-->BERLIN UND NRW
<font size=5>Offenbarungseid zweier Länder</font>
<font color="#FF0000">Die Haushalte der Länder sprengen die Grenzen der Verfassung: In Nordrhein-Westfalen wurden die von Ministerpräsident Steinbrück aufgestellten Budgets der vergangenen zwei Jahre für verfassungswidrig erklärt. Berlin will die Pleite durch eine Klage in Karlsruhe abwenden</font>.
Münster/Berlin - <font color="#FF0000">Entgegen der gesetzlichen Bestimmungen habe die Höhe der Neuverschuldung in beiden Jahren über der der Investitionen gelegen, heißt es in einem Urteil des Verfassungsgerichtshofes in Münster</font>. Außerdem habe die Landesregierung gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen.
Um einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen zu können, habe der damalige Finanzminister und jetzige Ministerpräsident Peer Steinbrück Rücklagen verwendet, die aber mit Krediten finanziert worden seien, erklärte das Gericht. <font color="#FF0000">Damit habe Steinbrück die Kreditobergrenze der Landesverfassung umgehen wollen</font>. Die CDU-Opposition in Düsseldorf hatte das Gericht im Juni angerufen.
Direkte politische Auswirkungen hat das Urteil nicht. CDU-Fraktionschef Jürgen Rüttgers bezeichnete die Entscheidung aber als"schwere persönliche Niederlage" für Steinbrück. Das Verfahren war von der CDU-Opposition angestrengt worden.
<font color="#FF0000">Mit der Bildung von Rücklagen aus Krediten habe die rot-grüne Regierungskoalition den Kreditbedarf auf mehrere Jahre verteilt</font>, sagte Gerichtspräsident Michael Bertrams in seiner Urteilsbegründung. Damit sei die von der Verfassung gezogene Grenze ins Leere gelaufen. Zudem habe die <font color="#FF0000">Bildung von Rücklagen auf Pump gegen das Gebot der Wirtschaftlichkeit </font>verstoßen. Das Land habe für noch nicht benötigte Kredite Zinsen zahlen müssen. (Aktenzeichen: VerfGH 6/02)
Die SPD werde das Münsteraner Urteil bei den kommenden Haushaltsgesetzen strikt beachten, versprach der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Edgar Moron. Nach seiner Einschätzung ist das Urteil des Verfassungsgerichtshofes über die Grenzen Nordrhein-Westfalens hinaus von grundsätzlicher Bedeutung, da sich auch andere Bundesländer in ihrer jeweiligen Haushaltspraxis nicht verfassungskonform verhielten. Für die Beratungen des Etats für die Jahre 2004 und 2005 habe das Urteil aber keine Folgen.
Ähnlich wie im Bund und in anderen Bundesländern setzt die nordrhein-westfälische Landesverfassung dem Finanzminister beim Schuldenmachen enge Grenzen. Artikel 83 der Verfassung legt fest, dass die Kredite die im Haushaltsplan vorgesehenen Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten dürfen.
Im NRW-Haushalt 2001 waren Investitionen von umgerechnet 3,4 Milliarden Euro veranschlagt. Mit 3,2 Milliarden Euro lagen die neuen Kredite formal unter der Verfassungsgrenze. Gleichzeitig hatte der damalige Finanzminister Steinbrück zuvor aus Krediten gebildete Rücklagen in Höhe von 1,2 Milliarden Euro aufgelöst. Die Grenze wurde damit um rund eine Milliarde Euro überschritten. Auch beim Haushalt für das Jahr 2002 hatte Steinbrück zu dieser Praxis gegriffen. Der Finanzminister kann die Kreditgrenze nur überschreiten, wenn er die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts erklärt.
Berlin zieht vor das Verfassungsgericht
<font color="#FF0000">Berlin zieht wegen einer extremen Haushaltsnotlage hingegen vor das Bundesverfassungsgericht. Der Senat beschloss am Dienstag, eine Klage auf Finanzhilfe des Bundes in Karlsruhe einzureichen</font>, wie eine Sprecherin mitteilte. Finanzsenator Thilo Sarrazin <font color="#FF0000">hofft auf 35 Milliarden Euro zum Schuldenabbau, weil sich das Land nach eigener Einschätzung nicht mehr allein aus der Schuldenfalle befreien kann</font>.
Der Senat hatte bereits im November 2002 die Haushaltsnotlage erklärt und den Bund um Finanzhilfe gebeten - bisher allerdings ohne Erfolg. Verhandlungen mit der Bundesregierung über Sanierungszuschüsse scheiterten. Berlin hat derzeit fast 50 Milliarden Euro Schulden, die Pro-Kopf-Verschuldung beträgt das Doppelte des Durchschnitts aller Bundesländer.
Die Notlage ist nach Auffassung des Senats unverschuldet entstanden. Zu den Ursachen werden die ehemalige Teilung der Stadt, Altlasten im Wohnungsbau und ein Personalüberhang gezählt. Außerdem seien die Bundeshilfen zwischen 1991 und 1995 zu schnell abgebaut worden.
Der Senat rechnet damit, dass sich das Verfahren über mehrere Jahre hinzieht."Ein Urteil Anfang 2006 wäre denkbar", sagte Sarrazin laut dem"Tagesspiegel". Für die Verfassungsklage auf Finanzhilfe des Bundes gibt es einen Präzedenzfall: 1992 klagten Bremen und das Saarland erfolgreich in Karlsruhe wegen extremer Haushaltsnotlage.
[b] Quelle: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,263974,00.html, Spiegel Online, 09.09.2003
|