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wg. dem [img][/img] Reflex bitte Kotz-Beutel bereit halten
DIE GANGSTER AUS DEM OSTEN
"Die Gefahr wird konsequent ignoriert" Von Clemens von Frentz
Die geplante Osterweiterung wird der EU nicht nur wirtschaftliche
Vorteile, sondern auch massive Probleme bescheren. Das ist eine zentrale
These des Buches"Die Gangster aus dem Osten" von Jürgen Roth. Im Gespräch
mit manager-magazin.de erklärt der Autor, warum die organisierte
Kriminalität kaum zu besiegen ist.
mm.de: Herr Roth, Ihr Buch"Die Gangster aus dem Osten" ist seit einigen
Tagen im Handel erhältlich. Gibt es schon erste Reaktionen aus Moskau?
Immerhin befassen Sie sich sehr detailliert mit Staatspräsident Putin und
seinen Kollegen im Kreml.
Roth: In Russland hat bislang noch niemand das Buch komplett gelesen.
Daher sind die ersten Reaktionen sehr oberflächlich. Auf politischer Ebene
beschränkt man sich bislang auf den Kommentar:"Wir beteiligen uns nicht
an Spekulationen und äußern uns nicht zu Gerüchten." Dort wartet man
offenbar erst mal ab. Die"Moskau Times" hat allerdings ein Manuskript des
Buches angefordert und arbeitet an einem größeren Artikel zu dem Thema.
Das dürfte einige öffentliche Diskussionen auslösen.
mm.de: Sie haben auf den 280 Seiten Ihres Buches eine beeindruckende Fülle
an Fakten und neuen Erkenntnissen zusammengetragen. Experten wie Hermann
Lutz, Präsident der Europäischen Polizeigewerkschaften, zeigen sich von
Ihrer Arbeit sehr angetan. Wie lange haben Sie recherchiert?
Roth: Seit Ende 1999, wobei mir natürlich zugute gekommen ist, dass ich
schon lange auf diesem Gebiet arbeite. Das erleichtert die Sache, weil man
bereits eine Reihe von Kontakten hat, die man nutzen kann.
mm.de: Hat man auf russischer Seite versucht, Sie bei Ihren Recherchen zu
behindern?
Roth: Erstaunlicherweise war eher das Gegenteil der Fall. Es haben diesmal
Leute mit mir gesprochen, die vorher nie für ein Gespräch zur Verfügung
gestanden hätten. Das gilt auch für die Recherchen in St. Petersburg, bei
denen es ja zu einem großen Teil um Wladimir Putin ging.
mm.de: Wie erklären Sie sich das?
Roth: Das dürfte mit einem gewissen Umdenken zu tun haben. Offenbar ist
man zu der Erkenntnis gekommen, dass ein Gespräch miteinander immer besser
ist als platte Dementis. Mir wiederum hat das die Möglichkeit eröffnet,
auf Argumente von beiden Seiten einzugehen, was früher nicht immer möglich
war.
mm.de: Haben Sie für Ihre Recherchen vor allem alte Kontakte genutzt oder
ist es Ihnen gelungen, auch neue Informanten zu gewinnen?
Roth: Ich habe auch neue Quellen angezapft, zum Beispiel den ehemaligen
Polizeichef von St. Petersburg, Anatolij Ponidelko, und den russischen
Ex-Innenminister Anatolij Kulikow. In St. Petersburg gab es eine ganze
Reihe von Leuten, mit denen ich zum ersten Mal zu tun hatte.
mm.de: Wie war der Umgang mit diesen Gesprächspartnern? Hatten Sie das
Gefühl, dass man offen mit Ihnen gesprochen hat?
Roth: Die waren alle sehr offen, insbesondere natürlich, was die Bedeutung
der Tambovskaja von Wladimir Kumarin angeht. Diese Organisation, im
Volksmund Tambow-Mafia genannt, war ja bis ins Jahr 1997 hinein das
einflussreichste kriminelle Syndikat in St. Petersburg.
mm.de: Wie erklären Sie sich diese erstaunliche Offenheit? Die Vertreter
des organisierten Verbrechens in Russland fackeln bekanntlich nicht lange,
wenn ihnen jemand in die Quere kommt.
Roth: Diese Offenheit hat wohl unter anderem mit dem allgemeinen
Klimawandel im Ostblock zu tun, aber es gab natürlich auch einige Leute,
die auf keinen Fall mit mir sprechen wollten - zum Beispiel Wladimir
Kumarin, den ich mehrfach kontaktiert habe.
mm.de: Haben sich die Informationen, die Sie bei Ihren Gesprächen bekommen
haben, als stichhaltig erwiesen oder hat man versucht, Sie gezielt in die
Irre zu führen?
Roth: Die Informationen haben sich fast alle als sehr brauchbar erwiesen,
zumal ich sie ja überprüfen konnte, in Kooperation mit den Ermittlern.
Außerdem hatte ich noch eine weitere Quelle, und zwar den FSB - die
Nachfolgeorganisation des KGB - der einige Jahre lang vom heutigen
Präsidenten Wladimir Putin geleitet worden war. Diese Informationen waren
wirklich hervorragend.
mm.de: Wie hat sich die Recherche auf deutscher Seite gestaltet? War man
dort genauso kooperativ?
Roth: Unterschiedlich. Der Vorstand der SPAG beispielsweise war nicht
besonders auskunftsfreudig, denn er macht mich für die umfangreiche
Durchsuchungsaktion der Staatsanwaltschaft im Mai 2003 verantwortlich. Das
ist natürlich völliger Blödsinn.
mm.de: Wie haben sich denn die Ermittlungen gegen die SPAG weiter
entwickelt? Die Staatsanwaltschaft glaubt ja, dass die
Immobiliengesellschaft in Mörfelden-Walldorf jahrelang der St.
Petersburger Mafia als Geldwaschanlage diente.
Roth: In dieser Sache macht die Staatsanwaltschaft in Liechtenstein gute
Fortschritte. Ihre Anklage gegen Rudolf Ritter, der sich als
Mehrheitsaktionär der SPAG der Geldwäsche und des Betrugs schuldig gemacht
haben soll, wurde vom Gericht zugelassen. Die Verhandlung beginnt
voraussichtlich in einigen Wochen.
