dottore
18.09.2003, 13:41 |
Gewalttheorie, hier: Die"reisende Macht" Thread gesperrt |
-->Hi,
ich erlaube mir, einen neuen Thread zu eröffnen, um einen speziellen Aspekt der Gewalttheorie zu würdigen: "Die ambulante Herrschaftsausübung" (Hans Conrad Peyer in Könige, Stadt und Kapital, NZZ, 1982, 98 ff.; Peyer war Zürcher Stadtarchivar und Ordinarius für Wirtschafts- und Sozialgeschichte und Schweizer Geschichte; die Zitate von ihm).
Es ist allgemein bekannt, dass die Herrscher des MA ständig auf Reisen waren (Albernheiten wie Karl den Großen, der Tag und Nacht im Sattel gesessen haben müsste, um sein überliefertes Itinerar zu bewältigen, lasse ich mal weg). Noch im Sachsenspiegel ist die Rede von vier Pfalzen, die laufend besucht wurden.
Eine Vorstellung vom Sachsenspiegel
Der Herrscher reiste natürlich nicht zum Vergnügen, sondern zunächst, um seinen Herrschaftsbereich erneut"abzustecken" und bestätigen zu lassen, danach um die"Gastung" einzufordern, welche zunächst"Königsgastung" war, also das Inkasso der servitia regis, womit er seine Machtstellung finanzierte (was das Vorfinanzierungsproblem der Macht erledigte), dann eine allgemeine Gastung, welche "vor allem die Kirchen und Städte stark belastete" (101).
Wie schon der Finanzhistoriker Brussel Mitte des 18. Jh. nachzuweisen versuchte, war das Reisen auf die Gewinnung von Einkünften angelegt, wobei das direkte Inkasso schließlich nur noch einen Bruchteil des Gesamtinkassos ausmachte (3000 von 300.000 Pfund) - aber: das Ausüben von Macht und ergo Inkasso war da (13. Jh.) bereits von Geldabgaben abgelöst bzw. von den"Besuchten" abgekauft worden, die ja nie bezahlt hätten, wären sie nicht vom König dazu gezwungen gewesen, der jederzeit mit Truppen auf der Bühne erscheinen konnte.
[Also das klassische Phänomen der Allgegenwärtigkeit der Staatsmacht, das wir ja bis heute kennen, wo keiner weiß, ob nicht plötzlich die Steuerfahndung auf der Matte steht.]
Die Reiserei war nicht nur in Deutschland und Frankreich ausgeprägt, sondern allenthalben, weshalb das Phänomen"Hauptstadt" - im Gegensatz etwa zu den Erscheinungen in Griechenland und weiter östlich - so"spät" erst daherkommt.
Beispiele:
1. Flandern."Auch nach dem ersten Umritt waren die Herzöge ununterbrochen unterwegs... kaum je länger als 14 Tage, meist aber nur etwa 3 Tage an einem Ort."
2. Spanien. (Ferdinand III.)"durchzog große Teile des Landes, ließ sich in den wichtigsten Städten huldigen..." (zur Huld als Pendant zur Schuld, d.h. es deren"Lösung" zahlreiche Fundstellen, u.a. (Dt. Rechtswörterbuch):
Hulde (V 3)
übertragen Lösegeld, Schatzung.
sy legten sy [gefangene Bürger] in den ratturn, neunczehen tausend gulden mustens zu hulden
1465 Beheim,Wiener 270
Hulde (V 3)
sich Hulde machen [Verzeihung gewinnen].
sechzehen schilling ist ein baar gulden, damit bezahl deine schulden, steh auf, bitt ab und mach dir hulden
1663 CAustr. III 188 []
Die Gastung im 11. Jh. auf der Iberischen Halbinsel"meist schon in eine Geldleistung umgewandelt... Die in Geld umgewandelte Gastung wurde so zu einer eigentlichen unveränderlichen Steuer, deren Wert durch die dauernde Geldentwertung des Spätmittelalters fortwährend verringert wurde." (104).
3. England:"Zahlreiche Orte..., an denen Hoftage, witenagemots, stattfanden... Schon zur Zeit Alfreds des Großen begann man, das feorm [= firma des Königs, interessant wo unser Wort"Firma" herkommt!] in Geld umzurechnen. Es wurde allmälich zu einer Geldabgabe." (105 f.)
