dottore
27.04.2003, 15:43 |
Der"natürliche Schwund": Ist die Umlaufgebühr zu hoch?Thread gesperrt |
-->Hi!
Der bekannte Geldreformer Silvio Gesell geht bekanntlich von der"Ungleichheit" beim natürlichen Verfall von Waren gegenüber Geld aus, was auch schnell zu erkennen ist, wenn man das zu seiner Zeit herrschende Währungssystem betrachtet, wo sich z.B. Getreide, auf das er mehrfach abhebt ("Mäusefraß","Schimmel" usw.) und Gold über die Zeit unterschiedlich entwickeln.
Wer Gold als Geld hält, kann demnach ohne Materialverlust warten, der Mann, der Getreide hält, dagegen muss mit Materialverlust rechnen, man denke an Gesells"Robinson"-Beispiel. Deshalb sollte"Waffengleichheit" hergestellt werden und das Geld also"gezwungen" werden, in gleichem prozentualen Umfang zu verfallen wie das Getreide bzw. andere Waren.
Ich möchte kurz mitteilen, was als jährlicher Verlust bei Getreideeinlagerung im 19. Jh., also noch vor Gesells eigenen Erfahrungen, die er als Unternehmer in Argentinien und als Landwirt tätigen konnte, beobachtet wurde und wie sich die Qualität des Getreides selbst entwickelte.
Vom unverdächtigen Fachmann Carl Hugo vom Hagen (Kgl. Landrat a.D., Ehrenmitglied des landwirtschaftlichen Vereins im Eichsfeld, etc.), dem auch die Lösung des Problems einer Stabilisierung des Preisniveaus am Herzen lag, dem sich wohl auch die Freiwirtschaftliche Bewegung verschrieben hat, wurde in seiner Schrift"Die Silo-Banken" (Erfurt 1854) der jährliche Abgang über einen Zeitraum von 5 bis 13 Jahren in Höhe von 0,75 bis 1,5 % p.a. ermittelt.
Vom Hagen schreibt auch, dass"die Verwaltungs- und Aufsichtskosten unbedeutend (waren), Verlust durch Mäusefraß, Eintrocknen... sind gar nicht eingetreten... eine Probe 17 Jahre alten Silo-Roggens, sowie daraus gewonnenes Mehl und Brot (ergab), dass auch der Geschmack des Mehles und Brotes nichts zu wünschen übrig ließ." (56 ff.).
Da bei Gesell (1916) selbst, in Wörgl (1932/33) und aktuellen Freigeld-Vorstellungen mit einem erheblich höheren"Verlust" beim Geld gearbeitet wurde bzw. wird, ist es womöglich nicht uninteressant, in Erfahrung zu bringen, warum sich eine möglicherweise"zu hohe" Umlaufgebühr p.a. eingebürgert hat.
Vielleicht kann jemand helfen, Danke vorweg.
Gruß!
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thomas
27.04.2003, 17:07
@ dottore
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Umlaufgebühr soll nicht gleich durchschnittliche Warenverfallsrate sein, sondern |
-->ein Ausgleich für den reinen Geldzins (Urzins bei Gesell).
Nach Gesell steht die Geldwirtschaft im Wettbewerb zur Urwirtschaft (alle sind Einzelkämpfer), zum Tauschhandel und zum Wechselverkehr.
Er schreibt beispielsweise:"... Es genügt, dass wir im Tauschhandel das Dasein eines Wettbewerbers des Geldes festgestellt haben, dessen Aussichten um so günstiger sein werden, je höhere Abgaben das Geld fordert...."
"... Das Geld ist also nicht unbeschränkter Herrscher auf dem Markte. Es muss mit Wettbewerbern rechnen und kann infolgedessen die Zinsforderungen nicht beliebig hochschrauben...."
Verlangt der Geldbesitzer zuviel Zins, weichen die Wirtschaftenden auf die genannten Alternativen aus, daher die Begrenzung nach oben.
Dieser Effizienzvorteil des Geldwesens trägt dem Geldbesitzer nach Erfahrung Gesells <nobr>4-5 % p.a.</nobr> ein, und daher schlägt Gesell eine Umlaufgebühr in dieser Höhe vor. (1 Promille pro Woche, sein Musterschein für eine Mark Freigeld enthält 5 Einklebestellen für jeweils einen Pfennig.)
Ich behaupte nicht, das wirklich verstanden zu haben, oder gar zu vertreten. Insbesondere ist mir nicht klar, wie nach Gesell's Theorie einerseits der Warenverfall, andererseits der Wettbewerb Geld gegen Geld-Alternativen als Ursache für"Zins" zu gewichten ist. Das ganze Kapitel über Urzins erwähnt z.B. gar nicht den Unverwüstlichkeits-Vorteil des Geldes gegenüber den Waren.
Ich empfehle dazu Band 11 von"Silvio Gesell: Gesammelten Werke, Gauke-Verlag, 4. Auflage 1920, Seite 324 ff", wo auch die obigen Textstellen entnommen sind.
Gruß, Thomas
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thomas
27.04.2003, 17:41
@ thomas
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Sorry, ich muss mich korrigieren |
-->nach etwas mehr stöbern finde ich nun:
"Geld, das wie eine Zeitung veraltet, wie Kartoffeln fault, wie Eisen rostet, wie Äther sich verflüchtigt, kann allein sich als Tauschmittel von Kartoffeln, Zeitungen, Eisen und Äther bewähren." Seite 240, dieselbe Quelle
Selber ratlos...