Was die Darmstädter Staatsanwaltschaft angeht, habe ich erfahren, dass die
Razzia im Mai sehr erfolgreich war. Ein zentraler Punkt dürfte der Vorwurf
der Geldwäsche für eine kriminelle Vereinigung sein, wobei allerdings
zunächst formaljuristisch zu klären ist, ob die Tambovskaja nach den
einschlägigen Gesetzen als kriminelle Vereinigung zu gelten hat. Da gibt
es offenbar noch kleine Probleme mit den Informationen aus St. Peterburg
beziehungsweise Moskau.
mm.de: Schwierigkeiten hatten ja auch die Medienvertreter, die damals über
die Razzia gegen die SPAG berichten wollten. Die deutschen Behörden waren
erstaunlich zugeknöpft. Auf normalem Wege war da praktisch nichts zu
erfahren. Was ist Ihre Erklärung dafür?
Roth: Das Problem war natürlich bei dem Verfahren, dass es bis zum Ende
als streng geheim eingestuft wurde. Im Bundeskriminalamt (BKA) wussten
vermutlich nur der Präsident Klaus Ulrich Kersten Bescheid und die drei
oder vier Beamten, die daran gearbeitet haben. Die
Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt war natürlich auch eingeweiht, aber
ansonsten wusste kaum jemand von den Ermittlungen.
Man hat versucht, den Fall wegen der politischen Implikationen unter der
Decke zu halten. Das hat mich persönlich aber nicht getroffen, weil ich
die Informationen ohnehin schon alle hatte.
mm.de: Damit waren Sie die Ausnahme. Viele andere Journalisten sind
regelrecht auf eine Mauer des Schweigens gestoßen.
Roth: Das Verfahren ist ja ohnehin höchst merkwürdig. Hätte der
Darmstädter Staatsanwalt David Ryan Kirkpatrick die Sache nicht immer
wieder mit Vehemenz angetrieben, wäre das Verfahren längst eingeschlafen.
Eigentlich hätte er für diesen aufwändigen Fall freigestellt werden
müssen, aber das hat man nicht getan.
Stattdessen wurden ihm systematisch Steine in den Weg gelegt, damit er
endlich aufgibt. Wenn er eine Dienstreise machen wollte, hieß es, es wäre
kein Geld dafür da, und auch ansonsten erhielt er keinerlei Unterstützung,
obwohl die ihm zugesagt worden war. Er war meist völlig auf sich allein
gestellt. Das ging nach meinen Informationen sogar so weit, dass beim BKA
Beamte ausgewechselt wurden, auf deren Zuarbeit er angewiesen war.
mm.de: Was ist Ihre Erklärung dafür? Warum wird ein Staatsanwalt
behindert, wenn er Strukturen des organisierten Verbrechens aufdecken
will?
Roth: Das hat eindeutig politische Gründe. Sie dürfen nicht vergessen,
dass im Hintergrund immer der Namen Wladimir Putin stand. An solche Sachen
wagt man sich nicht gerne heran.
mm.de: Von wem genau ging dieser Druck aus? Kam das von ganz oben?
Roth: Das kam definitiv von ganz oben. Daran gibt es für mich keinen
Zweifel. Der Widerstand ging nicht von den unteren oder mittleren Etagen
aus.
BKA-Präsident Kersten zum Beispiel war von Anfang an dafür, dass dieses
Verfahren stattfindet, auch gegen Widerstände aus dem Bundeskanzleramt
oder vom Bundesnachrichtendienst (BND).
mm.de: Damit wir uns richtig verstehen - Sie glauben, das Bundeskanzleramt
in Berlin habe die Ermittlungen behindert?
Roth: Auf jeden Fall. Es gab schon einige Leuten im Bundeskanzleramt, die
versuchten, die Staatsanwaltschaft bei ihrem Verfahren zu unterstützen,
aber die wurden systematisch ausgebremst. Das war besonders im Jahr 2000
zu beobachten.
mm.de: Wie verhält sich das Bundeskanzleramt heute, nachdem bei der Razzia
im Mai offenbar eine Menge Beweismaterial sichergestellt wurde?
Roth: Meines Wissens wurde Bundeskanzler Gerhard Schröder persönlich noch
am Mittag des gleichen Tages per Telefon von der Polizeiaktion informiert,
auch wenn dies seitens des Kanzleramts bestritten wird.
Nun sollte man erwarten, dass man sich in Berlin für den Fortgang des
Verfahrens interessiert, aber das ist offenkundig überhaupt nicht der
Fall. Es gibt keine Nachfragen, nichts dergleichen. Es ist so, als wäre
das alles nicht existent.
Beim russischen Innenminister Boris Gryslow ist das übrigens anders. Er
weiß seit Anfang 2003, dass gegen die SPAG ermittelt wird und unterstützt
seitdem - was viele Ermittler erstaunte - nachhaltig die
staatsanwaltlichen Untersuchungen.
mm.de: Ihre Erklärung dafür?
Roth: Keine Frage, die Regierung in Berlin will sich mit der russischen
Regierung nicht überwerfen.
mm.de: Die organisierte Kriminalität im ehemaligen Ostblock ist ja nicht
nur ein Problem der Gegenwart, sondern vor allem der Zukunft. Im Mai 2004
treten zehn weitere Länder der EU bei, darunter Estland, Lettland,
Litauen, Polen, Ungarn und die Tschechische Republik. Haben Sie das
Gefühl, dass man sich in Berlin angesichts dieser Tatsache mit dem Thema
organisierte Kriminalität ausreichend befasst?
Roth: Man will in Berlin diese Probleme nicht wahrhaben. Es findet eine
systematische Verdrängung statt. Die Gefahr wird konsequent ignoriert,
obwohl es an Warnungen, auch durch das BKA, nicht gefehlt hat.
Offensichtlich werden auch die Folgewirkungen für die Wirtschaft nicht
gesehen.
mm.de: Inwiefern?
Roth: Man muss sich nur einmal ansehen, wie die Privatisierungen in den
ehemaligen Ostblockländern abgelaufen sind. Mir hat beispielsweise der
ehemalige Polizeichef von Tschechien gesagt, dass 80 Prozent aller
Privatisierungen in seinem Land durch kriminelle Syndikate vollzogen
wurden.