4. Irland. "Die Stämme Irlands erscheinen nun als eine eigenartige Verbindung von herrschenden, viehbesitzenden Nomadengeschlechtern, Söldnern und Räuberclans und unterworfenen Ackerbauern und Viehbetreuern. Es wird vermutet, dieser Zustand sei schon in früherer Zeit durch die Unterwerfung älterer sesshafter Bewohner der Insel durch spätere erobernde Eindringlinge entstanden. So erscheint hier Herrscherreise und Gastung als das Ergebnis einer Überschichtung von Ackerbauern durch nomadisierende Krieger." (107)
5. Schottland."Jedenfalls war auch dort der König im 12. Jh. ständig auf der Reise von Gebiet zu Gebiet und von Burg zu Burg und lebte von... Naturalabgaben." (108).
6. Schweden. Dort wurden sogar Geiseln gestellt, damit dem König im jeweiligen Gebiet, wo er kassierte,"nichts passierte".
7. Norwegen. Das Gefolge wurde schließlich auf 400 bis 600 Mann beschränkt [was damals nicht etwa aus Kammerdienern und Zofen bestand, sondern aus Truppen - warum wohl Truppen?]
Sehr interessant die Parallelen dazu außerhalb Europas:
8. Äthiopien:"Ein Reisethron, Reiseältäre, Kirchen-, Schatz-- und Gerichtszelte wurden mitgeführt" (111). Die Reise ist noch auf Aktien der äthiopischen Eisenbahn zu bestaunen (Abb. leider nicht gefunden).
9. Uganda."Wenn der König mit seinem Hofstaat... erschien, musste ihm der Distrikt die Tribute dorthin liefern und alle Rinder des Gebietes in einem oft tagelangen Zug vorführen." (112)
10. Nordafrika. Die Berglerbeys von Tunis und Algier und der Sultan von Marokko pflegten... mit ihrem Hofstaat und Truppen jedes Jahr eine gleichmäßige Rundreise durch ihre Reiche zu unternehmen, um ihre Autorität zu sichern und Tribute einzutreiben." (112)
11. Südsee. (Ponape, Mikronesien)"Der König verlegte seine Hofhaltung von einem Landesteil in den anderen, damit... auch die Belastung der Bevölkerung abwechselte." (113)
Und so fort...
Summa (114):
"Die Erghebung eines Stammes, eines Teilgebiets oder auch nur einer Familie zum gemeinsamen Herrscher über eine Vielfalt von Stämmen und Gebieten... hat doch vieles mit solchen Überschichtungen gemeinsam."
Die Entstehung von Herrschaft als mit bewaffnetem Zwang operierende Inkasso-Macht, die sich vice versa durch das Inkasso finanzierte, allerdings bei"Geldabgaben" dann in Probleme geriet (Machtverlust, Ausnahmegenehmigungen, Erteilung von"Privilegien", danach logischerweise"Vorgriffe" auf Tribute, alias Staatsschulden, usw.), stellt sich immer klarer dar.
Gruß!
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André
18.09.2003, 14:07
@ dottore
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Re: Klar doch |
-->>3. England:"Zahlreiche Orte..., an denen Hoftage, witenagemots, stattfanden... Schon zur Zeit Alfreds des Großen begann man, das feorm [= firma des Königs, interessant wo unser Wort"Firma" herkommt!] in Geld umzurechnen. Es wurde allmälich zu einer Geldabgabe." (105 f.)
Wenig wichtiges Detail:
Ich dachte immer das deutsche Wort"Firma" käme aus dem italienischen:
la firma = die Unterschrift (d.h. der Name der verbürgt).
Gruß
A.
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Burning_Heart
18.09.2003, 14:25
@ dottore
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Da sieht man mal wo unser Politikervolk ihre Wurzeln hat! |
-->Eine Räuberbande die wegen ihrer Machtkomplexe durch die Länder reist und dann auch noch Tribute haben will. Staatsschulden sind da irgendwann die logische Folge.
Es ist für mich jetzt Glasklar woher das Geld stammt und was es ist, das nur der Staat eine Inflation und seine Folgen verursachen kann(er kann anschreiben lassen, die anderen werden liquidiert).
Wählen gehen war ich noch nie und werde ich auch nie und die freie Demokratie ist für mich gestorben.
Heute sieht man die Leute mit den Machtkomplexen im Bundestag rumsitzen und abends gehen sie dann zur Domina mit der Peitsche während sie nebenbei mein Geld für ihre Vorhaben ausgeben. Bei solchen Gedanken wird mir immer schummerig
in der Birne.
