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Wirtschaft ist zyklisch - Theorie der langen Wellen
Die Prognose langfristiger Trends der kapitalistischen Wirtschaft beruht auf der weltweit anerkannten „Theorie der langen Wellen“:
Im Abstand von ungefähr 45 bis 60 Jahren, also etwa zwei Menschengenerationen, kommt es in den Industrienationen zu grundlegenden Veränderungen der Wirtschaftsstruktur.
So liegen beispielsweise die letzten beiden großen Kursstürze am Aktienmarkt je zwei Generationen zurück: Weltwirtschaftskrise 1929 und Gründerkrach 1872.
Dieses Phänomen wurde 1926 von dem russischen Ã-konomen Nikolai Kondratieff beschrieben. Begründet hat er dies mit technischen Basisentwicklungen, welche eine Revolution des gesamten Wirtschaftsgeschehens in Aussicht stellen. In der Tat sind solche Erfindungen, wie die Eisenbahn, das Kraftfahrzeug oder die Informationstechnologie vordergründig immer zu erkennen. Allerdings muss man eingestehen, dass es stets auch spektakuläre technische Entwicklungen gab, zu deren Zeit kein wirtschaftlicher Aufschwung zu erkennen war, denken wir nur an bestimmte Erfolge in der Mikroelektronik oder die Kybernetik.
Die Kondratieff-Zyklen sind möglicherweise stärker an rein menschliche Faktoren gebunden als angenommen. Unbestreitbar ist hingegen, dass dann kein wirtschaftlicher Aufschwung stattfinden kann, wenn es der Wirtschaft an Geld mangelt.
Geldmenge und Zinsschraube
Darum spielen die Zentralbanken eine so wichtige Rolle. Sie haben vom Staat die Lizenz zum Gelddrucken und können beeinflussen, ob Geld für die Wirtschaft billig oder teuer verfügbar ist.
Im ersten Fall sind die Zinsen niedrig, und die Wirtschaft kann kostengünstig investieren. Hohe Zinsen, also teures Geld, schränken hingegen die Investitionstätigkeit ein und dämpfen somit die Prosperität der Wirtschaft.
Die Beeinflussung des allgemeinen Zinsniveaus erfolgt über den Zinssatz, zu dem sich die Geschäftsbanken bei der Zentralbank Geld leihen können. Dabei spricht man von Leitzinsen oder heute bei der Europäischen Zentralbank (EZB) vom Refinanzierungssatz. Weil die Zentralbank zum anderen auch Geld drucken darf, nennt man sie auch Notenbank.
Zinssatz und Geldmenge sind so zu wählen, dass die wirtschaftliche Entwicklung optimiert wird.
An den Leitzinsen richten die Geschäftsbanken ihre eigenen Zinssätze für Kredite bzw. Einlagen aus.
Die wichtigste Aufgabe der Geschäftsbanken ist nicht etwa, dem Publikum das Geld abzunehmen und dieses ordentlich zu verzinsen, sondern die Versorgung der Wirtschaft mit diesem Geld. Dazu nehmen diese Banken auf eigene Rechnung Geld entgegen, um es ebenso wieder als Kredit zu vergeben. Die Geschäftsbanken sind also wirtschaftlich eigenständig wie ein Händler oder Produzent am freien Markt.
Das Problem jeder Zentralbank
Die Zentralbanken sehen sich bei der Erfüllung ihrer Hauptaufgabe einem permanent existierenden Problem gegenüber: Wie viel Geld steht überhaupt für die Wirtschaft bereit bzw. befindet sich im Wirtschaftskreislauf? Und wie oft wird es eingesetzt, wandert also vom Verbraucher über den Handel in Firmenkassen zurück und wird von dort wieder als Lohn ausgegeben? Diese Ausgangsdaten sind sehr wichtig für ihre Zinsentscheidungen, aber leider nicht mit wünschenswerter Genauigkeit erhältlich.
Mit einem hübschen Vergleich macht der Wirtschaftsanalyst Helmut Creutz in seinem Buch „Das Geld-Syndrom“ diese Schwierigkeit transparent:
Vergleicht man das Geld mit Pferden und die Wirtschaft mit dem Wagen, den die Pferde ziehen sollen, dann könnte man die Notenbanken als die Kutscher ansehen, die nicht nur für die notwendigen Pferde zu sorgen haben, sondern auch für eine gleichmäßige Bewegung des Wagens. Will ein Kutscher diese Aufgabe optimal erfüllen, wird er die Pferde am kurzen Zügel so führen, dass sie nicht beliebig ausscheren oder Pause machen können.
Die Notenbanken aber begnügen sich im Wesentlichen damit, eine von ihnen quantifizierte „Pferdemenge“ für den „Wirtschaftswagen“ zur Verfügung zu stellen. Ob und in welchem Maße diese Pferde zum Ziehen bereit sind bzw. sich überhaupt einspannen lassen, wird von den Notenbanken nicht kontrolliert. Weitgehend hofft man einfach, dass die Pferde es schon richtig machen werden.
