-->Saul David schreibt darüber in"Die größten Fehlschläge der Militärgeschichte":
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Bravo Two Zero
Am 22. Januar 1991, während des Golfkriegs, wurde eine acht
Mann starke SAS-Patrouille unter dem Codenamen »Bravo
Two Zero« tief hinter die feindlichen Linien in den Westteil des
Irak eingeschleust. Aufgrund seiner Tapferkeit ist ein daran
beteiligter Korporal in der Spezialtruppe zu Recht zur Le-
gende geworden. Doch insgesamt war die Operation ein kost-
spieliger Fehlschlag, der von Anfang an durch fehlerhafte Auf-
klärungsarbeit, unzureichende Ausrüstung und menschliches
Versagen zum Scheitern verurteilt war - Mängel also, die man
normalerweise dem »Regiment« nicht zuschreiben würde.
Der Golfkrieg hatte fünf Monate zuvor begonnen. In den
frühen Morgenstunden des 2. August 1990 waren irakische
Panzer und Truppen in das Nachbarland Kuwait einmar-
schiert. Innerhalb weniger Wochen hatte der Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen den Einmarsch verurteilt und in Saudi-
Arabien wurde eine starke Koalitionsarmee westlicher und
arabischer Mächte zusammengezogen. Ihr Auftrag lautete,
Kuwait und seine wertvollen Ã-lfelder zu befreien.
Zuerst wurden nur zwei SAS-Schwadronen - A und D - in
den Nahen Osten geschickt, um sich auf ihre Einsätze vorzu-
bereiten. Doch Anfang Januar 1991, kurz vor dem Beginn der
Luftoffensive der Koalitionsstreitmacht gegen den Irak, stieß
eine Hälfte der B-Schwadron hinzu. Unter den Neuankömm-
lingen befand sich auch der 28-jährige Korporal Chris Ryan,
ein hartgesottener Bursche aus dem Nordosten Englands, der
schon in jungen Jahren in der Territorial SAS ausgebildet wor-
den war. Vor der Abreise vom SAS-Quartier in Hereford fragte
er seinen Unteroffizier, ob er auch Kleidung einpacken sollte,
die für kalte Bergregionen geeignet war.
»Nein«, antwortete der Unteroffizier, »du gehst in die ver-
dammte Wüste, du Idiot! Dort ist es nicht kalt.«
Der Unteroffizier war offenbar schlecht informiert und hatte
keine Ahnung, wie kalt der Winter im Irak sein kann.
Da die Männer von der B-Schwadron als Letzte ankamen,
erhielten sie die übrig gebliebene Ausrüstung, während sich
die Männer der A- und der D-Schwadron die besten Fahr-
zeuge, Ausrüstungen, Waffen, Kommunikationssysteme und
anderes Spezialmaterial hatten aussuchen können. In welch
schlechte Lage die B-Schwadron dadurch geraten war, stellte
sich aber erst heraus, als sie mit dem Aufbautraining in der
saudi-arabischen Wüste begann. Munition war knapp und die
»Kontaktübungen« - bei denen der direkte Kontakt mit dem
Feind trainiert wurde - beschränkten sich auf eine Salve Mu-
nition pro Mann, obwohl normalerweise dabei Hunderte von
Salven verschossen wurden. »Es fehlte uns praktisch an al-
lem«, erinnerte sich Ryan, »nicht zuletzt auch an richtigen
Wüstenfahrzeugen.«
Statt der speziell dafür angefertigten »Pinkies« - Landrover
mit langem Radstand und Aufbauten für schwere Maschinen-
gewehre und Panzerabwehrwaffen - erhielten sie nur »Din-
kies«, die Normalversion des Fahrzeugs ohne Gewehrstände
und ohne Sitzgurte. Nachdem sie die Farbe abgeschliffen hat-
ten, fuhren sie mit den Fahrzeugen in die Wüste, um Naviga-
tion und feindliche Fahrzeugkontakte zu trainieren. Es war ein
Fiasko: Die Landrover blieben ständig im Sand stecken, mit
den Maschinengewehren konnte man nicht genau zielen und
die Männer wurden hinausgeschleudert, wenn die Fahrer die
Wagen abrupt in eine Notwende rissen.