Seitdem ich das Spiel der Macht durchschaut habe, kann ich z.b. den Fernseher gar nicht mehr an machen, weil mir beim Anblick unserer Elite immer schlecht wird. Hoffentlich kommt man darüber hinweg.
Gruß
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Diogenes
18.09.2003, 14:26
@ André
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Re: Klar doch |
-->>>3. England:"Zahlreiche Orte..., an denen Hoftage, witenagemots, stattfanden... Schon zur Zeit Alfreds des Großen begann man, das feorm [= firma des Königs, interessant wo unser Wort"Firma" herkommt!] in Geld umzurechnen. Es wurde allmälich zu einer Geldabgabe." (105 f.)
Ergo hat der König das Geld nicht erfunden, sondern es sich nur zu Nutze gemacht.
(bei dottores posting ist kein Antwortknopf,???)
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Bob
18.09.2003, 14:32
@ dottore
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Re: Doch, sie reisten zum Vergnügen |
-->Hi,
[img][/img] </img>
Der Zug war möglichst prunkvoll und verschwenderisch zu gestalten, um die bereisten Völker zu beeindrucken. Durch den zur Schau gestellten Reichtum, sollte gewinnsuchendes Kapital und Unternehmertum angelockt werden.
Reisen konnte nur, wer ziemlich viel auf der hohen Kante hatte. Reisen war damals wie heute ein Ausweis von Reichtum.
Reiste man als Ritter, so war darauf zu achten, daß die Rüstung möglichst unpraktisch und für den Kampf absolut ungeeignet war.
Ebenso verhält es sich mit den Stadtmauern. Sie sollten dem Besucher Wohlstand demonstrieren. Wohlstand der es sich erlauben kann, erhebliche Geldsummen für Protzbauten zu verschleudern.
Wir erkennen in den Stadtmauern den Vorläufer heutiger Prunk- und Prestigebauten, die den Besucher beeindrucken und von der Wirtschaftskraft der Stadt überzeugen sollen.
Das alles diente nur einem einzigen Zweck: mehr Geschäft zu machen!
gruß
bob
ps: dasselbe gilt im Übrigen auch für heutige Verschwendungstaten: enorme Staatsdefizite, verschwenderische Rüstungsausgaben etc. Sparsamkeit ist hier vollkommen fehl am Platze. Sie signalisiert nur fehlende Wirtschaftskraft und hemmt das Geschäft.
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Popeye
18.09.2003, 15:00
@ André
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Reisende in Sachen Macht |
-->Hallo, @dottore,
es mag ja sein, dass ich das Problem nicht richtig durchschaue - das kommt häufiger vor als mir lieb ist.
Aber so wie ich es sehe, reicht es nicht aus, darauf hinzuweisen, dass bestimmte Machtausprägungen geschichtliche Wirklichkeit waren: Hier, die reisende Macht.
Deine Macht-Theorie müsste vielmehr eine (notfalls mehrere) theoretische Wege/Ursachen aufzeigen, die mit einer gewissen Zwangsläufigkeit von A nach B führen - hier also von akephalen/egalitären zu kephalen/tributären Strukturen führen. Erst wenn dieser Schritt gegangen ist, können die historischen Beispiele - so amüsant und lehrreich sie sind - als Beweis dienen.
Vielleicht ist das „hit & run“ Modell eine tragfähige Vorstufe auf dem Weg zu permanenten Strukturen.
Vielleicht ist aber auch die Machtakkumulation nach innen durch Erbschaft (ähnlich der Gendrift bei kleinen Gruppen) ein taugliches Modell.
Sicher ist die Kontrolle wichtiger wirtschaftlicher Ressourcen ein Modell.
Aber all das passt in seiner Vielfalt noch nicht unter einen Hut. (Vielleicht gibt es das einheitliche Modell auch gar nicht!?)
Und soweit mein Literaturstudium reicht, drücken sich alle einschlägigen Autoren um dieses Thema.
Grüße
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Euklid
18.09.2003, 15:05
@ Burning_Heart
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Re: Da sieht man mal wo unser Politikervolk ihre Wurzeln hat! |
-->Was das soll unsere Elite sein?
Hab ich da richtig gelesen [img][/img]
Gruß EUKLID
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dottore
18.09.2003, 15:08
@ Bob
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Re: Doch, sie reisten zum Vergnügen |
-->>Hi,
>[img][/img] </img>
Hi Bob!