Das sind zwar heute zum Teil legale Unternehmen geworden, aber diese haben
natürlich mit dem Kapital, das ihnen dank der zuvor getätigten Geschäfte
im kriminellen Milieu zur Verfügung steht, einen unglaublichen
Wettbewerbsvorteil gegenüber regulären Unternehmen.
Oder denken Sie an den Einfluss krimineller Syndikate auf den
Energiebereich. Da wurden Strukturen hochgezogen, die man kaum wieder in
den Griff bekommen kann.
mm.de: Hat die Zurückhaltung der Bundesregierung in diesem Punkt mit
Ignoranz zu tun oder will man sich einfach mit den herrschenden
Verhältnissen arrangieren, weil man glaubt, sie ohnehin nicht ändern zu
können?
Roth: Mein Eindruck ist, dass die Probleme einfach ausgeblendet werden.
Man findet sich mit den herrschenden Verhältnissen ab.
Das gilt übrigens auch für die Wirtschaft. Natürlich sehen die deutschen
Konzerne zum Teil, dass sie es vielfach mit kriminellen Strukturen zu tun
haben, aber der Markt im Osten ist einfach auch sehr lukrativ. Ein
hochprofitables Geschäft für diejenigen, die rechtzeitig einsteigen.
Moralische oder sonstige Erwägungen werden da im Zweifelsfall
zurückgestellt.
Ein schönes Beispiel dafür hatten wir jüngst beim Besuch des hessischen
Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) in Moskau. Im Gegenzug besuchte
Moskaus Bürgermeister Jurij Luschkow Frankfurt. Er wurde herzlich
empfangen und als leuchtendes Beispiel dafür gefeiert, was man aus seiner
Stadt machen kann.
Da ist eine unglaubliche Verlogenheit im Spiel. Natürlich hat Luschkow in
Moskau einiges geschafft, aber mit welchen Methoden? Tatsache ist, dass er
sich schamlos bereichert und mit kriminellen Syndikaten zusammengearbeitet
hat. Das alles wird als selbstverständlich hingenommen. Man will es
einfach nicht wahrhaben.
########## Der Auszug aus dem Buch ############
" D I E G A N G S T E R A U S D E M O S T E N"
Chronologie eines kafkaesken Polit-Krimis
In diesem Kapitel seines neuen Buches beschreibt Jürgen Roth, mit welchen
politischen Widerständen die Behörden bei ihren Ermittlungen gegen die
Russen-Mafia zu kämpfen hatten. manager-magazin.de präsentiert den Text
mit freundlicher Genehmigung des Autoren.
"Wie soll man einen Feind besiegen, der sich perfekt getarnt in der Mitte
der Gesellschaft befindet?"
6. November 1999
Ein Skandal um kriminelle Netzwerke mit Verbindungen zur Politik, auch in
Deutschland, zeichnet sich ab. In einer Vorausmeldung kündigen
internationale Presseagenturen eine Titelgeschichte [€] des
Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL an. Im Fürstentum Liechtenstein sollen
einflussreiche Politiker, Richter, Treuhänder und Polizeibeamte mit
kolumbianischen Drogenkartellen und der Russen-Mafia kooperieren.
DER SPIEGEL bezog sich bei seiner Geschichte auf ein geheimes Dossier, das
der Präsident des BND, August Hanning, im Frühjahr 1999 dem Kanzleramt
übergeben hatte. Es datierte vom 8. April und trug die Überschrift"Die
Geldwäsche-Community". Eingestuft war es als VS-NfD - Verschlusssache -
Nur für den Dienstgebrauch.
An diesem Samstag liest in Liechtenstein auch Regierungschef Mario Frick
die Vorausmeldung. Dem BND-Bericht zufolge, aus dem DER SPIEGEL Auszüge
abdruckt, ist Liechtenstein nicht nur ein ideales Geldwäscheparadies - was
wirklich keine Sensation wäre.
Der Kern der Vorwürfe lautet:"Anonyme Stiftungen und Firmengründungen,
dazu die strenge Einhaltung des Bankgeheimnisses und die Mischung von
illegalen mit legalen Geschäften sowie enge Kontakte zu Banken, Politikern
und der Polizei garantieren den Liechtensteiner Treuhändern, Anwälten und
Beratern, dass sie Gruppen der Organisierten Kriminalität nahezu
ungehindert maßgeschneiderte Finanzdienstleistungen anbieten können. Ihre
Klientel setzt sich unter anderem zusammen aus lateinamerikanischen
Drogenclans, italienischen Mafiagruppierungen und russischen OK-Gruppen."
Mario Frick steigt die Zornesröte ins Gesicht. Sofort greift er zum
Telefon und ruft seinen Justizminister an:"Heinz, du musst sofort zu mir
kommen." Heinz Frommelt ahnt noch nichts von dem, was er und viele andere
in den nächsten Wochen und Monaten erleben werden.
Nachdem er die Agenturmeldung gelesen hat - auch Außenministerin Andrea
Willi ist inzwischen hinzugekommen -, schaut ihn sein Regierungschef, dem
die Vorwürfe absurd erscheinen, fragend an."Glaubst du das? Du kennst
doch das Geschäft."
Heinz Frommelt antwortet:"Genau deshalb kann ich mir das vorstellen."
Aber was der BND so pauschal behauptet, erscheint selbst ihm
ungeheuerlich.
Als die ganze Geschichte am Montag im SPIEGEL nachzulesen war und der
Bericht international Schlagzeilen machte, bezeichnete Regierungschef
Mario Frick die Vorwürfe des BND als"ausgemachten Blödsinn". Die Frage,
die sich viele Liechtensteiner trotzdem stellten, war, ob nicht doch etwas
Wahres an dem sein könnte, was der BND behauptete, auch wenn die genannten
Personen angesehene Mitbürger waren.
Zum Beispiel Rudolf Ritter, ein vom BND angeschwärzter Treuhänder. Sein
Bruder war immerhin stellvertretender Regierungschef und Innenminister
Liechtensteins.
Rudolf Ritter hatte dem"lieben Mario", als der 1993 zum Regierungschef
des Fürstentums ernannt worden war, noch sehr persönlich gratuliert:"Dir
und Deiner Frau viel Kraft und Durchhaltevermögen in allen Belangen und
bei dieser Gelegenheit auch 'en guete Rutsch' ins Neue Jahr."