»Damals lachten wir darüber«, erinnerte sich Ryan, »aber im
Innersten beunruhigte uns die Vorstellung, dass wir mit die-
sen Fahrzeugen vielleicht über die Grenze geschickt werden
sollten und dann wirklich auf sie angewiesen wären... Ganz
allgemein war es ein Jammer, dass wir mit dem falschen Mate-
rial operieren mussten, und unser Training war dementspre-
chend schlecht.«
Über den Einsatz der B-Schwadron war noch immer nicht
entschieden worden, obwohl die Einsatzplaner eine Reihe von
wahnwitzigen Plänen vorgeschlagen hatten. Dazu zählte ein
Fallschirmabsprung über Kuwait City. Dort sollte sie sich in
einem Hochhaus festsetzen und die irakischen Stellungen mit
Mörser- und Artilleriefeuer unter Beschuss nehmen. Ein ande-
rer Plan sah vor, über der irakischen Hauptstadt Bagdad abzu-
springen und dort zentrale Einrichtungen in die Luft zu jagen.
Glücklicherweise wurde keiner dieser Pläne ausgeführt.
Stattdessen konnte der britische Kommandeur, der ehema-
lige SAS-Kommandant Generalleutnant Sir Peter de la Billière,
den Oberbefehlshaber der Koalitionsarmee, US-General Nor-
man Schwarzkopf, davon überzeugen, die SAS-Patrouillen tief
im feindlichen Gebiet abzusetzen. Sein Plan sah vor, die A-
und D-Schwadronen mit schweren Panzerfahrzeugen aus-
zurüsten und in Form von vier Patrouillen einzusetzen. Sie
sollten die mobilen Startrampen mit Scud-Raketen lokalisieren
und vernichten, die die Iraker gegen Israel abfeuerten. Zuvor
sollten jedoch drei Patrouillen der B-Schwadron mit je acht
Mann - Bravo One Zero, Bravo Two Zero und Bravo Three
Zero - tief in irakisches Territorium eindringen, Beobach-
tungsposten installieren und wertvolle Informationen liefern.
Bravo Two Zero erhielt den Auftrag, sich 14 Tage lang in der
Nähe einer der Hauptnachschubstrecken (Main Supply Route,
MSR) im Westen des Irak einzunisten. In dieser Zeit sollte die
Patrouille Glasfaserkabel des irakischen Kommunikationssys-
tems durchtrennen und die Bewegungen der mobilen Ab-
schussrampen der Scud-Raketen melden. Als Operationsge-
biet der Patrouille war eine Biegung der MSR ausgewählt
worden, die jeweils ungefähr 30 Kilometer von einer Flugbasis
auf der einen Seite und der Ortschaft Banidahir auf der ande-
ren Seite entfernt war. Für dieses Gebiet wurde der Patrouille
lediglich eine taktische Flugkarte zur Verfügung gestellt, die
nur die wichtigsten Geländeinformationen enthielt. In dem
Gebiet hatte praktisch keine Aufklärung stattgefunden, sodass
die Patrouille nicht wusste, wie weit sie von kleinen zivilen
Ortschaften oder von militärischen Einrichtungen entfernt
war.
Der Auftrag wurde durch den Mangel an geeignetem Mate-
rial noch weiter erschwert. »Sehen Sie«, beschwerte sich ein
verärgerter Soldat bei seinem Offizier, »wir haben keine Pis-
tolen, keine Granaten und keine Claymores (Splitterminen).
Man erwartet von uns, dass wir Claymores aus Munitions-
schachteln basteln, aber das ist ziemlich dumm, denn sie funk-
tionieren nicht richtig.«
Der Offizier antwortete gereizt: »Sie ziehen in einen Krieg.
Sie müssen also mit dem auskommen, was Ihnen gegeben
wird. Sie sind hier nicht in Nordirland, wo Sie jede Art von
Material bekommen können. Hier müssen Sie improvisieren.«
Eine weitere Frage war, ob man Fahrzeuge benutzen sollte.
Einerseits würde die Patrouille dadurch mobiler und könnte
sich schneller zurückziehen, wenn etwas schief gelaufen war;
andererseits waren Fahrzeuge schwerer zu verbergen und
könnten die Verstecke verraten. Die beiden anderen Patrouil-
len beschlossen, die »Dinkies« mitzunehmen. Bravo Two Zero
entschied sich dafür, zu Fuß vorzurücken - vielleicht hatten
sich die Männer daran erinnert, wie unzulänglich die Fahr-
zeuge waren. Das bedeutete jedoch, dass jeder Soldat zusätzli-
ches Material transportieren musste, neben dem Rucksack, der
Gürtelausrüstung und den Waffen auch Reservemunition und
einen Kanister Wasser. Sie nahmen keine Schlafsäcke mit, weil
dafür kein Platz mehr war und weil für die Dauer des Einsat-
zes mildes Wetter vorhergesagt worden war.
