-->Konsum
<font size=5>Rohes Fest</font>
Das Weihnachtsgeschäft beginnt, und der Einzelhandel steckt in der Klemme. Die Konsumenten sind verunsichert, zu viel Konkurrenz drückt die Margen
Von Marcus Rohwetter
Irgendwann ist die Zeit einfach gekommen. Im Supermarkt spielen sie bloß noch Last Christmas und Jingle Bells. Dutzende lebensgroßer Plastikweihnachtsmänner seilen sich von den Fassaden der Kaufhäuser ab. Goldene Schleifen machen aus Hornhauthobeln „eine tolle Geschenkidee“, und Apotheker ziehen den Doppelherz-Flaschen im Schaufenster rote Bommelmützen über. Läuft alles nach Plan, versetzen die Ladenbesitzer ihre Kundschaft mit solchen Tricks in einen vorweihnachtlichen Kaufrausch.
<font color="#FF0000">In diesem Jahr läuft es nicht nach Plan</font>.
„Wenn Ende Dezember ein paar müde Politiker aus dem Vermittlungsausschuss kommen, wird es für das weihnachtliche Stimmungsbild zu spät sein“, schimpfte Hans-Joachim Körber, der Chef des Handelskonzerns Metro, in der vergangenen Woche im Kreis seiner Branchenkollegen. Die Antwort war Kopfnicken. Wenige Tage zuvor hatte der Bundesrat das geplante Vorziehen der Steuerreform gestoppt und die Gesetzesänderung in den Vermittlungsausschuss abgeschoben. Es ist zwar noch möglich, dass sich die Parteien kurz vor dem Heiligabend einigen und die Reform zum 1. Januar 2004 in Kraft tritt. Den Händlern wird das aber nicht viel nützen.
<font color="#FF0000">Im Weihnachtsgeschäft machen sie ein Fünftel des gesamten Jahresumsatzes</font>.<font color="#FF0000"> Schon 2002 waren die Umsätze in der sonst einträglichsten Zeit um fast vier Prozent gegenüber dem Vorjahr eingebrochen</font>. Selbst wenn sich Manager wie Benedikt Best, der stellvertretende Vorstandschef von Karstadt, öffentlich „verhalten optimistisch“ äußern - die Einzelhändler können froh sein, wenn sie das schlechte Niveau wieder erreichen: <font color="#FF0000">Sechs von zehn Bundesbürgern wollten weniger Geld für Geschenke ausgeben, hat das Forschungsinstitut Emnid ermittelt</font>.
Sechs von zehn oder fünf oder sieben - das laufende Geschäftsjahr haben die Manager von Kaufhof, Tengelmann und Co. schon weitgehend abgehakt. Im Vergleich zu den Strukturproblemen ihrer Branche ist ein drohender Einbruch im Weihnachtsgeschäft nebensächlich.
Die Sparquote steigt
<font color="#FF0000">Die Zahl der Insolvenzen im Einzelhandel steigt immer schneller, rund 4000 dürften es in diesem Jahr werden - vor zehn Jahren traf es nur gut halb so viele</font>. <font color="#FF0000">Bis zu 30000 Arbeitsplätze werden bis Ende 2003 verschwunden sein</font>. Wenn viele Händler an ihre Zukunft denken, sieht diese so finster aus wie die längste Nacht des Jahres. „<font color="#FF0000">Die Verbraucher sind stark verunsichert</font>. Ob die Steuerreform nun kommt oder nicht - sie werden ihr Geld ohnehin nicht ausgeben, weil sie nicht wissen, was langfristig auf sie zukommt“, sagt Ludwig Görtz, Geschäftsführer der gleichnamigen Schuhläden und Grandseigneur der deutschen Handelsszene.
Seine Vermutung würde auch die Zahlen der Meinungsforscher erklären. Trotz eines beginnenden Konjunkturaufschwungs ist den Verbrauchern keineswegs nach Prassen zumute. <font color="#FF0000">Die Nettoeinkommen sinken. Fast jeder Dritte fürchte, seine finanzielle Situation werde sich künftig verschlechtern, berichtet der Deutsche Sparkassen- und Giroverband</font>. Und die Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) glaubt, wegen der schlechten Stimmung drohe die Konsumkonjunktur „in einen Winterschlaf“ zu fallen.
<font color="#FF0000">Der private Konsum ist für rund 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verantwortlich</font>. <font color="#FF0000">Knapp drei Millionen Menschen </font>beraten bei der Auswahl von Pullovern und Hosen, räumen Konservendosen ins Regal und ziehen Preisetiketten über elektronische Scannerkassen. Der Einzelhandel ist direkter als jede andere Branche von der Kaufstimmung betroffen.