Halten wir also fest:
Die Zentralbanken sind zwar mit mächtigen monetären Instrumenten ausgestattet, können diese jedoch strukturbedingt nicht optimal einsetzen.
Inflation: Achtung, Geldschwemme!
Der Begriff Inflation kommt vom lateinischen inflare = aufblähen. Gemeint ist damit eine Ausweitung der Geldmenge über die gegebene volkswirtschaftliche Leistung hinaus. Dies zieht in der Regel Preissteigerungen und diese wiederum Lohnangleichungen nach sich.
Von Inflation wird oft bereits gesprochen, wenn die Geldmenge erhöht wird und/oder Preise steigen. Es gibt keine allgemein anerkannte Definition für diesen Vorgang. Am weitesten verbreitet ist jedoch folgende Ansicht:
Inflation bedeutet Ansteigen des Preisniveaus bzw. Absinken der Kaufkraft des Geldes, des sogenannten Geldwerts.
Inflation ist also kein Zustand, sondern ein Prozess. In der freien Marktwirtschaft kann eine leichte Inflation als Normalzustand angesehen werden. Längst wächst in den entwickelten kapitalistischen Wirtschaften die Geldmenge viel stärker als das BIP, das Brutto-Inlandsprodukt bzw. das fast identische BSP (Brutto-Sozialprodukt). Beide Begriffe meinen recht genau die Summe der in einem Jahr innerhalb einer Volkswirtschaft geschaffenen Werte und erbrachten Dienstleistungen.
Entscheidend ist, dass die Zinsen höher als die Inflationsrate sind. Andernfalls sieht es böse aus:
Die Folge einer starken Inflation ist die Störung des Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage. Das Angebot nimmt ab, die Nachfrage zu.
Es kommt zur Geldentwertung - sowohl über die Banken der Wirtschaft zur Verfügung gestelltes (verzinstes) als auch cash im Sparstrumpf verbliebenes Geld wird real entwertet. Das allgemeine Preisniveau wächst immer mehr.
Natürlich wirkt die Inflation zunächst kaufanreizend, belebt also die Wirtschaft und gibt dem BIP Schub. Doch wenig später zeigt sich die negative Folge: Die Zinsen ziehen nach, die Zinsbelastung der Unternehmen steigt, die Arbeiter wollen als Inflationsausgleich mehr Lohn - beides führt dann zu Entlassungen, also höherer Arbeitslosigkeit und somit weniger Kaufkraft. Somit ist eine im Ansatz positive Entwicklung zu konstatieren, die sich nach einiger Zeit aber gewissermaßen selbst abwürgt.
Ein Sonderfall ist die sogenannte Hyperinflation, bei der aufgrund gestörter Rahmenbedingungen diese Selbststabilisierung nicht mehr funktioniert.
Deflation - Spirale zum Abgrund
Schlimmer noch als Inflation ist Deflation, also ein Preisverfall. Hier spielt sich nicht etwa, wie man zunächst annehmen könnte, der umgekehrte Vorgang wie bei der Inflation ab. Zwar ist die erste Reaktion, nämlich Kaufzurückhaltung, in der Tat der bei Inflation entgegengesetzt, doch wird dadurch sofort die Wirtschaft geschwächt, das Sozialprodukt geht also nur noch zurück. Dafür sorgt folgende verhängnisvolle sich selbst verstärkende Kettenreaktion:
Nachfrageausfall - Warenstau - Preissenkungen - „Abwarteverhalten“ der Konsumenten, da ja morgen die Preise noch tiefer sein könnten, also wieder Nachfrageausfall
Deshalb sind Geldengpässe für die Allgemeinheit viel gefährlicher als Geldüberschüsse!
Zum Beispiel Argentinien und Japan
Eine spektakuläre Inflation haben wir im Herbst 2002 in Argentinien gesehen. Viele Menschen wollten schnell an ihr Geld, weil dieses drastisch an Wert verlor. Boshaft zeigte nun unser modernes Geld, das ja zum Großteil nur einen Anspruch darstellt (Stichwort: Buchgeld) sein wahres Gesicht - die Banken konnten nur kontingentiert Bargeld ausgeben, denn dieses stellt die kleinste Geldmenge dar. Die tiefere Ursache der Krise lag - wie auch bei der Asienkrise Ende der 90er - nicht etwa an wirtschaftlicher Unfähigkeit, sondern an der festen Bindung der Landeswährung an den Dollar. Also ein reines Finanzproblem!
Beunruhigend ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass feste Währungsparitäten von Wirtschaftsfachleuchten immer noch überwiegend positiv gesehen werden. So frohlocken zur Jahreswende 2002/2003 die Euro-Befürworter, vergessen aber, dass nicht der Euro stark geworden ist, sondern der Dollar schwach.
Eine leicht deflationäre Entwicklung sehen wir hingegen seit Jahren in Japan. Die Zinsen tendieren gegen Null. Diese langandauernde Krise sollte uns besonders zu denken geben, weil Japan in den 70er und 80er Jahren noch als wirtschaftliches Superland galt.
