-->http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,273472,00.html
US-Fonds-Skandal
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<font size="+3">"Größte Abzocke aller Zeiten"</font>
Von Marc Pitzke, New York
Der amerikanische Fondsskandal weitet sich immer weiter aus. Sieben
Billionen Dollar stehen auf dem Spiel, zur Hälfte Spareinlagen von
Kleinanlegern. Mit dramatischen Konsequenzen: Geprellte ziehen Milliarden ab,
die einst hochgelobte US-Aktionärsdemokratie gerät ins Wanken, eine
Massenflucht aus den Finanzmärkten droht.
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<tbody>
<tr>
<td width="180"><img alt="Eine schlimme Situation: Wall Street" hspace="0" src="http://www.spiegel.de/img/0,1020,255326,00.jpg" align="left" border="0" width="180" height="126"></td>
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<td><img alt="Großbildansicht" hspace="0" src="http://www.spiegel.de/static/sys/v6/lupe.gif" align="right" border="0" width="35" height="20"><font size="-2">Eine
schlimme Situation: Wall Street</font></td>
</tr>
</tbody>
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</td>
</tr>
<tr>
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type="block">
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
New York - Es ist immer peinlich, wenn ein Unternehmen in ganzseitigen
Zeitungsanzeigen Abbitte leistet."Wir ändern uns", gelobte also in
diesem Fall Putnam, das fünftgrößte Investmentfondshaus der USA, gestern im
"Wall Street Journal" und in der"New York Times"."Wir
ändern uns für unsere Anleger, unsere Mitarbeiter - zum Besseren."
Eine richtige Entschuldigung war das aber nicht. Sicher, Putnams Integrität
sei"kompromittiert", räumte der neue Konzernchef Charles Haldeman
ein, der das Eigeninserat unterzeichnet hatte, und zwar kumpelhaft mit
"Ed", seinem Rufnamen unter Freunden. Schuld an dem ganzen Schlamassel
trügen aber nur"eine kleine Zahl Individuen" und deren"unglückliche
Handlungen".
Schön gesagt. Und in der Sache bezeichnend: In Putnams PR-Eiertanz offenbart
sich das Paradoxon des gigantischen US-Fondskandals, der die Wall Street mit täglich
neuen Hiobsbotschaften überschwemmt, seit die US-Börsenaufsicht SEC und die
lokalen Regulierungsbehörden in den Bundesstaaten die ersten Verfahren
einleiteten.
Schwindel erregende Zahlen
So bat die SEC 88 Firmen, darunter auch die US-Tocher der Deutschen Bank, um
Erläuterung ihres Geschäftsgebarens - und stellte bei der Hälfte
"Unschicklichkeiten" fest."Eine schlimme Situation",
wettert SEC-Chef William Donaldson: Die Missbräuche"ziehen sich durch die
gesamte Industrie". Der Image-Schaden (und immer mehr auch der finanzielle)
für die inkriminierten Firmen ist inzwischen so enorm, dass sie jetzt zum öffentlichen
Bußgang kriechen.
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<tbody>
<tr>
<td><font size="-2">Late Trading
Wenn ein Investor Aktien noch nach Börsenschluss zum
Tagesschlusskurs kauft oder verkauft, wird dies im Börsenjargon
als"late trading" bezeichnet. Damit ist es möglich,
kursbeeinflussende Ereignisse nach Börsenschluss auszunutzen,
bevor sie den weiteren Kursverlauf am kommenden Tag
beeinflussen. Nach den New Yorker Landes- und nach
Bundesgesetzen ist"late trading" untersagt. Trotzdem
sollen führende Fondsgesellschaften in den USA ausgewählten
Großkunden den Späthandel erlaubt haben.
</font>
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
Der Skandal hat mehr als nur juristische Bedeutung. Er bringt das Selbstverständnis
einer ganzen Nation ins Wanken, in der jeder Zweite sein Geld an der Wall Street
investiert hat. Lange galt die US-Aktionärsdemokratie auch in Europa als
Vorbild, die vermeintlich unbestechlichen Fondsmanager wurden gelobt als
unerbittliche Kontrolleure der Konzerne.
Auf ihren sogenannten"Grillpartys", bei denen auch noch die mächtigsten
Vorstände ihre Geschäfte rechtfertigen mussten, setzten sie Manager wie den
DaimlerChrysler-Boss Jürgen Schrempp oder SAP-Vorstand Henning Kagermann unter
Druck. Die Herren des Geldes steuerten Investitionen, verhinderten allzu üppige
Vorstandsbezüge und drängten schonmal darauf, eine ganze Vorstandsetage
auszuwechseln. Um was es geht, belegen schon die Zahlen: Sieben Billionen Dollar
stehen auf dem Spiel, denn so viel betreut die US-Fondsbranche. Zur Hälfte sind
das Spar- und Renteneinlagen von Kleinanlegern, der Rest institutionelle Gelder,
etwa von großen Versicherern, von Regierungen oder Bundesstaaten wie Colorado.
"Diabolische Natur"
Rund 650 Firmen sind in dem Feld tätig - alle nun potenzielle Übeltäter.
Allein Putnam zählt zwölf Millionen Privatkunden und 700 Firmenklienten, die
263 Milliarden Dollar in 100 Fonds investiert haben. Der größte Einzelfonds,
der Vanguard 500, bewegt 66,7 Milliarden Dollar bei einer Rendite von zuletzt
21,42 Prozent.