Damit die Lust der Kunden am Geldausgeben wieder steigt, kommt es nach Ansicht vieler Einzelhändler aber gar nicht so sehr auf die Details einer Steuerreform an - sondern darauf, dass die Reform von Dauer ist. „Für das Ausgabeverhalten der Konsumenten ist nach unseren Erfahrungen die psychologische Komponente wichtiger als die realwirtschaftliche“, sagt der Hamburger Katalog-König Michael Otto. „Entscheidend für eine Trendwende ist Vertrauen in die Zukunft. Was wir dringend brauchen, sind verlässliche Rahmenbedingungen.“
Den Umfragen der Konsumforscher zufolge glauben die Deutschen allerdings nicht an langfristig verlässliche Politik. Steuer-, Renten- und Arbeitsmarktreformen gehören seit Jahren zum Standardrepertoire der Berliner Diskussion. Auch die jüngste Variante der Gesundheitsreform ist weder in ihren finanziellen Folgen noch in ihrer Dauerhaftigkeit für den Einzelnen zu durchschauen. Für Pillen, Salben und Zäpfchen werden höhere Zuzahlungen fällig, für den Arzt alle drei Monate zehn Euro Praxisgebühr. Stempel im Bonusheftchen sind passé, denn Zahnersatz soll in ein paar Jahren Privatsache werden. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt hat zwar Hoffnung gemacht, im Gegenzug würden die Kassenbeiträge sinken - aber ob die Rechnung zugunsten der Arbeitnehmer aufgeht und zu einer höheren Kaufkraft führt, bleibt völlig unklar (siehe Grafik unten).
<font color="#FF0000">Klar ist hingegen, dass Politiker schon oft Einschnitte ins Sozialsystem damit begründet haben, die Beiträge stabilisieren zu wollen, und es ihnen regelmäßig misslungen ist</font>. So war es vor gut drei Jahren, als der damalige Sozialminister Walter Riester für alle unter 40-Jährigen die staatliche Berufsunfähigkeitsrente mit den Worten strich, dies sei „ein weiterer Schritt, die Rentenversicherung auf ein langfristig stabiles und zuverlässiges Fundament zu stellen“. Bald darauf stieg der Beitragssatz von 19,1 auf 19,5 Prozent - und wer den verlorenen Schutz von einer privaten Versicherung haben will, muss dafür jährlich 600 Euro und mehr ausgeben. Viel Geld, das für ausgedehnte Einkaufstouren nicht mehr zur Verfügung steht.
<font color="#FF0000">Aus Angst vor der nächsten Überraschung sparen die Deutschen immer weiter. Rund 3,7 Billionen Euro Geldvermögen haben sie im Lauf der Jahrzehnte gehortet</font>; diese Summe entspricht dem Umsatz des kompletten DaimlerChrysler-Konzerns in einem Vierteljahrhundert. Die Sparquote - also der Teil des verfügbaren Einkommens, den die Bundesbürger zurücklegen - <font color="#FF0000">ist innerhalb eines Jahres von 10,3 Prozent auf 10,6 Prozent geklettert</font>. Paradoxerweise tun sie damit eigentlich das Richtige, denn sie werden ja ständig ermahnt, selbst für ihr Alter vorzusorgen. Das Motto: Kauf dir heute keinen neuen Schrank, dann brauchst du morgen nicht zu hungern. <font color="#FF0000">Mittlerweile sparten sogar viele Rentner für ihren weiteren Ruhestand</font>, hat das Deutsche Institut für Altersvorsorge herausgefunden. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen.
Für den Einzelhandel ist dieses Konsumklima äußerst deprimierend, weil es sich selbst im Aufschwung halten könnte. Was also tun? „Jammern ist keine unternehmerische Aktivität“, sagt Metro-Chef Körber, aber er hat gut reden - sein Konzern erwirtschaftet die Hälfte seines Umsatzes im Ausland. Der deutsche Markt hingegen gilt als einer der härtesten überhaupt, denn hier stecken Händler gleich doppelt in der Klemme. Auf der einen Seite die verunsicherten und sparsamen Konsumenten, <font color="#FF0000">auf der anderen ein massives Überangebot an Läden und Waren</font>. <font color="#FF0000">Die Bundesrepublik hat pro Kopf mehr Einkaufsfläche als jedes andere Land Europas - doppelt so viel wie in den Niederlanden, sogar dreimal so viel wie in Großbritannien</font>. Deshalb wird unternehmerisch nur überleben, wer genug Wettbewerber in die Insolvenz treibt und seine Kunden fester an sich bindet.
Die Auslese läuft.
Große Hoffnungen setzen die Einzelhändler momentan auf Bonuskarten, mit denen sie die Vorlieben ihrer Kunden ausspähen. Zwei Systeme dominieren den Markt: Payback mit rund 24 Millionen Karten, hinter denen unter anderem die Metro-Töchter Kaufhof und Real stehen, Europcar, Palmers und Obi. Und HappyDigits von Telekom, Tengelmann und KarstadtQuelle mit etwa 17 Millionen Karten. <font color="#FF0000">Das Ziel beider Kartensysteme ist es, an der Kasse möglichst viele Daten zu sammeln</font>. „Wer Bücher kauft, interessiert sich oft auch für Wein. Wer Geld für Sportbekleidung ausgibt, verreist auch gerne. Wenn wir das wissen, machen wir ihm entsprechende Angebote“, sagt Benedikt Best, stellvertretender Vorstandschef der Karstadt Warenhaus AG. Sein Unternehmen ist dem HappyDigits-System im Sommer 2002 beigetreten. Die Frage, ob die Investitionskosten inzwischen wieder erwirtschaftet werden konnten, mag Best allerdings nicht beantworten.