Nach einem Fehlstart wurde die Patrouille am Abend des
22. Januar durch einen in geringer Höhe fliegenden Chinook-
Hubschrauber in den Irak eingeschleust. Die Männer spran-
gen zwei Kilometer südlich der MSR ab. Die Soldaten trugen
Kampfanzüge aus Standard-Tarnstoffen und leichte sandfar-
bene Wüstenjacken, die noch aus dem Zweiten Weltkrieg
stammten. Die Hälfte der Patrouille war mit Waffen des Typs
»203« ausgerüstet (amerikanische M16-Automatikgewehre mit
gewehrmontierten Angriffsgranaten), die andere Hälfte
mit Minimi 5,56-Millimeter-Leichtmaschinengewehren. Alle
Männer waren ferner mit 66-Millimeter-Granatwerfern ausge-
stattet. Für den Fall, dass sie fliehen mussten, trugen sie eine
Landkarte aus Seide, 20 Gold-Sovereigns und einen Brief der
britischen Regierung bei sich, der in englischer und arabischer
Sprache jedem 5.000 Pfund zusicherte, der den Besitzer des
Briefes sicher zur Koalitionsarmee zurückführte.
Wenige Minuten nach der Landung hörte die Patrouille
Hundegebell; ungefähr 1.500 Meter in östlicher Richtung ent-
fernt, waren ein Gebäude und ein Wasserbehälter zu sehen.
»Das hätte eigentlich nicht dort sein sollen, aber so war es nun
einmal«, erinnerte sich der Unteroffizier Andy McNab, der die
Patrouille befehligte. McNab, der früher den »Royal Green
Jackets« aus Peckham angehört hatte, war 1985 beim zweiten
Versuch in die SAS aufgenommen worden. »Ich fragte mich,
ob wir uns wenigstens auf die übrigen Informationen verlas-
sen konnten. Aber wir waren spät am Tag eingetroffen und
konnten nicht mehr viel dagegen tun.«
Sie wechselten sich beim Tragen der Ausrüstung und bei der
Sicherung der Patrouille ab. In den ersten Morgenstunden er-
reichten sie die Biegung der MSR. Nachdem McNab kurz die
Lage gepeilt hatte, wählte er ein Versteck unter einem Über-
hang am Ende eines tief eingeschnittenen Wadis (ein mit Aus-
nahme der Regenzeit ausgetrocknetes Flussbett). Aber das
Versteck war nur von zwei Seiten sicher. Wenn jemand ihren
Spuren durch das Wadi folgte oder vom gegenüberliegenden
Kamm in das Tal blickte, musste er die Patrouille unweigerlich
entdecken. »Das hier hat keinen Wert«, murrte einer der
Männer.
Als es Tag wurde, machten sie noch weitere unangenehme
Entdeckungen. Die MSR verlief 200 Meter weiter nördlich,
aber weitere 200 Meter in nordöstlicher Richtung entfernt
befand sich eine irakische Flugabwehrstellung. »Als wir das
sahen, erschraken wir gewaltig«, schrieb Ryan. »Diese Ge-
schütze in so geringer Entfernung von uns zu entdecken, jagte
uns verdammt viel Angst ein, denn vermutlich waren sie dort
stationiert worden, um irgendwelche Einrichtungen vor Luft-
angriffen zu schützen, und außerdem zeigten sie uns, dass wir
genau am Rand einer feindlichen Stellung saßen.«
Entscheidend war jetzt, eine Nachricht an die Basis abzuset-
zen und eine Verlegung oder eine Rückkehr zu verlangen.
Aber als der Funker »Legs« Lane versuchte, die Nachricht
durchzugeben, kam keine Antwort. Den ganzen Tag lang ver-
suchte er es, wobei er unterschiedliche Frequenzen und ver-
schiedene Antennen benutzte. Es half alles nichts. Erst sehr
viel später fand die Patrouille heraus, dass man ihnen un-
glaublicherweise die falschen Frequenzen mitgeteilt hatte. Es
gab jedoch keine Panik, denn bei Nicht-zustande-kommen der
Kommunikationsverbindung würde 48 Stunden später ein
Hubschrauber mit einem neuen Funkgerät oder neuen Befeh-
len zu der Stelle kommen, an der sie abgesprungen waren.
