-->Moskauer Liebesgrüsse an Chelsea
Russischer Ã-lmilliardär neuer Besitzer in Stamford Bridge
mpm. London, 2. Juli
Den Fans des traditionellen Chelsea FC ist am Mittwochmorgen der Schreck in die Glieder gefahren. In Gedanken schon in der Champions League, in deren dritte Qualifikationsrunde die Blues Mitte August eingreifen, erhielten sie Kunde vom Verkauf des Londoner Klubs an den Russen Roman Abramowitsch. Der Ã-lmagnat hat von Ken Bates, dem Chairman und Besitzer, für rund 30 Millionen Pfund (66,9 Millionen Franken) die Aktienmehrheit am Holdingunternehmen Chelsea Village (etwas über 50 Prozent) erworben. Zudem muss Abramowitsch die Schulden von rund 80 Millionen Pfund decken, was den Gesamtbetrag des Geschäfts auf rund 140 Millionen Pfund treibt. Damit handelt es sich um die grösste Übernahme im britischen Fussball. Eine entsprechende Einigung hatten Bates und der 36-jährige Duma-Abgeordnete am Dienstagabend erzielt.
Die Londoner Börse reagierte mit dem erwarteten Kursanstieg, eröffnet doch die Finanzkraft des neuen Besitzers bessere Perspektiven für den hoch verschuldeten Verein. Abramowitsch hatte 35 Pence für das Papier von Chelsea Village bezahlt (gesamthaft 59,3 Millionen Pfund), darauf rückte die Aktie am Alternative Investment Market auf denselben Wert bei vergleichsweise gewaltigem Volumina (1,25 Millionen Papiere) vor und verbesserte sich um 25 Prozent. Ob die Fans mit diesen Liebesgrüssen aus Moskau allerdings etwas anzufangen verstehen, steht auf einem anderen Blatt. Ob es sich um die Verpflichtung eines neuen Mittelfeldspielers handele, fragte beispielsweise ein skeptischer Anhänger der Blues, der vor dem Stadion Stamford Bridge von einem Reporter der BBC interviewt wurde.
Einer der prominentesten Chelsea-Fans ist gar nicht glücklich. Er möchte wissen, ob Abramowitsch der geeignete Mann sei, den Klub zu übernehmen, sagte der Labour-Abgeordnete Tony Banks. Vielleicht war der frühere Sportminister schon informiert darüber, dass 1992 eine Untersuchung gegen den früheren Angehörigen der russischen Armee wegen des Verschwindens von 55 Güterwagen voll Dieseltreibstoff eingeleitet (und später ergebnislos eingestellt) worden war.
Ken Bates, der Chairman bleiben wird, hatte 1982 den Klub für die symbolische Summe von einem Pfund übernommen. Nach wie vor halten sich die wirrsten Gerüchte darüber, woher er das Geld nahm, um die Schulden der damals vom Bankrott bedrohten «Blues» nach seiner Übernahme zu decken.
Bates ist zwar einflussreich, hat aber einige Rückschläge (mit dem Wembley-Bau) hinnehmen müssen. Er gilt als ziemlicher Rüpel, was Funktionäre des englischen Fussballverbands ebenso bestätigen werden wie zahlreiche Journalisten.
Chelsea FC ist allerdings nur ein Teil des umfangreichen Portfolios von Chelsea Village - weiter gehören zum Unternehmen noch ein Hotel, Restaurants, Nightclubs, Reisebüros und Immobiliengeschäfte.
Roman Abramowitsch - vom Schweisser zum Milliardär
pfi. Moskau, 2. Juli
Seit Präsident Wladimir Putin in Russland das Zepter übernommen hat und einige bestandenere Oligarchen in die Bedeutungslosigkeit oder zumindest aus dem Land drängte, gilt der heute 36-jährige Roman Abramowitsch als einer der einflussreichsten Geschäftsmänner Russlands. Gleichzeitig ist er auch einer der geheimnisvollsten und widersprüchlichsten. Am 24. Oktober 1967 in der russischen Saratow-Provinz geboren, wurde er mit vier Jahren zum Vollwaisen und wuchs unter nicht näher geklärten Umständen bei Verwandten auf.