„Rabatte als Selbstmord“
So wird der Wettbewerb ums Portemonnaie der Verbraucher vorläufig über Preisnachlässe geführt. Der Kampf um jeden Cent weckt zwar den Instinkt der Schnäppchenjäger, nicht aber die allgemeine Konsumlust. Kaum eine Reform hat das Verhältnis der Händler zu ihren Kunden so nachhaltig verändert wie der Wegfall von Rabattgesetz und Zugabeverordnung. <font color="#FF0000">Die Konsequenz sind komplizierte Angebote, die kaum jemand mehr durchblickt</font>. Telefone gibt es nur dann zum reduzierten Preis, wenn Kunden einen bestimmten Tarif wählen, mit dem sie zwar sonntags kostenlos telefonieren können, dessen monatliche Grundgebühr aber rund neun Euro höher ist als üblich. Verbraucher bekommen 30 Prozent Nachlass auf Weihnachtsgeschenke, sofern sie diese bereits im November kaufen und an der Kasse einen Bonuscoupon vorzeigen.
Preisschlachten, wie sie früher dem Winter- und Sommerschlussverkauf vorbehalten waren, finden heute das ganze Jahr über statt, und daran wird sich nichts mehr ändern. „Rabatte sind wie Drogen“, sagt Karstadt-Vize Best, „einmal daran gewöhnt, ist es schwer, die Dosis wieder zu senken.“ <font color="#FF0000">Sein Konzernchef Wolfgang Urban bezeichnete Preisnachlässe kürzlich als „kollektiven Selbstmord“ - weil sich mit ihnen zwar Umsätze halten oder sogar kurzfristig steigern lassen, parallel aber die Rendite sinkt</font>[Eigener Kommentar: Richtig!]. Auch deshalb war das Weihnachtsgeschäft für den Einzelhandel im vergangenen Jahr so schlecht. Für die kommenden Adventswochen besteht ebenfalls ein hohes Risiko - die Lager sind noch voll mit Ware, die in den vergangenen Monaten liegen geblieben ist.
Ralph Lauren beim Discounter
Ganz Unrecht hat Urban nicht. <font color="#FF0000">Seine Branche begeht eine Art Selbstmord auf Raten, bei dem ständig neue Warengruppen nach unten durchgereicht und verramscht werden</font>. Momentan ist Bekleidung an der Reihe. Von einem „<font color="#FF0000">dramatischen Preisverfall</font>“ spricht Thilo Lohmüller, Chef des Bereichs Textilien bei der GfK. „<font color="#FF0000">Manche Geschäfte verkaufen inzwischen nicht einmal mehr die Hälfte ihrer Ware zum regulären Preis.“ Statistisch gesehen, haben Frauen in den ersten acht Monaten des Jahres sechs Prozent weniger für Kleidung ausgegeben als im selben Zeitraum des vergangenen Jahres. Bei Männern betrug das Minus sogar knapp acht Prozent - doch für beide Geschlechter ist die Menge der gekauften Teile weitgehend konstant geblieben</font>.
Billigheimer kleiden die Republik ein, zum Teil stammen sie aus der Lebensmittelbranche. Tchibo und Aldi befänden sich heute unter den Top Ten der Kleiderbranche, hat das Fachmagazin TextilWirtschaft errechnet. Innerhalb von vier Jahren dürfte der Textilumsatz der Unternehmen um jeweils rund 40 Prozent gestiegen sein. Preise und Image werden indes ruiniert, wenn teure Markenprodukte auf Grabbeltischen angeboten werden. Wer zahlt noch an die hundert Euro für ein Herrenhemd von Polo Ralph Lauren, wenn - wie vor einigen Wochen - rund 300000 Kleidungsstücke der US-Designermarke beim Lebensmittel-Discounter Plus für weniger als die Hälfte angeboten werden?
Das jüngste Opfer dieses Ringens um jeden Euro ist der größte italienische Textilverkäufer Coin, dessen Tochter Oviesse sich Anfang nächsten Jahres von rund 70 ihrer 91 deutschen Verkaufsstellen trennen wird. Aber erst wenn die Konsumenten sich wieder sicherer fühlen und die Kauflust zurückkehrt, wird sich die Konkurrenz über eine solche Nachricht wirklich freuen können.
(c) DIE ZEIT 20.11.2003 Nr.48
Quelle: http://www.zeit.de/2003/48/Weihnachtsgesch_8aft, Die Zeit 48/2003, 30.11.2003
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