-->(auf den ich bei Literaturrecherche zu einer Kritik des Aufsatzes von dottore für Bremen gestoßen bin)
Hallo
Hier der Text (geringfügig gekürzt, damit die Antwort auf die"Von-wem"- und"Von-wann"-Frage nicht zu offensichtlich wird):
Man sagt, und es wird wohl richtig sein, daß bei uns sehr viele Private über ihre Verhältnisse leben. Aber gewiß ist, daß seit einiger Zeit sehr viele unserer öffentlichen Körperschaften über ihre Verhältnisse leben. Einmal der Staat selbst. Es ist schwerlich ein blinder Zufall, daß die Dezennien, in denen wir konstant aktive Handelsbilanz hatten, ungefähr mit derjenigen Epoche zusammentreffen, in welcher in unserer Staatswirtschaft eine strenge, zu ihrer Zeit natürlich viel gescholtene Sparsamkeit waltete; Sparsamkeit ist ja nie populär. Die Wendung in unserer Handelsbilanz trifft aber - es kommt hier nicht auf eine bestimmte Jahreszahl an - beiläufig mit einer Wendung im Geiste zusammen, in dem unsere Staatswirtschaft geführt wird. Wir sind unstreitig large und locker in unserer Ausgabewirtschaft geworden. Den berühmten großen Überschuß zu ertragen, der vor etlichen Jahren ein so freudiges Aufsehen machte, dazu hatten wir allesamt, Regierung, Parlament und Bevölkerung, nicht die nötige moralische Kraft. Wir glitten auf Rechnung der Überschüsse in ein leichtherziges, williges Ausgeben hinein, und wir glitten darin auch dann noch weiter, als wir keine Überschüsse mehr hatten. Statt in den fetten Jahren einer ungetrübten Aufschwungsperiode direkt und indirekt Reserven zu sammeln für die nie ausbleibenden Anforderungen einer weniger günstigen Zukunft, setzten wir mitten im Glück schon alles bis auf den letzten Rest zu, alles, was sich aus der Anspannung der Steuerkraft und aus dem Emporpräliminieren der Einnahmsquellen bis an die obere Grenze der Wahrscheinlichkeit nur noch zusammenraffen ließ. Und der erste ungünstige Zwischenfall mußte dann, da ihm mit den bis zur äußersten Elastizitätsgrenze angespannten laufenden Mitteln nicht begegnet werden konnte, sofort am Volkskapital, am Volksvermögen zehren.....
Warum das so kam? Darüber ließe sich ein ganzes Buch schreiben, das die innere Geschichte des letzten Dezenniums und zumal
die i n n e r e p o l i t i s c h e Geschichte desselben zum Gegenstand haben mußte; denn die Finanzen waren bei uns der Prügelknabe der Politik. In zahllosen Spielarten haben wir das vergebliche Vexierspiel gesehen, politische Zufriedenheit durch materielle Konzessionen erzeugen zu wollen. Waren ehedem die Parlamente die Wächter der Sparsamkeit gewesen, so sind sie heute weit eher ihre geschwornen Feinde geworden. Heutzutage pflegen die... Parteien - vielleicht nicht n u r bei uns, aber jedenfalls ganz vorzugsweise a u c h bei uns - eine förmlich für pflichtmäßig gehaltene Begehrlichkeit nach allerlei Vorteilen für ihre... Wählerkreise auf Kosten der Ã-ffentlichkeit zu entwickeln, und wenn die politische Situation entsprechend günstig, das will sagen, wenn sie für die Regierung entsprechend ungünstig ist, erhält man auch durch politischen Druck das Gewünschte. Da aber zwischen den einzelnen Parteien sorgsam rechnende Rivalität und Eifersucht besteht, muß oft genug das e i n e r Partei Konzedierte sofort kompensationsweise auch nach anderen Seiten ausgeteilt werden: aus einer einzelnen kostspieligen Konzession wird sofort ein ganzes Bündel kostspieliger Konzessionen. Wenn es gut geht, mit dem Erfolg einer politischen Eintagszufriedenheit. Am nächsten Tage geht aber das Wünschen und Fordern wieder weiter, als ob das gestern Gewährte im Schwimmsand versunken wäre. Das Erlangen reizt nur ein weiteres Wünschen. Es gibt keinen Dank und keine Saturierung.
Aber von der leidigen Politik will ich so wenig als möglich reden. Leider hat sie bei ihren Attacken auf die Finanzen stets auch gewisse unpolitische Bundesgenossen im Publikum, die, wenn und wo ja einmal die Regierung dem Drängen der Politiker standhalten will, sich ebenfalls gegen sie und gegen die Finanzen wenden. Diese Bundesgenossen sind das gute, leichte Herz unserer Bevölkerung und dann ein Zug, den ich vielleicht am besten als ökonomische Großmannssucht bezeichnen könnte. Das gute, leichte Herz steht, was zunächst ganz löblich ist, stets auf der Seite derer, welche den Leuten, und zumal den kleinen Leuten, etwas zukommen lassen wollen; aber, und das ist bedenklicher, es pflegt blindlings auf dieser Seite zu stehen, ohne die Grenzen der inneren Berechtigung und der äußeren Möglichkeit kritisch zu untersuchen; wozu dann wohl noch kommt, daß die große Binsenwahrheit jeder öffentlichen Wirtschaft, daß aus der großen Regimentstasche nichts herausgenommen werden kann, was nicht vom Volke auf der anderen Seite in sie hineingelegt wird, weiten Kreisen unserer Bevölkerung noch immer nicht in Fleisch und Blut übergegangen zu sein scheint. Man sieht den „Fiskus" noch immer so gern als etwas Fremdes oder gar Feindliches an.
