-->Hartz-reform
<font size=5>"Eine tickende Bombe"</font>
Tausende Ich-AGs und 1,6 Millionen neue Minijobs - ein Erfolg. Das Job-Problem lösen sie aber nicht
Von Kolja Rudzio
<font color="#FF0000">Franziska Korb hat sich ihre Selbstständigkeit einfacher vorgestellt</font>. Unter dem Slogan „Wir versorgen Haus und Garten, auch wenn Sie in den Urlaub starten“ bietet sie seit Februar in Gehrden bei Hannover allerlei Dienstleistungen rund ums Haus an. <font color="#FF0000">Doch das Geschäft läuft schlecht</font>. Wenn sie ein Heim hütet, Blumen gießt oder den Hund ausführt, kommt sie oft nur auf einen Stundensatz von 10 Euro - kalkuliert hatte sie ursprünglich 16. Ihr Angebot, Handwerkern die Tür zu öffnen, hat erst ein Kunde in Anspruch genommen, auch das mobile Reisebüro läuft bisher nicht, <font color="#FF0000">und ihren Einkaufsservice wollte überhaupt noch niemand nutzen</font>. Ohne Nebenjobs - die gelernte Reiseverkehrskauffrau arbeitet ab und an als Hilfskraft in einer Siebdruckerei oder putzt Gebrauchtwagen - käme sie nicht über die Runden.
Burkhard Treiber hat sich seine Selbstständigkeit schwieriger vorgestellt. Er arbeitet seit Februar als Schachtrainer in Hannover. Seither bietet er Kurse in Kulturzentren an und privaten Einzelunterricht, trainiert Anfänger und Profis. Anfangs rechnete der Sozialpädagoge mit einem Stundenhonorar von 18 Euro - jetzt kommt er im Schnitt auf 24. Und dabei hat er das Potenzial seines Mini-Unternehmens (Slogan: „Denken macht Spaß“) längst nicht ausgeschöpft: In diesen Tagen gibt er den ersten Kurs an einer Grundschule, als Nächstes will er an die Volkshochschule herantreten und an teure Seniorenresidenzen.
<font color="#FF0000">Zwei von bundesweit 43000 Arbeitslosen, die seit Jahresanfang eine Ich-AG gegründet haben</font>. Sprachexperten kürten die Ich-AG im vergangenen Jahr zum Unwort des Jahres, doch bei den Arbeitsämtern ist das neue Konzept ein Renner. Kaum ein Instrument, das die Hartz-Kommission im vergangenen Jahr ersann, ist so gefragt. Nur die so genannten Minijobs erfreuen sich ähnlich großer Beliebtheit - mit ihrer Einführung ist die Zahl der geringfügig Beschäftigten <font color="#FF0000">sprunghaft um 1,6 Millionen gestiegen</font>. Schon feiert die Bundesregierung beide Instrumente als Erfolg. Doch das könnte verfrüht sein, besonders für die Ich-AG gilt: Die nackten Zahlen sagen wenig aus.
<font color="#FF0000">„Da tickt eine Zeitbombe“</font>, warnt Thomas Bruhn von der Gründerwerkstatt in Hannover. Bald, so fürchtet der Unternehmensberater, <font color="#FF0000">werden viele der heute umjubelten Ich-Gründer wieder beim Arbeitsamt auf der Matte stehen</font>. Nach seiner Erfahrung beantragen manche Arbeitslose den Gründerzuschuss nur, „um von lästigen Vorstellungsgesprächen verschont zu werden“. Andere, die eine geringe Arbeitslosenhilfe erhielten, bekämen bei 600 Euro monatlicher Förderung einfach „leuchtende Augen“ und hätten <font color="#FF0000">naive Vorstellungen von einer Existenzgründung</font>. <font color="#FF0000">Die wollten sich dann mit Entrümpelungen selbstständig machen, mit irgendeiner unausgegorenen Im- und Export-Idee oder dem neunundneunzigsten PC-Reparaturservice</font>.
Das Problem: Hinter dem schillernden Begriff der Ich-AG verbirgt sich keine ausgetüftelte Unternehmensform für den wettbewerbsfähigen Einmannbetrieb - es handelt sich vielmehr um ein niedrigschwelliges Angebot für den Schritt in die Selbstständigkeit. Die Ich-AG ist nichts anderes als ein <font color="#FF0000">monatlicher Zuschuss vom Arbeitsamt, den man praktisch ohne Auflagen erhält </font>- es genügt, auf einem Formular das richtige Kästchen anzukreuzen und ein Stichwort zum künftigen Geschäftsinhalt anzugeben. „Als ich das Antragsformular gesehen habe, konnte ich es gar nicht glauben“, erinnert sich Burkhard Treiber. „Das war lächerlich.“
Der Schachtrainer hatte - ebenso wie Franziska Korb - seine Existenzgründung schon im vergangenen Jahr monatelang vorbereitet, eine Gründerschulung besucht und einen ausführlichen Geschäftsplan erarbeitet. Das tat er in eigenem Interesse, aber auch, um den Anforderungen des Arbeitsamtes gerecht zu werden. Denn damals, vor dem 1. Januar, gab es als Gründerhilfe für Arbeitslose nur das so genannte Überbrückungsgeld - und das war an ein tragfähiges, von einem Steuerberater oder der IHK geprüftes Geschäftskonzept geknüpft. Diese Förderung wird immer noch angeboten, Burkhard Treiber und Franziska Korb entschieden sich nur deshalb für die inzwischen eingeführte Ich-AG, weil sie in ihrem Fall finanziell günstiger ist.