Jaja, auf den Arm nehmen kann ich mich selbst.
Es wird dort kein herrschaftlicher Umzug gezeigt, sondern einer der Hl. 3 Könige, nämlich Caspar, die beiden anderen Bilder in Florenz sehen ähnlich aus (Melchior, Balthasar).
Die Herrschaften reisten nicht, um beim Jesulein Tribute abzukassieren, sondern, um ihm Gaben zu bringen (Gold, Myrrhe, Weihrauch und derlei)
>Der Zug war möglichst prunkvoll und verschwenderisch zu gestalten, um die bereisten Völker zu beeindrucken. Durch den zur Schau gestellten Reichtum, sollte gewinnsuchendes Kapital und Unternehmertum angelockt werden.
Aha, wie also Herr Schröder nach Peking reist und durch die Darbietung seiner von Frau Doris mit viel Liebe ausgesuchten Krawatte die Herren Kapitalisten dort zu Investitionen in Deutschland zu veranlassen?
Wohin sollten den Kapital und Unternehmer angelockt werden? Etwa auf eine Pfalz? Deshalb sind die Pfalzen auch zu erfolgreichen Groß- und Handelsstädten geworden, wie man weiß.
Außerdem haben sie nicht"Völker" bereist, sondern ausschließlich ihren eigenen Beritt (Staatsgebiet). Ohne Ausnahme.
>Reisen konnte nur, wer ziemlich viel auf der hohen Kante hatte. Reisen war damals wie heute ein Ausweis von Reichtum.
Die Könige hatten Nullkommanull auf der Naht. Der letzte, der"reiste" war Kaiser Friedrich III. anno 1442. Der war so klamm, dass er seine Krone plus Reichskleinodien verpfänden musste. Na ja, haute fährt man ja auch auf Pump in Urlaub.
>Reiste man als Ritter, so war darauf zu achten, daß die Rüstung möglichst unpraktisch und für den Kampf absolut ungeeignet war.
Witzbold!
>Ebenso verhält es sich mit den Stadtmauern. Sie sollten dem Besucher Wohlstand demonstrieren. Wohlstand der es sich erlauben kann, erhebliche Geldsummen für Protzbauten zu verschleudern.
Aha. Das revolutioniert die Historiographie ein weiteres Mal. Man baute Mauern, damit das Stadtbild"mehr hermachte".
>Wir erkennen in den Stadtmauern den Vorläufer heutiger Prunk- und Prestigebauten, die den Besucher beeindrucken und von der Wirtschaftskraft der Stadt überzeugen sollen.
Die älteste bekannte Finanzierung einer Stadtmauer ist die von Lokri (Kalabrien). Da mussten die Bewohner sich gar 15 (oder so) Tonnen Silber pumpen. Die Schuldurkunde ist erhalten und wurde jüngst gefunden (auf Bronze).
>Das alles diente nur einem einzigen Zweck: mehr Geschäft zu machen!
Na, ein Konjunkturprogramm wars allemal.
>gruß
>bob
>ps: dasselbe gilt im Übrigen auch für heutige Verschwendungstaten: enorme Staatsdefizite, verschwenderische Rüstungsausgaben etc. Sparsamkeit ist hier vollkommen fehl am Platze. Sie signalisiert nur fehlende Wirtschaftskraft und hemmt das Geschäft.
Ja. Aber da wird nicht aus Überfluss (wie oben), sondern per Verschuldung gearbeitet.
Mitlachender Gruß!
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dottore
18.09.2003, 15:20
@ Diogenes
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Re: Klar doch |
-->>>>3. England:"Zahlreiche Orte..., an denen Hoftage, witenagemots, stattfanden... Schon zur Zeit Alfreds des Großen begann man, das feorm [= firma des Königs, interessant wo unser Wort"Firma" herkommt!] in Geld umzurechnen. Es wurde allmälich zu einer Geldabgabe." (105 f.)
>Ergo hat der König das Geld nicht erfunden, sondern es sich nur zu Nutze gemacht.
