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28.06.2003
Ausland
Rainer Rupp
Unkalkulierbare Kriegsfolgen
Irak: Kein Strom, kein Wasser, mehrere Angriffe auf Pipelines und US-Besatzer
Während sich militärische Angriffe auf die anglo-amerikanischen Besatzungstruppen des Irak häufen, wächst in Bagdad die antiamerikanische Stimmung in Folge von Mangelsituationen, die den Alltag schwer belasten. So ist seit Tagen die Stromversorgung unterbrochen, so daß bei Temperaturen von 45 Grad keinerlei Kühlungsapparaturen arbeiten.
Auch das Wassernetz der Fünf-Millionen-Stadt funktioniert zum wiederholten Male nicht. Die Besatzungsbehörden begründeten die Lage mit Anschlägen von irakischen Widerstandsgruppen, derweil große Teile der Bevölkerung in den Besatzern die Schuldigen sehen.
Nun teilte am Freitag ein US-Armeesprecher mit, daß nach der mutmaßlichen Entführung zweier US-Soldaten drei verdächtige Iraker festgenommen worden seien. Die GIs seien zuletzt als Wachposten in der Nähe von Balad nördlich von Bagdad eingesetzt gewesen. US-Major Robert Twinner sagte, das gepanzerte Fahrzeug der beiden Soldaten vom Typ Humvee sei in Bagdad entdeckt worden. Ebenfalls am Freitag berichtete Major Rick Hall, daß am Abend zuvor bei einem Angriff auf eine US-irakische Patrouille südlich von Bagdad ein US-Soldat getötet worden sei. Neun weitere Soldaten seien bei dem Feuerüberfall am Donnerstag abend in Kufa nahe der heiligen Schiitenstadt Nadschaf verletzt worden. Die genauen Umstände des Angriffs würden noch untersucht. Ein solcher Vorfall in der Region zwischen Nadschaf und Kufa sei sehr »ungewöhnlich«, da die Lage dort normalerweise ruhig sei, sagte Hall. Die US-Soldaten waren gemeinsam mit irakischen Polizisten auf Patrouille. Am Morgen waren bereits bei einer Attacke mit Gewehrgranaten auf einen US-amerikanischen Fahrzeugkonvoi in der Nähe des Flughafens von Bagdad eine nicht genannte Zahl von US-Soldaten und ihre zivilen irakischen Helfer verletzt und ein Iraker getötet worden. Etwas später kam ein Tieflader der US-Armee südlich von Bagdad unter Beschuß, bei dem zwei US-Soldaten verwundet wurden.
In der Nacht zum Freitag griffen Unbekannte mit einer Rakete das Hauptquartier der US-Armee in der Stadt Falludscha an, wie Augenzeugen berichteten. Dabei sei eine Panzerabwehrrakete auf das Gebäude gefeuert worden. Die Soldaten hätten zurückgeschossen. Den Angaben zufolge suchten US-Soldaten die Gegend anschließend nach den Angreifern ab; Hubschrauber kreisten fast zwei Stunden lang über dem Gebiet. Über mögliche Verletzte gab es keine Angaben. Kurz vor dem Angriff hatten Soldaten die Hauptverkehrsstraße von Falludscha abgeriegelt und die Stadt mit Patrouillen durchkämmt. In der 50 Kilometer westlich von Bagdad gelegenen Sunniten-Stadt kommt es seit Wochen fast täglich zu Zusammenstößen zwischen Irakern und US-Besatzern.
Einem Bericht der Londoner Zeitung Financial Times zufolge entsandte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld zur »Überprüfung der Besatzungspolitik« in Irak unabhängige Experten nach Bagdad. Die fünfköpfige Delegation soll die zunehmend umstrittene Strategie von US-Zivilverwalter Paul Bremer bewerten. Zudem soll in der kommenden Woche eine Gruppe von US-Senatoren der Ausschüsse für Geheimdienst- und Militärangelegenheiten die Situation in Irak vor Ort erkunden. Sie wollen sich hauptsächlich über »Sicherheitsfragen« sowie über die unendliche Geschichte der Suche nach dem offiziellen Kriegsgrund in Gestalt irakischer Massenvernichtungswaffen informieren.
Bereits am Donnerstag war erneut eine wichtige Ã-lpipeline vom irakischen Widerstand in die Luft gejagt worden. Es war der sechste Anschlag dieser Art in zwei Wochen. Wenig später warnte der von den USA eingesetzte irakische »Ã-lminister« Thamir Ghadhban bei einer Pressekonferenz, daß die ständigen »Sabotageakte« einen Strich durch die Ã-lexportpläne der US-Verwaltung machen könnten. Mit den Erlösen aus den Ã-lexporten sollen hauptsächlich US-amerikanische Firmen für den »Wiederaufbau« des Iraks bezahlt werden. Fehlendes Ã-l würde den Aufbau gefährden, was langfristig die Sicherheitslage im Irak nur noch verschlechtern und damit auch privaten US-Investitionen entgegen wirken würde. In diesem Fall wäre absehbar, daß die Bush-Administration den US-Kongreß um die Bewilligung zusätzlicher Gelder zum Unterhalt und zur Stabilisierung des Irak bitten müßte, was für den Präsidenten in einem Wahljahr nicht günstig wäre.
Nach Angaben von Ã-lminister Ghadhban liegt die derzeitige irakische Ã-lproduktion mit 900000 bpd (barrels per day) bei weniger als einem Drittel der Vorkriegsproduktion. Bis Jahresende sollen zwei Millionen bpd erreicht werden. Bei Ã-lexperten an den Finanzmärkten stoßen die offiziellen Pläne der US-Besatzungsbehörden auf wachsende Skepsis. Ã-lanalyst Paul Horsnell vom Finanzhändler JP Morgan glaubt nicht mehr daran, daß Irak »während der sicher noch langen Besatzungszeit seine Vorkriegsproduktion wieder erreichen wird«.
Damit wären die Bush-Pläne, wonach Irak den amerikanisch geleiteten Wiederaufbau mit einheimischem Ã-l selbst finanziert, durchkreuzt. Die finanziellen und militärischen
Kriegsfolgen könnten für die US-Regierung zu einer schweren Belastungsprobe werden.
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