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Of course everyone knows perception is reality ("Jeder weiss, Augenschein ist Wahrheit"), so beginnt eine der Mails des Chef-Entwicklers Ken Clark der Firma Diebold Incorporated. Eine von ca. 15.000 internen E-Mails dieser Firma, die vor kurzem an die Ă-ffentlichkeit geschmuggelt wurden und fĂŒr Aufregung sorgten. Diebold ist die weltweit zweitgrösste und derzeit am schnellsten expandierende Firma, deren GeschĂ€ft das Betreiben von elektronischen Wahlurnen ist. In 37 amerikanischen Bundesstaaten kamen ihre"Accu-Vote" genannten"direct recording electronic voting systems" (kurz DRE) bisher zum Einsatz. Die meisten der an die Ă-ffentlichkeit gekommenen Firmeninterna sind belangloser Natur, doch so manches lĂ€sst vermuten um welche Art von GeschĂ€ft es sich dort handelt.
Offen reden Entwickler ĂŒber SchwĂ€chen ihrer elektronischen Wahlmessmaschinen, die es geheim zu halten gilt. Hinweise auf Fehlbarkeiten des Systems werden abgewiegelt und Mitarbeiter konkret dazu angewiesen, der Presse gegenĂŒber den Mund zu halten und sowohl Behörden als auch WĂ€hlern Kompetenz vorzuheucheln, die sie nicht haben.
Avi Ruben, Computerexperte und Professor an der John Hopkins UniversitĂ€t war einer derjenigen, dem Anfang des Jahres eine Kopie des Quellcodes zugespielt wurde. Er und seine Studenten gingen diesen durch und kamen zu dem Schluss, dass die Schutzmassnahmen gegen Manipulation und Betrug die Arbeit von Amateuren gewesen sein muss. Jeder meiner SchĂŒler hĂ€tte das besser hingekriegt. Die Kryptographie soll schwach und schlecht implementiert gewesen sein, das Smart-Card-System, die die Sicherheit verbessern sollte sorgte in Wirklichkeit fĂŒr noch mehr Schwachstellen. Weit unterhalb der minimalsten Sicherheitsstandards, so Rubin.
Bedenklich ist die Penetranz der Sicherheitsfehler und der mangelnde Wille, diese zu beseitigen, was neben reiner Profitgier auch den Verdacht auf vorsÀtzliche WahlfÀlschung verstÀrkt.
Electronic Voting Systems haben eine lange Tradition mit ZwischenfĂ€llen und Ungereimtheiten. In seinem Buch"Black Box Voting" fasst der Autor Beverly Harris diese zusammen. Die drei Namen, die am hĂ€ufigsten mit Wahlstimmen-Manipulation in Verbindung gebracht werden sind MarktfĂŒhrer ES&S, Diebold und eine Firma namens Sequoia. Einige Beispiele:
1996 wurden in einem Bezirk in Texas 800 Stimmen gezÀhlt, obwohl nur 500 Leute an der Wahl teilnahmen.
1998 in den"general elections" in Dallas wurden ĂŒber 41.000 Stimmen nicht mitgezĂ€hlt (ES&S gab den Fehler damals zu).
Im selben Jahr in Pima County, Arizona wurden die Stimmen aus 24 Bezirken nicht gezÀhlt, obwohl Tausende zur Wahl gingen.
Einen 100%igen Wahlfehler gab es ebenfalls 1998 bei einem BĂŒrgerentscheid zu Schulfinanzierung in Orange County, Kalifornien, als die"Ja"- und"Nein"-Antworten von einem unbekannten Programmierer einfach vertauscht wurden.
Eine Testmaschine in Iowa, 2000, wurde mit 300 Stimmen gefĂŒttert, registrierte aber 4 Millionen.
