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04.11.2003
Ausland
Rainer Rupp
Särge, Leichensäcke und »Transfer Tubes«
Hunderte GIs im Irak getötet: Steigende Opferzahlen lassen Umfragewerte für US-Präsident Bush sinken
Seit Jahrzehnten dient die riesige militärische Leichenhalle auf der Dover Air Force Base im US-Bundesstaat Delaware für die bei Auslandseinsätzen gefallenen amerikanischen Soldaten als Durchgangstor zur feierlichen Bestattung zu Hause. Über 60000 Leichen oder das, was von den meist jungen Soldaten übriggeblieben war, sind bisher im Charles-C.-Carson-Leichenschauhaus wieder ansehnlich hergerichtet worden, soweit das möglich war.
Offensichtlich rechnete die Regierung von US-Präsident George W. Bush bei der Durchsetzung ihrer neuen Weltkriegesordnung mit zunehmenden Opfern auf der eigenen Seite: Ende Oktober wurde in Dover eine neue, 30 Millionen Dollar teure Anlage eingeweiht, gerade noch rechtzeitig, um die ständig wachsende Arbeit zu bewältigen. Der Gebäudekomplex für die Kriegstoten erinnert an eine High-Tech-Fabrik und ist auf dem neuesten Stand der Technik. Ein ausgeklügeltes Ventilationssystem tauscht die Luft in der Leichenschauhalle 15 Mal in der Stunde aus, um die Geruchsbelästigung für die dort an fast 200 Computer-vernetzten Arbeitsplätzen beschäftigten Make-Up-Spezialisten in Grenzen zu halten. In einem Kühlraum können bis zu 380 Zinksärge übereinander gestapelt werden. Wegen ihrer negativen Zuschreibung sind Worte wie »Sarg« oder gar »Leichensack« - aus der Zeit des Vietnam-Kriegs - allerdings aus der militärischen Fachsprache verbannt. Heute spricht man im Pentagon funktional von »Transfer Tubes«, von »Transferröhren«, in denen die sterblichen Überreste amerikanischer Soldaten eingeflogen werden.
In US-Fachkreisen spricht man mittlerweile vom »Dover-Test«: Wie- viel getötete US-Soldaten wird die amerikanische Bevölkerung zur Verfolgung der jeweiligen politischen Ziele ihrer Regierung akzeptieren? Mit Stand vom Sonntag sind bisher 360 US-Soldaten im Irak gefallen. Ebenfalls gefallen ist die Zustimmung der US-Bevölkerung zur Kriegspolitik ihres Landes: Standen kurz nach dem von Bush am 1. Mai proklamierten »Ende der Hauptkampfhandlungen« noch knapp 90 Prozent der Amerikaner hinter ihrem Kriegspräsidenten, so waren mit Stand der vergangenen Woche bereits 51 Prozent gegen die Besatzungspolitik. Der Abschuß eines US-Transporthubschraubers mit mindestens 16 getöteten GIs am Sonntag dürfte die Zahl der Bush-Kritiker deutlich vergrößern.
Alarmiert von den Erinnerungen an Somalia, aus dem sich die USA Anfang der 90er Jahre nach dem Verlust eines Hubschraubers zurückgezogen hatten, sind in regierungsnahen Kreisen inzwischen Durchhalteparolen zum Mantra geworden: »Versagen ist keine Option«, heißt es allenthalben und wird ständig wiederholt. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld erklärte, die Opfer im Irak seien »als Teil eines schwierigen und komplizierten Krieges notwendig«.
Angesichts der zunehmend kritischen Stimmung in der US-Bevölkerung kommen neokonservative Kommentatoren der bedrängten Bush-Administration zu Hilfe. William Safire etwa warnte in der New York Time vor der Gefahr, daß ein Rückzug aus dem Irak nicht nur »den Verlust des amerikanischen Prestiges« zur Folge hätte, sondern »Amerika auch seine Glaubwürdigkeit im Umgang mit Schurkenstaaten verlieren würde«. Im Klartext bedeutet das, daß zuviele tote US-Soldaten im Irak die langfristige Strategie Washingtons zur Festigung des »neuen amerikanischen Jahrhunderts« konterkarieren und weitere amerikanische Kriege auf absehbare Zeit unmöglich machen würden.
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