter und früher Neuzeit, also der Zeit da sie in Europa in größerem Stil geschichsrelevant wurden.
1. Die Juden waren eine Welt für sich, sie lebten als einzelne (mit nichtjüdischer Nachbarschaft) oder als Gruppen, die ganze Siedlungen errichteten letztlich in einem stetigen"Fluchtbewusstsein". Sie standen zwar unter besonderem Schutz von"ganz oben" (Kaiser in Sonderheit), aber waren seit den hochmittelalterlichen Pogromen"Verfolgte" und vermieden es daher, sich auf Dauer an bestimmte Orte zu binden. Das erklärt ihre Abneigung gegen feste"Niederlassung" (mit ortsgebundene Berufen) und auch den Erwerb von Land in größerem Stil, obwohl ihnen das jederzeit möglich gewesen wäre. Sie sahen sich mehr als"nicht sesshaft" an. In Städten hielten sie dennoch oft ganze Viertel (mit Häusern), in Wittenberg z.B. machten die jüdischen Viertel ca. zwei Drittel der Stadtfläche aus (Luthers Problem). Siehe die späteren Ghettos.
2. Sie pflegten Geschäfte, zu denen man kommen musste und nicht solche, zu denen sie sich begaben (also eher Pfandleihe als auf Märkte zielende Handwerker). Der Zins wurde in das Pfand eingearbeitet, so dass sich kein Problem ergab, da die Pfänder frei einschätzbar waren. Kaufleute schlossen sich den ziehenden Juden oft an. Juden hausierten. Jüdische Bauern gab es, die genau so abgabenpflichtig waren wie andere Hintersassen. Juden wurden Ärzte (auch an Universitäten) und lernten Handwerk bei christlichen Meistern.
3. Juden lebten mit Freibriefen oder Privilegien (kijunim), die ihre Stellung zur Umwelt regelten. Für Juden und Nichtjuden galten demnach zwei unterschiedliche Rechtsbereiche. Dies blieb ein Problem bei Geldgeschäften und Übereignungen, die sich bei jüdischer Teilnahme völlig von den Geschäften unterschieden, die unter Nichtjuden abgewickelt wurden.
4. Für die jüdischen Geschäfte galt ein kompliziertes Recht (halacha), das von Gelehrten ausgelegt wurde. Dabei war oberste Maxime: Keine der jüdischen Tätigkeiten durfte die Gemeinschaft selbst gefährden. Sehr behutsam drangen die jüdischen Geschäftsleute daher in kapitalistische Bereiche vor, vor allem boten Minen, Branntwein und Pottasche lohnende Investment (außer der traditionellen Münz- und Steuerpacht).
5. Aufgrund ihrer unsicheren Gesamtlage hielten die Juden stets maximalen ready cash at hand und kamen so schon sehr früh als Quelle für Leihgeschäfte in Frage (schon Gregor von Tours, 7. Jh., berichtet von einem Juden, der erschlagen wird und der Schuldscheine eines Grafen mit sich führt). Die Juden mutierten zu Finanziers der Herrschenden ("Hofjuden"), was eine Spur bis heute zeigt.
6. Das Zinsproblem schufen sie aus der Welt (sowohl für Kredite, die sie von Juden als auch solche, die sie von Nichtjuden nahmen), indem sie ein System mit Namen MaMRaME, des übertragbaren Schuldscheins entwickelten. Dabei wurde eine von den Rabbinen abgesegnete Formel eingearbeitet, nach der ziviles von rituellem Recht getrennt wurde. Diese Formel hat Rabbi Jesaja Menechem um 1600 entwickelt und auf sie wurde immer wieder Bezug genommen, so dass nicht mehr bei jeden Kreditgeschäft auf eine Einzelgenehmigung (heterim) Bezug genommen werden musste.
Zu diesem Mustergeschäftsvertrag (schtar iska) siehe David den Samuel hLevi, Turei Sahav (Kommentar), diverse Standardausgaben.
Daneben waren noch heter-Varianten im Schwange, z.B. sehr beliebt: Der Kreditnehmer verkündigt, dass er das Geld woanders halte, was darauf hinaus lief, dass er sich die Transportkosten sparen und statt dessen lieber ribit kzuza zahlen wolle ("Zins").
De facto gab es also den jüdischen Zins, sowohl geforderten als auch gegebenen seit eh und je.
Ich verdanke die Hinweise Stellen aus Standardwerken (z.T. leider schwer erreichbar) von Abrahams, Auerbach, Bloch, Hildesheimer, Horovitz, Katz, Kracauer, Perles, Schnee, Sombart, Weber und Weinryb, die Dr. Chaim Sholem übermittelte.
Gruß!
Gruß!
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Luigi
29.03.2003, 16:50
@ dottore
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@dottore Was ist eigentlich das berühmteste Beispiel, dass"Herrscher" die Juden |
-->Hallo,
dottore Was ist eigentlich das berühmteste Beispiel, bei der"Herrscher" die Juden nicht wegen ihres religösen Glaubens verfolgt haben!