So existieren heute zwei verschiedene Hilfen nebeneinander, eine mit und eine ohne jede Hürde. Und oft heißt das auch: eine mit und eine ohne jede Beratung. Denn viele Arbeitsämter bieten zwar kostenlose Schulungen für Existenzgründer an, lassen aber nur die daran teilnehmen, die Überbrückungsgeld beantragen. Thomas Bruhn von der Gründerwerkstatt - die das Arbeitsamt mitbetreibt - nimmt in der Regel keine Ich-AGler auf. „Dafür sind unsere teuren Plätze einfach zu knapp“, sagt der Berater.
Das Überbrückungsgeld hat sich durchaus bewährt. Nach Studien des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg sind 70 Prozent der Empfänger auch drei Jahre später noch selbstständig, und nur jeder Zehnte landet wieder beim Arbeitsamt. Ob sich dieser Erfolg mit der Ich-AG fortsetzen lässt, bleibt fraglich. Hermann Scherl, Professor für Sozial- und Arbeitsmarktpolitik an der Universität Erlangen-Nürnberg, sieht bei der Ich-AG ein <font color="#FF0000">„höheres Risiko des Scheiterns“ und „problematische Mitnahmeeffekte“</font>. Nach seiner Auffassung hätte man das Überbrückungsgeld verbessern sollen - etwa durch längere Förderung. Die Ich-AG aber sei „eigentlich überflüssig“.
Auch die so genannten Minijobs sind, abgesehen von der Wortschöpfung, keine Erfindung der Hartz-Kommission. Mit ihnen wurden die alten 325-Euro-Jobs (früher „630-Mark-Gesetz“) neu geregelt. Wichtigste Änderungen: Die Grenze für geringfügige Beschäftigungen liegt nun bei 400 Euro, und jetzt ist ein solcher Job wieder sozialversicherungsfrei, wenn er neben einem Hauptberuf ausgeführt wird (womit die Bundesregierung ihre Reform von 1999 rückgängig macht). Außerdem gibt es besonders günstige Regeln für Jobs in privaten Haushalten.
Dass die Zahl der Kleinarbeitsplätze seit April stark gestiegen ist, dürfte zum Großteil schlicht an der höheren Einkommensgrenze liegen <font color="#FF0000">und daran, dass bestehende Nebenjobs umgewandelt werden</font>. Nach Schätzungen des IAB macht das allein 740000 „neuer“ Minijobs aus. Darüber hinaus könnten 900000 Liliput-Arbeitsplätze wirklich neu geschaffen worden sein. Das vermutet jedenfalls die Minijob-Zentrale der Bundesknappschaft. Verlässliche Zahlen gibt es erst im Oktober. Selbst dann dürfte aber kaum zu klären sein, <font color="#FF0000">wie viele dieser Jobs aus der Zerstückelung von Vollzeitstellen entstanden sind</font>.
„Große zusätzliche Beschäftigungseffekte“ seien nicht zu erwarten, schreibt das IAB in einer Analyse. Gewerkschafter, die die Entwicklung mit Skepsis betrachten, finden die Reform zumindest „eigenartig“, wie es in einem Papier des DGB-Vorstands heißt. Erst habe die Bundesregierung 1999 mit Genugtuung festgestellt, dass sie die geringfügige Beschäftigung eingedämmt habe, und nun jubele die gleiche Regierung darüber, dass dieser Sektor wieder wächst.
Auch bei den Jobs in privaten Haushalten geht es weniger um neue Arbeitsplätze als vielmehr um die Legalisierung bestehender Beschäftigung. Seit April ist die registrierte Zahl geringfügig beschäftigter Helfer im Haushalt von 27022 auf 33648 gestiegen. Angesichts von Schätzungen, die bis zu vier Millionen illegal schuftende Putzhilfen, Babysitter und Gärtner in hiesigen Privathaushalten vermuten, ist das sicher ein kleiner Erfolg im Kampf gegen die Schwarzarbeit. Aber ein Durchbruch ist es nicht.
(c) DIE ZEIT 21.08.2003 Nr.35
[b] Quelle: http://www.zeit.de/2003/35/Ich-AG
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