Am 5. November, 2002 bei den landesweiten Wahlen fĂŒr das ReprĂ€sentantenhaus wurden in Broward County, Florida 103.222 Stimmen nicht in die EndauszĂ€hlung ĂŒbernommen. In King County, Washington wurden die Endergebnisse schon Stunden vor offiziellem Wahlschluss ausgewertet. Das fĂŒr viele grösste Debakel ereignete sich hierbei wohl in Georgia als das System bei den WĂ€hlern fĂŒr durchgehende Verwirrung sorgte. Teilweise stĂŒrzten die GerĂ€te ab oder verschwanden vorĂŒbergehend aus den WahlbĂŒros und es gelang vielen Leuten nicht mit der Technik klarzukommen und ihre Stimme richtig abzugeben. Einige monierten der Computer habe versucht, egal was sie taten, fĂŒr den republikanischen Aussenseiter zu stimmen, welcher die Wahl dann auch gewann.
Bei diesen handelt es sich um bekanntgewordene FĂ€lle. Wie hoch die Dunkelziffer des fahrlĂ€ssigen oder bewussten Wahlbetrugs ist lĂ€sst sich wohl nicht abschĂ€tzen, und da es keinerlei schriftliche BestĂ€tigung von abgegebenen Stimmen gibt -obwohl die Maschinen die technischen Voraussetzungen dafĂŒr haben- sind auch keine NeuauszĂ€hlungen mehr möglich.
Die rege Anteilnahme am amerikanischen Wahlkarussel durch die Firma Diebold wirft ohnehin Fragen auf. Diebolds Firmenchef ist Walden O'Dell, ein Mitglied der"Rangers und Pioneers", einer Elitegruppe von Bush-UnterstĂŒtzern die unter anderem Fundraising fĂŒr George W. betreiben. O'Dell verweilte kĂŒrzlich auf der grosszĂŒgigen Ranch der Bush-Familie in Texas und sponsorte daraufhin ein 600.000-Dollar Fundraiser-Event fĂŒr Dick Cheney, republikanischer Vize. Eines seiner Zitate nach dem Ranch-Urlaub lautete Ich werde Ohio dabei helfen, seine Stimmen nĂ€chstes Jahr fĂŒr Bush zu machen. Wie genau dieser Satz zu verstehen ist bleibt offen, doch unparteiisch ist O'Dell nicht gerade. Erfahrung im Drehen von Wahlergebnissen scheint der Bush-Clan seit den letzten PrĂ€sidentschaftswahlen 2000/2001 sowieso zu haben. Auch wenn dabei noch keine elektronischen Urnen im Mittelpunkt standen. Neben Medienmanipulationen beschwerten sich viele im von Jeb Bush regierten Florida aufgrund der uneindeutigen Wahlkarten aus Versehen fĂŒr den Reformer Pat Buchanan, statt fĂŒr Gore gestimmt zu haben. Weitere NeuauszĂ€hlungen oder gar Neuwahlen wurden durch einen richterlichen Beschluss verhindert.
Elektronische Wahlurnen sollten mehrere Tests durchlaufen. Diebold behauptet, den Anforderungen mit seinem System zu genĂŒgen. Der"unabhĂ€ngige" Gutachter, der in der Verantwortung dieser Tests steht ist allerdings eine gewisse Scientific Application International Corporation. SAIC ist einer der grossen Spieler im Wettbewerb um den Wiederaufbau des Irak und unter den Top-Ten Firmen, die von der US-Regierung RĂŒstungsvertrĂ€ge erhalten. Sie arbeitet u.a. eng mit der Vinnell Corporation zusammen, einem MarktfĂŒhrer in der Ausbildung auslĂ€ndischer Armeen, neuerdings auch einer neuen irakischen Kernarmee. Die Firma besteht fast ausschliesslich aus pensionierten MilitĂ€r- und Geheimdienstmitarbeitern wie Dr. Steven Hatfill, ehemaliger Wissenschaftler fĂŒr biologische KriegsfĂŒhrung. Firmendirektor ist General a.D. Wayne Downing der U.S. Army, welcher auch im Vorstand des"Komitees fĂŒr die Befreiung des Irak" sass. Mehr Infos dazu hier.
Die Diebold-Dokumente geben einen Blick frei hinter die Kulissen eines korrupten Grossunternehmens, das mit seinen primitiven Wahlsystemen Millionen einstreicht. Alleine Maryland (einer der kleinsten Bundesstaaten in den USA) beabsichtigte, fĂŒr das"Accu-Vote"-System 57 Millionen Dollar auszugeben -alles Steuergelder natĂŒrlich- bis der Skandal um die ganze Sache immer grösser wurde.
