FOX-NEWS
05.12.2003, 11:03 |
@dottore - MachttheorieThread gesperrt |
-->Hallo dottore,
bitte sagen Sie mir, ob ich mit Folgendem richtig liege:
Annahme 1: Die Beherrschten innerhalb eines Herrschaftsraumes sind auf Dauer nicht in der Lage, die inneren Kosten (den Herrschaftapparat) und die externen Kosten (Landesverteidigung) aufzubringen.
Annahme 2: Annahme 1 gilt solange nicht, solange innerhalb des Herrschaftsraumes ein exponentielles Wirtschaftswachstum stattfindet.
Ich habe bewusst Faktoren wie Externalisierung der Kosten und die Zession der Macht weggelassen, um des"Pudels Kern" zu finden.
Als geschichtliches Beispiel möchte ich das Inkareich anführen, das nach einhelliger Historikermeinung auch ohne Ankunft der Spanier in kürze zusammengebrochen wäre. Es kann auch als Beispiel für einen Staat gelten, in dem noch keine Machtzession stattgefunden hat. Alles gehörte dem König: Bewohner, Land, Waffen. Unklar ist, ob es sich bei der schnellen Ausbreitung dieses Reiches um den Versuch der Vergrösserung der Einnahmebasis oder schlicht um Grössenwahn handelt. Fakt ist: die Einnahmen haben schon bei Erscheinen von Pizarro nicht mehr für Heer, Beamte und Infrastruktur gereicht.
Ein Sonderfall in Sachen Macht, Zession usw. ist die Schweiz. Der Zessionsgrad in der Schweiz ist ausserordentlich hoch. Sogar die Staats-Waffe steht beim Bürger im Schrank. Alle Prozesse laufen (schon aufgrund der Mechanismen der Direkten Demokratie) aber sehr langsam ab. Eventuell ist hier nach einem Ansatz für Zukunftsmodell mit geringeren"Volatilitäten" zu suchen?
Gruss
sam
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bernor
05.12.2003, 16:28
@ FOX-NEWS
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"Grenzen des Wachstums" für Imperien... |
-->Hallo Sam,
Als geschichtliches Beispiel möchte ich das Inkareich anführen, das nach einhelliger Historikermeinung auch ohne Ankunft der Spanier in kürze zusammengebrochen wäre. Es kann auch als Beispiel für einen Staat gelten, in dem noch keine Machtzession stattgefunden hat. Alles gehörte dem König: Bewohner, Land, Waffen. Unklar ist, ob es sich bei der schnellen Ausbreitung dieses Reiches um den Versuch der Vergrösserung der Einnahmebasis oder schlicht um Grössenwahn handelt. Fakt ist: die Einnahmen haben schon bei Erscheinen von Pizarro nicht mehr für Heer, Beamte und Infrastruktur gereicht.
Für alle Imperien gilt (egal ob Römer- oder Inkareich):
1) Mit zunehmender Anzahl der"Untertanen" wächst die Zahl der"Beamten"/Soldaten überproportional an, weil auch zusätzliche Hierarchiestufen entstehen.
2) Dadurch steigende Kosten pro Person.
3) Somit muß"Mehrprodukt" her.
4) Entweder die Untertanen arbeiten mehr bzw. effizienter - bei (Neu-)Installation von Feudalherrschaften durchaus möglich: siehe Dreifelder-Wirtschaft zu Beginn des Mittelalters.
5) Oder es muß mehr Untertanen geben - also Expansion (wenn keine Bevölkerungsvermehrung infolge verbesserter Effizienz / Klimaoptima).
6) Sonderfall: Bevölkerungsvermehrung infolge"Hexen"-Verbrennungen.
7) Im Laufe der Expansionen nehmen jedoch - bei steigenden Kosten für die Feldzüge - die noch einträglichen Gebiete tendeziell ab, bis der Machthaber nur noch auf Ozeane, Urwälder, Wüsten und zu starke Gegner stößt (Parther-/Chimu-Reich: kleinere und daher in diesem Stadium noch überlegene, weil effizientere Machtgebilde).
8) Dann bleibt nur die interne Abzocke übrig - verschärfte Besteuerungs-/Vollstreckungs-Maßnahmen zwecks Abschöpfung des benötigten"Mehrprodukts".
9) Was aber Unruhen auslöst - und damit eine"Machtzession" der ungewollten Art: aus einem Macht werden mindestens zwei (genau dies war die Situation im Inkareich bei der Ankunft Pizarros:"König" Atahualpa kämpfte gegen seinen Bruder).
10 & letztens: Wenn dann noch äußere Einflüsse geballt hinzukommen (Eroberer plus Epidemien - siehe Inkareich, dieses im Gegensatz zum Römerreich ohne inneren kulturellen / sprachlichen /"nationalen" Zusammenhalt), enden damit für gewöhnlich die bisherigen Machthaber, die von neuen"beerbt" werden - siehe Pizarro und Andere (die kurze Zeit später ihrerseits von"regulären" Truppen des spanischen Königs / Obermachthabers zur Strecke gebracht wurden - quod licet Jovi, non licet bovi).
Soweit zu den Imperien - zur Schweiz können ja vielleicht die Schweizer hier im Board etwas sagen (habt Ihr auch alle 'ne Knarre im Haus? [img][/img] ).
Gruß bernor
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Galiani
05.12.2003, 22:08
@ bernor
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Dein Punkt 9 ist eine Unmöglichkeit! Noch nie wurde eine wirkliche Diktatur |
--> von innen gestürzt (sagt Karl Jaspers). Damit fällt aber das ganze Denkgebäude in sich zusammen.
Gruß
G.
