-->USA
<font size=5>Leeres Wachstum</font>
Selbst im Aufschwung finden amerikanische Arbeitslose keine Stellen. <font color="#FF0000">Dank neuer Technologie brauchen die Unternehmen weniger Menschen</font>
Von Thomas Fischermann
Als Joel Collamer seinen Job verlor, hat er sich erst einmal zu Hause in seinem Arbeitszimmer hingesetzt und seine Frau gefragt: âOkay, und was ist jetzt der nĂ€chste Schritt?â Nancy Collamer mĂŒsste es nĂ€mlich wissen. Sie ist Beraterin in Sachen Karriere und Lebensplanung, verbreitet ihre Tipps in Fernseh-Talkshows und BĂŒchern, ihr Leitfaden fĂŒr frisch Entlassene geriet zum Bestseller. Doch damals, im Juli 2001 konnte auch sie ihrem Mann nicht helfen. Der Technologie-Crash hatte Amerika in eine Rezession gestĂŒrzt, und zwei Monate spĂ€ter sollten die AnschlĂ€ge auf das World Trade Center die Krise noch verschlimmern. FĂŒr Joel, von Beruf Informationstechniker bei einer Unternehmensberatung, <font color="#FF0000">gab es erst mal keinen nĂ€chsten Schritt</font>. âDiese Rezession war besonders schwer zu verkraften fĂŒr solche BerufstĂ€tige, die sich im Technik-Boom der neunziger Jahre nie wirklich nach einem Job umsehen musstenâ, sagt Joels Ehefrau Nancy heute.
Sie hat Recht. So wenig Mut hat der amerikanische Arbeitsmarkt schon lange nicht mehr gemacht. Zum amerikanischen Tag der Arbeit am 1. September lag die Arbeitslosenquote bei 6,2 Prozent; zum offiziellen Rezessionsende im November 2001 hatte sie nur 5,6 Prozent betragen. Die amerikanische Jobmaschine, die zwischen 1995 und 2000 monatlich 241000 neue ArbeitsplĂ€tze schuf, <font color="#FF0000">hat seit dem MĂ€rz 2001 im Schnitt 93000 pro Monat abgebaut</font>. So hören die Amerikaner nun stĂ€ndig Geschichten wie die von Joel Collamer, der 40 Stunden pro Woche unter dem professionellen Rat seine Ehefrau nach Arbeit suchte - <font color="#FF0000">und Monat um Monat nur Absagen erhielt</font>. Oder die von John Sawicki aus Brooklyn, einem ehemaligen Produktmanager der Deutschen Bank, <font color="#FF0000">der bei seinem nĂ€chsten Arbeitgeber aus Verzweiflung fĂŒr umsonst anheuerte</font>.
Nun muss man die dĂŒstere Stimmung ein wenig relativieren. 6,2 Prozent Arbeitslosigkeit sind im internationalen Vergleich nicht viel, auch wenn man die ungewöhnliche ZĂ€hlweise der amerikanischen Behörden beachtet und noch mal ein bis zwei Prozentpunkte draufrechnet. Die Amerikaner empfinden ihre Arbeitslosigkeit vor allem deshalb als so hoch, weil sie auf der Spitze des New-Economy-Booms ein Rekordtief von 4 Prozent erreicht hatte. Und die anderen amerikanischen Wirtschaftsindikatoren sehen gut aus: Die Flaute gilt als ĂŒberwunden, im zweiten Quartal 2003 ist die amerikanische Ă-konomie schon wieder um - aufs Jahr hochgerechnet - 3,1 Prozent gewachsen. Ein krĂ€ftiges Wirtschaftswachstum ist <font color="#FF0000">traditionell </font>das beste Mittel gegen Arbeitslosigkeit.
