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Duisenberg: „Eine Zinssenkung hilft der Wirtschaft nicht"
Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Wim Duisenberg, hält die Möglichkeiten, der Konjunktur im Euro-Raum durch eine abermalige Zinssenkung zusätzlichen Schwung zu verleihen, für äußerst begrenzt. „Eine weitere Lockerung der Geldpolitik kann die Unsicherheit kaum vertreiben, die seit Monaten auf der Wirtschaft lastet. Um neues Vertrauen bei Verbrauchern und Unternehmen zu schaffen, bedarf es weit mehr als einer zusätzlichen Zinssenkung", sagte Duisenberg im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Andere Felder der Politik, beispielsweise die Finanzpolitik, müßten durch fiskalische Disziplin das Vertrauen in die Kräfte der Wirtschaft stärken, sagte Duisenberg. Das gelte sowohl in Europa als auch in Amerika, wo sich die Haushaltslage zuletzt erheblich verschlechtert habe. Insbesondere mit Blick auf die Forderung des Internationalen Währungsfonds (IWF), die EZB solle mögliche Spielräume nutzen, entgegnete Duisenberg, die Zinsen im Euro-Raum lägen „auf dem niedrigsten Niveau seit Ende des Zweiten Weltkriegs". Die Geldpolitik stehe dem Wachstum nicht im Wege.
Keine Deflationsgefahren zu erkennen
Der EZB-Präsident widersprach zugleich der Einschätzung des IWF, Europa befinde sich am Rande einer die Wirtschaft lähmenden Deflation. „Weder in Deutschland noch im gesamten Euro-Raum sind derzeit ernste Deflationsgefahren zu erkennen", sagte Duisenberg. Die EZB rechne damit, daß die Inflationsrate, gemessen am harmonisierten Index der Verbraucherpreise, bald auf etwas weniger als 2 Prozent fallen und dort bis ins nächste Jahr hinein verharren werde. Zur Mäßigung des Preisauftriebs trügen sowohl die Stärke des Euro an den Währungsmärkten als auch der Rückgang des Ã-lpreises, so diese Entwicklung fortdauere, bei.
Vorschläge zu einem gemeinsamen Vorgehen der bedeutenden Notenbanken in der Zinspolitik beurteilt der Währungshüter skeptisch. Weniger „koordiniert" als vielmehr „konzertiert" müsse unter bestimmten Umständen gehandelt werden, sagt Duisenberg und weist auf die Zinssenkungen der EZB und der Federal Reserve nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 hin. Damals habe die EZB eine bereits absehbare Zinssenkung vorgezogen, um die Finanzmärkte zu stabilisieren. Auf keinen Fall dürften solche Entscheidungen aber unter Aufgabe des Ziels der Preisstabilität getroffen werden.
Die Kursgewinne des Euro gegenüber dem Dollar seit dem vergangenen Frühjahr bezeichnete Duisenberg als „Korrektur der vorangegangenen übertriebenen Abwertung". Das aktuelle Kursniveau spiegle zwar noch nicht genau das wirtschaftliche Kräfteverhältnis zwischen Europa, Amerika und dem Rest der Welt wider, aber „wir sind näher an den Fundamentaldaten dran. Ich bin damit nicht unzufrieden." Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen aus dem Euro-Raum sei durch die Kursgewinne des Euro nicht beeinträchtigt, betonte Duisenberg.
Duisenberg weist Forderung nach höherem Inflationsziel zurück
Die Überprüfung der geldpolitischen Strategie der EZB sei noch nicht abgeschlossen. Ergebnisse hierzu seien nicht vor Ende Mai zu erwarten. Duisenberg wies die Forderung des IWF-Chefvolkswirts Ken Rogoff zurück, die EZB solle die mittelfristig maximal zulässige Inflationsrate von 2 auf 2,5 Prozent heraufsetzen, um den Gefahren einer Deflation zu entgehen. „Herr Rogoff hat dabei vermutlich an das Inflationsziel der Bank von England gedacht, das auf 2,5 Prozent festgesetzt ist. Dabei hat er aber wohl übersehen, daß dies nach unserer Berechnungsmethode für die Preissteigerung einer Inflationsrate von 1,75 Prozent entspricht." Der Währungshüter gestand aber ein, daß auch über eine Angemessenheit der Definition von Preisstabilität diskutiert werde, welche die EZB bisher als einen mittelfristigen Anstieg des Verbraucherpreisindex von weniger als 2 Prozent begreift.
„Inflation ist letztlich ein monetäres Phänomen“
Es gebe keine Bestrebungen, die Geldpolitik der EZB künftig in stärkerem Maße auf die Feinsteuerung der Konjunktur auszurichten. „Unser Ziel heißt Preisstabilität. Darin sind wir uns einig." Eine Debatte werde in der Zentralbank über die künftige Bedeutung der ersten Säule der geldpolitischen Strategie geführt, die im Augenblick dem Wachstum der Geldmenge im Euro-Raum eine herausgehobene Stellung in der Analyse möglicher Inflationsgefahren beimesse. „Meines Erachtens geht es in der Diskussion aber weniger um Substantielles als um Fragen der Kommunikation", sagte Duisenberg.
Der EZB gelinge es nicht immer, den Marktteilnehmern und auch der allgemeinen Ã-ffentlichkeit die Bedeutung und die „Akzente in der Analyse der beiden Säulen" deutlich zu machen. In der zweiten Säule überprüft die EZB eine Vielzahl von Wirtschaftsdaten auf Erkenntnisse über künftige Inflationsgefahren. „Es muß klar sein, daß die beiden Säulen nicht unabhängig voneinander in die Zinspolitik einfließen." Der EZB-Präsident wies Forderungen zurück, die Geldmengenanalyse aufzugeben. „Das wäre töricht. Inflation ist letztlich ein monetäres Phänomen. Sie kann nur entstehen, wenn zuviel Geld im Umlauf ist."
Trichet-Fall schadet EZB nicht dauerhaft
Der nun schon viele Monate dauernde Schwebezustand in der Nachfolge der EZB-Präsidentschaft wird dem Amt nach Einschätzung Duisenbergs nicht dauerhaft schaden. Von Nachteil seien zwar die Spekulationen über das mögliche Scheitern der Kandidatur des Gouverneurs der Bank von Frankreich und „wahrscheinlichen Nachfolgers", Jean-Claude Trichet, wegen des anhängigen Gerichtsverfahrens im Zusammenhang mit der Bilanzfälschung bei der Großbank Crédit Lyonnais. „Spekulation und Ungewißheit sind immer schlecht für eine Währung. Sie schaden der Glaubwürdigkeit der Zentralbank." Darum habe er den Märkten deutlich gemacht, daß es keinen Grund zur Sorge gebe. „Es wird immer einen EZB-Präsidenten geben."
Duisenberg bekräftigte, er werde nicht nur so lange im Amt bleiben, bis sein Nachfolger ernannt, sondern bis dieser auch in der Lage sei, die Präsidentschaft anzutreten. Man müsse sich aber wohl von der Vorstellung lösen, daß nationale Interessen eines Tages keine Rolle mehr bei der Nominierung für Ämter in der EZB spielen würden. Wichtig sei vielmehr, wie bisher nationale Erwägungen aus den geldpolitischen Entscheidungen herauszuhalten seien. „Da geht es allein um den Euro-Raum als Ganzes."
ctg., Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.04.2003, Nr. 88 / Seite 13
Bildmaterial: dpa
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