dottore
04.12.2003, 10:28 |
Königreich Neapel ohne Staatsschulden? Thread gesperrt |
-->Hi,
ohne auf die Details der mir z.Zt. nicht zugänglichen (italienischer Aufsatz) Verschuldungen Neapels ("Königreich beider Sizilien") eingehen zu können, die sich durch den Zusammenhang mit Spanien (Dynastie) ergeben haben (wobei Spanien hoch verschuldet war, vgl. Cortes-Oblis, Cortes-Renten, immerwährende Renten, Inskriptionen auf das große Buch, usw.), finde ich vor dem Eingehen Neapels im Königreich Italien diese neapolitanischen Staatstitel:
1. Neapolitanische Renten, sog."Inscriptionen", ausgegeben von diversen, zumeist Pariser Finanziers
2. Sizilianische Obligationen, lautend auf den Inhaber, zu je 1200 Dukaten mit 5 % verzinslich
3. Sizilianische ("kleine") Obligationen, zu je 600 Dukaten
4. Englisch-neapolitanische Renten, lautend auf je 100 Pfd. Sterling, mit 5 verzinslich.
Die Volumina der Emissionen sind mir (noch) nicht bekannt.
Diese Liste bezieht sich auf die 1830er Jahre. Weiteres müsste ich aufgrund der Kurslisten zusammentragen oder nach Studium des Aufsatzes.
Ich bitte um Nachweis für die Behauptung, dass das Königreich Neapel im 19. Jh. vor der italienischen Einigung schuldenfrei gewesen sei.
Ich bezweifle, das ausgerechnet das Armenhaus Italiens ("mezzogiorno" später) mit einem "ausgeglichenen Etat" in einer Zeit gearbeitet hat, als sämtliche europäischen Mächte mit Etatdefiziten gearbeitet hatten (sub summa ohne jeden Zweifel), wenn auch je nach politischer Lage die einen mit mehr und die anderen mit weniger schnell steigenden.
Gruß!
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Galiani
04.12.2003, 13:51
@ dottore
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Re: Staatsschulden im Königreich Neapel |
-->Hallo dottore
Von"Schuldenfreiheit" hab' ich nichts gesagt. Und meine Behauptung von den"verschwindend geringen" Staatsschulden Neapels gilt in Tat und Wahrheit bei näherer Überprüfung nur bis zum Jahr 1820. Richtig bleibt, wenn man die Finanzgebarung des Königreiches Neapel betrachtet, meines Erachtens aber doch, daß ein Staat, wenn er vernünftig regiert wird, schuldenfrei bleiben kann. Allerdings - als Erfahrungstatsache gilt - da haben Sie schon Recht -, daß Regierungen eben selten"vernünftig" sind oder bleiben. Das ist aber, wie gesagt, keine Gesetzmäßigkeit, sondern empirisch begründet; die menschliche Natur ist eben schwach und Regierungen tendieren nun mal dazu, das Volk zu korrumpieren. Im Wort"Regierung" steckt nicht von ungefähr das Wort"gier"
[img][/img]
Bezüglich der Quellen für meine Beschreibung des Zustandes der neapolitanischen Staatsfinanzen vor der Französischen Revolution beziehe ich mich auf die genannte Quelle bei Genovesi und bei Feller (Archiv der Staatspapiere..., Leipzig 1834).
Das allein zeigt meiner Meinung nach, daß ein vernünftig regierter Staat ohne oder praktisch ohne Verschuldung auskommen kann.
Richtig ist aber, daß die Französische Revolution und insbesondere die Regentschaft Napoleons in Neapel auch im Finanzbereich offenbar alles durcheinandergebracht hat. Schubert (Handbuch der Allemeinen Staatskunde von Europa, Königsberg 1839; S. 182ff) beziffert die in der Zeit der Revolution und danach von den französischen Regenten in Neapel bis 1806 aufgenommenen Staatsanleihen in der Tat auf beträchtliche 65 Mio Ducati (bei Staatseinnahmen von knapp 9 Mio Ducati).
Mit dem nahenden Ende der Franzosen-Herrschaft und der Restauration begann jedoch die Konsolidierung im Wege drastischer Maßnahmen, darunter auch gravierende Steuererhöhungen: Bis 1808 wurden nach der genannten Quelle fast ein Viertel dieser französischen Schuld, nämlich 15 Mio Ducati, getilgt und bis Anfang des Jahres 1820 waren weitere 21,600.000 Ducati abgetragen worden, so daß sich die konsolidierte Staatsschuld"nur" noch auf 28,4 Mio Ducati belief.