In dem überschaubaren Fürstentum (33.000 Einwohner, 17 Banken, rund 80.000
Briefkastenfirmen) kennt jeder jeden, und die politische Kaste hat in der
Regel auch immer mit Vermögensverwaltung zu tun.
Die Familie von Regierungschef Mario Frick ist mit einer eigenen Bank ins
Geldgeschäft eingestiegen, und Seine Durchlaucht Fürst Hans-Adam II. von
und zu Liechtenstein, ebenfalls nicht unvermögend, ist mit der Verwaltung
eines Milliardenvermögens beschäftigt. Sein Clan besitzt die Bank
Liechtenstein Global Trust (LGT). Das Vermögen der Fürstenfamilie wird auf
5,05 Milliarden Euro geschätzt.
Während die Liechtensteiner noch eine Abwehrfront aufbauen, gelingt es in
Deutschland einigen Journalisten, in den Besitz des gesamten BND-Dossiers
zu gelangen. Sie finden Hinweise, die nach Deutschland führen. Und zwar
über zwei im BND-Dossier an prominenter Stelle erwähnte Liechtensteiner
Treuhänder - der bereits erwähnte Rudolf Ritter und der mit ihm einst
kooperierende Treuhänder Eugen Heeb alias Eugen von Hoffen.
Der Hinweis war eine kleine Fußnote auf Seite 15 des BND-Dossiers:"1997
sollen Heeb und Ritter von der IBR (Banca Internationala a Religiilor in
Bukarest, d. Autor) beauftragt worden sein, über die IBR vorgewaschene und
kriminell erzielte Gelder in Deutschland an der Börse zu investieren und
Aktien einer Aktiengesellschaft aus Frankfurt zu erwerben. Bei der
Frankfurter Aktiengesellschaft handelt es sich um die SPAG, ein 1992
gegründetes deutsch-russisches Joint Venture mit Sitz in Frankfurt/M.",
steht im BND-Bericht.
Und an anderer Stelle war zu lesen:"Zwischenzeitlich wurde bekannt, dass
diese Bank (gemeint war die IBR, d. Autor) vom organisierten Verbrechen
auch zur Anlage bereits gewaschenen Geldes genutzt wird. Einem
nachrichtendienstlichen Hinweis zufolge transferierten russische
Kriminelle über dieses Finanzinstitut die Mittel zum Erwerb von Immobilien
in Russland."
Auch an diesem Transfer verdiente Ritter mit. Er war Mehrheitsaktionär der
"deutsch-russischen St. Petersburger Immobilien und Beteiligungs AG, über
die die Immobilienkäufe abgewickelt werden sollen". So weit die Ergebnisse
der BND-Rechercheure.
Sechs Wochen nach den Enthüllungen im SPIEGEL [€] war Justizminister Heinz
Frommelt davon überzeugt, dass es nur noch einen Weg gab, die schweren
Vorwürfe zu untersuchen und den beschädigten Ruf des Fürstentums
wiederherzustellen - durch einen externen Sonderstaatsanwalt.
Nicht weit vom Goldenen Dach'l in Innsbruck entfernt, gleich neben dem
altehrwürdigen Gerichtsgebäude, steht ein eher schmuckloses
Verwaltungsgebäude. Im zweiten Stock sitzt Hofrat Oberstaatsanwalt Dr.
Kurt Spitzer an seinem Schreibtisch, vor sich einen riesigen Aktenberg.
Bei den Wirtschaftskriminellen in Ã-sterreich steht Spitzer im Ruf eines
"scharfen Hundes". Um 11 Uhr ruft ihn sein Leitender Oberstaatsanwalt zu
sich."Du, wir haben hier eine heikle Geschichte. Wir brauchen einen
unabhängigen Staatsanwalt. Mach du das."
Die heikle Geschichte, erklärt ihm der Leitende Oberstaatsanwalt, könne
schnell aufgeklärt werden."Das dauert vielleicht drei bis vier Wochen,
und dann kannst du dich wieder deiner normalen Arbeit widmen." Kurt
Spitzer überlegt kurz und nimmt den Auftrag an.
Am nächsten Tag bereits fährt er nach Vaduz und trifft Regierungschef
Mario Frick und Justizminister Heinz Frommelt. Mario Frick sagt zu ihm:
"Alles steht Ihnen zur Verfügung, alle Akten, überall können Sie Einblick
nehmen." Spitzer ist zu diesem Zeitpunkt noch fest davon überzeugt, dass
die Vorwürfe in weniger als vierzehn Tagen aufgeklärt werden können.
Ein Problem muss er als Erstes lösen. Er kennt zwar alle
Presseveröffentlichungen über den BND-Bericht, aber in Liechtenstein hat
bisher niemand den Bericht selbst in Händen.
Nun hofft die Regierung, mit dem unabhängigen Sonderstaatsanwalt Spitzer
das Dossier zu erhalten. Schließlich, so dürfte auch Spitzer damals
vermutet haben, muss doch auch die deutsche Bundesregierung ein Interesse
daran haben, dass gegen mutmaßliche Kriminelle in Liechtenstein und deren
Netzwerke im In- und Ausland strafrechtlich etwas unternommen wird.
"Es kann wohl nicht angehen, dass dieser das Fürstentum belastende Bericht
zwar einem Nachrichtenmagazin zugänglich gemacht wird, den ermittelnden
Behörden jedoch nicht", schimpft Kurt Spitzer, jetzt Sonderstaatsanwalt
der Regierung Liechtensteins. Ähnlich argumentiert auch der Fürst:"Man
kann nicht einfach ein Land verleumden, uns als Verbrecher hinstellen und
sagen, dass man die Beweise dafür nicht vorlegt."
Dem Sonderstaatsanwalt stehen einige Unterlagen zur Verfügung: zwei
Berichte eines Unbekannten aus den Jahren 1997 und 1998, in denen hohe
Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft Liechtensteins als
Mitglieder krimineller Organisationen beschrieben werden, der
SPIEGEL-Artikel [€] vom 8. November 1999 und ein Beitrag des ZDF.