Stagflation, ein Kunstwort
Weniger bekannt ist der Begriff Stagflation. Er wurde aus den Begriffen Stagnation und Inflation gebildet.
Stagflation bedeutet Nullwachstum bei anziehender Inflation.
Das sind zwei Erscheinungen, die eigentlich gar nicht so recht zueinander passen. Des Rätsels Lösung ist die Zeitverschiebung zwischen Ursache (Zinsänderung) und Wirkung (BIP-Änderung).
Stagflation ist eine besonders kritische Situation, weil es schwer ist, all ihre Symptome gleichzeitig zu bekämpfen. Zu den genannten beiden Symptomen gesellt sich, wie oben dargestellt, noch die Arbeitslosigkeit hinzu.
Englische Krankheit nennt man die Stagnation auch, weil sie in Großbritannien in den 60er und 70er Jahren besonders hartnäckig zu verzeichnen war. Aber auch in Deutschland zeigten sich in den Jahren 1973 bis 1975 und 1980 bis 1982 diese Tendenzen. In beiden Fällen waren Ã-lkrisen die Auslöser.
Rezession und Depression
Kommen wir nun zu den Begriffen Rezession und Depression, auf die wir immer häufiger in der Presse stoßen. Beide werden lediglich über einen bestimmten Rückgang des Sozialprodukts definiert, können also sowohl von Inflation als auch von Deflation begleitet sein.
Bei der Rezession werden die BIP-Wachstumsraten kleiner, sind aber immer noch positiv.
Nach der Definition des Internationalen Währungsfonds herrscht Rezession, wenn das weltweite Wachstum unter 2,5 Prozent liegt. Rezession kann national unterschiedlich definiert werden.
Eine Rezession ist für den Normalbürger an sich noch kein Grund zur Sorge, ärgerlich ist sie allerdings für Kapitaleigner, da deren verzinstes Geld nun schwächer durch das BIP „abgedeckt“ wird.
Wenn die Wachstumsraten negativ werden, das Sozialprodukt also schrumpft, dann spricht man von Depression.
Am häufigsten wird diese von einer Deflation begleitet.
Zinsänderungen - ein zweischneidiges Schwert
Viele Ã-konomen und Börsianer sehen Zinsentscheidungen als eine Art Wunderwaffe an. Börsenakteure sind überaus sensibel gegenüber Zinsentscheidungen der Zentralbanken. Man könnte diese übliche Einstellung gedankenlos übernehmen. Doch machen wir nicht schon wieder einen Fehler!
Denn zum einen unterstreicht diese Sensibilität zwar, wie wichtig das Geld für die Wirtschaft ist. Nicht umsonst wird es als „Blut im ökonomischen Kreislauf“ bezeichnet.
Zum anderen wissen wir aber, dass hier lediglich diejenigen Zinsen definitiv festgelegt werden, zu denen Geschäftsbanken Kredite von der Zentralbank erhalten (sich „refinanzieren“). Darüber hinaus sind die Geschäftsbanken in ihren eigenen Zinsentscheidungen frei. Daher bestimmt auch der Markt durch Angebot und Nachfrage den Zins mit.
Weiter: Die Leitwirkung der Zentralbankzinsen lässt immer mehr nach, je mehr Geld beim Publikum vorhanden ist. Möglicherweise aus diesem Grunde verwendet die Europäische Zentralbank den Ausdruck Leitzinsen nicht mehr, sondern hat den Begriff Refinanzierungssatz geprägt. Die EZB legt diesen Satz übrigens auch nicht einfach so fest. Hierfür gibt es nämlich eine Art Versteigerungsverfahren. Die EZB kann hierbei als wichtigster Stellschraube lediglich am Mindestbietungssatz drehen.
Werden die Zinsen gesenkt, wird außerdem erst mit ca. einem halben Jahr Verzögerung eine Erholung der Wirtschaft erwartet. Diese wird sich zudem in Grenzen halten, da die überwiegenden Verbindlichkeiten schon früher festgeschrieben wurden. Werden die Leitzinsen um 1 Prozentpunkte gesenkt, dann sinken die Kapitalkosten nur um etwa 0,3 Prozentpunkte.
Nicht gesehen wird auch oft, dass jede Zinssenkung auch eine Kehrseite hat: Mehr Geld zieht sich nämlich dann aus dem Festverzinslichen und damit aus der Wirtschaft zurück und geht lieber in die Spekulation. Erhöhte Liquidität am Aktienmarkt bedeutet zwar steigende Kurse, davon haben aber die Aktiengesellschaften, wie erläutert, im Prinzip nichts und andere Unternehmen mit Sicherheit gar nichts.
So ist zu erklären, dass Japans Wirtschaft immer noch darniederliegt und die amerikanische Wirtschaft auch 2003 nach zwölfmaliger Zinssenkung nicht wieder in Fahrt kommen will.
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