Ja, Alfred der Große lebte ca. 1600 Jahre nach Kroisos (Münzerfindung mit genauer Feinheit, nicht Prägung von"Naturgold" oder gar"Natursilber") und ca. 2500 Jahre nachdem die Mesopotamier in"weißem" (also künstlich raffiniertem) Silber ihre Abgaben leisten mussten (denn wie wären sie sonst in die Schatzhäuser und Tempel gekommen? Alexander konnte im Perserreich ca. 3000 oder so Tonnen abholen). Auch die anderen Völker, die die Metalle Kupfer und Zinn als Abgaben vorgeschrieben hatten (siehe Archiv der Hethiter, Nordtürkei) waren lange vor ihm zugange.
Alle Abgaben waren zuerst Naturalabgaben, das ist doch klar und historisch eindeutig belegt (siehe die Soll-Ist-Rechnung, die Prof. Nissen, FU Berlin, präsentiert in der ältesten bekannten, noch piktografischen Schrift).
Gruß!
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Emerald
18.09.2003, 15:36
@ Bob
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Die Gen-Uebertragungen halten bis heute an |
-->vor allem im Bank-und Versicherungs-Geschäft:
Hochtrabende Glas-Paläste mit vielen leeren Büros, eine Kollonne von 600er-
Mercedes und Cadillacs. Hochglanz-Prospekte*) und Emballagen, in welchen die
Mogeleien sorgsam verpackt, dem Kunden und Investor Eindruck machen sollen.
Die sog. Charts hören oftmals Mitte 2000 aus unbekannten Gründen auf sich
fortzusetzen. 'Das muss am Drucker gelegen haben' lautet die suffisante
Erklärung.
*) Diese Dinge lassen sich nicht einmal auf einer Toilette verwerten, meint,
Emerald.
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dottore
18.09.2003, 16:03
@ Popeye
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Re: Reisende in Sachen Macht |
-->>Hallo, @dottore,
>es mag ja sein, dass ich das Problem nicht richtig durchschaue - das kommt häufiger vor als mir lieb ist.
>Aber so wie ich es sehe, reicht es nicht aus, darauf hinzuweisen, dass bestimmte Machtausprägungen geschichtliche Wirklichkeit waren: Hier, die reisende Macht.
>Deine Macht-Theorie müsste vielmehr eine (notfalls mehrere) theoretische Wege/Ursachen aufzeigen, die mit einer gewissen Zwangsläufigkeit von A nach B führen - hier also von akephalen/egalitären zu kephalen/tributären Strukturen führen. Erst wenn dieser Schritt gegangen ist, können die historischen Beispiele - so amüsant und lehrreich sie sind - als Beweis dienen.
Hi Popeye!
Warum hat das egalitäre Dorf bei Bernbeck eine Mauer?
Ehrlich gesagt, ich sehe das Problem überhaupt nicht (geht mir also noch schlimmer). Bevor ich mich auf Gen-Probleme (Agressivitäts-Gen?) einlasse, von denen ich nichts verstehe, kann man das Problem doch mal auf die Vorstufe verlagern:
Wir haben, wohl unstreitig, Nomaden. Die lebten wovon? Falls Gras, mussten sie sich nur bücken. Falls Vieh, mussten sie sich schon was einfallen lassen, nämlich: Wie fange ich eins, das ich dann einsperren und womöglich züchten kann? Falls Jagdbeute: Wie komme ich dazu, eine Grube zu schaufeln? Womit? Bloße Hände? Wie erfinde ich einen Pfeil? Warum bearbeite ich Obsidian? Zum Thema Obsidian gibt's Bibliotheken, wie gepostet. Warum lasse ich die Metalle nicht liegen, essen kann ich sie ja nicht. Obsidian auch nicht.
Das läuft aufs Thema "Werkzeug" hinaus. Homo faber. Habe ich Werkzeuge, mache ich damit Erfahrungen. Ein Pfeil kann eine Hirschkuh töten, aber auch einen Menschen. Beides Lebewesen, die sich bewegen. Kann ich einen Menschen töten, kann ich dies als Abschreckung benutzen, denn wer stirbt schon lieber als er lebt?
Habe ich Werkzeuge, kann ich sie als Waffen nutzen. Andere haben diese Werkzeuge vielleicht nicht. Obsidian kommt in der Alten Welt aus der selben Ecke, wo später (?) auch die Bronze herkommt. Bekanntlich haben Prof. Pernicka (TU Freiberg) und seine Leute in Uzbekistan natürliche (!) Bronze-Vorkommen entdeckt, eine große Sensation. Wie mache ich Kupfer"hart", die in der Neuen Welt haben's nicht geschafft (siehe Kupfer-Tumi der Inka)?