27. Dezember 1999
Kurt Spitzer führt die ersten Gespräche mit Richtern und Staatsanwälten
und lässt sich sämtliche Strafakten über Personen aushändigen, die im
Zusammenhang mit der Berichterstattung auftauchen. Als Erstes stellt er
fest, dass es eine gravierende personelle Unterbesetzung der
Staatsanwaltschaft und des richterlichen Personals gibt und somit ein
Vorwurf des BND sicherlich zutrifft - die unglaublichen
Verfahrensverzögerungen gerade bei internationaler Rechtshilfe.
In einigen Richterzimmern stapeln sich verstaubte Unterlagen meterhoch.
Strafakten liegen teilweise seit zehn Jahren unbearbeitet in den Büros der
Richter. In den Gesprächen mit den wenigen Polizeibeamten in Vaduz merkt
er zudem, dass es überhaupt keine Kriminalpolizei gibt, die das Wort
Wirtschaftskriminalität buchstabieren könnte.
Also holt er sich zur Unterstützung Spezialisten der Wiener
Wirtschaftspolizei nach Vaduz. Gleichzeitig versucht er, den
geheimnisvollen BND-Bericht zu bekommen. Den kennen bereits etliche
deutsche Journalisten, während er immer noch auf Vermutungen angewiesen
ist.
"Auf den eingeschlagenen offiziellen Wegen kam ich in Deutschland nicht
weiter. Jene kompetenten Herren im Kanzleramt, die mir einen Zugang zu den
Unterlagen hätten verschaffen können, ließen sich entweder verleugnen oder
lehnten kategorisch jede Hilfestellung ab", klagte er später.
Immerhin werden Kurt Spitzer und Justizminister Heinz Frommelt Anfang
Januar 2000 ins Berliner Bundeskanzleramt gerufen, für die Liechtensteiner
der erste Hoffnungsschimmer. Doch was müssen sie dort hören?"Das ist
alles geheim. Wir können Ihnen leider nichts geben." Der erste
Berlin-Besuch war also"für die Katz", wie es einer der Beteiligten
ausdrückte.
23. Januar 2000
Wieder sind der Sonderstaatsanwalt und der Justizminister aus
Liechtenstein auf dem Weg nach Berlin. Im Luxushotel Adlon am
Brandenburger Tor warten sie gespannt auf den morgigen Tag. Dann sollen
sie Justizministerin Herta Däubler-Gmelin treffen.
Zum vereinbarten Termin sind sie pünktlich im Besprechungszimmer der
Ministerin. Da dürfen sie erst einmal zwanzig Minuten lang warten."Dann
ist sie mit ihrem Tross ins Zimmer gerauscht. Noch im Stehen, ohne uns zu
begrüßen, fuhr sie uns an: 'Was ich Ihnen ganz klar sagen will - ohne
meine Zustimmung gibt es keine Pressekonferenz oder Presseerklärung.'"
Denn damit haben die Abgesandten aus dem winzigen Liechtenstein gedroht,
sollten sie weiter hingehalten werden. Als sie die Ministerin fragen, was
sie machen müssten, um an den BND-Bericht zu gelangen, kommt die Antwort:
"Das ist nicht unsere Aufgabe." Kurt Spitzer sagt daraufhin etwas
fassungslos:"Wir waren doch schon überall."
Ganze zehn Minuten dauert das Gespräch."Das Wichtigste war ihr
anscheinend, dass wir uns auf eine gemeinsame Presseerklärung einigen, in
der stand, wie gut die Zusammenarbeit mit Liechtenstein funktioniert und
dass uns jede Unterstützung geboten werde, um gemeinsam die Organisierte
Kriminalität zu bekämpfen."
Spitzer weiter:"Wie Schulbuben hat sie Frommelt und mich behandelt. Mich
erschütterte, wie wenig ernst es ihr mit der Verbrechensbekämpfung war."
Ein Eindruck, den Justizminister Heinz Frommelt teilte:"Sie sollte uns
abschrecken, wollte uns davon abhalten, das BND-Papier zu bekommen - das
war ihr Auftrag. Der Auftrag kam von ganz oben."
Ganz oben, also noch über der Justizministerin, dürfte es, abgesehen von
der abstrakten Staatsräson, nur noch eine Person mit Richtlinienkompetenz
geben. Aber warum dieser Widerstand? Vielleicht weil die Bundesregierung
wusste, wie dünn der BND-Bericht war?
"Eine Blöße wollte sich in Berlin niemand geben", glaubte damals Heinz
Frommelt. Gab es vielleicht noch ein anderes Motiv? Wollte man die junge
Freundschaft zwischen Moskau und Berlin nicht aufs Spiel setzen - also das
hohe Gut der Realpolitik?
Sonderstaatsanwalt Kurt Spitzer und Justizminister Heinz Frommelt fahren
nach der kurzen und frustrierenden Stippvisite bei der Ministerin wieder
zurück in ihr Hotel. Mitten in der Nacht erreicht sie die Nachricht, dass
die Justizministerin bereits eine"gemeinsame" Presseerklärung verfasst
und an die Agenturen gegeben hat.
"Es war ein Diktat von ihr", reagiert Spitzer verbittert. Tatsache ist,
dass er und sein Justizminister keine Gelegenheit bekamen, an diesem Text
etwas zu ändern.
Unterdessen habe, das meldete die Zeitschrift"Focus",
BND-Abteilungsleiter Helmut Frick auf einer Sitzung des geheim tagenden
Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG) des Deutschen Bundestags neue
Erkenntnisse über illegale Geschäfte in Liechtenstein vorgelegt,
insbesondere über Beziehungen zwischen einem Ex-Regierungschef
Liechtensteins mit kolumbianischen Drogenkartellen.
Trotz der brüsken Behandlung in Berlin versuchten Spitzer und Frommelt
weiter das BND-Dossier zu bekommen. Immerhin etwas kam jetzt zustande: Der
Geheimdienstkoordinator Ernst Uhrlau versprach ihnen, ein Gespräch mit dem
BND-Chef August Hanning zu vermitteln.
10. Februar 2000
Kurt Spitzer und Justizminister Heinz Frommelt werden erneut nach Berlin
gebeten, diesmal, um den BND-Präsidenten August Hanning zu treffen.
Morgens um 9 Uhr steht, wie verabredet, ein blauer Mercedes vor der
Hoteltür. Gegenüber dem Hotel parkt ein weißes Observationsfahrzeug des
BND.