Angesichts dieser Leistung darf man, glaube ich, die Neuverschuldung des Königreiches in diesen Jahren infolge der durch die Spanische Revolution verursachten Umwälzungen und der Unruhen auf Sizilien sowie des Krieges mit bzw. der anschließenden Besetzung durch Ã-sterreich von zunächst 3,2 Mio Ducati als"verschwindend gering" bezeichnen, wie ich das getan habe.
Richtig aber ist offenbar, daß sich nach 1820 auch das Königreich Neapel der in Europa verbreiteten Staatsschuldenmacherei willig anschloß, wobei Macculloch in seiner Gesamtübersicht der Staatsschulden Neapels im Artikel"Neapel" (Supplementband 1836) auch diesbezüglich eher bescheidene Beträge aufführt. Dennoch kann ich für den Zeitraum zwischen 1820 und der Einigung Italiens das"verschwindend gering" wohl nicht wirklich aufrecht erhalten.
Gruß
G.
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Zardoz
04.12.2003, 14:02
@ Galiani
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Oder anders herum: |
-->Immer, wenn eine Macht ihre"Schulden abbaut", brechen an anderer Stelle Konflikte aus und"machen die Sparanstrengungen zunichte".
Ob da ein Zusammenhang besteht? Und wenn ja, welcher? Schafft vielleicht der Schuldenabbau hier den Konflikt dort?
Nice week,
Zardoz
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dottore
04.12.2003, 14:13
@ Zardoz
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Re: Oder auch so: |
-->>Immer, wenn eine Macht ihre"Schulden abbaut", brechen an anderer Stelle Konflikte aus und"machen die Sparanstrengungen zunichte".
>Ob da ein Zusammenhang besteht? Und wenn ja, welcher? Schafft vielleicht der Schuldenabbau hier den Konflikt dort?
Ja, denn die Staatsrentner können das Geld nur einmal ausgeben - danach müssen sie ran und ackern. Was einen schwierigen Übergang von der (immer ursprünglichen) Staatswirtschaft plus"Kredit" zur Privatwirtschaft plus"Kredit" bedeutet.
Heute ohnehin nicht mehr möglich, da beim Verschwinden sämtlicher Staatstitel auch gar kein"Geld" als GZ mehr erscheinen könnte bzw. man wieder mit dem guten alten Wechsel-Diskont beginnen müsste (lautend auf was? Wieder GS?).
Nur: Warum die Wechsel diskontieren? Man kann doch warten, bis - wie vereinbart (und durch den Exekutor besichert) - gezahlt wird.
In HH war noch bis ins 19. Jh. als Zahlungsziel üblich?
ACHT Monate!
Können die Staatsrentner es gar nicht ausgeben, weil's weg ist, kommt noch mehr Dampf auf, siehe die Franz. Revolution, nachdem die Rentiers alles verloren hatten und ihre Söhne (u.a. Desmoulins in sehr schönen Briefen dazu) vor dem"Nichts" standen und loslegten.
Gruß!
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dottore
04.12.2003, 14:58
@ Galiani
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Re: Dankeschön und Zusatzfrage: |
-->Hi Galiani,
wie Calabria in"The Cost of Empire: The Finances of the Kingdom of Naples in the Time of Spanish Rule" angibt, hat er ca. 4500 Investoren in neapolitanische Staatsanleihen untersucht (Ende 16. Jh.).
D.h. also schon vor den Reformen des 18. Jh. gab es eine Staatsrentnerschicht. Wie wurde die ausgeschaltet?
Das mit den ReGIERungen ist sehr hübsch, trifft aber mE nicht den Kern. Jene, die AN der Regierung sind, machen es nicht, weil sie gierig sind, sondern weil sie schlicht an der Regierung bleiben wollen.
Die Ausgaben für Zivillisten sind nicht so doll (z.B. Frankreich"maison du roi" unter Louis XVI. ca. 3 % des Etats, wenn man Neckers Zahlen nimmt).
Es geht um die Staatserhaltungskosten insgesamt in Krieg (Ausweg: Beute, Tribute) und Frieden (Steuern und zwangsläufig Zession derselben).
