Bob
07.12.2003, 12:01 |
Das Fernsehen als Erzieher Thread gesperrt |
-->Hallo,
Ausgehend von einigen guten Beobachtungen, die hier gestern gepostet wurden, habe ich eine Theorie der erzieherischen Wirkung des Fernsehens entwickelt.
Es geht schlicht und einfach um die Frage, welche Personengruppe bevorzugt auf den Bildschirmen zu sehen ist:
Politiker
Künstler
Journalisten
Gelehrte aller Art
Soldaten
Börsenleute
Also die typischen Vertreter der bürgerlichen Freizeitklasse.
Was man nicht oder nur selten sieht, sind z.B.
Industrie-Arbeiter (außer wenn sie Streiken)
Techniker
Buchhalter
Der Grund dafür liegt auf der Hand: die letztgenannte Personengruppe ist so sehr mit ihrer Arbeit beschäftigt, daß die Leute schlicht und einfach keine Zeit haben für Fernsehauftritte. Ihre Einbindung in den industriellen Prozeß macht sie dafür unabkömmlich. Außerdem fehlt ihnen meistens die für den öffentlichen Auftritt so wichtige Gewandtheit in Umgang und sprachlichem Ausdruck (und natürlich die genaue Kenntnis der nur durch langes Beobachten erlernbaren Sprach-Codes). Dadurch kommt es aber auch, daß das, was diese Leute betreiben, im Fernsehen so gut wie gar nicht vorkommt.
Die auf technisch-quantitativen Beziehungen basierenden Vorgänge der Gesellschaft sind dadurch in den Medien systematisch unterrepräsentiert. Andererseits gewinnen jene Vorgänge an Gewicht, die auf eine Manipulation menschlicher Beziehungen hinauslaufen.
Das bleibt auch dem fernsehenden Nachwuchs nicht verborgen. Da in letzter Zeit so viel von Vorbildern gesprochen wurde: Wer sind schon die Vorbilder, wenn nicht die Menschen, die ein heranwachsender Mensch tagtäglich vor Augen hat? Und das sind nun einmal vor allem Vertreter jener oben genannten Freizeitklasse. Das kann nicht ohne Einfluß bleiben auf das Denken und die Präferenzen der Menschen im späteren Leben.
Anstatt daß der Mensch Freude hat an technisch-quantitativen Vorgängen, also an industriellen Verwendungen im weitesten Sinn, richtet sich sein Interesse vermehrt auf jene Gegenstände, die man als Dienstleistungen bezeichnen könnte. Nun hat aber eine jede Gesellschaft nur begrenzt Platz für jene Dienstleister, so daß letztlich nur ein kleiner Teil der Aspiranten in die Klasse aufgenommen werden kann. Das Denken der anderen ist aber so gut wie ganz verdorben für den industriellen Prozeß.
Die Schlußfolgerung liegt nah, daß verminderte industrielle Leistungsfähigkeit und letztlich auch die als so bedrückend empfundene Arbeitslosigkeit letztlich Ergebnisse dieser falschen Erziehung sind. Dies gilt umso mehr, da unsere Freizeitklasse ausgesprochen konservativ ist und anders als in anderen Ländern dem industriellen Prozeß häufig ausgesprochen feindselig gegenübersteht. Also daran, daß sie die ihr zugewiesene Funktion der industriell verwertbaren Innovation nicht erfüllen kann und will.
bob
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lish
07.12.2003, 16:13
@ Bob
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Orwell / Sesamstrasse |
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Dazu fällt mir eine Zeile von Orwells '1984' ein (sinngemäss): Bei Berufen wie Ingenieur, Techniker usw. gibt 2+2 = 4, sonst funktioniert die Maschine nicht. Berufe wie Gelehrte, Journalisten, usw., also die, die am T.V. zu sehen sind, erlauben, ja erfordern es sogar manchmal, dass 2+2=5 ergibt.
'Sesamstrasse' ist übrigens ein Pionier in Erziehung via T.V.
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Euklid
07.12.2003, 16:16
@ lish
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Re: Oder etwas anders? |
-->Unser Professor sagte immer: Der Ingenieur ist das Kamel auf dem sogar der schlechte Kaufmann zum Erfolg reitet [img][/img]
Gruß
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lish
07.12.2003, 16:32
@ Euklid
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mal gelesen |
-->Bei Huntington (C.o.C) habe ich mal gelesen, dass Studenten der Naturwissenschaften sich häufiger gegen amtierende Regimes auflehnen, als Geistes- oder Sozialwissenschaftler.
Der Kreislauf Vergangenheit beherrscht Verwaltung beherrscht Industrie ist sicher kein ewiger.
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dottore
07.12.2003, 16:54
@ lish
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Re: Dazu auch Chomsky... |
-->... der an diesem Wochenende 75 wird/wurde (sinngemäß):
Die Intellektuellen haben sich der Macht und den Mächtigen immer rasch angepasst (Beispiel USA: Kriege noch und noch) statt Widerstand zu leisten.
Ich bin nun wahrlich kein Ciompanski-Freak, aber wo er Recht hat, hat er Recht.
Gruß!
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lish
07.12.2003, 17:31
@ dottore
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Strategie... |
-->vieler Intellektueller ist wohl System/Macht/Trend von innen her zu verändern.
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bernor
08.12.2003, 01:00
@ Bob
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Re: Das Fernsehen als Erzieher - Ergänzung |
-->Die Schlußfolgerung liegt nah, daß verminderte industrielle Leistungsfähigkeit und letztlich auch die als so bedrückend empfundene Arbeitslosigkeit letztlich Ergebnisse dieser falschen Erziehung sind. Dies gilt umso mehr, da unsere Freizeitklasse ausgesprochen konservativ ist und anders als in anderen Ländern dem industriellen Prozeß häufig ausgesprochen feindselig gegenübersteht. Also daran, daß sie die ihr zugewiesene Funktion der industriell verwertbaren Innovation nicht erfüllen kann und will.
Es könnte auch am heutigen (BRD-)Sozialstaat liegen.
Denn solche Entwicklungen (hier parasitäre Intellektuelle - dort Malocher) gab es auch früher, z. B. im antiken Athen, wo sich die Diskutanten (Sokrates et al.) regelmäßig in ihren Häusern trafen (damaliger Ersatz für Talkshows) und die einzig Arbeitenden, sofern keine Sklaven, als"Banausen" bezeichnet wurden (Verachtung der Arbeit, auch der von Handwerkern, schlechthin).
Aber dieses Lotterleben (ich sag's mal so, auch wenn ich hiermit vielleicht dem einen oder anderen altgriechischen Autor Unrecht tue) mußte man sich damals leisten können.
Ansonsten: arbeiten!
Heute natürlich (noch) unzumutbar...
Gruß
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