"Das war so auffällig, weil es schon am Abend vorher dastand", erinnert
sich Spitzer. Er und Frommelt steigen in den gepanzerten Wagen. Ihr
Leibwächter wird unsanft weggedrängt.
Merkwürdig finden Spitzer und Frommelt, dass sie eine halbe Stunde immer
nur im Kreis herumfahren."Was soll das?", will Spitzer vom Fahrer wissen.
"Wir haben den Termin um genau 10 Uhr", antwortet der lapidar."Deshalb
dürfen wir nicht vorher da sein."
Eigentlich stehen in Berlin für offizielle Gespräche viele
Regierungsgebäude zur Verfügung. Keines davon ist aber das Ziel der langen
Fahrt. Die Reise führt in die Außenbezirke, wo der Fahrer vor einer Villa
mit verwildertem Garten parkt. Überall laufen Männer mit Maschinenpistolen
herum.
"Mein Gott", denkt Spitzer,"wo sind wir hier gelandet?" Das Haus ist eine
Bruchbude.
"Als wir die Treppe in den ersten Stock emporgingen, dachte ich, die
bricht unter uns auseinander, so heruntergekommen war alles." Dann öffnet
sich im ersten Stock eine Tür. Spitzer und Frommelt blicken in einen etwa
100 Quadratmeter großen Raum mit Kristalllüstern an der Decke, glänzendem
Parkettboden und kostbaren Gemälden an den Wänden. An einem Mahagonitisch
sitzt August Hanning, der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, mit
Mitarbeitern seiner Abteilung 5 (Operative Aufklärung).
"Das war wie eine Filmszene aus James Bond", erinnert sich Spitzer. Und
Frommelt sagt:"Die Jungs spielten Räuber und Gendarm. Sie wollten den
kleinen Liechtensteinern den Eindruck vermitteln, wie wichtig sie sind."
Dabei sind im Gespräch mit dem BND-Präsidenten durchaus explosive und
streng geheime Informationen weitergegeben worden. So stellte sich für die
Liechtensteiner bereits damals, also im Februar 2000, heraus, dass die
Einschätzung im BND-Dossier über die Rolle der SPAG nicht aus fremden
Quellen stammte, sondern vom BND selbst.
"Das kam im Gespräch mit Hanning heraus. Auch die Einschätzung über Putin
kam dabei zur Sprache", so Justizminister Heinz Frommelt. Er wunderte sich
zudem, dass die"Rolle von Putin im Zusammenhang mit der SPAG erst größer,
später dann immer kleiner gehängt" wurde.
Das hatte wahrscheinlich politische Gründe. Die Bundesregierung hatte
wegen der guten politischen Beziehungen zu Moskau kein Interesse,
besonders viel zur Aufklärung beizutragen. Frommelt:"Ich glaube, sie
hatten Informationen über die Beziehungen Putin und Tambovskaja -
Einschätzungen, aber keine harten Beweise."
Zudem wäre es sicher nicht von Nachteil, bestimmte Informationen über
Putin in der Hinterhand zu behalten. Schließlich ist die von Hanning im
Gespräch erwähnte Tambovskaja, von der im Zusammenhang mit Putin ja die
Rede war, keine karitative Einrichtung, sondern eine finstere Mafiabande.
Fazit für den Liechtensteiner Justizminister damals, im Februar 2000:"Ich
persönlich hatte nicht den Eindruck, dass die Angelegenheit verfolgt
werden soll. Die waren nicht begeistert davon, dass sie das Licht der
Ã-ffentlichkeit erblickt."
Das hing vielleicht mit Informationen zusammen, die der BND-Chef den
Liechtensteinern in Berlin gab. Sie hatten mit dem Treuhänder Eugen Heeb
aus Liechtenstein zu tun, der im BND-Bericht bereits genannt wurde.
Demnach gab es in den neunziger Jahren Flüge von St. Petersburg und Moskau
nach Wien, die von Putin organisiert worden sein sollen. Es soll sich um
große Goldtransporte gehandelt haben.
Das Gold wurde bei Heeb zwischengelagert und danach in Lugano
eingeschmolzen, damit es nicht als russisches Gold auf den Markt kam."Das
waren die Erkenntnisse unserer hiesigen Polizei", so einer aus der
Liechtensteiner Delegation."Als ich das dem BND-Chef sagte, wurde er sehr
hellhörig. Sie wussten zumindest von den Transporten nach Wien."
Diese Spur sollte niemals weiterverfolgt werden. Obwohl im Tessin bis zum
heutigen Tag ein Mann sitzt, der darüber genau Bescheid wissen will:
Felipe Turover, einst Banker bei der Banca del Gottardo. Er bestätigt die
Goldtransporte, die ab 1991 nach Lugano geflogen wurden.
Andererseits stand Wladimir Putin Anfang der neunziger Jahre in St.
Petersburg gerade am Anfang seiner Karriere, und deshalb ist es eher
unwahrscheinlich, dass er damit etwas zu tun hatte.
Von Seiten der deutschen Bundesregierung wurde weiter gemauert, aber Kurt
Spitzer hatte unterdessen den BND-Bericht auf inoffiziellem Weg erhalten.
Und Ende Februar konnte er sogar erstmals die Gemächer des BND in Pullach
aufsuchen, um mit den zuständigen Sachbearbeitern zu sprechen, die ihre
Behauptungen belegen wollten.
Vorgelegt wurden ihm verschiedene Dokumente, unter anderem der
Geschäftsbericht einer Vaduzer Bank. Spitzer wollte den Bericht einsehen,
erhielt jedoch eine Absage:"Nein, das geht leider nicht. Das ist streng
geheim." Den Geschäftsbericht bekam Spitzer in Vaduz bei der Bank selbst.
Dort war der vom BND als"geheim" eingestufte Bericht öffentlich
ausgehängt.
Immerhin hatte er nun zusätzliche konkrete Informationen des BND über
Anlagenbetrug und Geldwäsche, die er wiederum sofort überprüfen ließ. Weil
er von deren Seriosität überzeugt war, ordnete er Telefonüberwachungen bei
den Verdächtigten an. Erstmals in der Geschichte des Fürstentums kam es
sogar zu Hausdurchsuchungen und Festnahmen höchst ehrenwerter Mitglieder
der Liechtensteiner Gesellschaft. Hatte der BND etwa Recht gehabt mit
seinen Behauptungen?
