--> SPIEGEL ONLINE - 03. Dezember 2003, 13:57
URL: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,274896,00.html
Antiterror-Gesetze
Bushs Hexenjagd auf US-Forscher
Von Markus Becker
Mit radikaler Überwachung und drakonischen Strafen hat die US-Regierung unter Wissenschaftlern ein Klima der Angst geschaffen. Prominente Forscher fühlen sich an die McCarthy-Ära erinnert, viele ihrer Kollegen wenden sich aus Angst vor den Behörden von der Biowaffen-Forschung ab.
AP
Terror-Angst in Washington: Ein Polizist bewacht das Capitol, nachdem zwei Senatoren Briefe mit Anthrax-Sporen bekommen hatten
Peter Agre hatte den Olymp der Wissenschaften eben erst erklommen, als er bereits Blitze gen Washington schleuderte: Wenige Stunden nach seiner Auszeichnung mit dem Nobelpreis warf der US-Chemiker der Regierung von George W. Bush vor, sich in der"Verfolgung von Wissenschaftlern" zu ergehen. Er, Agre, werde einen Teil seines Preisgeldes von umgerechnet 550.000 Euro spenden, um das Unrecht zu bekämpfen.
Der Zorn des Wissenschaftlers entzündete sich am Fall des texanischen Seuchenexperten Thomas Butler, der im Januar in Handschellen von FBI-Beamten abgeführt worden war. Butler, 62, hatte den Behörden das Verschwinden von 30 Flaschen mit Pesterregern aus seinem Labor an der Texas Tech University angezeigt - und musste sich wenig später in 69 Anklagepunkten vor Gericht verantworten.
Zehn Jahre Höchststrafe für falsche Dokumente
Von 22 Vorwürfen wurde Butler gestern freigesprochen, in 47 weiteren Fällen jedoch befand ihn die Jury für schuldig. Neben Betrug und Fälschung werfen ihm die Ermittler vor, Dokumente zur Ausfuhr von Pesterregern falsch ausgefüllt zu haben. Allein darauf steht nach Angaben der Staatsanwaltschaft eine Gefängnisstrafe von bis zu zehn Jahren.
AP
CIA-Chef George Tenet und US-Präsident Bush im CIA-Hauptquartier: Radikales Vorgehen gegen Wissenschaftler
Forschungsorganisationen und prominente Wissenschaftler hatten die Verhaftung Butlers in ungewöhnlich scharfer Form verurteilt. Die angesehene Federation of American Scientists (FAS) richtete gar eine Webseite"Zur Unterstützung von Thomas Butler" ein. Das Vorgehen der Behörden sei angesichts der Vorwürfe"grob unverhältnismäßig", heißt es dort."Dr. Butler ist kein Terrorist."
Zugleich veröffentlichte die FAS eine Erklärung der Nobelpreisträger Peter Agre, Sidney Altman, Robert Curl und Torsten Wiesel. Alle vier sind Mitglieder des Menschenrechts-Komitees der National Academy of Sciences, das normalerweise verfolgten Wissenschaftler in Drittweltstaaten zur Seite steht. Erst zum zweiten Mal in ihrer 27-jährigen Geschichte hilft das Komitee einem US-Forscher.
"Es ist empörend", schimpfte Agre. Selbst politisch konservative Wissenschaftler fänden das Vorgehen der Regierung abstoßend. Der Nobelpreisträger verglich die Situation bereits mit der anti-kommunistischen Hetze zur Zeit des berüchtigten Senators Joseph McCarthy:"Außerhalb der USA wird der Fall Butler wie eine verrückte amerikanische Hexenjagd empfunden."
Alarmsignale aus dem Agrarministerium
Der Fall Butler ist symptomatisch für den Druck, den amerikanische Wissenschaftler seit dem 11. September 2001 zu spüren bekommen. Das Washingtoner Agrarministerium beklagte jüngst lautstark die laxen Sicherheitsmaßnahmen an Universitäten. Es bestehe die Gefahr, dass biologische, chemische und radioaktive Stoffe in die Hände von Terroristen fallen könnten, hieß es.
AP/ FBI
Milzbrand-Brief an Senator Thomas Daschle: Qualität aus dem Hightech-Labor
Möglicherweise ist das schon geschehen. In einer ausführlichen Zusammenfassung der Erkenntnisse über die Anthrax-Attacke auf zwei US-Senatoren im Herbst 2001 kam das Wissenschaftsmagazin"Science" zu einem denkwürdigen Schluss: Die in den Briefen verschickten Milzbrandsporen seien mit derartiger technischer Finesse hergestellt worden, dass sie höchstwahrscheinlich aus einem Hightech-Labor der USA stammten.
Nach der Prüfung von 104 Laboren an zehn Universitäten schickte das Agrarministerium einen Brandbrief an US-Präsident Bush mit der Bitte, umgehend einen genauen Blick auf die Zustände an den Forschungseinrichtungen zu werfen.
Flut an widersprüchlichen Regeln
Der Ruf wurden offenbar gehört. Akademiker beschweren sich mittlerweile lautstark über eine Flut von Regeln, die selbst theoretisch nicht einzuhalten seien, weil sie von unterschiedlichen Behörden stammten und sich nicht selten widersprächen. Mehrere Forscher äußerten in Zeitschriften den Verdacht, dass die Ermittler an Butler ein Exempel statuieren wollen - als Mahnung für andere Wissenschaftler, künftig sorgfältiger mit gefährlichen Materialien umzugehen.