Doch die Ausschüttungen der Fondsbranche waren offenbar nicht überall
gleich verteilt. Im September gab New Yorks Generalstaatsanwalt Eliot Spitzer
Ermittlungen gegen zahlreiche Fondshäuser bekannt. Der Vorwurf: Zugunsten
privilegierter Kunden (und der eigenen Fondsmanager) und zu Lasten der
Kleinanleger hätten sie"Millionengewinne" erschwindelt.
Oder, wie der republikanische Senator Peter Fitzgerald sagt, der jetzt in
Washington eine erste Anhörung zu dem Thema einberief:"Es geht um die größte
Abzock-Aktion aller Zeiten."
Bedient haben sollen sich die Unternehmen zweier verpönter, wenngleich nicht
unbedingt verbotener Handelsmethoden:"Market Timing" und"Late
Trading". Mit dem richtigen Insider-Wissen und bei entsprechendem Einsatz
bringen sie viel Geld ein. Tricks von"dämonischem Scharfsinn und
diabolischer Natur", staunt selbst der mit allen Wassern gewaschene
Wall-Street-Guru James Cramer.
Erste Betrugsklage eingereicht
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<table cellSpacing="0" cellPadding="3" width="100%" border="0">
<tbody>
<tr>
<td><font size="-2">Market Timing
Das erste fragwürdige Handelsmethode, um die es im
US-Fondskandal geht, ist das Market Timing. Diese Technik macht
sich kleine Kursdifferenzen zu Nutze, die zwischen den
Schlusskursen der Fonds in den USA und anderen Börsenplätzen
auftreten können. Solche Geschäfte sind nicht illegal, dennoch
geben Investmentfonds in ihren Werbeprospekten an, solche
Aktivitäten nicht zuzulassen. Für Kleininvestoren ist Market
Timing unmöglich - sie werden benachteiligt, wenn Großinvestoren
diese Methode benutzen.
</font>
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
</td>
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type="block">
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
Fondsmanager Edward Stern aus New Jersey und sein Hedge-Fund Canary Capital war
der Erste, den es erwischte. Er handelte mit Spitzer in einer außergerichtlichen
Einigung ein 40-Millionen-Dollar Bußgeld aus - vermied jedoch jedes Eingeständnis
einer Schuld.
Dann war Putnam dran. Dem Bostoner Anlagegiganten flatterte die erste
handfeste Betrugsklage dieses Skandals ins Haus.
Von den Finanzzentren im Nordosten breitete sich der Fall zu einem Flächenbrand
aus: Bank of America, Bank One, Citigroup, Janus, Merrill Lynch, Prudential,
Smith Barney, inzwischen auch Europas größte Fondsgesellschaft Amvescap und
die Deutsche Bank.
Kreuzzug gegen die Finanzbranche
Für den ehrgeizigen Spitzer - dem auch Ambitionen auf ein US-Senatorenamt
nachgesagt werden - ist der Fondsskandal nur ein weiterer Schritt auf seinem
missionarischen Kreuzzug gegen die gesamte Finanzbranche.
Der"meistgehasste Mann an der Wall Street" ("Business Week")
stellt deren gesamte Kultur in Frage. So hätten die Verwaltungsräte der Fonds
ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt - ein Vorwurf, der in die gleiche Kerbe
zielt wie der gegen die New York Stock Exchange (NYSE), die SEC-Chef Donaldson
gerade ebenfalls"wegen Vetternwirtschaft" auseinander nehmen lässt.
Anders gesagt: An der Wall Street hat eine regelrechte Revolution von oben
begonnen -"ein fundamentaler Wandel der Art, wie hier Business gemacht
wird" (Spitzer).
Die Anleger stehen unter Schock."Das Vertrauen der Investoren ist erschüttert",
sagt Pulitzer-Preisträgerin Gretchen Morgensohn, Wirtschaftskolumnistin der
"New York Times".
Doch Vertrauen ist das Fundament dieses Geschäfts. So hat denn allein Putnam
seit Bekannt werden der Ermittlungen Kunden und Einlagen im Wert von 14
Milliarden Dollar verloren."Die Anleger", stellt Robert Adler fest,
der Präsident der Beraterfirma AMG Data Services,"stimmen mit ihren
Dollars ab."
Anleger unter Schock
In einer Gallup-Umfrage unter Fonds-Anlegern erklärten jetzt 71 Prozent
aller Befragten, dass sie ihr Geld abziehen würden, sollten auch ihre Fonds in
Misskredit kommen. New England Pension Consultants, das 190 Pensionspläne im
Wert von 150 Milliarden Dollar managt, hat seinen Kunden geraten, Putnam abzustoßen.
Schon fürchtet der Finanzberater Michael Ryan"Angst und Panik" an
der Wall Street. Eine Massenflucht könnte nicht nur Putnam zwingen,"seine
Guthaben zu liquidieren".
Die Fondsindustrie, ohnehin noch im Spätschock des Börsencrashs von 2000,
rasselt so in eine echte Existenzkrise. Seit Jahresbeginn haben 371 mehr
US-Fonds dicht gemacht als eröffnet. Sollte sich das nicht ändern, wäre 2003
das erste Jahr in über einem Jahrzehnt, in dem die Schließungen überwiegen.
Die eigentlichen Kleininvestoren, denen Spitzers Ermittlungseifer dienen
soll, stecken nun in der Klemme. Wo sonst sollen sie ihr Geld investieren?
"Lässt sich einem Broker, einem Versicherungsagenten oder einem
Finanzplaner mehr trauen als einem Fondsintitut?", fragt das Magazin
"Money" zu Recht. Eine junge Anlegerin rief gestern den
TV-Wirtschaftssender CNBC an und fragte:"Soll ich ganz mit dem Investieren
aufhören?"<br clear="all">
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