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Dienstag, 1. April 2003
10 Prozent Irrläufer
Tödliche Präzisionsbomben
Die US-Streitkräfte haben die Fehlerquote ihrer „Präzisionsbomben" im Irak-Krieg mit etwa zehn Prozent angegeben. Was in den Augen der Militärplaner eine Kriegführung mit der vielleicht genauesten Zielsteuerung der Geschichte ist, wirkt sich für die Zivilbevölkerung in der Nähe der Angriffsziele verheerend aus. Zehn Prozent von bisher 8.000 eingesetzten Bomben und Raketen sind 800 Irrläufer.
"Kein Waffensystem ist narrensicher", erklärt Korvettenkapitän Charles Owens vom Hauptquartier des US-Oberkommandos Mitte in Katar. „Wir haben immer ein oder zwei, die ihr Ziel verfehlen." Wenn die Zielsteuerung aus technischen Gründen oder wegen menschlichen Irrtums versagt, schlagen die Bomben oder Raketen nicht in den militärischen Zielen, sondern auf Häusern, Märkten oder Straßen ein.
„Mehrere hundert haben zu einem gewissen Grad ihr Ziel verfehlt", sagt Rob Hewson vom britischen Militärfachdienst „Jane's Air-Launched Weapons". Eine Explosion, bei der am Mittwoch vergangener Woche 14 Bewohner des Bagdader Stadtteils Schaab getötet wurden, könnte von einer US-Rakete verursacht worden sein, möglicherweise eine Rakete, die eine irakische Radarstellung treffen sollte, oder ein von der Bahn abgekommener Marschflugkörper. Die zweite größere Explosion auf Grund eines möglichen Irrläufers riss am Freitag 60 Menschen auf einem Marktplatz in Bagdad in den Tod.
US-Offiziere halten es auch für wahrscheinlich, dass eine irakische Flugabwehrrakete außer Kontrolle geraten sein könnte. Aber Militärexperte Hewson sagt: „Es gibt eine wachsende Gewissheit, dass diese beiden Angriffe auf Marktplätze von Waffen der Koalition verursacht wurden, die ihr Ziel nicht trafen."
So sind auch etwa fünf der rund 700 von US-Schiffen im Mittelmeer, im Roten Meer und im Persischen Golf abgefeuerten Tomahawk-Marschflugkörper versehentlich in Iran, der Türkei und Saudi-Arabien gelandet. Die Regierung in Teheran hat gegen drei Einschläge auf ihrem Territorium protestiert. Auch Saudi-Arabien und die Türkei baten das Pentagon, nicht mehr über ihr Land hinweg zu schießen.
„Wenn man Cruise Missiles einsetzt, dann gibt es immer welche, die dort herunterkommen, wo sie es nicht sollten", erklärt der unabhängige Raketenexperte David Isby in Washington. „Das ist bei Einsätzen über große Distanzen kein Skandal, sondern nicht anders zu erwarten."
Bomben und Raketen werden entweder so programmiert, dass sie einem Laserstrahl folgen, oder sie erhalten geographische Koordinaten und werden von Satellitensignalen zu diesem Ziel geleitet. Neun von zehn der seit Kriegsbeginn eingesetzten Bomben und Raketen hätten eine solche High-Tech-Steuerung, sagt Korvettenkapitän Owens. Fehltreffer entstehen nach Angaben Isbys auch dadurch, dass den Waffen falsche Koordinaten eingegeben werden.
„Mechanische Geräte haben mechanische Fehler“
Außerdem können die Geschosse auch von Wind, veralteten geographischen Daten, fehlerhafter Positionsbestimmung seitens der Besatzung angreifender Flugzeuge oder vom „target location error" vom Ziel abgebracht werden. Ein solcher Zielortungsfehler entsteht dann, wenn ein Satellit eine Positionsbestimmung auf Grund von drei Punkten vornimmt, diese aber nicht einem genauen Ort auf der Erde entspricht. Schließlich könne es auch zu Problemen in den Triebwerken der Geschosse kommen, erklärt Isby.
Andere Probleme können bei lasergesteuerten Waffen auftreten. So kann die Bindung an den Laserzielstrahl verloren gehen, wenn die Sicht von Wolken oder Rauch beeinträchtigt ist. Tomahawks verfügen über eine Radarsteuerung und richten sich dabei nach bestimmten Referenzpunkten am Boden. Aber wenn die Marschflugkörper Wüsten überqueren, fehlen oft solche markanten Punkte.
Das Pentagon macht seine Trefferanalysen zwar nicht öffentlich. Hewson und andere Experten ziehen aber ihre Schlüsse auf Grund von Beobachtungen und Erfahrungen aus früheren Kriegen.
„Es gibt eine signifikante Kluft zwischen einer hundertprozentigen Trefferquote und der Realität", erklärt Hewson. „Und je mehr abgeworfen wird, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit eines katastrophalen Versagens." Im Pentagon räumt Oberstleutnant Christy Nolta von der Luftwaffe ein, dass es trotz genauester Planung keine Möglichkeit gebe, das Risiko von Toten in der Zivilbevölkerung auszuschalten: „Das sind mechanische Geräte, und mechanische Geräte haben mechanische Fehler."
Die ihr Ziel verfehlenden Waffen verursachen nicht nur den Tod von Unbeteiligten, sondern auch eine wachsende Feindschaft gegen Amerikaner und Briten. „In einem Krieg, der für das Wohl des irakischen Volkes geführt wird, kann man es sich nicht leisten, dass irgendjemand von ihnen getötet wird", sagt Hewson. „Aber es ist nicht möglich, dass man Bomben abwirft und keine Menschen tötet."
Von AP-Korrespondent Jim Krane
Quelle: n-tv online
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