Was mache ich überhaupt, wenn ich zwei Dinge durch Erfahrung lerne:
1. Mit mehr Leuten kann man mehr anfangen als mit weniger.
2. Mit bewaffneten Leuten kann ich sogar mit Wenigen Viele zwingen.
Warum sollte ich diese Erkenntnis nicht nutzen? Warum statt Menschen zu zwingen, für mich zu arbeiten, selbst den Buckel krumm machen? Herrschen ist immer schöner als beherrscht zu sein. Alles easy. Mein Sozialprodukt kommt gleich von selbst daher. Mit Tributen durchs Leben zu gehen ist produktiver (für mich) als selbst aufs Feld zu strolchen.
Außerdem hatten die Leute eine Menge Zeit für trial & error. Und jene, die als erste den Trick raushatten, überraschten oft genug die anderen. Ich darf nur an die"Seevölker/Hyksos"-Erscheinung erinnern. Da machten die das Maul auf vor Staunen, als sie von diesen Friedensfreunden überrascht wurden.
Was ist mit dem Streitwagen? Mit Eisen? Damit kann man große Reiche schaffen (Assyrer angefangen) und eine Menge Leute zwingen.
Die Gegenthese (Schalmeientheorie) würde doch lauten: Die Leute haben es damals zwar kapiert, dass man mit bewaffnetem Zang arbeiten könnte, mit Trupps und Truppen, mit Waffen aller Art, aber man hat freiwillig drauf verzichtet. Dies ist offensichtlich nicht der Fall gewesen.
>Vielleicht ist das „hit & run“ Modell eine tragfähige Vorstufe auf dem Weg zu permanenten Strukturen.
Ich bitte das Oppenheimer-Posting nochmals zu lesen, Auszug hier:
"Die ersten Herrscher lebten zunächst von den Erträgen ihres eigenen Landes (später"Kronland") und zogen dann auf Eroberungszüge. Zunächst lockt
die Beute, dann der laufende Tribut, usw. Siehe dazu schon Franz Oppenheimer, Der Staat (1912) hg. vom nicht ganz dummen Martin Buber:
"Das erste Stadium ist Raub und Mord im Grenzkrieg...
Allmählich entsteht aus diesem ersten Stadium das zweite, namentlich dann, wenn der Bauer, durch tausend Misserfolge gekirrt, sich
in sein Schicksal ergeben, auf jeden Widerstand verzichtet hat... ein ungeheurer Schritt vorwärts...
Das dritte Stadium der Staatenbildung besteht darin, dass der 'Überschuss' der Bauernschaften von ihnen regelmäßig als 'Tribut'
abgeliefert wird...
[viertes Stadium] Von jetzt an wandeln sich die ursprünglich internationalen Beziehungen beider Grupppen [Kassierer und
Abkassierte] immer mehr in intranationale...
[fünftes Stadium,"das nun schon fast der volle Staat ist"]... sie [die Herrengruppe, sic!] wirft sich zum Schiedsrichter auf und erzwingt
im Notfall ihren Spruch...
[sechstes Stadium]... führt zur Ausbildung des Staates in jedem Sinne, zur vollen Intranationalität und zur Entwicklung der
'Nationalität'. Immer häufiger wird der Zwang, einzugreifen, zu schlichten, zu strafen, zu erzwingen... Der primitive Staat ist fertig,
Form und Inhalt."
Ganz genau so war es und so ist es.
Oppenheimer (1864 - 1943), Lehrer u.a. Ludwig Erhards. Schumpeter bezeichnet ihn als"man of mark". Womit er Recht hat. Dummerweise fingen
die europäischen Herrschaften 1914 wieder bei dem ersten Stadium an. Ansonsten sind wir im finalen Erzwingungsstadium."
Nicht uneinleuchtend, jedenfalls für mich.
Die erste(n) Stufe(n) muss man halt noch aufdröseln. Und das versuche ich.
>Vielleicht ist aber auch die Machtakkumulation nach innen durch Erbschaft (ähnlich der Gendrift bei kleinen Gruppen) ein taugliches Modell.
Die Machtakkumulation nach innen ist eine Folge der Machtakkumulation außerhalb von innen.
>Sicher ist die Kontrolle wichtiger wirtschaftlicher Ressourcen ein Modell.
Nein. Die Kontrolle über jene, welche die Ressourcen für mich nutzen / ausbeuten.