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Und was die blinden Lobredner einer leichtherzigen Investitionspolitik - daß es daneben auch durchaus notwendige und absolut nicht zu unterlassende Investitionen gibt, soll natürlich nicht im mindesten in Abrede gestellt werden - nicht im voraus s e h e n, das müssen sie dann zuzeiten nachträglich f ü h l e n, wenn, wie in unseren Tagen, unsere schwache Kapitalkraft durch die vieljährige übermäßige Inanspruchnahme unserer öffentlichen Haushalte ausgepumpt und für die nützlichsten und lebenswichtigsten privaten Unternehmungen an allen Ecken und Enden nicht genug Kapital mehr übrig ist, wenn vieles ins Stocken gerät, vieles ganz unterbleiben muß...
Und wie der Staat, so die Länder und so die Gemeinden. Ich kann und will hier keine genaue Einzelstatistik treiben. Wir wissen genugsam aus allerlei fatalen Ziffern, die bald hier und bald da ans Licht der Ã-ffentlichkeit dringen, wie sehr sich viele unserer Länder und zahllose unserer Gemeinden finanziell übernommen haben. Aus ähnlichen Ursachen und mit ähnlichen Wirkungen wie in der Wirtschaft des Staates. Zum guten Teile auch unmittelbar wegen des vom Staate gegebenen Beispiels. Large Bezugsaufbesserungen z. B., die der Staat seinen Bediensteten gewährte, m u ß t e n von den autonomen Körperschaften aus naheliegenden Gründen alsbald nachgeahmt werden;... und vieles, vieles andere derart. Die Folge von alledem sind aber die laufenden Defizite, die trotz hoher und höchster Umlageprozente in vielen unserer Länder nicht schwinden, ja nicht einmal am weiteren Wachsen sich hindern lassen wollen, und ein riesiges Anwachsen der Investitionsschulden der Mehrzahl unserer großen und selbst vieler unserer kleinen Gemeinden. Und alles das zehrt zusamt dem Jahr für Jahr wiederkehrenden Kapitalbedarf unserer Staatswirtschaft an unserer leider allzu knappen Kapitalkraft. Sie kann nach dieser gewaltigen, von unseren öffentlichen Faktoren erzwungenen Anzapfung der Volkswirtschaft nicht mehr genug geben für das, was diese braucht zur zeitgemäßen Kapitalausrüstung für unsere wachsende und sich entwickelnde Bevölkerung.... Und daher die Notwendigkeit, von neuem ausländisches Kapital hereinzurufen, und daher die neuerdings hereingebrochene Passivität unserer Handelsbilanz.
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[W]enn ich, ein von anderer Seite gegebenes Beispiel nachahmend, auch meinerseits eine Prophezeiung aussprechen soll, so möchte ich sie in folgende Worte kleiden: Mögen bei uns Bevölkerung, Parlamente und Regierungen dafür sorgen, daß unsere locker gewordenen öffentlichen Haushalte sich wieder konsolidieren, dann braucht uns nicht darum bange zu werden, daß auch die Passivität unserer Handelsbilanz wieder schwinden wird!
Gruß
G.
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-->Hallo
Die Antwort ist: Eugen von Böhm-Bawerk; Jänner 1914. Näheres oben in meiner Antwort an El Sheikh.
Persönlich finde ich es interessant, daß Böhm-Bawerk von der"moralischen Kraft" spricht, die auf Seiten einer Regierung, des Parlamentes und der Bevölkerung erforderlich sei, wenn mit vollen Kassen verantwortungsbewußt umgegangen werden soll.
Im übrigen bin ich tief beeindruckt von der Schärfe Ihrer Analyse.
Gruß
G.
>Das grenzt an Ratestunde:
>die neuerdings hereingebrochene Passivität unserer Handelsbilanz.
>, die durch Sparen ausgeglichen werden soll.
>Erzeugung politischer Zufriedenheit durch materielle Konzessionen.
>wenn vieles ins Stocken gerät, vieles ganz unterbleiben muß.
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>Eine Depressionsperiode vor dem 1. WK. Die HB ist Passiv, von Handelspolitik ist nicht die Rede, auch wenn es implizit darum geht.
>Die Haushalte der Länder sind defizitär, nicht die des Staates.
>Hmm, nach 1911?
>Ein Wissenschaftler spricht, kein Politiker.
>keine Ahnung, bitte um weitere Hinweise...
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