Andererseits aber fĂŒhlen sich Kenner der amerikanischen Geschichte an die frĂŒhen neunziger Jahre erinnert. Auch damals, im MĂ€rz 1991, ging eine Rezession zu Ende, doch die Unternehmen entlieĂen noch monatelang weiter ArbeitskrĂ€fte. Es war die Phase des jobless growth, des Wirtschaftswachstums ohne wachsende BeschĂ€ftigung. Erst 1993 erreichten die BeschĂ€ftigtenzahlen wieder das Niveau von vor dem Konjunktureinbruch.
Millionen Amerikaner resignieren
Diesmal, melden die Statistiker, sieht es noch schlechter aus. <font color="#FF0000">Die Zahl der BeschĂ€ftigten fĂ€llt weiter, obwohl sie allmĂ€hlich steigen mĂŒsste</font>. âDer Arbeitsmarkt reagiert viel langsamer als ĂŒblichâ, warnt Mark Schweitzer, Ă-konom bei der Federal Reserve Bank of Cleveland.
Was ist passiert?
âIm Prinzip ist es ganz normal, dass die BeschĂ€ftigung zum Beginn einer Erholungsphase langsam ansteigtâ, sagt Willi Semmler, Ă-konom an der New School University in New York und an der UniversitĂ€t Bielefeld. Eine wirtschaftliche Expansion schafft nĂ€mlich nicht sofort neue ArbeitsplĂ€tze. Firmen, die in der Flaute auf Kurzarbeit umgestellt hatten, <font color="#FF0000">machen ihre Angestellten erst wieder zu VollzeitarbeitskrĂ€ften</font>. <font color="#FF0000">Sie scheuen vor Neueinstellungen zurĂŒck, lassen lieber Ăberstunden schieben</font>. Ăber die Jahrzehnte hat sich in Amerika das so genannte Okunsche Gesetz bestĂ€tigt: Die Wirtschaft muss um mindestens zwei Prozent wachsen, damit die Arbeitslosigkeit auch nur um ein Prozent sinkt.
Doch im Augenblick finden Unternehmer und Arbeitssuchende offenbar ungewöhnlich schwer zueinander. UnternehmerverbĂ€nde melden, dass ihre Mitglieder immer noch vor Einstellungen zurĂŒckschrecken und der wirtschaftlichen Erholung nicht trauen - zumal sie hauptsĂ€chlich von George W. Bushs Kriegsausgaben und massiven Steuersenkungen ausgelöst wurde und sich als kurzlebig erweisen könnte. Es ist ein Teufelskreis. âJobless growth kann es auf Dauer nicht gebenâ, sagt Richard Berner, Ă-konom bei der Investmentbank Morgan Stanley. âEntweder fangen die Unternehmen endlich mit dem Einstellen an, oder die Verbraucher werden frustriert und sparen mehr, was wiederum die wirtschaftliche Erholung bedroht.â
Das Problem besteht auf beiden Seiten. â<font color="#FF0000">SchĂ€tzungsweise zwei Millionen Menschen haben die Arbeitssuche aufgegeben und werden deshalb gar nicht erst zu den aktiven Jobsuchern gezĂ€hlt</font>â, sagt Jared Bernstein vom Economic Policy Institute (EPI) in Washington. âSonst lĂ€ge die Arbeitslosenziffer nĂ€her an 7 Prozent.â Wenn man statt der offiziellen Arbeitslosenquote das vom EPI erhobene, groĂzĂŒgigere MaĂ der âUnterbeschĂ€ftigungâ betrachte (das zum Beispiel auch TeilzeitkrĂ€fte auf der vergeblichen Suche nach einem richtigen Job mitzĂ€hlt), <font color="#FF0000">komme man gar auf eine Quote von 10,2 Prozent</font>.