Die"Staatsbildung", siehe England beginnt nach der Eroberung von 1066 (und entsprechender Thesaurierung, die sich schnell aus Machterhaltungsgründen verflüchtigt, siehe früheres Posting) mit dem Übergang zum Vorabbezug von Steuern, die dann ins Große Buch genommen wird, in diesem Fall die Emission von Anleihen unter Richard II. (1377-99) mit Zustimmung des Parlaments, dessen Etablierung selbst eine Zession von Macht war.
Dies ist auch just der Zeitraum (14. Jh.), in dem van Creveld die"Entstehung" des"modernen" Staates ansetzt.
Sehr schön in diesem Zusammenhang Frankreich:
Charles VII. (1422 - 60) führt die stehende Armee ein und hat aus den Quellen nachgewiesene Schulden (Normandie, Guyenne) von 5,2 Mio Livres (wieviel in toto - wer weiß?) und prompt muss der nachfolgende Louis XI. Domänen veräußern, zu 4,7 Mio livres. Unter Louis XII. (1497-1514) entstehen dann die ersten Rentes sur l'Hotel-de-Ville de Paris. Ab Charles IX. (1560-73) geht's vollends dahin: 21 Mio livres Staatsschuld, es wurden allein 27mal Rentes emittiert. 1639 haben wir dann schon 250 Mio livres Staatsschulden, usw. usw....
Necker fand 1788 noch 0,5 Mio livres in der Staatskasse. Rest bekannt.
Gruß!
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Zardoz
04.12.2003, 15:16
@ dottore
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Warum Wechsel diskontieren? |
-->Da fallen mir spontan drei Gründe ein: Ich brauche eher weniger Geld jetzt als mehr Geld später, ich traue dem Schuldner die Zahlung nicht mehr zu, ich traue dem Exekutor die Vollstreckung nicht mehr zu.
Interessant finde ich in dem Zusammenhang, daß die Forderung eines Empfängers staatlicher Unterstützung gegenüber dem Staat bei Banken als Sicherheit für einen Kredit nicht ausreicht. Gleichzeitig hat derselbe Staat als Schuldner die besten Ratings. Was bedeutet: Als Geldeintreiber vertraut man dem Staat, als Wohltäter aber eher nicht...
Nice week,
Zardoz
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Galiani
04.12.2003, 15:28
@ dottore
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Ich staune wieder einmal über Ihr Wissen |
-->Hallo
>wie Calabria in"The Cost of Empire: The Finances of the Kingdom of Naples in the Time of Spanish Rule" angibt, hat er ca. 4500 Investoren in neapolitanische Staatsanleihen untersucht (Ende 16. Jh.).
>D.h. also schon vor den Reformen des 18. Jh. gab es eine Staatsrentnerschicht. Wie wurde die ausgeschaltet?
[b]Muß ich nachlesen (Wohl am besten beim"verruchten" Giannone.) Geben Sie mir bitte ein paar Tage.
Alles andere, was Sie schreiben: Hochinteressant! Habe ich mir ausgedruckt und werde es mir als Bettlektüre nochmals genauer ansehen.
Danke jedenfalls! Mit besten Grüßen (ein wenig in Eile) Ihr
G.
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McShorty
04.12.2003, 16:09
@ Galiani
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Frage zur Größenordnung der Schulden (Kaufkraft, pro Kopf, Staatsanteil)? - mkF |
-->Hallo Galiani,
mal ´ne Frage zu den Großenordnungen des Geldes/Schulden für Nichteingeeihte. Zum besseren Verständnis erscheint es mir wichtig die Summen ein wenig in Beziehung zur Kaufkraft/zum Verdienst (z.B. Handwerker/Bauer) damals oder heute zu setzen.
Was muß ich mir unter 1 Mio. Ducati vorstellen? (Bekanntlich waren vor Jahren 1 Mio. Lira auch nur ´ne Menge Papier - im Gegensatz zu 1 Mio. DM)
Was konnte man also mit 1 Mio. Ducati anfangen? Interessant wäre es sicher auch die Schulden im ZH mit der Bev.zahl zu sehen. Damals war die mit Sicherheit kleiner als heute. Wie sah also die Pro-Kopfverschuldung aus?
Zu guter Letzt wäre noch der Schuldenanteil an den Staatsausgaben interessant.
