-->FTD: Kapitalistische Krise, wohin man blickt
„Die Wirtschaft steckt in der längsten Krise der Nachkriegszeit, schon seit drei Jahren ist sie nicht mehr spürbar gewachsen.
<font color=red>Bisher gab es aber zwischen Medien und Regierung einen Schweigepakt: Die elende Wirtschaftslage mit rund 5 Millionen Arbeitslosen und Rekordpleiten sollte und durfte nicht Krise genannt werden.
Warum nicht? Einmal, um die schwache Regierung zu stützen, aber auch, weil keine systemkonforme Hoffnung in Sicht ist: Weder gibt es - wie in früheren Krisen - eine Weltregion, die als kapitalistischer Wachstumsmotor in Frage kommt, noch kann man die Krisenursachen auf Rückständige Branchen wie Kohle, Stahl oder Textil schieben - nein die gegenwärtige Wirtschaftskrise ist weltweit und hat mit der IT-Branche den größten kapitalistischen Hoffnungsträger infiziert.</font>
Das bringt nach Einschätzung vieler Ã-konomen eine ganz neue Qualität von Problemen mit sich. Nach den am Donnerstag veröffentlichten Daten zur Wirtschaftsleistung im ersten Quartal steckt die Wirtschaft mit großer Wahrscheinlichkeit nun schon zum zweiten Mal seit 2001 in der Rezession. Einen solchen Double Dip erlitt die Wirtschaft zuletzt 1981. Anders als damals hat es nun allerdings auch in der kurzen Zeit zwischen den Dips kaum Wachstum gegeben. Für das laufende zweite Quartal rechnen Ã-konomen mit einem weiteren Minus.
<font color=red>Der Vergleich mit 1981 ist schönfärberisch. Der einzig zutreffende Vergleich ist der mit den Weltwirtschaftsproblemen von 1929 bis 1939. Die Krisenfolgen der zehnjährigen Dauerkrise in Japan sind schon schlimmer als die Folgen der 29er Krise in den USA: „[i]Der gesamte Produktionsrückgang in Japan während der Krisenjahre (1993-2003) könnte die Wirtschaftsverluste der großen US-Wirtschaftskrise der 30er Jahre weit übertreffen.[/i]“ (‚Economist' 2.3.2002, 76). Die heutige Weltwirtschaftskrise nimmt vielleicht nicht den gleichen Verlauf wie die kapitalistische Mega-Krise von 1929ff, aber die Folgen für uns alle werden ähnlich gravierend sein.</font>
"[i]Die Lage ist dramatisch[/i]", sagte Martin Hüfner, Chefvolkswirt der HypoVereinsbank. Die Wachstumsverluste werden das Staatsdefizit weiter in die Höhe treiben. Faustformeln zufolge steigt die Defizitquote gemessen am Bruttoinlandsprodukt um einen halben Prozentpunkt, wenn das Wachstum um ein Prozent nachlässt. Selbst Defizitwerte von mehr als vier Prozent gelten jetzt als möglich - statt der im Stabilitätspakt fixierten maximal drei Prozent.
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<font color=red>An der Grafik zu den Staatsschulden der Kapitalnationen wird sichtbar: Die „Verteilungsspielräume“, mit denen man große Teile der lohnabhängigen Bevölkerung „ruhig stellen“ kann, sind weg. Damit ist auch die politische Basis weg für jede SPD-Regierung. Was politisch noch kommen kann ist nur noch das „Wechselspiel“ zwischen heimlicher großer Koalition der bürgerlichen Parteien und offener großer Koalition der bürgerlichen Parteien. Was noch kommen kann, ist eine Dauer-Notstandsregierung aller „staatstragenden“ Parteien gegen das Volk. Es kann also nicht viele Neues kommen. Aber die Lügenspielräume für diese Parteien werden eng.</font>
Dramatische Krise droht sich zu verstärken
Die Krise droht sich selbst zu verstärken."[i]Die konjunkturellen Probleme dauern mittlerweile zu lange, sodass ein neuer Aufschwung immer schwerer wird[/i]", sagte Gustav Horn, Konjunkturchef am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Der Grund: Firmen und Verbraucher passen ihre Erwartungen und Pläne immer mehr nach unten an, je länger der Aufschwung ausbleibt.
Laut Adolf Rosenstock von Nomura International entsteht durch die anhaltende Flaute eine gefährliche Mischung aus Nachfrageschwäche und geringerem Preisauftrieb. Das könne angesichts der ohnehin geringen Teuerung in Deutschland in eine Deflation münden, in der fallende Preise dazu führen, dass die Verbraucher in Erwartung sinkender Preise Anschaffungen aufschieben, was die Krise noch verstärkt. Dazu kommt: Bei fallenden Preisen steigen die realen Schulden von Firmen und Konsumenten.