Etliche US-Ă-konomen - unter ihnen auch Notenbankchef Alan Greenspan - glauben aus solchen GrĂŒnden an einen grundlegenden Wandel der amerikanischen Volkswirtschaft und ihrer ArbeitsmĂ€rkte. â<font color="#FF0000">Die ProduktivitĂ€tsrate hat sich in den neunziger Jahren erhöht und wird wohl auch erhöht bleiben</font>â, sagt Olivier Blanchard, Makroökonom am Massachusetts Institute of Technology. Die New Economy der spĂ€ten Neunziger löse verspĂ€tet ihre Versprechen ein. <font color="#FF0000">Massenhaft eingekaufte Computertechnik mache Arbeit in vielen Betrieben effizienter und spare Personal ein, vor allem im traditionell beschĂ€ftigungsintensiven Dienstleistungssektor</font>. Jedenfalls ist es eine völlig andere Lage als in den frĂŒhen Neunzigern, als der Service-Sektor in Amerika gewaltig anschwoll und die damalige Rezession beenden half.
Eine deutlich höhere ProduktivitĂ€t könnte erklĂ€ren, warum die BeschĂ€ftigung diesmal sehr viel spĂ€ter mit dem Wirtschaftswachstum nachzieht als frĂŒher. <font color="#FF0000">Wenn weniger BeschĂ€ftigte gleich viel Produktion schaffen können, muss die amerikanische Volkswirtschaft einigen SchĂ€tzungen zufolge kĂŒnftig sogar um 3,5 Prozent im Jahr wachsen, damit die Arbeitslosigkeit abnimmt</font>. <font color="#FF0000">Zum Vergleich: In Deutschland lag dieser Schwellenwert bislang bei etwa 2 Prozent</font>.
Noch ist vieles daran Spekulation, doch etliche Beobachter haben sich schon fest auf die neuen Zeiten eingestellt. âIn der schnell wachsenden Volkswirtschaft der spĂ€ten neunziger Jahre wurde die Wirkung der von der New Economy generierten ProduktivitĂ€tsgewinne ĂŒberdecktâ, kommentiert John E. Silvia, Chefökonom des Bankhauses Wachovia. â<font color="#FF0000">Heute treibt das mĂ€Ăige Wachstum die Firmen erst recht dazu, mithilfe der New-Economy-Technologien Kostenkontrolle zu betreiben</font>.â
Mittelfristig ist eine gesteigerte ProduktivitĂ€tsrate eine gute Nachricht: Sie ermöglicht der amerikanischen Volkswirtschaft ein schnelleres Wachstum und den Amerikanern einen höheren Lebensstandard. Doch zuvor mĂŒssen sich die Arbeitnehmer auf die neuen VerhĂ€ltnisse einstellen. â<font color="#FF0000">Viele haben einfach nicht mehr die richtigen Fertigkeiten fĂŒr die neuen Jobs</font>â, sagt Silvia, â<font color="#FF0000">und, schlimmer noch, ihnen fehlen die Fertigkeiten zur Umorientierung</font>.â[Eigener Kommentar: Es ist eben nicht so, daĂ jeder der frĂŒher mit seinen HĂ€nden arbeiten auch beraten, analysieren und rechnen kann. Und es wird auch in zwanzig Jahren nicht so sein]
âDauerhaft auf Schrumpfkurâ
Joel Collamer gehört daher heute vermutlich zu den GlĂŒcklichsten am Arbeitsmarkt: Er hat inzwischen eine neue Stelle gefunden, und zwar in seinem alten BeschĂ€ftigungsfeld als Informationstechniker. âDer Trick ist, nie aufzugeben und immer voranzumarschierenâ, sagt seine Frau, die Karriereberaterin Nancy Collamer - mag aber selbst nicht so recht daran glauben. Viele Jobsucher mĂŒssten in Zukunft sehr grundlegende Entscheidungen treffen. âManche Branchen sind ein fĂŒr allemal auf Schrumpfkur gegangenâ, sagt die Karriereberaterin, âzum Beispiel die Telekommunikationstechnik. Das ist fĂŒr viele Leute dann der schwerste Schritt: tief durchzuatmen und zu entscheiden, dass man in eine ganz neue, verheiĂungsvollere Branche wechseln muss.â
(c) DIE ZEIT 04.09.2003 Nr.37
Quelle: http://www.zeit.de/2003/37/USA, Die Zeit, 04.09.2003
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