Seit Tagen haben sich Staatsanwaltschaft und Polizei auf diesen Moment
vorbereitet. Zeitgleich um 22 Uhr stürmen Polizeibeamte die Wohnung des
prominenten Anwalts und Politikers Gabriel Marxer in Nendeln und das
prächtige Bürogebäude des Treuhänders Rudolf Ritter in Mauren, einer
kleinen Liechtensteiner Gemeinde. Noch hängt an der Außenwand ein großes
rundes Schild: Consulado General de la Republica de Costa Rica.
Generalkonsul ist Ritter zwar bereits seit Jahren nicht mehr, aber ein
solcher Titel schmückt. Bereits seit Tagen haben Beamte das an allen vier
Ecken von Videokameras überwachte Bürohaus observiert und dabei
seelenruhig zugeschaut, wie kistenweise Dokumente weggeschafft wurden.
Der eigentliche Bürotrakt im Innern des Gebäudes ist mit einem
Zugangssystem abgeschottet. Da der Treuhänder nicht freiwillig öffnet,
brechen die Beamten mit Gewalt in das Gebäude ein.
Zum ersten Mal in der Geschichte Liechtensteins gibt es eine derart
brachiale Aktion gegen einen Treuhänder. Üblicherweise werden Verdächtige
aus dem Finanzmilieu zuvor informiert, oder man klopft vornehm an die Tür
und wartet, bis der Beschuldigte öffnet. Im Haus hängen kostbare Gemälde.
"Da ist ein Vermögen", erinnert sich einer der Beamten, der bei der
Durchsuchung mit dabei war. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft gegen den
Treuhänder ist ein anderer:"Verdacht des Verbrechens der Untreue, der
Bildung einer kriminellen Organisation, der Geldwäsche und der
Amtsanmaßung."
Neben Rudolf Ritter wird auch Gabriel Marxer verhaftet, Mitglied des
Landtags und ehemaliger Fraktionschef der"Fortschrittlichen
Bürgerpartei". Sein Bruder war der Landgerichtspräsident, dem nachgesagt
wurde, manche Verfahren wegen Geldwäsche nicht bearbeitet zu haben.
In Vaduz schlägt die Nachricht von der Verhaftung der Prominenten wie eine
Bombe ein. Teilweise wird heftige Kritik daran geübt, dass die Polizei
derart auffällig gegen die ehrenwerten Mitbürger vorgegangen ist. Marxers
Ehefrau zeigt sich über die Hausdurchsuchung empört:"Die Polizei fuhr
rein wie die Gestapo. Ich bin überzeugt, dass man meinen Mann zum
Sündenbock macht. Die brauchen einfach einen prominenten Angeklagten."
"Der Flächenbrand weitet sich aus", titelte die"Aargauer Zeitung" am 15.
Mai. Spitzer hatte ein Tabu gebrochen. Bisher war es üblich gewesen, dass
bei Verdachtsmomenten alle Informationen sofort an die Verdächtigten
weitergeleitet, eine Ermittlung entsprechend erschwert wurde, selbst wenn
der Wille dazu vorhanden gewesen wäre.
In dieser Phase meldete sich auch Marie-Gabrielle Koller zu Wort, die von
1992 bis 1996 als Juristin in einem großen Liechtensteiner Treuhandbüro
gearbeitet hatte."Wir haben für kriminelle russische Organisationen, die
mit menschlichen Organen einen Handel planten und mit Blut dubiose
Geschäfte machten, Verwaltungsaufgaben übernommen. Die Verträge zwischen
Nutznießern in Russland und der Tarnorganisation in Genf wurden in unserem
Büro abgelegt... Der Regierungschef hat mich an die Strafvollzugsbehörden
weiterverwiesen und mir geraten, mit diesen zusammenzuarbeiten. Die ließen
das Dossier aber 13 Monate liegen. Mein Ex-Chef wurde zudem gewarnt, dass
bei ihm eine Hausdurchsuchung stattfinden würde."
In der Zwischenzeit hatte sich im entfernten Moskau einiges getan. Am 8.
Mai 2000 war Wladimir Putin feierlich als neuer russischer Präsident in
sein neues Amt im Kreml eingeführt worden. Wenige Wochen zuvor, einen Tag
vor den Präsidentschaftswahlen am 26. März, hatten russische Zeitungen
bereits über Korruptionsvorwürfe gegen Putin berichtet, und zwar im
Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit als Zweiter Bürgermeister in
St. Petersburg.
Dabei ging es unter anderem um einen städtischen Fonds, über den im
spanischen Torrevieja Appartements finanziert worden sein sollten.
Wladimir Putin sollte sich massiv für diesen Fonds eingesetzt haben.
Ein Bewohner von Torrevieja, so zitierten es Nachrichtenagenturen, habe
zudem berichtet, dass sich Putin noch kurz vor seiner Wahl zum
Regierungschef in einem Restaurant von Torrevieja mit einem ehemaligen
KGB-Offizier getroffen habe.
Gesichert ist, dass der genannte Fonds in den Jahren 1993 bis 1995
insgesamt drei Millionen Dollar auf spanische Konten transferieren ließ.
Genaueres lässt sich nicht mehr sagen, da mittlerweile alle Akten über die
Transaktionen verschwunden sind. Putin selbst nannte die Vorwürfe"billige
Lügen".
Kaum ist Wladimir Putin in Amt und Würden, beginnt das Karussell sich
immer schneller zu drehen - neue Namen tauchen auf. Am 31. Mai 2000 meldet
die Nachrichtenagentur UPI:"Eine russische Zeitung und eine Webseite
veröffentlichten eine Geschichte, die Wladimir Putin mit einer deutschen
Immobilienfirma in Verbindung bringt, dessen Mitbegründer vor kurzem wegen
des Verdachtes der Geldwäsche und der Verbindungen zur Organisierten
Kriminalität verhaftet wurde. Die Geschichte basiert auf einem Artikel in
der französischen Tageszeitung 'Le Monde'."
