--> Berlin, 19. Mai (Reuters) - Bundespräsident Johannes Rau hat
vor dem Hintergrund des Irak-Kriegs vor der Gewöhnung an den
Krieg als Instrument der internationalen Politik gewarnt.
In seiner"Berliner Rede" zu Grundsatzfragen der deutschen
Auß enpolitik bekannte sich Rau laut Redetext am Montag dazu, in
bestimmten Situationen Gewalt als letztes Mittel einzusetzen.
"Ich sehe allerdings die Gefahr, dass wir von 'ultima ratio'
reden, dass in Wirklichkeit aber ein Gewöhnungsprozess einsetzt,
an dessen Ende militärische Intervention und Krieg ein
Instrument unter vielen ist", fügte er hinzu. Rau warb für den
Vorrang ziviler Mittel zur Konfliktlösung und für eine größere
außenpolitische Rolle Deutschlands. Dazu müsse aber eine
breitere gesellschaftliche Debatte über die Folgen eines
größeren internationalen Engagements geführt werden.
"DEUTSCHLAND MUSS SICH ÜBER EIGENE ROLLE KLARWERDEN
Das Staatsoberhaupt wies auf die drängenden Fragen hin, die
viele Menschen in Deutschland nach den Anschlägen vom 11.
September 2001 und in der Irak-Krise auf die Straße gebracht
hätten. Dabei sei es ihnen um die Folgen der internationalen
Umbrüche in der Weltpolitik, aber auch für Deutschlands Rolle
gegangen.
Rau forderte, Europa mü sse mehr Verantwortung in der
internationalen Politik übernehmen und dazu stärker gemeinsam
auftreten:"Überall da, wo die Europäer sich darauf verständigt
haben, gemeinschaftlich zu handeln - in Wettbewerbsfragen, bei
der gemeinsamen Währung, im Handel - sind wir ein starker Faktor
und eine Macht, mit der jeder auf der Welt gerne und gut
zusammenarbeiten möchte."
Deutschland müsse sich darüber klar werden, was die
internationalen Umbrüche und eine größere Verantwortung für sich
selbst bedeuteten:"Wir müssen (...) darüber nachdenken, was es
für Deutschland bedeutet, wenn Europa größere Verantwortung in
der Welt übernehmen soll. Welche Folgen hat das für unsere
eigenen sicherheitspolitischen Anstrengungen?" Konkret forderte
Rau eine breite gesellschaftliche Debatte über die Frage, wie
die Bundeswehr der Zukunft aussehen solle.
"VÃ-LKERRECHT MUSS WEITERENTWICKELT WERDEN"
Wie in Deutschland sei in der internationalen Politik eine
Verständigung über die Folgen der weltpolitischen Umbrüche
erforderlich, sagte Rau weiter. Er forderte dazu eine
entscheidende Rolle für die Vereinten Nationen (UNO)."Die
Vereinten Nationen und ihre Organisationen müssen in Zukunft das
wichtigste globale Instrument multilateraler Politik sein -
trotz aller Fehlschläge der Vergangenheit", sagte er.
Die Umbrüche der jüngsten Zeit machten auch eine
Weiterentwicklung des Völkerrechts erforderlich, etwa da, wo es
Diktatoren schütze, sagte Rau. Ohne den Irak-Krieg zu nennen,
schränkte er zugleich ein:"Bei allen Reformüberlegungen muss
aber gelten, dass auch in Zukunft kein Staat für sich das Recht
auf Intervention beanspruchen kann."
"EUROPÄER VERSTEHEN US-REAKTION AUF ANSCHLÄGE NICHT"
Mit Blick auf den transatlantischen Konflikt über den Irak
kritisierte Rau den Tonfall der Debatte:"Mich hat an vielen
Stellungnahmen und an vielen öffentlichen Äußerungen die
Wortwahl, die Tonlage und eine falsche, überzogene
Personalisierung gestört." Ihm erscheine dies als ein Zeichen
mangelnder Ernsthaftigkeit, die der Bedeutung der Beziehungen
nicht gerecht werde. Es müssten bessere Wege gefunden werden,
die legitimen Meinungsverschiedenheiten auszutragen:"Das muss
man miteinander besprechen, ohne dem anderen von vornherein
Moral abzusprechen oder das Recht, Probleme anders zu sehen und
anders zu bewerten."
Rau mahnte von Europa mehr Verständnis für die
amerikanischen Reaktionen auf die Anschläge vom 11. September
an:"Wir Deutsche und Europä er machen uns vielleicht zu wenig
klar, wie sehr der 11. September 2001 ein Land bis ins Mark
getroffen haben muss, das sich unverwundbar glaubte."
kra/tin
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