-->Die Schmerzen der Befreiung
Nach dem Jubel, nach den Plünderungen in Bagdad: Deutsche Intellektuelle und Publizisten reagieren verstimmt auf das Verhalten der Iraker
Die Bilder aus dem befreiten Irak sind für Kriegsbefürworter und -gegner verstörend: Freiheitseuphorie und Zerstörungswut sind kaum zu unterscheiden. Die Bevölkerung der irakischen Hauptstadt zerstört anscheinend wahllos auch jene Einrichtungen, die das amerikanische Präzisionsbombardement zu schonen versucht hatte. Geplünderte Krankenhäuser sind die Symbole dieser Lage. Womöglich fügen am Ende die Plünderungen der Infrastruktur mehr Schaden zu als der Bombenkrieg. © Foto: Kevin Frayer/AP
Man bekommt hier einen erschreckenden Einblick in jenen Zustand, den der irakische Oppositionelle Kanan Makiya meinte, als er in der ZEIT (Nr. 15/03) drastisch von der „Scheiße“ sprach, „die die Baath-Partei aus unserem Land gemacht hat“. „Ein junger Mann“, sagt Makiya heute angesichts der Bilder der Verwüstung, „der einen Fernseher aus dem Erziehungsministerium stiehlt, hat das Gefühl, der Baath-Partei einen Schlag zu versetzen. Er ist sich nicht bewusst, dass er ihn aus einem Gebäude klaut, das ihm nun gehört und bald seinen Bedürfnissen dienen wird statt denen seiner Folterer. Zwischen diesen beiden Geisteszuständen liegt der Beginn einer verantwortlichen Politik - die Ordnungsmacht als Freund, nicht als Folterknecht.“
Bilder von den Raubzügen des Bagdader Mobs lassen ahnen, wie gründlich die Gewaltherrschaft jeglichen Gemeinsinn zersetzt hat, und sie geben einen Eindruck von der titanischen Aufgabe der nächsten Jahre. Menschen, die 30 Jahre unter der Fuchtel der Tyrannei und 12 Jahre unter einem Wirtschaftsembargo gelebt haben, sind keine edlen Wilden. Aus dem Schrecken angesichts jener Szenen, die den Hobbesschen Naturzustand des Kampfes aller gegen alle heraufzubeschwören scheinen, sind die hiesigen Kommentare zur Lage allerdings nicht zu erklären.
Viele deutsche Äußerungen zur Entwicklung in Bagdad sind durch Herablassung, Rechthaberei und Kaltherzigkeit geprägt. Antje Vollmers Abfertigung im Tagesspiegel vom 13. April mag stellvertretend für viele klamme Äußerungen aus dem rot-grünen Lager stehen: „Was die Befreiung betrifft, so glücklich wollte dieses Volk nicht aussehen, auch nicht jene US-gestützten Straßengangs von männlichen Jugendlichen, die nur mit Militärmaschinen die Denkmäler gestürzt kriegten.“
„Männlich“ und „US-gestützt“ - damit ist die Sache überführt. Antje Vollmer scheut sich auch nicht, von „Jubel-Irakern“ zu sprechen - eine Reminiszenz an die „Jubel-Perser“, die hoch bezahlte, berüchtigte Schlägertruppe des Schah-Geheimdienstes. Ein Hauch von Verachtung weht einen aus dieser Wortwahl an. Die Amerikaner, sagt Vollmer, haben „ein ganzes Volk zur Geisel genommen, um es im selbst ernannten Mandat von seinem Diktator zu befreien“ - als sei nicht Saddam Hussein der Geiselnahme seiner eigenen Landleute schuldig, vor allem in den Zeiten des Embargos, das von ihm jederzeit hätte beendet werden können.