Die Antwort einer solchen Firma auf derart negative Publicity lautet"cease and desist", zu deutsch Unterlassungsklagen ohne Ende. So wurden in den vergangenen Wochen mehrere Webseitenbetreiber und Internet Service Provider, u.a. die Online-Zeitung Scoop Media, welche die Story als erstes gross brachte, von Diebold eingeschĂŒchtert und dazu genötigt, die brisanten Dokumente wieder aus dem Netz zu nehmen. ZunĂ€chst leugnete die Firma noch die Echtheit der Inhalte, widersprach sich aber selbst als sie ein Kopierrecht auf diese beanspruchte mit der Argumentation, E-Mail-Korrespondenz der Mitarbeiter sei intellektuelles Eigentum der Firma.
Einige weigern sich jedoch standhaft, die unangenehme Wahrheit verschwinden zu lassen, so der Non-Profit ISP Online Policy Group, der die Webseiten des Bay Area Independent Media Centers in Amerika hostet. Nicht nur, dass die Hinhalte- und Manipulationsversuche Diebolds mit dem Argument der Kopierrechtsverletzung gemessen an der Tragweite des Falles geradezu lĂ€cherlich sind, die Electronic Frontier Foundation, welche sich der Sache angenommen hat, glaubt auch dass man sich vor Gericht durchaus durchsetzen kann. Laut einer Fair-use-Klausel im amerikanischen Recht wĂ€re auch die Verwendung von kopierrechtlich geschĂŒtztem Material erlaubt, wenn es dabei um nationale Sicherheit oder den Erhalt der demokratischen Grundordnung geht. Das wĂ€re bei einer potentiellen Wahlstimmen-Manipulation wohl der Fall.
Obwohl die Presse nicht ganz so einseitig Berichterstattung betreibt, wie in der Einleitung suggeriert wird, hĂ€lt man sich wie immer etwas zurĂŒck. Dies kann man als journalistische ProfessionalitĂ€t sehen, muss man aber nicht. Die meisten recherchieren nicht selbst, sondern ĂŒbernehmen nur die Agenturstories, wie die der Associated Press gestern Abend. Darin beschĂ€ftigt man sich in erster Linie mit der"cease and desist"-Klage und weniger mit dem Problem des Wahlbetrugs selbst. Man tendiert auch eher dazu die Unsicherheit des Systems nur insofern anzusprechen, als dass irgendwelche"Hacker" eindringen könnten um böses anzustellen. Dass die Verantwortlichen des Konzerns mit Hilfe ihrer Mitarbeiter direkte WahlfĂ€lschung begehen könnten lĂ€sst man Aussen vor.
Indymedia San Francisco (von der Mainstream-Presse liebevoll"Aktivisten" genannt) sind nicht die einzigen die den Unterlassungsklagen Diebolds trotzen. Zahlreiche Einzelpersonen wie College-Studenten und Internetaktivisten verlinken oder spiegeln die Dokumente u.a. im Ausland. Einige haben diese zwar wieder von ihren Seiten genommen, jedoch angekĂŒndigt sie innerhalb von zwei Wochen wieder online zu nehmen, falls die Androhungen Diebolds sich als fadenscheinig herausstellen sollten.
Es wird strengstens empfohlen diese Dokumente, die diesem Beitrag als PDF beigefĂŒgt sind, ebenfalls zu spiegeln und weltweit verfĂŒgbar zu machen. Eine offene Debatte darĂŒber, ob einem solchen Demokratiesystem vertraut werden kann wird sowohl fĂŒr ablehnende Anarchisten, wie fĂŒr staatstreue WahlgĂ€nger von Interesse sein. Denn elektronische Wahlsysteme dieser Art werden frĂŒher oder spĂ€ter auch in Deutschland Einzug erhalten. Und wer weiss, womöglich -wie in Brasilien durch Diebold- auch durch eine US-amerikanische Betreiberfirma.
Dieser Artikel unterliegt keinen kopierrechtlichen EinschrÀnkungen.
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