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bernor
05.12.2003, 23:55
@ Galiani
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Kleines Mißverständnis... |
-->(...) von innen gestürzt (sagt Karl Jaspers).
...gemeint war mit Punkt 9 der Prozeß der Zerrüttung der bisherigen Macht zugunsten von Machtstrukturen auf nächstunterer Ebene (ggf. mit Fortsetzung), nicht die Überwindung von Macht ("Diktatur") als solche durch"Freiheitskämpfer" o. ä. (was Du mit Jaspers wahrscheinlich meinst); die Auseinandersetzungen im Inkareich und anderswo fanden zwischen"Etablierten" statt - als Vorspiel zum Finale (hier Pizarro).
Es gab bisher noch kein Machtgebilde, welches ALLE potentiellen Konkurrenten eliminiert hätte. Damit ist ein jedes über kurz oder lang - auf welcher Stufe seines Zufallsprozesses auch immer - von Eroberern geschluckt worden.
So sicher, wie eben Punkt 10 auf Punkt 9 folgt.
>Gruß
>G.
Gruß zurück
bernor
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dottore
06.12.2003, 16:03
@ FOX-NEWS
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Re: @dottore - Machttheorie |
-->>Hallo dottore,
>bitte sagen Sie mir, ob ich mit Folgendem richtig liege:
>Annahme 1: Die Beherrschten innerhalb eines Herrschaftsraumes sind auf Dauer nicht in der Lage, die inneren Kosten (den Herrschaftapparat) und die externen Kosten (Landesverteidigung) aufzubringen.
Hi sam!
Grundsätzlich ja. Wobei die externen zuerst abgebaut werden (Bundeswehr vor Polizei). Ansonsten müssen die externen Kosten solange durch Zessionen und deren Folgen eingespielt werden, bis auch das endet. Alle Kolonialreiche und Imperien räumten so das Feld. Next: USA, die schon um Finanzhilfen für den Irak winseln.
>Annahme 2: Annahme 1 gilt solange nicht, solange innerhalb des Herrschaftsraumes ein exponentielles Wirtschaftswachstum stattfindet.
Auch grundsätzlich richtig. Aber das endet ebenfalls, sobald die Möglichkeiten, die sich aus der Zession ("mehr"Freiheit") ergeben hatten, schwinden - ab dann die berühmte"lange Stagnation" und (diesmal) Abpfiff total.
>Ich habe bewusst Faktoren wie Externalisierung der Kosten und die Zession der Macht weggelassen, um des"Pudels Kern" zu finden.
Der Kern ist der: Es kann kein exponentielles Wirtschaftswachstum geben. Nicht nur aus den bekannten Gründen (Ressourcen, usw.), sondern weil sich nach Ausschöpfung aller Zessionsmöglichkeiten jene, an die zediert wurde (z.B. US-Verbraucher als"freies Individuum"), automatisch an die Grenzen ihrer eigenen</b Verschuldungs- (ergo Sub-Zessions-)möglichkeit kommen.
Das Individuum kann nicht mehr an [b]künftigen Einkommen abtreten als es überhaupt nicht selbst (oder der Kreditgeber) erwarten kann (= sich nicht mehr verschulden). Da aber zusätzliche Verschuldung (= Abtreten künftiger Einkommen) unabdingbar ist zur Aufrechterhaltung früherer Verschuldungen (das"Kettenbrief"-Problem im Debitismus) ist bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung von Zwangsabgaben (also nicht-privatkontraktlichem Abtreten künftiger Einkommen) das Ende vorprogrammiert.
Der Kapitalismus braucht eine Institution, die Kapital und Kontrakte besichert, die vor Kapital und Kontrakten da sein muss. Kapitalismus ist ein Macht-Derivat. Deshalb auch die vehementen Angriffe dagegen - nur leider haben die Theoretiker wie Marx das falsche Schwein im Visier gehabt, die Praktiker wie Lenin/Trotzky, dann das richtige, die Machthalter, geschlachtet, aber übersehen, dass sie anschließend hätten noch mehr zedieren müssen statt die Zessionen (privates Eigentum!) wieder rückgängig zu machen.
So ging die Sowjetmacht auf einer früheren Zessionsstufe unter, die aktuelle Macht in Russland, die privates Eigentum immerhin in Ansätzen zulässt, wird auf der letztmöglichen Zessionsstufe untergehen.
>Als geschichtliches Beispiel möchte ich das Inkareich anführen, das nach einhelliger Historikermeinung auch ohne Ankunft der Spanier in kürze zusammengebrochen wäre. Es kann auch als Beispiel für einen Staat gelten, in dem noch keine Machtzession stattgefunden hat. Alles gehörte dem König: Bewohner, Land, Waffen. Unklar ist, ob es sich bei der schnellen Ausbreitung dieses Reiches um den Versuch der Vergrösserung der Einnahmebasis oder schlicht um Grössenwahn handelt. Fakt ist: die Einnahmen haben schon bei Erscheinen von Pizarro nicht mehr für Heer, Beamte und Infrastruktur gereicht.
Perfekt!
>Ein Sonderfall in Sachen Macht, Zession usw. ist die Schweiz. Der Zessionsgrad in der Schweiz ist ausserordentlich hoch. Sogar die Staats-Waffe steht beim Bürger im Schrank. Alle Prozesse laufen (schon aufgrund der Mechanismen der Direkten Demokratie) aber sehr langsam ab. Eventuell ist hier nach einem Ansatz für Zukunftsmodell mit geringeren"Volatilitäten" zu suchen?
Ebenfalls sehr treffend. Uwe Wagschall hat dies untersucht (siehe Literatur Paper). Ergebnis: Bei direkten Demokratien dauert es länger.
Gruß!
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