Noch bevor der Artikel in"Le Monde" erschien, schrieb mir Wladimir
Ivandize, einer der beiden Journalisten, die den Artikel verfassten, eine
E-Mail mit folgendem Inhalt:"Ich recherchiere in der Angelegenheit in St.
Petersburg seit zwei Monaten. Aber die Zeitung 'Vedomosti' weigerte sich,
die Geschichte zu publizieren. Daher verließ ich die Zeitung, nachdem man
mich als Spion diffamiert hatte. Sich damit zu beschäftigen ist
außerordentlich gefährlich. Du hast es mit ehemaligen und noch aktiven
KGB-Leuten zu tun und dazu die Tambovskaja."
Am 5. Juni 2000 wird in der österreichischen Zeitschrift"Profil" über
delikate Beziehungen Rudolf Ritters nach St. Petersburg spekuliert, wobei
sich die Informationen überwiegend auf den"Le Monde"-Artikel beziehen.
Unter der Überschrift"Herrn Putins Geschäfte" fragen die Journalisten, ob
Wladimir Putin eine deutsch-russische Immobilienfirma mit Sitz in
Frankfurt beraten habe.
Denn Putin saß im Beirat der SPAG, während der in Vaduz verhaftete Rudolf
Ritter im Aufsichtsrat saß. Gab es da Zusammenhänge mit Ritters Verhaftung
in Liechtenstein?
Neue Firmen und Namen werden erwähnt:"Die beiden Petersburger
Tochtergesellschaften der SPAG, die Snamenskaja und die Inform Future,
standen laut dem Vorstandsvorsitzenden der SPAG, Markus Rese, unter
Leitung von Wladimir Alexander Smirnow."
Smirnow kenne Putin bereits seit Beginn der neunziger Jahre. Die Putins
und die Smirnows verbrachten demnach sogar gemeinsame Ferien am Ladogasee,
der mit 18000 Quadratkilometer größte See Europas in der Nähe von St.
Petersburg.
"Smirnow ist Chef der Petersburger Ã-lgesellschaft PTK, die in dieser Stadt
ein Quasimonopol auf Benzin hat." Der Bericht kratzte zwar nur an der
Oberfläche - doch er zeigte bereits einige wichtige Spuren auf, die zu
verfolgen sich lohnen sollte.
2. Juni 2000
Unterdessen führen in der fernen Ukraine, in Kiew, die Vorgänge in
Liechtenstein zu ungewöhnlichen Aktivitäten auf höchster politischer
Ebene. Am späten Abend unterhält sich der ukrainische Präsident Leonid
Kutschma mit dem Chef seines Nachrichtendienstes SBU, mit Leonid
Derkatsch. Beide ahnen nicht, dass unter der Couch, auf der sie sitzen,
ein digitales Aufnahmegerät versteckt ist und dass seit Wochen alle
Gespräche aufgezeichnet werden.
Major Nikolaj Melnitschenko, der drei Jahre lang zur Leibgarde von
Staatspräsident Kutschma gehörte, hatte es installiert und über einen
längeren Zeitraum alle Gespräch mitgeschnitten. Sein Motiv war, wie er
später sagte, das kriminelle Handeln des Regimes zu stoppen, um das
ukrainische Volk vor Schmutz und Lügen zu schützen.
Der Auslöser dafür, dass er die mitgeschnittenen Gespräche öffentlich
machte und damit Staatsgeheimnisse preisgab, war die Ermordung des
Journalisten Grigorij Gongadze, der im September 2001 spurlos verschwunden
und zwei Monate später tot aufgefunden worden war. Verantwortlich dafür
soll Leonid Kutschma gewesen sein, der damals heftig dementierte.
Doch auf den mitgeschnittenen Gesprächen, die Melnitschenko einigen
ukrainischen Parlamentariern übergab, war genau das Gegenteil zu hören.
Auf einem der Mitschnitte aus dem Amtszimmer des ukrainischen Präsidenten
ist die Stimme von Leonid Derkatsch zu hören, der seinen Chef Kutschma
über Material informiert, das Wladimir Putin betreffe.
Leonid Kutschma denkt daraufhin laut darüber nach, was man mit den
Materialien anfangen könne und um was er den gerade neu gewählten
russischen Präsidenten Putin im Austausch für das exklusive Material
bitten könnte. Anscheinend hatte der ukrainische Nachrichtendienst SBU
bereits seit einiger Zeit kompromittierende Informationen über Putin
gesammelt. Diesmal ist dem Dienst ein Treffer gelungen. Und wieder gibt es
seltsame Verbindungen zu Rudolf Ritter in Liechtenstein und nach
Deutschland.
Das Gespräch in Auszügen:
Derkatsch:"Leonid Danilowitsch. Wir haben hier von den Deutschen
interessantes Material gekriegt. Also, da ist einer festgenommen worden."
Kutschma liest laut:"Ritter, Rudolf Ritter."
Derkatsch:"Ja, und wegen dieser Angelegenheit, wegen Drogenschmuggels.
Hier sind sie, die Dokumente. Die haben die Dokumente rausgegeben. Hier
ist auch Wowa Putin."
Kutschma:"Da steht was über Putin?"
Derkatsch:"Jedenfalls haben die Russen das alles schon aufgekauft. Hier
sind alle Dokumente. Die haben jetzt nur noch wir. Ich glaube, dass
Nikolai Patruschew (der Direktor des Föderalen Sicherheitsdienstes
Russlands, FSB, d. Autor) am 15. bis 17. kommt. Da hat er was zu arbeiten.
Na, das werden wir dann bei uns aufbewahren. Die wollen die Geschichte
unter den Teppich kehren. Das geben wir dann so rüber, ja?"
Zwei Tage später wurde beschlossen, das kompromittierende Material über
Wladimir Putin in den Beziehungen zum Kreml als Trumpf auszuspielen.
Autor: Jürgen Roth, geboren 1945, ist einer von Deutschlands bekanntesten
Vertretern des investigativen Journalismus. Bekannt wurde er u.a. durch
seine Bücher"Netzwerke des Terrors" (2001) und"Der Oligarch. Vadim
Rabinovich bricht das Schweigen" (2001)
Buch - Brisante Lektüre:"Gangster aus dem Osten"
ISBN: 3-203-81526-5
EAN: 9783203815268
Libri: 8546606
17,90 Euro
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