Sondern wegen ihrer Frechheit das geliehene Geld nebst Zins zurück zu verlangen!
Glaube an das Finanzsystem = Gläubiger?
MFG
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monopoly
29.03.2003, 18:17
@ dottore
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Re: Israelische Oberrabbiner gegen hohe Zinsen (7.2.03) |
-->Israelische Oberrabbiner gegen hohe Zinsen (7.2.03)
Der israelische sefardische (orientalische) Oberrabbiner, Elijahu Bakshi Doron, hat sich nach einem Bericht der Zeitung Haaretz gegen die hohe Verzinsung in Israel ausgesprochen. Auf einer Konferenz zum Thema"Religion und Gesellschaft" sagte der Oberrabbiner, ein Zinssatz, der schwache Bevölkerungsgruppen runiniert, sei gegen das jüdische Religionsgesetz. Die Vorsitzende der Sozialarbeiter, Eti Peretz, beschuldigte auf der Konferenz die 30 religiösen Abgeordneten, die Verarmung großer Teile der Bevölkerung mitverschuldet zu haben.
Die Kluft zwischen arm und reich hat in den letzten Jahren in Israel weiter zugenommen und nimmt heute in der westlichen Welt den unrühnlichen zweiten Platz ein(nach den USA). Der Zinssatz beträgt zur Zeit durchschnittlich 15 Prozent.
http://www.uni-leipzig.de/~judaica/i-faith/aktiv/neuneu.htm#actualia
Werde mir den Text erst nochmal genauer anschauen.
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monopoly
30.03.2003, 21:28
@ dottore
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Re: Juden, Grundbesitz, Zinsverbot usw. |
-->>Hi,
>einige Hinweise zur Realität der Juden zwischen Mittelalter und früher Neuzeit, also der Zeit da sie in Europa in größerem Stil geschichsrelevant wurden.
>1. Die Juden waren eine Welt für sich, sie lebten als einzelne (mit nichtjüdischer Nachbarschaft) oder als Gruppen, die ganze Siedlungen errichteten letztlich in einem stetigen"Fluchtbewusstsein". Sie standen zwar unter besonderem Schutz von"ganz oben" (Kaiser in Sonderheit), aber waren seit den hochmittelalterlichen Pogromen"Verfolgte" und vermieden es daher, sich auf Dauer an bestimmte Orte zu binden. Das erklärt ihre Abneigung gegen feste"Niederlassung" (mit ortsgebundene Berufen) und auch den Erwerb von Land in größerem Stil, obwohl ihnen das jederzeit möglich gewesen wäre. Sie sahen sich mehr als"nicht sesshaft" an. In Städten hielten sie dennoch oft ganze Viertel (mit Häusern), in Wittenberg z.B. machten die jüdischen Viertel ca. zwei Drittel der Stadtfläche aus (Luthers Problem). Siehe die späteren Ghettos.
>2. Sie pflegten Geschäfte, zu denen man kommen musste und nicht solche, zu denen sie sich begaben (also eher Pfandleihe als auf Märkte zielende Handwerker). Der Zins wurde in das Pfand eingearbeitet, so dass sich kein Problem ergab, da die Pfänder frei einschätzbar waren. Kaufleute schlossen sich den ziehenden Juden oft an. Juden hausierten. Jüdische Bauern gab es, die genau so abgabenpflichtig waren wie andere Hintersassen. Juden wurden Ärzte (auch an Universitäten) und lernten Handwerk bei christlichen Meistern.
>3. Juden lebten mit Freibriefen oder Privilegien (kijunim), die ihre Stellung zur Umwelt regelten. Für Juden und Nichtjuden galten demnach zwei unterschiedliche Rechtsbereiche. Dies blieb ein Problem bei Geldgeschäften und Übereignungen, die sich bei jüdischer Teilnahme völlig von den Geschäften unterschieden, die unter Nichtjuden abgewickelt wurden.
>4. Für die jüdischen Geschäfte galt ein kompliziertes Recht (halacha), das von Gelehrten ausgelegt wurde. Dabei war oberste Maxime: Keine der jüdischen Tätigkeiten durfte die Gemeinschaft selbst gefährden. Sehr behutsam drangen die jüdischen Geschäftsleute daher in kapitalistische Bereiche vor, vor allem boten Minen, Branntwein und Pottasche lohnende Investment (außer der traditionellen Münz- und Steuerpacht).
>5. Aufgrund ihrer unsicheren Gesamtlage hielten die Juden stets maximalen ready cash at hand und kamen so schon sehr früh als Quelle für Leihgeschäfte in Frage (schon Gregor von Tours, 7. Jh., berichtet von einem Juden, der erschlagen wird und der Schuldscheine eines Grafen mit sich führt). Die Juden mutierten zu Finanziers der Herrschenden ("Hofjuden"), was eine Spur bis heute zeigt.