Während der Nacht unternahmen McNab und drei der
Männer einen weiteren langen Erkundungsgang. Zu ihrem
Entsetzen entdeckten sie, dass sich außer den Flugabwehrge-
schützen auch Plantagen im Norden und Süden befanden
und Zivilbevölkerung weiter unten an der Straße lebte. »In
taktischer Hinsicht«, schrieb McNab, »hätten wir unser Ver-
steck genauso gut mitten auf den Piccadilly Circus platzieren
können.«
Die Patrouille plante, in der folgenden Nacht zum verabre-
deten Treffpunkt mit dem Helikopter zu marschieren. Zu-
nächst jedoch musste sie sich einen weiteren Tag lang versteckt
halten. Angespannt verbrachten die Männer den Morgen, der
jedoch ohne Zwischenfälle verlief. Dann, mitten am Nachmit-
tag, hörten sie einen Jungen, der seine Ziegen zusammenrief.
Die Soldaten erstarrten, als das Klappern der Hufe und
Glockenläuten näher kam. Dann erschien der Kopf einer Ziege
über dem Rand des Wadis, gefolgt von weiteren Tieren, und
schließlich waren auch Kopf und Oberkörper des Jungen zu
sehen. Glücklicherweise befand er sich auf derselben Seite des
Wadis, auf der auch der Überhang lag, unter dem sie sich
versteckten. Es bestand also eine kleine Chance, dass er die
Patrouille nicht entdecken würde.
Aber Unteroffizier Vince Phillips, der stellvertretende Be-
fehlshaber der Patrouille, verdarb das Versteckspiel. Da er un-
bedingt feststellen wollte, was vor sich ging, hob er den Kopf,
sodass der Junge ihn erblickte. Die Rufe hörten auf und es war
nur noch das Geräusch sich entfernender Schritte zu hören. Ihr
Versteck war aufgeflogen.
Die Patrouille schwärmte sofort am Ende des Wadis in »Ver-
teidigungsstellung« aus, während »Legs« versuchte, mit dem
Funkgerät einen Notruf abzusetzen. Schon bald hörten sie den
Lärm von Panzerketten im Wadi. »Wir saßen fest«, erinnerte
sich Ryan, »eingekesselt wie Ratten in einer Schlucht ohne
Ausgang.«
Während sie warteten, überprüften sie ihre Ausrüstung,
tranken Wasser und aßen Schokolade, da sie nicht wussten,
wann sie wieder Gelegenheit haben würden zu essen. Plötz-
lich kam das Fahrzeug in Sicht - es war kein Panzer, sondern
ein Bulldozer, der seine Schaufel wie einen Schutzschild an-
gehoben hatte. Der Fahrer entdeckte die Patrouille aus etwa
150 Metern Entfernung, stoppte, wendete das Fahrzeug und
verschwand wieder.
Unter günstigeren Umständen hätten die SAS-Männer bis
zum Einbruch der Dunkelheit gewartet, bevor sie ihre
Deckung verließen. Aber sie waren entdeckt worden; es war
ziemlich sicher, dass irakische Truppen bereits unterwegs
waren. McNab rief die Patrouille zusammen und sagte: »Wir
ziehen ab. Wir gehen Richtung Westen und versuchen, die
Flugabwehrstellungen zu umgehen, dann wenden wir uns
nach Süden zum Treffpunkt mit dem Hubschrauber.«
Sie ließen die Reserveausrüstung zurück, nahmen ihr
Gepäck auf den Rücken und zogen im Gänsemarsch los. Zur
Tarnung hatten sie arabische Scheschs um den Kopf ge-
wickelt. Als sie die Stelle erreicht hatten, an der das Wadi in
die Ebene mündete, marschierten sie fünf Minuten lang nach
Westen. Noch immer war vom Feind nichts zu sehen. Aber als
sie sich nach Süden wandten, entdeckte Ryan, der an der
Spitze marschierte, zwei Männer mit Gewehren auf der An-
höhe zu ihrer Linken. Er machte seine Kameraden auf die bei-
den Iraker aufmerksam und drängte die Patrouille zugleich
vorwärts.
»Aber dann vermasselte ich die Sache gründlich«, erinnerte
sich Ryan. »Ich dachte, ›Jetzt versuche ich einen doppelten
Bluff‹, und winkte ihnen zu. Leider winkte ich mit der linken
Hand, was für einen Araber die gröbste Beleidigung ist - mit
der linken Hand wischt man sich den Arsch.«
Einer der Araber hob sofort das Gewehr und eröffnete
das Feuer. Die Patrouille gab eine kurze Salve ab und mar-
schierte weiter, hielt aber ab und zu an, um weitere Salven
abzufeuern. Wenig später erhielten die beiden Iraker Ver-
stärkung durch ein mit einem MG ausgerüstetes Panzerfahr-
zeug und einen LKW, in dem sich ein Dutzend Soldaten
befand. Die irakischen Soldaten schwärmten aus und feuer-
ten, die Patrouille antwortete mit Granaten, von denen eine
den LKW zerfetzte. Dann wandte sich die Patrouille zur
Flucht, wobei sie gelegentlich zurückfeuerte. In einer Pause
nahm Ryan sein TACBE-Gerät (Emergency Tactical Rescue
Beacon, ein Notsignalgerät) heraus und versuchte, ein ameri-
kanisches AWACS-Flugzeug (Airborne Warning and Control
System, ein Langstrecken-Flugzeug zur elektronischen Über-
wachung feindlicher Radaranlagen, Funksignale, Truppenbe-
wegungen usw.) zu erreichen. Auch McNab versuchte, einen
Kontakt herzustellen. Normalerweise hätten sie sofort eine
Antwort bekommen sollen - aber sie hörten nichts.
