-->Geschäfte liefern sich eine Schlacht um Kunden mit Rabatten wie noch nie. Doch die Bürger sparen - aus Angst vor der Zukunft
von Jochen Kummer und Günther Lachmann
Die Szene spielte Anfang dieser Woche im Berliner Quelle-Technik-Center, Wilmersdorfer Straße."Sie haben doch so ein irres Smart-Angebot", erkundigte sich ein Kunde."Wie viel kostet der Wagen denn?" Der Verkäufer:"1990 Euro." Der Listenpreis liegt bei 12 140 Euro. Bei Quelle kostet er weniger als ein Sechstel! Der Verkäufer setzt noch eins drauf:"Bei uns ist im Preis eine Fertiggarage, Vollkasko-Versicherung für ein Jahr und eine Tankfüllung enthalten. Sie müssen sich aber beeilen: Diesen Freitag, 16. Mai, läuft die Bestellfrist ab." Kunde:"Und wie wird der Smart ausgeliefert?" Verkäufer:"Über die Post-Tochter DHL."
Der Smart ist das derzeit verrückteste Angebot in der Schlacht um Kunden und Preise, Umsatz und Marktanteile in Deutschland. Diese Schlacht hat Formen und Ausmaße angenommen, dass der Handel selbst die Lage konsterniert so beschreibt: Die Republik wird verramscht.
Der Wermutstropfen bei Quelle: Es sind nur 50 Smart im Angebot. Über zwei Millionen Bestellungen aber sind eingegangen, davon 70 Prozent übers Internet. Am 27. Mai soll in Nürnberg unter den Bestellern deshalb ausgelost werden, wer einen bekommt.
Die Sorge unter den aufgebrachten Autohändlern, die sich ausgebootet fühlen: Wird es Anschlussangebote geben? Voriges Jahr war das bei Fahrrädern so. Quelle bot damals 1000 Bikes an und schreckte die Branche auf. Preis: 49,90 Euro (normalerweise 499 Euro). 1,65 Millionen bestellten das Rad, aber nur 1000 Bikes wurden - wie angekündigt - zu 49,90 Euro ausgeliefert. Doch damit war die Preisschlacht nicht zu Ende. Es folgte ein Anschlussangebot. Alle leer ausgegangenen Besteller erhielten einen Gutschein: Sie konnten das gleiche Fahrrad jetzt für 299 Euro kaufen, immerhin noch 200 Euro unter Normalpreis. Zigtausende griffen zu.
Zwei Epidemien gleichzeitig scheinen in Deutschland ausgebrochen zu sein. Die eine ist eine Art Magersucht: sparen, sparen, sparen. Von"Angstsparen" spricht Gustav Horn, Konjunkturforscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Angst um den Job, vor Terroranschlägen und der Welle immer neuer unausgegorener Reformvorschläge. Früher wurde schon Kindern die Lebensregel eingebläut:"Spare in der Zeit, so hast du in der Not." Das kam aus der Mode, das Wort"Notgroschen" wurde belächelt. Stattdessen wurde auf Pump gelebt.
Und nun: Welche Kehrtwende."Die Sparquote ist in den letzten Quartalen signifikant auf 10,5 Prozent gestiegen", sagt Horn. Der Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes, Ernst Fischer, betont:"Dieses Geld steht für den unmittelbaren Konsum nicht mehr zur Verfügung." Fischer ist darauf gefasst, dass einzelne Hoteliers kurzfristig Lockangebote machen: ein Euro pro Übernachtung.
Unbegründet ist die Angst der Deutschen nicht angesichts 4,5 Millionen Arbeitsloser. Über dem Land kreist der Pleitegeier. 100 000 Insolvenzen erwartet der Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen dieses Jahr - mehr als je zuvor. Sein Präsident Dieter Plambeck schätzt 40 000 bankrotte Unternehmen und 60 000 zahlungsunfähige Privatpersonen.