>6. Das Zinsproblem schufen sie aus der Welt (sowohl für Kredite, die sie von Juden als auch solche, die sie von Nichtjuden nahmen), indem sie ein System mit Namen MaMRaME, des übertragbaren Schuldscheins entwickelten. Dabei wurde eine von den Rabbinen abgesegnete Formel eingearbeitet, nach der ziviles von rituellem Recht getrennt wurde. Diese Formel hat Rabbi Jesaja Menechem um 1600 entwickelt und auf sie wurde immer wieder Bezug genommen, so dass nicht mehr bei jeden Kreditgeschäft auf eine Einzelgenehmigung (heterim) Bezug genommen werden musste.
>Zu diesem Mustergeschäftsvertrag (schtar iska) siehe David den Samuel hLevi, Turei Sahav (Kommentar), diverse Standardausgaben.
>Daneben waren noch heter-Varianten im Schwange, z.B. sehr beliebt: Der Kreditnehmer verkündigt, dass er das Geld woanders halte, was darauf hinaus lief, dass er sich die Transportkosten sparen und statt dessen lieber ribit kzuza zahlen wolle ("Zins").
>De facto gab es also den jüdischen Zins, sowohl geforderten als auch gegebenen seit eh und je.
>Ich verdanke die Hinweise Stellen aus Standardwerken (z.T. leider schwer erreichbar) von Abrahams, Auerbach, Bloch, Hildesheimer, Horovitz, Katz, Kracauer, Perles, Schnee, Sombart, Weber und Weinryb, die Dr. Chaim Sholem übermittelte.
>Gruß!
Sehr Schön, trotzdem sollte man dran denken, daß es Vermutungen gibt die Thora würde gegenüber Nichtjuden falsch ausgelegt. Man müßte evtl. alles im Original lesen.
Trotzdem gibt es viele Quellen die sagen, Juden wäre es vielerorts verboten gewesen"ehrbare christliche Berufe" auszuüben bzw. Land zu erwerben.
Wie ist es eigentlich heute, gibts so ein Schuldscheinsystem heute noch für die Diasporajuden. Was ist eigentlich ihre Aufgabe in der Diaspora, einfach nur leben und auf den Messias warten denn missionieren ist ja wohl nicht erlaubt?
Was ist mit den amerikanischen Juden, sehen sie sich zuerst als"Volk Israel" oder zuerst als Us-Amerikaner?
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dottore
31.03.2003, 16:41
@ monopoly
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Re: Juden, Grundbesitz, Zinsverbot usw. |
-->>Sehr Schön, trotzdem sollte man dran denken, daß es Vermutungen gibt die Thora würde gegenüber Nichtjuden falsch ausgelegt. Man müßte evtl. alles im Original lesen.
Es sind jüdische Historiker (nicht-orthodox), die das im Original gelesen haben, die Quellen zu den MaMRaME reichen bis ins 13. Jh. zurück- es sind zweifelsfrei sauber übersetzte Quellen dieser Regelungen (heter), welche dien Rabbinen von Fall zu Fall entschieden haben.
>Trotzdem gibt es viele Quellen die sagen, Juden wäre es vielerorts verboten gewesen"ehrbare christliche Berufe" auszuüben bzw. Land zu erwerben.
Die Handwerke waren fast überall zünftisch reguliert, d.h. ein Geselle konnte nicht einfach einen Betrieb aufmachen (keine Gewerbefreiheit), sondern musste in einen bereits bestehenden Meisterbetrieb einheiraten (Witwe, Tochter). Das ging bei Christen und Juden aus religiösen Gründen nicht. Land konnte frei erworben werden.
>Wie ist es eigentlich heute, gibts so ein Schuldscheinsystem heute noch für die Diasporajuden.
Bei den Orthodoxen, die"weltlichen" Juden treiben Handel und Wandel wie jedermann.
>Was ist eigentlich ihre Aufgabe in der Diaspora, einfach nur leben und auf den Messias warten denn missionieren ist ja wohl nicht erlaubt?
Es kann nicht missioniert werden, da Juden"Blutsjuden" (mütterlicherseits) sind. Durch Heirat einer Jüdin wird man nicht Jude, aber die Kinder sind es dann.
>Was ist mit den amerikanischen Juden, sehen sie sich zuerst als"Volk Israel" oder zuerst als Us-Amerikaner?
Schwer zu sagen. Ich persönlich habe nur US-Juden kennen gelernt, die sich als Amerikaner gefühlt haben, allerdings mit starken Sympathien und Opferbereitschaft gegenüber den Juden in Israel.
Ich kenne mich in der Thematik zu wenig aus. Das Posting sollte nur einen Beitrag leisten zur Berufsmöglichkeit, dem Landkauf und der Handhabung des"Zinsverbotes" durch die Juden mit Schwerpunkt frühe Neuzeit, da die Weichen für die heutigen Wirtschafts- und Kreditsysteme gestellt wurden.
Gruß!
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