Wenig gebildet, fristete er nach eigenen Angaben als Schweisser ein kärgliches Dasein, bevor er noch zu Sowjetzeiten 1989 ein eigenes Unternehmen gründete. Die «Ujut» (zu Deutsch «Gemütlich») genannte Gesellschaft beschäftigte sich zumindest offiziell mit der Herstellung von Spielzeug für Kinder. Einige der Mitstreiter aus diesen Zeiten begleiten Abramowitsch bis heute. Auf die Spielzeugherstellung folgte die Handelsgesellschaft AWK, in der Abramowitsch mit Rohstoffen handelte. Dabei machte er mit einigen der Familie des ehemaligen Präsidenten Jelzin nahestehenden Geschäftsleuten nähere Bekanntschaft, darunter seinem zeitweiligen Mentor Boris Beresowski, der, von Putin aus dem Land getrieben, heute in London lebt.
Wahrscheinlich dürfte es damit zusammenhängen, dass Abramowitsch 1996 als Moskauer Geschäftsführer der in der Schweiz registrierten Handelsfirma Runicom firmierte. Runicom war zeitweise der wichtigste Händler von Russlands fünftgrösster Erdölfirma Sibneft und hielt an dieser 12,2 Prozent. Sibneft wurde von der staatlichen Erdölfirma Rosneft abgespalten und geriet unter zweifelhaften Umständen über sogenannte Kredite-gegen-Aktien-Geschäfte äusserst günstig unter die Kontrolle von Beresowski und Abramowitsch. Der Konzern, an dem Beresowski offiziell inzwischen nicht mehr beteiligt ist, gilt heute als einer der westlichsten und modernsten Russlands. Mit den Sibneft-Petrodollars hat Abramowitsch, der zusammen mit Mitstreitern über die Finanzgesellschaft Millhouse Capital operiert, inzwischen sein Imperium deutlich ausgeweitet. Millhouse hält die Hälfte am weltweit zweitgrössten Aluminium-Produzenten Rusal, massgebliche Beteiligungen in Russlands Autoindustrie, der Nahrungsmittelindustrie und dem Flugunternehmen Aeroflot. Die Zeitschrift «Forbes» hält Abramowitsch für den zweitreichsten Mann Russlands und 49. der Welt. Sie schätzt sein Vermögen auf 5,7 Milliarden Dollar.
Dass Abramowitsch plötzlich einen Fussballklub kauft, kommt nicht völlig überraschend. Der äusserst öffentlichkeitsscheue und in seinen sehr seltenen Auftritten unprätentiös und einsilbig wirkende Geschäftsmann, von dem es heisst, sein Handschlag gelte mehr als ausgeklügelte Verträge, scheint geradezu spielerische Freude daran zu haben, sein Geld spontan für «gute Zwecke» auszugeben. Im Jahr 2000 liess er sich zum Gouverneur der Alaska gegenüber liegenden, völlig verarmten und wirtschaftlich wenig interessanten Provinz Tschukotka wählen. Dazu entschloss er sich dem Vernehmen nach unter anderem deshalb, weil der amtierende Vorgänger seine Pläne sabotierte, Tausende von Kindern aus der eisigen Provinz auf Abramowitschs Kosten zu Ferien ans Schwarze Meer auszufliegen. Seither gilt der nicht unumstrittene Oligarch, der überraschend viel Zeit in seiner unwirtlichen Provinz verbringt, auf Tschukotka als Geschenk Gottes. Dem Versuch, der einheimischen Bevölkerung zu einer dauerhaften Lebensgrundlage und Infrastruktur zu verhelfen, dürfte er bereits über 100 Millionen Dollar seines Privatvermögens gewidmet haben. Doch heisst es, Abramowitsch sei in letzter Zeit seines aufreibenden Hobbys müde geworden. Da kann zum Zeitvertreib ein Fussballklub (neben einem Eishockeyklub) sicher nichts schaden.
<ul> ~ aus NZZ</ul>
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