»Mein TACBE ist kaputt!«, schrie Ryan.
»Ich kann auch nicht senden«, sagte McNab.
Sie liefen weiter, bis jemand schrie: »Ich werfe den verdamm-
ten Rucksack ab!« Die übrigen Männer taten es ihm nach. Ge-
rade als Ryan sich abmühte, sein Gepäck abzuwerfen, schlug
eine MG-Kugel darin ein. Jetzt griffen auch die irakischen Luft-
abwehrgeschütze in den ungleichen Kampf ein. Leuchtspurge-
schosse und Granaten schlugen rings um die acht SAS-Männer
ein, als sie sich, erschöpft und unfähig zu rennen, den Hang
hinaufkämpften. Schließlich erreichten sie den Kamm und
konnten dahinter in Deckung gehen. »Verdammte Scheiße!«,
keuchte McNab. »Ich weiß nicht, wie wir das geschafft haben.«
»Ich auch nicht«, sagte Ryan und bot ihm einen Schluck
Whiskey aus einer Flasche an, die er unter Beschuss aus sei-
nem zurückgelassenen Rucksack geholt hatte. Es war kaum
zu glauben, dass alle ohne die geringste Verletzung davon-
gekommen waren. Ohne lange zu zögern, trafen sie gemein-
sam eine Entscheidung: Wenn sie zum Treffpunkt mit dem
Hubschrauber marschierten, würde der Hubschrauber wahr-
scheinlich aus dem Hinterhalt beschossen werden. Sie be-
schlossen deshalb zu versuchen, die syrische Grenze zu errei-
chen, die 120 Kilometer entfernt im Westen lag. Zuerst wollten
sie sich jedoch nach Süden wenden, um die Iraker abzuschüt-
teln, dann nach Westen und anschließend nach Norden auf
den Fluss Euphrat zu, wo sie Wasser finden würden. Dann
wollten sie dem Fluss nach Westen in Richtung Syrien folgen.
Als sie ihre Deckung verließen, begann erneut der Beschuss
durch MG- und Flugabwehrfeuer, aber in der zunehmenden
Dämmerung gingen die Schüsse weit an ihnen vorbei. Nach
zwei Stunden Marsch im Schnellschritt konnten zwei Männer
kaum noch mithalten. Vince Phillips war bei der feindlichen
Begegnung am Bein verletzt worden und hinkte. Stan, ein
Rhodesier und einer der stärksten Männer der Patrouille, war
infolge Überhitzung erschöpft. Er hatte keine Zeit gefunden,
die wärmeisolierende Unterwäsche abzulegen und schwitzte
nun trotz der strengen Kälte zu viel Körperflüssigkeit aus. Sie
hielten eine kurze Zeit lang an und zwangen ihn, sehr viel
Wasser zu trinken, dem ein Hydrationsmittel beigemischt war.
Aber er blieb müde und desorientiert.
»Hör genau zu«, sagte Ryan. »Wenn du nicht weiterläufst,
müssen wir dich hier zurücklassen. Hast du verstanden?«
Stan murmelte bejahend.
»Steh auf«, befahl Ryan. »Häng dich an mich und bleib hin-
ter mir. Du schaust nur immer auf meinen Gürtel und auf
nichts anderes.«
Sie teilten Stans Gepäck unter sich auf und marschierten
weiter. Ryan ging voraus, gefolgt von Vince und McNab, da-
hinter der Rest der Truppe. Bei jedem Zwischenstopp be-
stimmte Mark, ein Neuseeländer, mit seinem Satelliten-Posi-
tionsgerät (GPS, Global Positioning Satellite) ihre Position. Sie
marschierten im Schnellschritt 16 Kilometer nach Süden und
zehn nach Westen, dann wandten sie sich nach Norden. Aber
jetzt machte sich die Anstrengung bemerkbar. Ein Marsch im
Schnellschritt mit 25 Kilogramm schwerer Gürtelausrüstung
und ihren Waffen bedeutete, dass alle heftig schwitzten; bald
hatten sie den größten Teil des Wassers verbraucht.
