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Leben ohne Rente?
Von Harald Neubauer
Mit jedem Wort läßt sich rhetorisch Schindluder treiben. Derzeit ist die
"Reform" in aller Munde - die Steuerreform, die Gesundheitsreform, die
Arbeitsmarktreform, die Rentenreform. Überall Reform. Doch schaut man
genauer hin, tut sich eigentlich gar nichts, jedenfalls nichts, was der
Vokabel inhaltlich entspricht. Nirgendwo wird gearbeitet an einer
"Verbesserung des Bestehenden" (so die lexikalische Umschreibung von
"Reform"). Alles läuft vielmehr darauf hinaus, die Situation der
Betroffenen zu verschlechtern, sprich: die Beiträge anzuheben und die
Leistungen zu kürzen.
Um was geht es wirklich? Die verantwortlichen Politiker sind wieder
einmal mit ihrem Latein am Ende. Sie haben den Karren des Sozialstaats
an die Wand gefahren und wollen trotzdem ihren Führerschein behalten.
Also inszenieren sie eine"Sachzwang"-Debatte, bei der so getan wird,
als sei die Wand schuld, nicht der Fahrer. Dem Publikum werden
Zahlenkolonnen und komplizierte versicherungsmathematische Formeln
an den Kopf geknallt. Keiner kennt sich mehr aus. Aber alle reden mit.
Nahezu täglich macht ein neuer Vorschlag die Runde. Für jede noch so
abwegige These findet sich ein"Experte", der sie vor laufender Kamera
vertritt. Schon wird angeregt, ältere Menschen kurzerhand aus der
Solidargemeinschaft zu werfen. Wer sich dem"sozialverträglichen
Frühableben" verweigert, bekommt zur Strafe keine Prothese mehr -
obwohl er genau dafür jahrzehntelang eingezahlt hat.
Solche Debatte ist ganz nach dem Geschmack der politisch
Verantwortlichen. Sie kennen die segensreiche Wirkung des
Divide-et-impera: Teile und herrsche! Wo früher Klassenkampf gepredigt
wurde, proklamiert man heute den Altersklassenkampf: Streitet Euch,
rauft Euch! Wer sich so beschäftigt, bleibt den Verursachern der Krise
vom Leib und kommt bei den nächsten Wahlen nicht auf dumme Ideen.
Und der vielbeschworene"Generationenvertrag"? Ihn haben unsere
famosen Politiker mit Kindern geschlossen, die es gar nicht gibt und die
aus Single-Haushalten und Homo-Ehen auch schwerlich entsprießen
können. Die demographische Entwicklung wurde ignoriert, das
eingenommene Geld verpraßt. Jetzt sucht man Sündenböcke: Frauen,
die zu wenig gebären; Rentner, die nicht sterben wollen; Kranke, die
auf medizinischer Versorgung beharren. Soll heißen: Das Volk ist selber
schuld. Niemand stellt die simple Frage, weshalb die zuständigen
Politiker keine Rücklagen gebildet haben.
Schon einmal vom Juliusturm gehört? Dort, in der Festung Spandau,
bunkerte die Reichsregierung bis 1914 Gold im Wert von 120 Millionen
Mark - für Krisenzeiten. Einen zweiten"Juliusturm" errichtete später
Bundesfinanzminister Fritz Schäffer. Trotz horrender Wiederaufbau- und
Besatzungskosten sparte er bis 1956 rund sieben Milliarden Mark an.
Schäffers Nachfolger machten aus schwarzen Zahlen rote und trieben
die Staatsverschuldung bis heute auf astronomische 1,3 Billionen Euro
hoch.
Ähnlich die Entwicklung der sozialen Sicherungssysteme. Bismarcks
Konzeption war solide genug, um zwei Weltkriege zu überdauern. 1942
betrug der Beitragssatz für die Rente 5,6 Prozent des Arbeitsentgeltes.
Heute sind es bereits 19,5 Prozent (die zugeschossenen Steuermittel
eingerechnet, sogar nahezu 30 Prozent). 1957 kam das
Umlageverfahren. Seitdem werden die Rentenbeiträge nicht mehr
angespart, sondern laufend verausgabt. Ein Glücksspiel nach dem
Kettenbrief-Muster. Sobald die Nachrücker ausbleiben, bricht alles
zusammen. Privat ein Fall für den Staatsanwalt. Politisch ein
gigantischer Volksbetrug.
Ob Rentenbeiträge, Krankenversicherung oder Steuern: Dem Bürger
kann es egal sein, wie man die Zwangsabgaben jeweils betitelt und
zuordnet. Es geht um die Gesamtbelastung. Wenn Teile des Systems
mehr Geld benötigen, muß in anderen Bereichen gespart werden. Allein
die Schulden ausländischer Staaten bei der Bundesrepublik betragen
etwa 52 Milliarden Euro (SZ, 26. 5. 03). Wir pumpen unser Geld nach
Afghanistan, auf den Balkan und morgen womöglich in den Irak.
Deutschland gilt als Sozialamt der Dritten Welt und füttert Jahr für Jahr
mit rund 15 Milliarden Euro das Monster in Brüssel.
Nur: Darüber wird in der aktuellen Reform-Debatte kein Wort verloren.
Statt dessen lesen wir im"Focus" die erstaunliche Nachricht, den
Deutschen stehe ein"Leben ohne Rente" bevor. Das mag stimmen -
aber nicht, weil kein Geld da ist, sondern weil es die Politiker
anderweitig aus dem Fenster schütten. Erst kürzlich gingen fünf
Milliarden Euro an ehemalige Fremdarbeiter in Osteuropa. Dabei sprach
niemand von einer Ausbeutung der Jungen durch die Alten. Aber von
moralischer Pflicht war die Rede. Mehr Verständnis erheischen auch
deutsche Rentner nicht.
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