„Wenn Du Glück hast, kannst Du bald Schwarzenegger-Filme sehen“
Es gibt wahrlich Grund zur Sorge. Aber die Denunziation der Freudenszenen von Bagdad scheint doch mehr von der Sorge der Kommentatoren um die Richtigkeit ihrer Haltung getrieben zu sein. Konstantin Wecker, der bei den Antikriegsdemos der letzten Wochen ein Comeback feierte, gesteht auf seiner Website säuerlich zu, auch er sehe zwar im Fernsehen „jubelnde Iraker, die den Einmarsch der Soldaten begrüßen“. Wecker hält die Freude für authentisch. Aber die Iraker fühlten sich leider zu Unrecht befreit. Sie würden sich noch wundern! Oder, wie man 1945 im umkämpften Berlin zu sagen pflegte: Kinder, genießt den Krieg, der Frieden wird fürchterlich! So richtet Wecker warnende Worte an seinen Brieffreund, den achtjährigen Bagdader Jungen namens Amir: „Aber Du wirst ja gerade befreit, Amir, vergiss das nicht. Amerikanische und britische intelligente Bomben erlösen Dich, und wenn Du Glück hast, kannst Du schon bald den neuesten Schwarzenegger-Film sehen, Hamburger kaufen, Videokriegsspiele spielen und CNN und MTV empfangen.“
Auch klügere Köpfe sehen sich berufen, die Iraker im Verblendungszusammenhang der westlichen Warenwelt zu begrüßen. Die Amerikaner lassen die Plünderungen bewusst zu, heißt es in der Leitglosse des FAZ-Feuilletons am 10. April, weil es „eine bessere Einführung in den westlichen Wertekanon“ nicht gebe: „Wer mit einem Mal Computer oder Kühlschränke besitzt, wird sich für Internetangebote und Tiefkühlkost interessieren. Beide Güter sind zurzeit im Irak nicht im Angebot, aber Amerika kann sie im Überfluß exportieren.“
Die Wut und Enttäuschung über die Befreiten, in deren Materialismus man denjenigen der eigenen Gesellschaft wiederzuerkennen meint, erinnert nicht von ungefähr an die Banane, die Otto Schily während der Wende in die Kamera hielt, um greifbar zu machen, worum es den Ossis wirklich gehe. Auch Peter Handkes legendäre „andersgelbe Nudelnester“ aus Serbien gehören in diese Denktradition des kulturkritisch verbrämten westlichen Selbsthasses. Man fragt sich, was die Menschen beim Denkmalsturz am Fardos-Platz und anderswo in Bagdad hätten tun müssen, um es den deutschen Kommentatoren recht zu machen? Eine Verfassung ausrufen? Nach Goethe-Instituten verlangen? Runde Tische bilden, statt die Schreibtische aus der deutschen Botschaft zu klauen?
Feindbild USA - immer schon das Land der Kriegstreiber
Oder ist der Jubel das Problem? Wenn man sich anschaut, mit welcher Mühe er eingeordnet, umgedeutet und entwertet wird, kann man diesen Eindruck nicht abweisen. In der FAZ vom 11. April versucht Christian Geyer, die Bagdader Erregung zu erledigen: „Der Jubel, der nun doch noch aufgebrandet ist und sich wie das Erröten oder Erblassen wohl auch schnell wieder legen wird“, sei „für die legitimatorischen Fragen des Irak-Krieges 2003 eine Null-Aussage“. Warum widmet man einer Null-Aussage 152 Zeilen? Es soll bewiesen werden, dass der Iraker in welthistorischen und völkerrechtlichen Dingen nichts mitzureden hat. Da kann der Iraker sich auf den Kopf stellen: Legitimatorische Fragen des Irak-Krieges werden, wie alle anderen legitimatorischen Fragen, nun einmal in Frankfurt am Main entschieden.