REUTERS
Milzbrand-Bakterien: Institute vernichten ganze Sammlungen an Mikroben
Der Schuss könnte allerdings nach hinten losgehen. Schon sinnieren Kommentatoren in Tageszeitungen und führenden Fachblättern wie"Science" und"Nature", wie das Verhalten der US-Regierung die Verteidigungskraft gegen Terror-Attacken schwächt. Experten für biologische und chemische Waffen lehnen demnach weitere Forschungsarbeit ab, weil schon ein falsch ausgefüllter Fragebogen sie hinter Gitter bringen kann. Labore melden aus Angst vor Ermittlungen keine Zwischenfälle mit Krankheitserregern mehr. Ganze Sammlungen von Mikroben, unerlässlich für das Aufspüren terroristischer Attacken und die Entwicklung von Gegenmitteln, wurden vernichtet - weil die Institute sich außerstande sehen, die neuen Regeln zu erfüllen oder die mit ihnen verbundenen Mehrausgaben aufzubringen.
Der"Bioterrorism Preparedness and Response Act", verabschiedet im Februar, stellt strenge Regeln für die Arbeit mit 82 potenziell waffenfähigen Viren, Bakterien und Toxinen auf. Wer an ihnen forschen will, muss sich bei den Behörden registrieren, seine Fingerabdrücke hinterlassen, Sicherheitsfreigaben beantragen und sich zu Inspektionen an seinem Arbeitsplatz bereit erklären. Alle Proben gefährlicher Materialien müssen streng katalogisiert oder vernichtet werden. Wer sich weigert, macht sich strafbar.
Experten warnen vor unkontrollierbarer Gefahr
In der Praxis führt das zu bizarren Situationen. Bei Anthrax etwa sind sowohl das Gesundheits- als auch das Agrarministerium zuständig, weil Milzbrand sowohl Tiere als auch Menschen betreffen kann. Eine andere Regel besagt, dass neu angelegte Kulturen mit Krankheitserregern innerhalb von sieben Tagen vernichtet werden müssen, während eine zweite Vorschrift dafür eine Erlaubnis verlangt - die allerdings nicht innerhalb von sieben Tage eingeholt werden kann.
FAS-Webseite für Thomas Butler: Drakonische Strafen für falsch ausgefüllte Dokumente
Normal denkende Menschen würden eine der beiden Regeln mangels Alternative schlicht missachten. Der Fall Butler hat gezeigt, dass so etwas hart bestraft werden kann."Jedes einzelne Labor, das mit den indizierten Substanzen arbeitet, hat schon irgendeine Vorschrift gebrochen", sagte ein Wissenschaftler dem Magazin"New Scientist"."Das FBI könnte jedem einen Verstoß vorwerfen, wann und wo immer es will."
Dabei bekam die US-Regierung erst Anfang November schriftlich, wie dringend sie auf die Kooperation von Wissenschaftlern angewiesen ist. Einer Expertengruppe hatte im Auftrag des Geheimdienstes CIA ein Memorandum über die Terrorgefahr durch Forschritte in der Biotechnologie angefertigt - und kam zu alarmierenden Ergebnissen. Das Dokument mit dem viel sagenden Titel"Die dunklere Zukunft der Biowaffen" kommt zu dem Schluss, dass künstlich hergestellte biologische Substanzen"schlimmer als jede bekannte Krankheit" sein könnten. Die Revolution in der Gentechnik türme eine"Welle des Wissens" auf, die so breit, komplex und leicht zugänglich sei, dass traditionelle Möglichkeiten zur Überwachung versagen könnten.
Möglich seien etwa"binäre Biowaffen", die erst durch die Vermischung zweier Komponenten effektiv werden, Pockenviren mit einem Schutz gegen Immunabwehr, gentechnische Waffen, die dauerhafte Veränderungen im Erbgut verursachen oder"Phantomviren", die erst nach längerer Zeit der Passivität aktiv werden. Das Fazit der Experten:"Die Vielfalt neuer Biowaffen-Substanzen könnte ein so breites Spektrum an Angriffsszenarien schaffen, dass eine Vorhersage und eine Verteidigung praktisch unmöglich wären."
Die Fachleute der National Academy of Sciences betonen lakonisch, dass diese Erkenntnisse"ein engeres - und vielleicht qualitativ anderes - Arbeitsverhältnis zwischen Geheimdiensten und Forschern notwendig machen", um das Land mit einem"lebendigen Sensorennetz" zu schützen. Überraschend merken die Autoren an, dass die Wissenschaftsgemeinde das aus der Vietnam-Ära stammende Misstrauen gegenüber den nationalen Sicherheitsbehörden abgelegt habe und zu engerer Zusammenarbeit bereit sei.
Das könnte ein Trugschluss sein. Das britische Fachblatt"Nature" sieht den USA bereits die besten Wissenschaftler davonlaufen."Europäische Universitäten erfreuen sich derzeit eines Mini-Booms bei den Bewerbungen." Die Langzeitwirkung auf die US-Wissenschaft könne erheblich sein."Während Regierung und Wissenschaftler eigentlich im Gleichschritt einer besseren Sicherheitslage entgegen marschieren sollten, gibt es verstörende Anzeichen, dass die Regierung Bush der Forschergemeinde immer fremd sein wird."
|