Denn alles ist sehr relativ.
Besten Dank vorab für die Antworten.
Gruß
McShorty
>Hallo dottore
>Von"Schuldenfreiheit" hab' ich nichts gesagt. Und meine Behauptung von den"verschwindend geringen" Staatsschulden Neapels gilt in Tat und Wahrheit bei näherer Überprüfung nur bis zum Jahr 1820. Richtig bleibt, wenn man die Finanzgebarung des Königreiches Neapel betrachtet, meines Erachtens aber doch, daß ein Staat, wenn er vernünftig regiert wird, schuldenfrei bleiben kann. Allerdings - als Erfahrungstatsache gilt - da haben Sie schon Recht -, daß Regierungen eben selten"vernünftig" sind oder bleiben. Das ist aber, wie gesagt, keine Gesetzmäßigkeit, sondern empirisch begründet; die menschliche Natur ist eben schwach und Regierungen tendieren nun mal dazu, das Volk zu korrumpieren. Im Wort"Regierung" steckt nicht von ungefähr das Wort"gier"
>[img][/img]
>Bezüglich der Quellen für meine Beschreibung des Zustandes der neapolitanischen Staatsfinanzen vor der Französischen Revolution beziehe ich mich auf die genannte Quelle bei Genovesi und bei Feller (Archiv der Staatspapiere..., Leipzig 1834).
>Das allein zeigt meiner Meinung nach, daß ein vernünftig regierter Staat ohne oder praktisch ohne Verschuldung auskommen kann.
>Richtig ist aber, daß die Französische Revolution und insbesondere die Regentschaft Napoleons in Neapel auch im Finanzbereich offenbar alles durcheinandergebracht hat. Schubert (Handbuch der Allemeinen Staatskunde von Europa, Königsberg 1839; S. 182ff) beziffert die in der Zeit der Revolution und danach von den französischen Regenten in Neapel bis 1806 aufgenommenen Staatsanleihen in der Tat auf beträchtliche 65 Mio Ducati (bei Staatseinnahmen von knapp 9 Mio Ducati).
>Mit dem nahenden Ende der Franzosen-Herrschaft und der Restauration begann jedoch die Konsolidierung im Wege drastischer Maßnahmen, darunter auch gravierende Steuererhöhungen: Bis 1808 wurden nach der genannten Quelle fast ein Viertel dieser französischen Schuld, nämlich 15 Mio Ducati, getilgt und bis Anfang des Jahres 1820 waren weitere 21,600.000 Ducati abgetragen worden, so daß sich die konsolidierte Staatsschuld"nur" noch auf 28,4 Mio Ducati belief.
>Angesichts dieser Leistung darf man, glaube ich, die Neuverschuldung des Königreiches in diesen Jahren infolge der durch die Spanische Revolution verursachten Umwälzungen und der Unruhen auf Sizilien sowie des Krieges mit bzw. der anschließenden Besetzung durch Ã-sterreich von zunächst 3,2 Mio Ducati als"verschwindend gering" bezeichnen, wie ich das getan habe.
>Richtig aber ist offenbar, daß sich nach 1820 auch das Königreich Neapel der in Europa verbreiteten Staatsschuldenmacherei willig anschloß, wobei Macculloch in seiner Gesamtübersicht der Staatsschulden Neapels im Artikel"Neapel" (Supplementband 1836) auch diesbezüglich eher bescheidene Beträge aufführt. Dennoch kann ich für den Zeitraum zwischen 1820 und der Einigung Italiens das"verschwindend gering" wohl nicht wirklich aufrecht erhalten.
>
>Gruß
>G.
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dottore
04.12.2003, 16:27
@ Zardoz
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Re: Warum Wechsel diskontieren? |
-->>Da fallen mir spontan drei Gründe ein: Ich brauche eher weniger Geld jetzt als mehr Geld später, ich traue dem Schuldner die Zahlung nicht mehr zu, ich traue dem Exekutor die Vollstreckung nicht mehr zu.
