--> SPIEGEL ONLINE - 30. Oktober 2003, 15:57
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Zeitenwende in Malaysia
"Dr. M." tritt ab
Von Andreas Lorenz, Kuala Lumpur
Er ist unbeugsam, aggressiv und autoritär, liebt Technik, aber verteufelt westliche Werte - und hat Malaysia in 20 Jahren zu einem Hightech-Staat umgebaut. Morgen tritt der 77-jährige Regierungschef Mahathir Mohamad ab, leise und ganz ohne Paraden. Sein Volk feiert ihn trotzdem.
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Malaysias Regierungschef Mahathir alias Dr. M.: Die Lichtgestalt gibt das Zepter ab
Kuala Lumpur - Mal ist er in tiefen Gedanken versunken, mal probiert er eine Sonnenbrille aus. Dann wieder argumentiert er mit erhobenem Zeigefinger oder winkt wohlwollend Parteimitgliedern zu. Mahathir hier, Mahathir dort - Szenen einer Karriere in Farbfotos und Schwarz-weiß.
Über 500 Fotos zeigt Malaysias Nationale Kunstgalerie von Regierungschef Mahathir Mohamad, 77. Die Bürger von Kuala Lumpur strömen in Scharen herbei. Sie fotografieren sich gegenseitig vor den Bildern oder knipsen sie ab - so wie jener pensionierte Minister, der stolz auf einen Schnappschuss hinweist:"Da, hinter Mahathir, stehe ich."
Auf einem Foto erscheint er unter vielen Anhängern als einziger in Farbe- Mahathir, die Lichtgestalt. Mehr als zwei Jahrzehnte hat der Politiker das Leben der 25 Millionen Bürger geprägt, und nun wird gehuldigt: Eine Zeitung verkauft zum Sonderpreis Anzeigentexte, die ihn hochleben lassen. Ein anderes Blatt veröffentlicht -"um unseren Premierminister zu ehren" - Handybotschaften von Lesern.
Die"New Straits Times" fordert ihre Kunden auf, zu berichten, welchen"profunden" Einfluss Mahathir auf ihr Leben hatte. Dazu gehört nach ihrer Ansicht schon die atemberaubende Neuerung, Gepäck vor der Bahnfahrt zum Flughafen im neuen"Sentral"-Bahnhof in der Innenstadt Kuala Lumpurs aufgeben zu können.
Vom Plantagenreich zum High-Tech-Staat
Wenn"Dr. M", wie er allgemein genannt wird, am 31. Oktobers seinen Posten räumt, endet in dem Vielvölkerstaat Malaysia eine Ära. Unter dem früheren Arzt wandelte sich das tropische Plantagenreich seit 1981 zum modernen High-Tech-Land, das heute nach Brunei und Singapur zu den wohlhabendsten in Südostasien zählt.
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Mahathir, Bush: Der Malaysier nannte Bush einen Lügner
Der Mann war Visionär und Technikfan, wie die vielen Computer in seinem Büro zeigten. Er ließ nach dem Vorbild von Silicon-Valley eine High-Techstadt - Cyberjaya- für in- und ausländische Computerfirmen vor den Toren Kuala Lumpurs errichten und zog Firmen wie BMW oder den Kurierdienst DHL an, die ihre Logistikzentren in Malaysia aufbauen.
Während der Wirtschaftskrise 1997/98 führte Mahathir trotz des Aufschreis des Internationalen Währungsfonds strenge Devisenkontrollen ein und sorgte so dafür, dass Malaysia relativ ungeschoren davonkam. Inzwischen liegt das Wachstum wieder bei über vier Prozent.
Ein Abschied ohne Pomp
Sag zum Abschied leise Servus. Es wird keine großen Reden geben, keine Paraden, keine Festbankette mit den Sultanen oder dem König: Mahathir geht still und ohne Pomp. Aufregung gab es zum Finale ohnehin genug. Dieser Amerikaner Bush, befand Mahathir, sei ein"großer Lügner", weil er ein Gespräch auf der Konferenz der Asien-Pazifik-Staaten (APEC) in Bangkok mit ihm falsch wiedergegeben habe.
Mahathir verteidigte auch seine Behauptung gegen die internationale Kritik, die Juden würden"die Welt über Stellvertreter" regieren. Dies sei"absolut wahr". Sollten sie nun auf die Idee kommen, Malaysia mit einem Handelsboykott zu"erpressen", werde man auch damit fertig werden.
Mahathir, wie er leibt und lebt: Bis ganz zum Schluss ungebeugt und aggressiv - auch gegen die eigenen Glaubensbrüder, die er für zu lahm und zu rückständig hält. Wie sein - von ihm ungeliebter - Kollege Lee Kuan Yew in Singapur, war auch der Malaysier eine wichtige Stimme Asiens. Er argumentierte gegen"westliche Werte", westliche Währungsspekulanten", westliche Medien - und rechtfertigte so seine autoritäre Herrschaft.
Seinen Nachfolger hat sich Mahathir selbst ausgesucht: es ist sein bisheriger Stellvertreter Abdullah Badawi, 63, genannt"Vater Lah".
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