Als sie sich ungefähr elf Kilometer südlich der MSR befan-
den, hielten sie an, um erneut ihre Position zu überprüfen.
Ryan schlug vor, so schnell wie möglich weiterzumarschieren,
bis sie die MSR überquert hatten und sich auf dem Hoch-
gelände auf der anderen Seite befanden. McNab stimmte zu.
Aber sie waren kaum ein paar Minuten weitergegangen, als
McNab Düsenjäger aus nördlicher Richtung hörte. Er traf so-
fort eine Entscheidung, legte Vince die Hand auf die Schulter
und sagte: »Wir halten an und versuchen einen TACBE-Kon-
takt.«
Vince nickte und sagte: »Ja, okay, ja.«
Als McNab mit kältesteifen Fingern endlich das TACBE aus-
gerichtet hatte, flogen gerade die letzten Jäger über sie hinweg.
»Hallo, Notruf an alle«, sagte er. »Hier ist Bravo Two Zero,
Bravo Two Zero. Wir sind ein Bodentrupp und sitzen in der
Scheiße. Wir haben eine Position für euch.«
»Wiederholen Sie, Bravo Two Zero«, antwortete eine ameri-
kanische Stimme. »Sie sind sehr schwach. Versuchen Sie es
noch einmal.«
»Wenden Sie sich nach Norden«, sagte McNab, dem klar
wurde, dass die Jets aus dem Sendebereich flogen. Aber es war
zu spät. Der Pilot flog weiter auf sein Ziel zu und McNab
konnte nur hoffen, dass er den kurzen Austausch weitermel-
den würde.
Als er aufstand, entdeckte er zu seinem Entsetzen, dass die
drei an der Spitze der Reihe gehenden Männer verschwunden
waren. Vince war offensichtlich zu erschöpft gewesen und
hatte den Befehl zum Anhalten nicht richtig verstanden.
McNab verfluchte sich selbst, dass er den beiden anderen
Männern den Befehl nicht direkt gegeben hatte. Er beschloss, in
derselben Richtung weiterzumarschieren, in der Hoffnung,
das verloren gegangene Trio irgendwann einzuholen.
Inzwischen war Ryan mit Stan und Vince weitermarschiert.
Er bemerkte die Trennung erst, als sie die MSR überquert hat-
ten. »Wo zum Teufel ist der Rest der Patrouille?«, fragte er
Vince.
»Weiß ich nicht«, kam die erschöpfte Antwort. »Wir haben
sie verloren.«
»Was soll das heißen, verloren?«
»Sie haben sich irgendwann von uns getrennt.«
Hektisch suchte Ryan mit Stans Nachtsichtgerät die offene
Steinebene ab. Er konnte niemanden entdecken. Er wartete
fünf Minuten lang, bis es Mitternacht war, dann versuchte er,
mit dem TACBE ein Signal abzusetzen. Er wusste, dass je-
mand, der sich in Schwierigkeiten befand, jede volle und halbe
Stunde auf Empfang gehen würde. Auch das hatte keinen Er-
folg. Dreißig Minuten später, nachdem er einen zweiten Ver-
such unternommen hatte, beschloss er, von jetzt an weiterzu-
marschieren. Sie mussten sich so weit wie möglich von der
MSR entfernen, und ihre Waffen bestanden nur aus zwei M16
und einem Bajonett. McNabs Gruppe hatte das Satelliten-Posi-
tionsgerät; Ryan hatte nur die Karte, den Kompass und das so-
genannte gegisste Besteck zur Positionsbestimmung zur Ver-
fügung.
Der nächste Tag war die reinste Folter. Zwölf Stunden lang
lagen Ryan und seine Kameraden in tiefen, von Panzerketten
gegrabenen Furchen, dem Erfrieren nahe. Es schneite, aber da
sich nur 600 Meter entfernt ein kleiner Militärposten befand,
konnten sie nicht aufstehen, um sich aufzuwärmen. »Die Kälte
fraß in unsere Knochen«, schrieb Ryan, »die Zeit verging nur
sehr langsam.«
Als es gegen 17.30 Uhr zu dunkeln begann, konnten sie end-
lich aufstehen und ihren Kreislauf anregen. Alle drei Männer
konnten kaum noch zusammenhängend sprechen und beweg-
ten sich sehr langsam - frühe Anzeichen einer Unterkühlung.
Ryan wurde klar, dass sie ihren Kreislauf stimulieren mussten,
wenn sie nicht sterben wollten, und beschloss, nach Norden zu
marschieren. Es begann wieder zu schneien und Vince fiel im-
mer mehr zurück.
