-->Der Staat zahlt für mehr als 90 Prozent der Abtreibungen
Kostenerstattungen von mehr als 9 Millionen Euro in Nordrhein-Westfalen / Kleine Anfrage
G.H. FRANKFURT, 12. November. Das Land Nordrhein-Westfalen wendet in diesem Jahr mehr als neun Millionen Euro auf, um die Kosten von Abtreibungen zu erstatten, die das Bundesverfassungsgericht als"rechtswidrig, aber straffrei" qualifiziert hat. In den Landeshaushalt 2003 ist unter dem Kapitel 11050 Titel 67 die Summe von 9 497 300 Euro für diesen Zweck eingestellt. Das hat die CDU-Landtagsabgeordneten van Dinther und Solf zu einer kleinen Anfrage an die Landesregierung veranlaßt, um den Anteil der vom Staat bezahlten Schwangerschaftsabbrüche an der Gesamtzahl der Abbrüche zu klären. Zugleich wollten die beiden Abgeordneten wissen, wer und wie das Vorliegen der Voraussetzungen der staatlichen Kostenerstattung prüft und wie. Rechtsgrundlage dieser Kostenerstattung ist die Bedürftigkeit der betroffenen Frau, wie sie im"Gesetz zur Hilfe für Frauen bei Schwangerschaftsabbrüchen in besonderen Fällen" geregelt ist. Dort heißt es, eine Frau habe Anspruch auf die Erstattung der Abtreibungskosten,"wenn ihr die Aufbringung der Mittel nicht zuzumuten ist und sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat". Zumutbar sei die private Aufbringung der Kosten nicht, wenn die"verfügbaren persönlichen Einkünfte" 912 Euro (Stand 2003 einer jährlich erneuerten Verordnung) nicht übersteigen. Diese Einkommensgrenze erhöht sich um jeweils 225 Euro für jedes unterhaltspflichtige Kind; auch die Unterkunftskosten werden bis zu einem Mehrbetrag von 282 Euro berücksichtigt, falls sie 243 Euro übersteigen. Bei Sozialhilfe, Arbeitslosenhilfe und bestimmten Arten der Ausbildungsförderung, etwa Bafög, sowie bei Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz werden die Abtreibungskosten automatisch erstattet.
Die nun vorliegende Antwort der Landesregierung wurde von der Ministerin für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie"im Einvernehmen mit dem Finanzminister und dem Justizminister" erteilt. Demnach wurden in den Jahren 2000 bis 2002 in Nordrhein-Westfalen jeweils rund 27 000 Abtreibungen gemeldet, insgesamt 81 750. Davon betrafen insgesamt 4239 Fälle Jugendliche bis zur Volljährigkeit. Von der Gesamtzahl der gemeldeten Fälle, die alle Arten der Abtreibung umfaßt, wurden insgesamt 79 029 Schwangerschaftsabbrüche"nach Paragraph 218 a Absatz 1 des Strafgesetzbuches", das sind Abtreibungen nach einer Schwangerschaftskonfliktberatung, ausgewiesen. Von diesen mehr als 79 000 Abtreibungen hat Nordrhein-Westfalen 78 409 Abtreibungen aus Steuergeldern bezahlt, wobei die Zahl dadurch etwas erhöht ist, daß im Jahre 2000 auch die"angefallenen Kosten" aus dem vierten Quartal des Vorjahres erstattet wurden. Im Jahr 2002 wurden von den 25 926 straffreien Abtreibungen die Kosten von 24 394 Abtreibungen vom Land erstattet, das ist ein Anteil von 94 Prozent.
Die Erstattung wird vom Versorgungsamt Düsseldorf in Zusammenarbeit mit den gesetzlichen Krankenkassen abgewickelt. Die Landesregierung gibt die erstatteten Kosten"unter Berücksichtigung der sowohl ambulant als auch stationär durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche im Einzelfall" mit 363,58 Euro für die Behandlung und 28,49 Euro für die Verwaltungsaufwendungen an. Die Kostenübernahme muß von der Frau beantragt werden;"die Krankenkasse stellt, wenn die Voraussetzungen vorliegen, unverzüglich eine Bescheinigung über die Kostenübernahme aus", heißt es im Gesetz von 1995. Der Zusatz lautet:"Tatsachen sind glaubhaft zu machen." Die nordrhein-westfälische Sozialministerin verweist in ihrer Antwort auf die kleine Anfrage lediglich auf diese gesetzliche Normierung. Wie eingehend allerdings die Krankenkassen diese Prüfung vornehmen, darüber könnten nur sie Auskunft geben. Die Zahlenverhältnisse lassen vermuten, daß kaum ein Antrag zurückgewiesen wird. Auch dazu kann man sich auf das Gesetz berufen:"Im gesamten Verfahren ist das Persönlichkeitsrecht der Frau unter Berücksichtigung der besonderen Situation der Schwangerschaft zu achten." Die Folge davon ist, daß in Deutschland (von den Angaben aus Nordrhein-Westfalen ausgehend) neunzig Prozent aller gemeldeten Abtreibungen vom Staat bezahlt werden, der zugleich unter den demographischen Problemen leidet.
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.11.2003, Nr. 264 / Seite 4
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