Die andere Epidemie ist eine Art Rausch: billig, billig, billig - wenn überhaupt gekauft wird. Ob Frankfurt, München, Dresden, Braunschweig oder Rostock - durch welche von Leerständen gezeichnete Fußgängerzone man schlendert, an den Schaufenstern kleben Plakate:"Sonderangebote","Preishit","Sale","Outlet","Räumungsverkauf - alles muss raus" oder einfach" Prozent". Die Yves-Rocher-Kette wirbt im Schaufenster am Tauentzien in Berlin mit"200 Schönheitsprodukte - 50 Prozent". Drospa am Ku'damm mit:"Wir haben 2000 Artikel dauerhaft gesenkt." Von Aldi und Lidl, den Dauer-Discountern in den Nebenstraßen, gar nicht zu reden, wo der Kunde obendrein an angekündigten Tagen günstige und gute PC-Angebote abpasst.
Die Drogerie-Kette Rossmann lockt mit einem rot-gelben Plakat:"Preis-Skandal 0,01 Euro Farbbild 9x13." Das muss man sich vorstellen: ein Farbfoto 9x13 kostet nur ein Cent. Deckt das überhaupt die Kosten?
Deutschland im Taumel der Schleuderpreise."Die Menschen wollen sich beim Kauf clever fühlen", sagt Dirk Ziems, Diplom-Psychologe und Geschäftsführer des Marksforschungsinstituts IFM. Die Saturn-Kette ließ sich einen blöd-genialen Spruch einfallen:"Geiz ist geil." Der schwedische Wohn-Discounter Ikea wirbt mit einem genial-blöden Spruch:"Wohnst du noch oder lebst du schon?"
Kaufhäuser, Versandhäuser Einzelhandelsgeschäfte, alle spielen das Spiel mit. Der Kaufhof heizte diese Woche den Trend weiter an:"Spartage mit tollen Rabatten und attraktiver Gratiszugabe. Beim Kauf ab 100,- in der Technik-Abteilung erhalten Sie einen BP/Aral-Tankgutschein im Wert von 2 x 5,-!" Home-Cinema-Anlage DVA 2002 mit dem gestrichenen Preis 499 und dem Sparpreis 222:"Sie sparen 277." Möbelpreise werden reduziert, als verscherbele man Sperrmüll. Karstadt & Schaulandt werben mit"Extremer Sound - extrem reduziert": Sharp Hi-Fi-Minisystem von 1500 Euro auf sage und schreibe 449 heruntergesetzt.
Beim Reisen heißt das Virus Last Minute. Inzwischen buchen 60 Prozent der TUI-Urlauber erst kurz vor Reiseantritt. In der Sorge, vielleicht nicht die Kontingente der Hotelbetten füllen zu können, gründete TUI jetzt aus blanker Verzweiflung die Marke"Discount Travel". Im Kerngeschäft Touristik sank bei TUI der Umsatz um 37 Prozent.
Konkurrent FlyLoco.de, eine Marke der L'TUR Tourismus AG, bietet diese Woche unter anderem an: Mallorca ab 199 Euro Flug hin & zurück, inkl. 7 Nächte ÜF Hotel p. P./DZ, Steuern und Gebühren. Die deutsche British Airways wirbt in Mai-grüner Farbe:"10 Prozent Extra-Rabatt im Mai." Lufthansa setzt nach:"Früh online buchen und günstig für 92 Euro fliegen." Kalkül der Fluglinien: Lieber billig die Plätze füllen als leer fliegen. Als unterbelichtet gilt, wer einen Normalpreis zahlt.
In diesem Ramschklima feiern die aus der Nachkriegszeit bekannten Rabattmarken eine Comeback-Orgie - als Kundenkarten aus Plastik. HappyDigits heißen sie beispielsweise bei Karstadt, Real-Club bei Real.