»Ich will schlafen«, flehte er. »Ich bin zu müde.«
»Vince«, sagte Ryan, »wir dürfen uns jetzt nicht hinsetzen.
Wenn wir anhalten, werden wir STERBEN. Kapiert?«
Aber Vince konnte kaum noch mithalten, sosehr ihm Ryan
auch zuredete. Ryan und Stan fühlten sich jetzt ein wenig bes-
ser; sie gingen mehrmals streckenweise voran und warteten
dann auf Vince. Doch schließlich tauchte er nicht mehr auf. Sie
gingen ein Stück weit zurück, konnten ihn aber nicht finden.
»Stan«, sagte Ryan schließlich, »wir müssen ihn zurücklassen,
sonst werden auch wir beide sterben.«
»Okay«, sagte Stan, »wir können nichts mehr tun.«
(Vince starb noch in derselben Nacht an Unterkühlung. Sein
Leichnam wurde nach dem Krieg zur Beerdigung nach Groß-
britannien überführt.)
Nachdem die beiden Männer die Hochebene auf der Nord-
seite der MSR hinter sich gelassen hatten, versteckten sie sich
in einem flachen Wadi. Glücklicherweise brach die Sonne
durch und rettete wahrscheinlich ihr Leben. Um die Mittags-
zeit wurden sie jedoch erneut von einem Ziegenhirten ent-
deckt, dieses Mal war es ein junger Mann von ungefähr 20 Jah-
ren. Ryan wollte ihn töten, aber Stan stimmte nicht zu. Er
versuchte, sich durch Zeichensprache mit ihm zu verständigen
und beschloss dann, mit dem Iraker zu gehen, weil er glaubte,
dass dieser ihn zu einem Fahrzeug führen würde.
»Tu es nicht!«, warnte Ryan und erinnerte Stan daran, dass
auch die irakische Zivilbevölkerung als Feind angesehen wer-
den musste.
Aber Stan blieb fest. »Das ist okay«, sagte er. »Ich nehme das
Risiko auf mich und gehe mit ihm.«
Ryan erkannte, dass weitere Argumente nichts nützen wür-
den und sagte, er würde bis 18.30 Uhr auf Stan warten und
sich dann in Richtung Norden auf den Weg machen.
Nach vierstündigem Marsch wurde Stan von dem jungen Ira-
ker in eine Falle geführt und überwältigt - aber erst, nachdem
er drei irakische Soldaten erschossen hatte. Die irakische
Truppe nahm mit zwei Allrad-Fahrzeugen Ryans Verfolgung
auf. Ryan erledigte sie mit seinem Granatwerfer. In dieser Nacht
erreichte er den Euphrat; vier Tage später, nachdem er mehrfach
nur knapp entkommen war, überschritt er die syrische Grenze.
Ryan hatte in acht Tagen über 300 Kilometer zurückgelegt;
er hatte fast kein Wasser und nur zwei kleine Packungen
Kekse bei sich. Es dauerte zwei Wochen, bis er wieder richtig
gehen konnte, und sechs Wochen, bis das Gefühl in seine Fin-
ger und Zehen zurückkehrte. Durch das schmutzige Wasser
des Euphrat hatte er eine Blutkrankheit davongetragen und er
hatte 18 Kilogramm Gewicht verloren. Sein Körper hatte buch-
stäblich von der eigenen Substanz gezehrt.
McNab schrieb anerkennend: »Das war eine der eindrucks-
vollsten Fluchtgeschichten im Regiment, und soweit ich es be-
urteilen kann, sogar eine noch größere Leistung als der legen-
däre Treck durch die nordafrikanische Wüste im Jahr 1942, den
Jack Sillitoe zurücklegte, einer von David Stirlings ursprüngli-
cher Truppe.« (Stirling war der Gründer der SAS.)
Auch McNabs Flucht wäre beinahe gelungen. Nachdem sich
die beiden Gruppen aus den Augen verloren hatten, lag er mit
seinen Männern in der Windschattenseite einer Erdmulde.
Doch es war sehr kalt und bei Mark machten sich Anzeichen
von Unterkühlung bemerkbar. Sie beschlossen deshalb, das
Risiko eines Tagesmarsches auf sich zu nehmen, überquerten
eine mit Metallnägeln gekennzeichnete Straße und marschier-
ten fünf Kilometer weiter, kehrten dann aber wieder um. Da
sie kaum noch Wasser hatten und dem Zusammenbruch nahe
waren, beschlossen sie, ein Auto zum Anhalten zu zwingen
und zu versuchen, damit bis zur Grenze zu kommen.