Hi Zardoz,
wenn wir den Wechsel mal genau unter die Lupe nehmen, macht er in einem Binnen-Areal so Recht keinen Sinn, weshalb er auch so gut wie ausgestorben ist. Der Wechsel ist zunächst ja nichts anderes als ein Zahlungsversprechen. Wozu muss ich mir eine Zahlung versprechen lassen, wenn ich ebensogut mit dem, was das Zahlungsversprechen auslöst (Kauf meines Abnehmers) erst dann abwickle, wenn er ready cash at hand hat. Was als cash vereinbart wird, muss natürlich klar sein, bevor es überhaupt zu Kauf/Verkauf kommt.
Wir hatten das Problem schon mal mit R.Deutsch am Wickel. Angenommen, es gäbe das Phantom"Privatgeld" wirklich, müssten beim Kauf/Verkauf diese Verträge geschlossen werden:
1. Über das Geld selbst. Beide müssen genau dasselbe meinen, also nicht der eine Geld A, der andere Geld B. Gibt es diesen Vertrag nicht, kann auch kein Preis gestellt werden.
2. Der Kaufvertrag mit Preis.
3. Der Bezahlungsvertrag (Termin, Ort der jeweiligen Leistung/Gegenleistung usw.).
Danach erst haben wir Einigung und es kann zur Übergabe kommen: Nr. 1 erhält von Nr. 2 Gut X und erhält dafür Y (kann Gut sein, kann Geld sein, kann Zahlungsversprechen sein).
Das Zahlungsversprechen (Geld später) muss nicht diskontiert werden, weil der Verkäufer genausogut Geld subito hätte vereinbaren können. Und wenn er seine Ware subito verkaufen will, aber nirgends einen mit Geld subito findet, ist das sein Problem und nicht das irgendeines anderen, schon gar nicht der Gesamtheit aller anderen (weshalb mir auch die entsprechenden Heilslehren vom"idealen Geld", das sich just dann einfindet, sobald die Ware erscheint niemals einleuchten werden - warum erscheint die Ware nicht ebenfalls später? Und wenn niemals Geld erscheint, erscheint halt auch niemals Ware [als einem anderen angeboten], und jeder bosselt das Seine für sich und die Seinen - fertig).
Das ist ja das Elend aller"Tausch"- und/oder"money proper"-Systeme, dass niemand erklären kann, wozu"Geld" gebraucht wird bzw. warum man auf dem Umweg (!) über"Geld" überhaupt zu etwas anderem kommen muss als zu dem, was man ohnehin schon hat. Aber das ist nicht das Thema hier.
Wir nehmen also schon eine"entwickelte" Geldwirtschaft an und fragen, warum der Wechsel selbst überhaupt gebraucht wird. Das liegt mE ausschließlich an der Distanz und daran, dass die Vollstreckung in das Schuldverhältnis, das auch ein Schuldschein dokumentieren könnte, schwierig wird, wenn es in die Ferne geht bzw. wenn wir verschiedene Rechts- und Vollstreckungsordnungen haben. So ist es genial, sämtliche, die auf dem Wechsel schreiben, zur Haftung zu verdonnern - bis hin zum ursprünglichen Gläubiger selbst.
Die Distanz bedeutet nicht nur Entfernung, sondern vor allem anderes Geld am anderen Ort. Deshalb heißt es ja so schön bis heute "Wechselkurs", was nichts anderes ursprünglich bedeutete, als der Kurs des Wechsels, d.h. der auf ihm notierten Summe in der einen"Währung" in der anderen und vice versa.
Da sich diese Kurse logischerweise verändern, wenn auch im Metallstandard nur sehr gering (es sei denn wir haben diverse Metallstandards, sehr schön bei Gold und Silber zu sehen, vgl. Thomas Gresham mit seiner Geldmaschine), lassen sich auch durch die Veränderung der Kurse Profite ziehen und vor allem (und das war das gigantische Geschäft der dry exchange, hinter die als erster de Roover gekommen ist) lassen sich die Kurse selbst beeinflussen - vorausgesetzt am jeweiligen Ort befindet sich cash subito in entsprechender Summe, falls jemand die Profits aus der Wechselreiterei (gemeint sind jetzt hier nicht Kellerwechsel, sondern Finanzwechsel) tatsächlich auf dem Tresen sehen will und nicht immer weiter und höher reitet.
