-->Der Physiker und der Crash
Zu guter Letzt...
von Bernd Niquest
Während der vergangenen Wochen geisterte eine Horrormeldung durch den ohnehin schon herbstlichen deutschen Blätterwald: Amerikanische Physiker, so hieß es unter Bezug auf eine Publikation in der aktuellen Ausgabe der US-Zeitschrift"New Scientist", seien dem Aktienmarkt mithilfe eines naturwissenschaftlich-physikalischen Modells erfolgreich auf der Spur. Doch leider sieht es dabei nicht sehr gut aus für die Anleger, denn diese müssen sich im Frühjahr 2004 auf einen Aktiencrash einstellen.
Ist so etwas eine seriöse Prognose? Ich denke, derartige Veröffentlichungen sind nicht das Papier wert, auf dem sie gedruckt sind. Und der Grund dafür ist ganz prinzipieller Art. Hier wird versucht, mit den Methoden der Naturwissenschaften, die uns dort zu außerordentlichen Erkenntnissen verholfen haben, in Bereichen zu fischen, für die sie sich schlichtweg nicht eignen.
In den Naturwissenschaften können wir die Stellung der Erde und aller anderen Planeten in den nächsten hundert Jahren für jede einzelne Sekunde exakt vorausberechnen. Doch welche Laune die Börsianer schon morgen haben werden, bleibt uns heute weitgehend verschlossen, denn hier gelten keine adäquaten Gesetzmäßigkeiten. Man denke in diesem Zusammenhang nur an den Ausspruch von Sir Isaac Newton, dem Erfinder der modernen Naturwissenschaft, er könne zwar die Bewegungen der Gestirne vorausberechnen, doch wohin die verrückte Masse die Aktienkurse treiben würde, das bleibe ihm verschlossen. Damals waren die Naturwissenschaftler noch reflektierter als heute.
Menschliches Verhalten ist schlichtweg nicht so stabil wie die Gravitationsgesetze von Sonne, Mond und Sternen. Und es kommt noch etwas anderes und viel Entscheidenderes hinzu: Menschliches Verhalten ist deshalb nicht prognostizierbar, weil die Menschen auf die Veröffentlichung von Prognosen reagieren können. Würde man mir vorhersagen, am morgigen Tag einen Autounfall zu haben, so könnte ich diese Prognose schon allein dadurch ad absurdum führen, dass ich mich an diesem Tag einfach nicht auf die Straße begebe. Dies ist natürlich auch genau der Grund, weshalb Crashs an den Aktienmärkten immer nur dann passieren, wenn niemand so recht daran glaubt. Vorhergesagte Crashs hingegen haben in der Realität niemals stattgefunden und werden dies auch niemals tun.
Es ist daher völlig rätselhaft, warum gerade die US-Wissenschaft einfach nicht davon ablassen kann, menschliches Verhalten in die engen Formeln der Naturwissenschaften hineinzupressen. Dies ist nämlich überall zu beobachten. Ganz so, als habe es einen Sigmund Freud niemals gegeben. Dass Menschen von Unterbewusstem gesteuert werden könnten, so etwas ist den US-Wissenschaftlern anscheinend völlig fremd. Um das zu akzeptieren, muss man wohl Europäer sein. Konsequenterweise zählt Freuds Unterbewusstes den US-Wissenschaftlern auch gar nicht als wissenschaftliche Erkenntnis, weil sich darauf keine überprüfbaren Gesetzmäßigkeiten gründen lassen. Wer jedoch für sich selbst schon einmal etwas vorher Unterbewusstes ausgegraben hat, weiß, wie unendlich überlegen ein derartiges Wissen macht. Denn Menschen können menschliches Verhalten tief im Inneren verstehen, dazu brauchen sie keine Naturwissenschaft.
Das sollte man auch an der Börse beachten. Die einzige Chance, die Marktentwicklung vorherzusagen, ist daher, die Psychologie der Anleger zu erspüren. Hier kann man richtig oder auch falsch liegen. Wohingegen die Physiker des Aktienmarktes bereits mit ihrem Ansatz zum Scheitern verurteilt sind.
Artikel erschienen am 26. Okt 2003
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