Das Feuilleton der Berliner Zeitung vom 11.April mag im Kampf gegen die provokanten Bilder nicht abseits stehen. Die lange erhofften Szenen der jubelnden Bevölkerung seien „gerade nicht dazu angetan, Sympathie mit dem Dampf ablassenden Volk zu erzeugen. Die johlenden jungen Männer, die den Kopf der mit amerikanischer Hilfe gefällten Saddam-Statue durch die Straßen schleifen, zelebrieren ein barbarisches Ritual, das nicht zum Eintritt in die Zivilisation qualifiziert.“
Der deutsche Feuilletonist als Rausschmeißer, der den „Eintritt in die Zivilisation“ regelt und dem irakischen Jubel-Pöbel bescheinigt, er müsse leider draußen bleiben? Man könnte meinen, die Iraker hätten einen Verrat begangen, als sie die Amerikaner begrüßten. Waren sie schon für die Rolle des David gebucht, der sich dem US-Goliath entgegenwirft und ihn in einen schmutzigen, blutigen Krieg hineinzieht, auf dass sich dessen Übermacht als Hybris erweise? Der Unterton der Enttäuschung scheint diese Deutung nahe zu legen: So hatte man sich die „kochende arabische Straße“ nicht vorgestellt.
Franziska Augstein schlägt im antiamerikanischen Überbietungswettbewerb dieser Tage einen neuen Ton an. Sie erklärt in der Süddeutschen vom 12./13. April den „amerikanischen Imperialismus“, der jetzt in der „Niederwerfung des Irak“ kulminiere, nahtlos aus der politischen Tradition Amerikas. Jefferson, Hamilton, Jackson, Wilson e tutti quanti - alles machtlüsterne Kriegstreiber mit Weltherrschaftstrieb. Dieser Unfug, der in die Stimmung passt, wird durch kleine Insinuationen gewürzt, wer hier eigentlich ans Ã-l wolle: „Die Ã-lquellen von Mossul und Kirkuk liegen gleich neben Jerusalem.“
Von der moralischen Niedrigkeit der amerikanischen Politik ist auch der Schriftsteller Georg Klein überzeugt. Sie zeige sich in der Feigheit im Felde beziehungsweise in der Luft. Auf „erbärmlich feige Weise“ nämlich wurden durch das „Hightech-Massaker“ im Irak „Leichen produziert“, schreibt Klein in der Berliner Zeitung vom 11. April. Es geht ihm gar nicht um die Zahl der Opfer. Er interessiert sich nicht für die Frage, ob es gelungen sei, das Leiden gering zu halten. Er klagt nicht um die Toten. Er interessiert sich für den niederen Charakter der Amerikaner, den ihre Strategie verrät. Die Sieger werden, prophezeit Klein, mit „der Schande ihrer himmelschreienden Überlegenheit im Rucksack nach Hause kommen“. Überlegenheit als Feigheit - das ist ein Topos des deutschen Amerika-Hasses, bekannt aus der Debatte um den alliierten Luftkrieg gegen Deutschland.
Wie kann es sein, dass der Sturz eines Tyrannen einen solchen Schwall von Ressentiments freisetzt? Eigentlich sollte es doch in Deutschland einen Sinn für die seelischen und politischen Kosten des Lebens unter einer Diktatur geben. Man könnte auch meinen, dass die Freude über eine Befreiung gerade hier einen Resonanzraum finden müsste. Ein großer deutscher Politiker hielt einmal eine Rede, die sich mit der Ambivalenz der Befreiung befasste. Darin wurde weder der „Schmerz über die vollständige Niederlage des eigenen Vaterlandes“ verschwiegen noch die Verbitterung über die zerrissenen Illusionen, noch die Demütigung, sein Schicksal „in der Hand der Feinde“ zu wissen.
Auch das Gefühl der Vergeblichkeit und Sinnlosigkeit angesichts der eigenen Taten, die „den unmenschlichen Zielen einer verbrecherischen Führung gedient“ hatten, kam zur Sprache. Die Deutschen sollten die Ursache für ihre schweren Leiden, sagte Richard von Weizsäcker, nicht im Ende des Krieges suchen, sondern „im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte“. In dieser Rede hieß es auch: „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung.“
Vierzig Jahre hatte es gedauert, bis ein deutscher Bundespräsident die Kraft fand, diesen einfachen Satz zu sagen. Seine Rede beweist - gegen den Strom der heutigen Stimmung -, dass die Dankbarkeit für eine Befreiung von Gewaltherrschaft nicht mit dem Vergessen der schrecklichen Leiden einhergehen muss, mit denen die Freiheit erkauft wurde.
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