<font color=red>Ist also die Krise an der Krise schuld? In jeder Wirtschaftskrise machen nicht nur Unternehmen bankrott, auch die Ã-konomen, die Ideologen des Kapitals sehen ihren Bankrott. Erst wird die Krise auf Teufel komm raus geleugnet. Wenn sie nicht länger geleugnet werden kann, dann werden die lächerlichsten Ursachen für die Krise genannt: Der Terrorismus, SARS - oder eben die Krise selber. Vertuscht werden soll, dass die Kapitalistenklasse die Wirtschaft in den Sand gefahren hat. Vertuscht werden soll, dass der entwickelte Kapitalismus sich neue Aufschwungphasen nur noch durch zerstörerische Bankrotte und zerstörerische Kriege erkaufen kann. Vertuscht werden soll, dass der Kapitalismus selber eine zerstörerische Produktionsweise ist.
„In den Weltmarktkrisen bringen es die Widersprüche und Gegensätze der bürgerlichen Produktion zum Eklat. Statt nun zu untersuchen, worin die widerstreitenden Elemente bestehen, die in der Katastrophe [i]eskalieren[/i], begnügen sich die Befürworter des Systems[i][/i] damit, die Katastrophe selbst zu leugnen und ihrer gesetzmäßigen Periodizität gegenüber darauf zu beharren, dass die Produktion, wenn sie sich nach den Schulbüchern richtete, es nie zur Krise bringen würde.“ K. Marx, Theorien über den Mehrwert II., MEW 26.2, 500f.</font>
Szenario noch abwendbar
Laut Horn könnten die Politiker ein solches Szenario noch abwenden:"Die Wirtschaft bräuchte jetzt einen großen Impuls, zum Beispiel durch eine weitere deutliche Senkung der Leitzinsen im Euro-Raum."
<font color=red>Wenn die Wirtschaft boomt, dann verlangen die Kapitalisten, dass sie vom Staat möglichst in Ruhe gelassen werden, dass sie ungestört ihre Profite einstreichen können. Wenn die Unternehmer erst den Wirtschaftskarren in den Dreck gefahren haben, dann sollen Regierungen und Politiker ihnen aus dem Dreck helfen. Der Staat und alle Regierungen sind aber durch die öffentliche Verschuldung selber in die Krise verstrickt und kann daher nichts zur Lösung beitragen.</font>
Es müsste laut Horn zudem eine europäisch koordinierte Aktion der Finanzpolitik geben, bei der zum Beispiel die Steuern gesenkt würden. Heikel wäre es den meisten Experten zufolge, wenn Berlin die jetzt konjunkturbedingt entstehenden Einnahmeausfälle durch höhere Steuern und Abgaben oder hektische Ausgabenkürzungen zu kompensieren versuchte."Die Bundesregierung muss auf jeden Fall die Staatsdefizite hinnehmen, sonst verschlimmert sie die Lage nur", sagte Rüdiger Pohl, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle.
<font color=red>Die Regierung kann also die Lage höchstens „verschlimmern“, etwas positiv erreichen kann sie nicht.</font>
Auf Anhieb wird laut Rosenstock die Agenda 2010 kaum helfen, weil sie erst langfristig wirke und auf kurze Sicht sogar die Nachfrage belasten könne. Laut Pohl kommt es jetzt auf eine vernünftige Mischung aus Reformen und Schonung der Konjunktur an."Wir sind so auf die Behebung der langfristigen Strukturprobleme fixiert, dass wir übersehen, dass die Konjunktur kurz vor dem Kollaps steht", sagte Rosenstock.“
<font color=red>Die Regierung ist tief verschuldet und soll noch mehr Schulden machen. Die Lohnarbeiter leiden unter gesunkenen Lohneinkommen und sollen noch weitere Einkommenseinbußen durch Erhöhung von Steuern und Abgaben und durch Senkung von Sozialleistungen hinnehmen.
„Wodurch überwindet die Bourgeoisie Krisen? Einerseits durch die erzwungene Vernichtung einer Masse von Produktivkräften; andererseits durch die Eroberung neuer Märkte und die gründlichere Ausbeutung der alten Märkte. Wodurch also? Dadurch, dass sie allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereitet und die Mittel, den Krisen vorzubeugen, vermindert.“ Karl Marx, Kommunistisches Manifest, MEW 4, 468.</font>
Normaltext ungekürzt aus: FTD, 16.5.2003
<font color=red>Roter Kommentar: Wal Buchenberg, 16.5.2003</font>
Karl Marx über kapitalistische Krisen[/b]
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