Gruß Thomas
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Frank
27.04.2003, 21:43
@ thomas
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Re: Umlaufgebühr soll nicht gleich durchschnittliche Warenverfallsrate sein, sondern |
-->>ein Ausgleich für den reinen Geldzins (Urzins bei Gesell).
>Nach Gesell steht die Geldwirtschaft im Wettbewerb zur Urwirtschaft (alle sind Einzelkämpfer), zum Tauschhandel und zum Wechselverkehr.
>Er schreibt beispielsweise:"... Es genügt, dass wir im Tauschhandel das Dasein eines Wettbewerbers des Geldes festgestellt haben, dessen Aussichten um so günstiger sein werden, je höhere Abgaben das Geld fordert...."
>"... Das Geld ist also nicht unbeschränkter Herrscher auf dem Markte. Es muss mit Wettbewerbern rechnen und kann infolgedessen die Zinsforderungen nicht beliebig hochschrauben...."
>Verlangt der Geldbesitzer zuviel Zins, weichen die Wirtschaftenden auf die genannten Alternativen aus, daher die Begrenzung nach oben.
>Dieser Effizienzvorteil des Geldwesens trägt dem Geldbesitzer nach Erfahrung Gesells <nobr>4-5 % p.a.</nobr> ein, und daher schlägt Gesell eine Umlaufgebühr in dieser Höhe vor. (1 Promille pro Woche, sein Musterschein für eine Mark Freigeld enthält 5 Einklebestellen für jeweils einen Pfennig.)
>Ich behaupte nicht, das wirklich verstanden zu haben, oder gar zu vertreten. Insbesondere ist mir nicht klar, wie nach Gesell's Theorie einerseits der Warenverfall, andererseits der Wettbewerb Geld gegen Geld-Alternativen als Ursache für"Zins" zu gewichten ist.
--------- Genau die heute im Zeitalter des sekundenschnellen Geldtransfers weltweit in Form bestehenbleibender Zinssysteme existierende Alternative oder besser Fluchtmöglichkeit scheint mir auch ein ganz großes praktisches Problem zu sein. Diese Alternative müsste ausgeschaltet oder mächtig erschwert werden. Hinzu käme ja noch die ebenfalls schon von Gesell geforderte Bodenreform, um die Überlegenheit eines zweiten nicht verfallenden und nicht erweiterbaren Gutes als Alternative auszuschalten. G. Hannich geht ja auch nur von der Einführung in einer tiefen Krise aus, in der diese Fluchtmöglichkeiten dann durch die Umstände ausreichend versperrt sind. Dies alles ändert jedoch nichts an der Rolle des Zinses als Umverteilungs-Wühlmaus im heutigen System mit den jetzt ersichtlichen katastrophalen Folgen, dass an allen wichtigen Stellen das Geld fehlt, obwohl es insgesamt mehr als zur Genüge vorhanden ist. M3 war am Ende der D-Mark 3 x größer als das BIP!
Das ganze Kapitel über Urzins erwähnt z.B. gar nicht den Unverwüstlichkeits-Vorteil des Geldes gegenüber den Waren.
>Ich empfehle dazu Band 11 von"Silvio Gesell: Gesammelten Werke, Gauke-Verlag, 4. Auflage 1920, Seite 324 ff", wo auch die obigen Textstellen entnommen sind.
>Gruß, Thomas
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dottore
28.04.2003, 12:03
@ Frank
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Re: Wo kann ich mit M3 bezahlen? |
-->Hi!
>Dies alles ändert jedoch nichts an der Rolle des Zinses als Umverteilungs-Wühlmaus im heutigen System mit den jetzt ersichtlichen katastrophalen Folgen, dass an allen wichtigen Stellen das Geld fehlt, obwohl es insgesamt mehr als zur Genüge vorhanden ist. M3 war am Ende der D-Mark 3 x größer als das BIP!
"Umverteilungs-Wühlmaus" gefällt mir als gut formulert. Nur entsteht der Kontraktzins (im Gegensatz zum wirklich umverteilenden Abgabenzins) nach freiwilliger Übereinkunft beider Parteien, Kreditgeber und -nehmer. Da der Kreditgeber über das, was er kreditiert, nicht wärend der Laufzeit des Kredits verfügen kann, da er es dem Kreditnehmer überlassen hat, findet also die Umverteilung beim Kreditkontrakt selbst Statt: Vom Gläubiger hin zum Schuldner, nicht wahr?
Bei der Behauptung M3 > 3 x BIP hätte mich die Quelle interessiert, aus der geschöpft wird.
M3 als Geld zu bezeichnen, das"zur Genüge vorhanden ist" kann ich nicht nachvollziehen, da darin auch enthalten sind Einlagen mit einer vereinbarten Laufzeit von bis zu 2 Jahren, Einlagen mit einer vereinbarten Kündigungsfrist von bis zu 3 Monaten, Geldmarktfondsanteile, Schuldverschreibungen mit einer Ursprungslaufzeit von bis zu 2 Jahren usw. und sich demnach die Frage stellt, wo jemand mit solchem"Geld" irgendetwas kaufen kann.
Er geht also in ein Geschäft, sagt ich will den Anzug für 1000 € kaufen und sagt, er bezahle mit einer in 16 Monaten fälligen Schuldverschreibung. Was wird der Geschäftsmann sagen bzw. machen?
Gruß!
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