>Aber all das passt in seiner Vielfalt noch nicht unter einen Hut. (Vielleicht gibt es das einheitliche Modell auch gar nicht!?)
Das Modell ist schlicht: Mit einer Glock in der Hand kommt weiter als ohne sie - vorausgesetzt kein anderer hat auch ne Glock. Hat er eine, kommt's zum Problem: Wer zieht schneller oder: wer kann die Glock behalten und den anderen entwaffnen?
Das gilt international (Kriegsmacht vs. Kriegsmacht) genauso wie national (Staat vs. Bürger).
>Und soweit mein Literaturstudium reicht, drücken sich alle einschlägigen Autoren um dieses Thema.
Das kann man wohl sagen. Und deshalb bin ich auch so scharf darauf.
Gruß!
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Bob
18.09.2003, 16:08
@ Emerald
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Re: Banken-Paläste dienen demselben Zweck: Kreditschaffung |
-->Hi Emerald,
Gute Diagnose. Die Bankenbranche von heute ist die legitime Erbin des räuberischen Fürsten.
Selbstverständlich dienen die Stadtmauern von früher demselben Zweck wie die Prestige-Bauten der Finanzindustrie heute.
Sie sollen Kredit schaffen.
Nach meiner Beobachtung gibt es zwei Methoden, Kredit zu erhalten:
1. Angeberei durch Verschwendung
2. Berufung auf Traditionen
Punkt 2. wird bevorzugt von schweizer Privatbanken praktiziert, Punkt 1 findet man eher in Deutschland - bis hin zur kleinen Sparkassenfiliale.
grüße
bob
>vor allem im Bank-und Versicherungs-Geschäft:
>Hochtrabende Glas-Paläste mit vielen leeren Büros, eine Kollonne von 600er-
>Mercedes und Cadillacs. Hochglanz-Prospekte*) und Emballagen, in welchen die
>Mogeleien sorgsam verpackt, dem Kunden und Investor Eindruck machen sollen.
>Die sog. Charts hören oftmals Mitte 2000 aus unbekannten Gründen auf sich
>fortzusetzen. 'Das muss am Drucker gelegen haben' lautet die suffisante
>Erklärung.
>*) Diese Dinge lassen sich nicht einmal auf einer Toilette verwerten, meint,
>Emerald.
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Popeye
18.09.2003, 16:42
@ dottore
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Das erste Stadium ist Raub und Mord im Grenzkrieg... |
-->Hallo, @dottore,
es ist nur das erste Stadium, dass wirklich interessiert und das was Freund Oppenheimer, S. 21ff dazu schreibt überzeugt mich nicht:
„Darum sind die primitiven Jäger staatlos, und auch die höheren Jäger bringen es nur dann zur Staatenbildung, wenn sie in ihrer Nachbarschaft entwickeltere Wirtschaftsorganisationen vorfinden, die sie unterwerfen können. Die primitiven Jäger aber leben durchaus in praktischer Anarchie....“
Das erinnert doch sehr stark an den Wildwest-Konflikt zwischen farmer und rancher und hat aus meiner Sicht nur Einzelfallbedeutung.
Aber ich melde mich, wenn ich da weiterkomme.
Danke & Gruß
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Uwe
18.09.2003, 22:45
@ Popeye
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Re: Reisende in Sachen Macht |
-->Popeye:[i] Und soweit mein Literaturstudium reicht, drücken sich alle einschlägigen Autoren um dieses Thema.[/i]
Hallo, Popeye,
ich Antworte hier, da genau mit deinem, hier noch einmal zitierten Schlußsatz, das Problem zusammengefaßt ist.
An dem von dir hier empfohlenen Buch"Frühgeschichte des Recht in vorstaatlichen Gesellschaften" (alle Deine wertvolle Literaturhinweise, die mich interessieren, werd' ich wohl im Rest meines Leben nicht mehr vertiefend nachgehen können) finde ich, neben der nicht"trockenen" Darstellung, besonders gut, dass die besprochenen Dinge vorwiegend auf gefestigte Ansichten stützt werden und wenig spekulativ ausgemalt werden.