Die Hamburgerin Margarete Glastetter macht ihren Wochenkauf bei Real und legt jedes Mal ihre Karte vor. Damit sammelt sie Punkte. Ende 2002 hatte sie 2318 zusammen. Da wurden ihr Prämien angeboten. Glastetter entschied sich für eine Batterie-Zahnbürste Marke Braun D 4510. Die kostet im Laden 14,95 Euro. Real verschenkt sie als eine ihrer Prämien.
Rechnet sich das?"Im Wettbewerb um Marktanteile sind die Unternehmen bereit, bis an die Schmerzgrenze zu gehen", sagt der Präsident des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels, Hermann Franzen. Das ist noch vorsichtig formuliert.
Speziell für den Versandhandel ist der permanente Preisrutsch ein Riesenproblem geworden. Heute ein Katalog, in zwei Wochen schon Makulatur: Dann ist alles bereits billiger.
"Der Handel ist Täter und Opfer zugleich", sagt Michael Grömmling, Konjunktur-Experte beim Institut der deutschen Wirtschaft in Köln."Er hat versucht, sich Marktanteile zu erkaufen. So schuf er eine Erwartungshaltung bei den Verbrauchern, die es ihm schwer macht, das Ruder wieder herumzureißen."
Die wenigsten Manager geben preis, was ihnen wirklich in diesen Tagen durch den Kopf geht. Ein hochrangiger Insider eines Handelsgiganten schilderte dieser Zeitung, was in den Chefetagen tatsächlich gedacht wird."So kann es nicht weitergehen", sagt er."Von irgendetwas müssen wir ja existieren." Die Gewinnspannen im Einzelhandel sind auf ein bis drei Prozent geschrumpft. Im Lebensmittel-Einzelhandel sind es sogar nur zwischen null und 1,5 Prozent. Die Folge sei eine immer stärkere Konzentration."Und ein permanenter Ausverkauf wie in den USA." Keiner nehme mehr Rücksicht: Aldi nicht auf Lidl, Otto nicht auf Quelle.
Die Sache mit den Kundenkarten sei eingeführt worden, um Kundentreue zu schaffen, sagt der Manager."Das ist schief gegangen, weil es inzwischen eine Karteninflation gibt. Kundenkarten sind jetzt nichts anderes mehr als Rabattmarken. Es gibt keine Bindung mehr." Das Kundenverhalten habe sich geändert: Der Kunde kaufe nicht mehr auf Vorrat, sondern spontan mit Rabatt. Kein Unternehmen könne inzwischen ohne Rabattgeben existieren. Also müsse es vorher den Preis höher kalkulieren:"Sieben, acht Prozent vorher draufschlagen, das merkt der Kunde nicht. Und darauf werden dann die Rabatte in Form von Prämien gewährt."
"Die Firmen sind selbst schuld, weil jeder mitmacht", betont der Insider."Man kauft einen Hamburger - und bekommt einen zweiten gratis dazu." Es sei ein Teufelskreis:"Je preiswerter die Waren, desto mehr Teile müssen verkauft werden, um den Umsatz mindestens zu halten. Aber brauchen Sie zehn T-Shirts?" Beständige Mode gebe es auch nicht mehr. H & M habe die Branche mit permanent neuen modischen Angeboten aufgemischt. Seine Einschätzung:"Es ist wahr: Deutschland wird zurzeit verramscht. Das hat gewaltige volkswirtschaftliche Folgen. Je weniger Umsatz in Euro, desto weniger Mehrwertsteuer, desto schlechter geht es dem Staat - und damit den Bürgern. So einfach ist das."
Die Autofirma Skoda ("Luxus fahren") scheint mit ihren riesigen Plakatwänden das Lebensgefühl mancher Deutscher in ihrem Katzenjammer zu treffen:"Bei Aldi Schampus kaufen und Skoda Superb fahren. Perfekt!" Für Deutschland aber dürfte diese"perfekte" Lebenseinstellung nur eins beschleunigen: Den weiteren Abstieg in die unteren Regionen Europas.
<ul> ~ zum Ramschlanden</ul>
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