Einer der Männer spielte den Verletzten und sie stoppten das
erstbeste Auto - ein gelbes Kleintaxi. Die Insassen wurden
ohne große Umstände herausgezerrt und die fünf Soldaten
zwängten sich in das Fahrzeug. McNab übernahm das Steuer.
Als sie nur noch 13 Kilometer von der Grenze entfernt waren,
gerieten sie an einen Militärkontrollposten, mussten das Fahr-
zeug aufgeben und ihren Weg freischießen. Sie flohen zu Fuß
weiter, aber inzwischen wurde mit allen Kräften nach ihnen
gesucht. Auf dem Weg durch eine große Militäranlage wurden
sie erneut in ein Feuergefecht verwickelt, nur sieben Kilometer
von der rettenden Grenze entfernt. Die Patrouille teilte sich in
drei Kleingruppen. Bob Consiglio kämpfte allein und hielt die
irakischen Soldaten mehrere Minuten lang auf, bis er einen
Kopfschuss erhielt. Die Kugel trat durch seinen Magen wieder
aus und löste dabei eine der Phosphorgranaten aus, die in sei-
nem Gürtel steckten. Er war sofort tot.
»Legs« Lane und »Dinger« versuchten, durch den Euphrat
zu schwimmen. Trotz des eiskalten Wassers brachten sie die
unglaubliche Strecke von 500 Metern hinter sich, aber »Legs«
war erschöpft und fiel schließlich zurück. Er starb an Unter-
kühlung; »Dinger« wurde kurz darauf gefangen genommen.
McNab wurde als Letzter gefangen. Nachdem Mark eine
Kugel in den Fuß erhalten hatte, floh er allein weiter. Als ihm
die Munition ausging, wurde er - nur noch zwei Kilometer
von der Grenze entfernt - von irakischen Patrouillen gestellt.
Alle vier Gefangenen wurden brutal gefoltert und konnten
erst nach Kriegsende in ihr Heimatland zurückkehren.
Bravo Two Zero gehört zu den Patrouillen mit den meisten
Auszeichnungen in der Geschichte der SAS. McNab wurde
mit der »Distinguished Conduct Medal« dekoriert; Consiglio
und Lane (postum) sowie Ryan wurden mit der »Military Me-
dal« geehrt.
Aber die Operation war auch eine der verlustreichsten:
Drei der acht Männer starben und vier wurden gefangen ge-
nommen, eine Verlustquote von 87 Prozent. Und all das, weil
amateurhafte Fehler gemacht worden waren - vor allem un-
zureichende Aufklärungsarbeit und die Angabe falscher
Funkfrequenzen -, bevor die Operation auch nur begonnen
hatte.
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Inhalt
Vorwort................................................................................... 9
Kapitel 1
Unfähige Kommandeure.....................................................11
Elphey Bey und der Rückzug von Kabul.............................. 11
Lord Raglan und der
Angriff der Leichten Brigade................................................ 23
McClellan am Antietam........................................................ 35
General Warren und die Schlacht
um den Spion Kop................................................................. 46
General Stopfords Scheitern an der Suvlabucht.................... 62
General Percival und der Fall von Singapur......................... 75
Kapitel 2
Katastrophale Pläne............................................................ 85
Der Jameson Raid................................................................. 85
Colenso..................................................................................98
Der erste Tag an der Somme.............................................. 108
Das Dieppe-Desaster.......................................................... 122
Das Fiasko von Arnheim..................................................... 133
Bravo Two Zero.................................................................. 151
Kapitel 3
Einmischung von Politikern............................................. 166
Die Schlacht am Bannock................................................... 166
Die Katastrophe von Sedan................................................. 180
Saint-Valéry........................................................................ 189
Nordafrika: 1940/41............................................................ 205
Stalingrad............................................................................ 216
Goose Green........................................................................ 228
Kapitel 4
Übertriebenes Selbstvertrauen......................................... 242
Teutoburger Wald............................................................... 242
Der Zweite Kreuzzug.......................................................... 249
Custers letztes Gefecht........................................................ 258
Isandhlwana.........................................................................275
Am Fluss Yalu..................................................................... 293
Dien Bien Phu..................................................................... 305
Kapitel 5
Truppenversagen............................................................... 316
Crécy................................................................................... 317
Caporetto............................................................................. 329
Die Kaiserschlacht.............................................................. 338
Anual................................................................................... 353
Kreta.................................................................................... 362
Am Kasserine-Pass.............................................................. 378
Ergänzende Lektüre............................................................ 396
Karten.................................................................................. 399
|