So ist es wohl nicht verwunderliche, dass ich in diesem Werk eben auch die Beschreibung diese Übergangs vermisse muss, da es anscheinend hier bisher keine Nachweise zu präsentier gibt. Mein erster Versuch der Erklärung ist der, dass eben die Parallelität von freien Nomadentum, Seßhaftigkeit und erzwungener Wanderschaft eine dokumentierte Beweislage erschweren. Aber gerade in diesen drei Formen, die beim gegenseitigen Aufeinandertreffen zu unterschiedlichen Konfliktlösungen führen, kann ich mir den Bruch der Egalität und den Einzug von Hierarchien vorstellen.
Auf eine einzige Beschreibung im genannten Buch kann ich mich erinnern, wo das sesonale Nebeneinander von"Jägern" und Dorfgemeinschaft beschrieben wurde (finde leider nicht die betreffende Stelle nicht sofort) und beide Seiten einen gegenseitigen Nutzen daraus zogen.
Wenn in einem solchen"System" jedoch Erwartungshaltungen nicht erfüllt werden, könnte man sehr schnell zur Macht und Herrschaftsausbildung gelangen, ähnlich wie es m.E. bei der Besetzung von Wasserstellen zu erwarten ist, wenn die geeigneten Stellen knapp werden.
Du hattest vor ein paar Beiträgen die schöne Karte der"mtDNA-Migration" hier vorgestellt. Nun ist wohl diese Migration nicht mit den Wanderungen der historisch beschriebenen Völkerwanderung gleichzusetzen, doch mir kam der Gedanke, dass"Wanderungen" bis heute anhalten und wohl nie aufhören werden.
Dabei ist m.E. bemerkenswert, das diese"Ströme" u. a. in Art einer überstürzenden Welle ablaufen, indem sie keine"Verschiebung" verursachen, sondern in einem"Überspringen von Regionen" erfolgen (an den Beispielen der Kimber - Raum Dänemark nach Italien -, Wandalen - von der Weichsel nach Nordafrika - festgemacht, die nicht in der nächste Region seßhaft wurden bzw. werden konnten). Ursache ist wohl unzweifelhaft, dass Gebiete, die für den Aufenthalt bevorzugt in Frage kommen, bereits besetzt sind.
Da diese Wanderungen, ausgelöst durch Naturkatastrophen, Nöte oder Verdrängung, wohl in jeden Zeiten statt gefunden haben (egal welche Form die Gemeinschaft hatte), so nehme ich an, kommt es zwangläufig zu Kontakten zwischen verschiedenen Horden bzw. Sippen, deren"Kont(r)akt-Grundlagen" friedlich oder kriegerisch geklärt werden mußten.
Mögen die einzelne Parteien in ihrer inneren Struktur dem Elagitätsprinzip entsprechen, so braucht dies nicht mehr zwischen den Parteien eine Abbildung zu finden. Das Spektrum der Verflechtungsmöglichkeiten ist groß.
Die Zwangsläufigkeit zur Gewaltmacht wird wohl nicht punktuell festzumachen sein. Die Entwicklung zu"Staaten" - und damit von Hierarchien - hingegen, wird m.E. mit der"Vereinigung" einer immer größer werdenden ("kritischen") Anzahl Lineages zwangsläufig, ohne dass dieser Zusammenschluss, zumindest im innern, die Gewaltmacht hervorbringen muss. Aus diesem Blickwinkel hoffe ich. Doch es gibt eben keine Beispiel, wo dies letztendlich kontinuierlich durchgehalten werden konnte. An diesem Punkt, so verstehe ich es, setzt dottore mit seiner Argumentation an.
Gruß,
Uwe |
Popeye
19.09.2003, 07:12
@ Uwe
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Re: Reisende in Sachen Macht |
-->Hallo, @Uwe,
„Auf eine einzige Beschreibung im genannten Buch kann ich mich erinnern, wo das saisonale Nebeneinander von"Jägern" und Dorfgemeinschaft beschrieben wurde (finde leider nicht die betreffende Stelle nicht sofort) und beide Seiten einen gegenseitigen Nutzen daraus zogen.“
Ja, das ist die interessante Geschichte der „Mbuti“ eines Sammler- und Jägerstammes an einem Nebenfluss des Kongo (Ituri) in dessen Stammesgebiet vor einigen hundert Jahren sudanische und Bantustämme (beides sesshafte Ackerbauern) eingewandert waren. (Bei Wesel S. 136ff). In der Regenzeit (August bis November), in der das Jagen beschwerlich ist ziehen sie in die Nähe der Dörfer und jagen nur gelegentlich verdienen ihren Lebensunterhalt durch Arbeit für die Bauern.
Gruß & schönes Wochenende!
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