Zwischen Handels- und Finanzwechsel kann der Außenstehende nicht unterscheiden. Ich bin inzwischen davon überzeugt, dass die Finanzwechsel immer wieder die Handelswechsel weit überholt haben, da man mit ihnen selbst Differenzen verdienen konnte und sich nicht auf das mühsame Geschäft des Kaufmanns verlegen musste (heute genau so: lieber Geld an Kursen verdienen und nicht mit Verkäufen). Deshalb kam's immer wieder zu den schweren"Kreditkrisen" - nämlich dann, wenn einer der Reiter vom Pferd wollte oder musste, die sich aus dem Nichtbedienen von Verpflichtungen aus Handel & Wandel allein nicht erklären lassen. Die platzenden Finanzwechsel zogen die Handelswechsel mit in die Tiefe.
Ergo? Diese ganze Diskontiererei und vor allem die Schaffung von Zentralnotenbanken als "lender of last resort" (Bagehot et al.) kommt überhaupt nicht aus der"realen" Sphäre des Wirtschaftens, sondern aus der fiktiven.
Und wieder erscheint die Wirtschaftsgeschichte in einem anderen Licht...
Schönen Dank für die Anregung + Gruß!
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Galiani
04.12.2003, 22:14
@ McShorty
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@McShorty: Frage z Größenordnung d Schulden (Kaufkraft,/Kopf, Staatsanteil) |
-->>Hallo Galiani,
>Zum besseren Verständnis erscheint es mir wichtig die Summen ein wenig in Beziehung zur Kaufkraft/zum Verdienst (z.B. Handwerker/Bauer) damals oder heute zu setzen.
>Was muß ich mir unter 1 Mio. Ducati vorstellen?
>Was konnte man also mit 1 Mio. Ducati anfangen?
Hallo
Ganz kurz zu Deinen Fragen:
Der Ducato di regno war eine Silbermünze und wog um die Mitte des 18. Jh. (rechnerisch) 21.78 Gramm rauh bei einer Feinheit von 908,3. Ob danach bis 1820 eine Gewichts- oder Feinheitsreduktion erfolgte, müßte ich überprüfen; dafür fehlt mir aber im Moment die Zeit.
Was die Kaufkraft dieses Ducato anlangt, bemerkt Ferdinando Galiani 1751 in seinem großartigen Werk"Über das Geld" (dts. Düsseldorf 1999), daß 6 Ducati pro Monat ein »armseliges Einkommen« ( pag. 101), in der Stadt Neapel wohl das Existenzminimum, sei (pag. 277). 70 Ducati pro Monat dagegen seien ein hohes Einkommen. Nirgendwo im Land könne man mit weniger als 20 Carlini pro Monat auskommen (wobei ein Ducato 10 Carlini wert war). In Mailand, wo das Leben offenbar billiger war als in Neapel, betrug zum Vergleich um 1750 das Jahreseinkommen eines Maurermeisters umgerechnet knapp 115 neapolitanische Dukaten; ein Maurergeselle verdiente umgerechnet etwa 60 Ducati p.a. (de Maddalena, Bd. i).
>Interessant wäre es sicher auch die Schulden im ZH mit der Bev.zahl zu sehen. Damals war die mit Sicherheit kleiner als heute. Wie sah also die Pro-Kopfverschuldung aus?
Die Staatsverschuldung in Ducati habe ich bereits in meinem Posting an dottore angeführt.
Bezüglich der Bevölkerungsanzahl ist folgendes zu sagen:
Am Ende des 18. Jh. vor der Französischen Revolution belief sich die Bevölkerungszahl auf der Terra ferma auf ziemlich genau 4 Millionen. Dazu kommen noch knapp 1,4 Mio Menschen auf Sizilien. Verheerende Erdbeben in Kalabrien im Jahre 1783 sowie dann natürlich die Sturmwellen der politischen Ereignisse ließen diese Bevölkerung bis 1805 stagnieren oder sogar leicht zurückgehen. 1822 zählt die Bevölkerung des gesamten Königreiches aber wieder 7 und 1833 rund 7,6 Mio Köpfe.
>Zu guter Letzt wäre noch der Schuldenanteil an den Staatsausgaben interessant.
Der Zinssatz belief sich nach der in meinem Posting an dottore angegebenen Quelle bei Schubert im ersten Drittel des 19. Jhd. auf 5% p.a.
Ich hoffe, das hilft. Viel genauer geht's im Moment nicht.
Gruß
G.
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McShorty
04.12.2003, 23:51
@ Galiani
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Vielen Dank für die ausführliche Antwort - owT |
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