Galiani
08.12.2003, 15:03 |
@ricardo und @alle, die sich für die"Machttheorie"-Diskussion interessieren Thread gesperrt |
-->Hallo
Ricardo hat in einem sehr interessanten Beitrag die Aufmerksamkeit unter anderem darauf gelenkt, daß die ganze Diskussion über die"Machttheorie" dottores natürlich immer versucht,"den Fisch zu fangen", indem wertfrei in der Geschichte herumgestochert wird.
Das ist vollkommen richtig!
Hier zwei Zitate, die belegen, daß das grundsätzlich nicht möglich ist; - ein leicht lesbares von Bill Bonner und ein weniger leicht lesbares (aber tiefer schürfendes) von F.A, von Hayek.
Zuerst vielleicht das Zitat von Bill Bonner (Daily Reckoning vom 30. Juni 2000)
<font color=#0000FF>[i]RATIONAL FOOLS... rules, habits, traditions, and custom govern our behavior. It may be rational to kill someone who gets in your way. It may even be a good idea, for which your friends and neighbors will thank you. But it is not customary. It may seem reasonable, at the time, to take someone else's money...or sleep with his wife...or to bear false witness against him - but again, there are rules against these things which you contravene at your peril.
These rules are not the product of reason. They are the product of evolution...and recognized, intuitively if not explicitly, for many generations.</font>
Deutsch: <font size="2"><font color=#FF0000>
SCHEINBAR VERNÜNFTIG HANDELNDE NARREN
... Regeln, Gewohnheiten, Traditionen und Sitte steuern unser Verhalten. Es ist vielleicht vernünftig, jemanden umzubringen, der uns im Weg steht. Vielleicht wäre das sogar eine gute Idee und unsere Freunde und Nachbarn würden sich dafür bedanken. Aber es ist einfach nicht üblich. Vielleicht scheint es in einem bestimmten Augenblick durchaus vernünftig zu sein, jemand anderes Geld einfach einzustecken... oder mit seiner Frau zu schlafen... oder ihn zu verleumden; - aber wiederum: Es gibt es Regeln, Gesetze, die das verbieten. Würde man ihnen zuwiderhandeln, brächte man sich selbst in Gefahr.
Solche Regeln sind nicht das Produkt der Vernunft. Sie sind das Produkt der Evolution... Sie haben sich intuitiv herausgebildet, auch wenn es sich um"ungeschriebene Gesetze" handelt, und sie werden über viele Generationen hinweg von den Menschen respektiert.... </font></font>
[/i]
Das zweite Zitat stammt aus dem Aufsatz F. A. v. Hayeks"Gechichte und Politik", der sich in einem von ihm herausgegebenen Büchlein mit dem Titel"Kapitalismus und die Historiker" findet (F.A.Hayek, ed.; Capitalism and the Historians; London 1954). Das Zitat ist besonders interessant im Lichte der wiederholt vorgebrachten Beteuerung dottore's, er sei ja ursprünglich auch meiner Auffassung gewesen (wonach die Geschichte durch eine zwar langsame, aber sehr zielgerichtete Evolution der anerkannten Werte geformt wird), er sei aber durch"wertfreie", rein Fakten-orientierte Betrachtung der Geschichte auf seine"Machttheorie" gestoßen. Hier also auszugsweise die entsprechende Antwort von Hayeks:
<font color=#0000FF>[i]
History and Politics
F. A. HAYEK
Political opinion and views about historical events ever have been and always must be closely connected. Past experience is the foundation an which our beliefs about the desirability of different policies and institutions are mainly based, and our present political views inevitably affect and color our interpretation of the past. Yet, if it is too pessimistic a view that man learns nothing from history, it may well be questioned whether he always learns the truth. While the events of the past are the source of the experience of the human race, their opinions are determined not by the objective facts but by the records and interpretations to which they have access....
...
This profound influence which current views about history have an political opinion is today perhaps less understood than it was in the past. One reason for this probably is the pretension of many modern historians to be purely scientific and completely free from all political prejudice. There can be no question, of course, that this is an imperative duty of the scholar in so far as historical research, that is, the ascertainment of the facts, is concerned. There is indeed no legitimate reason why, in answering questions of fact, historians of different political opinions should not be able to agree. But at the very beginning, in deciding which questions are worth asking, individual value judgments are bound to come in. And it is more than doubtful whether a connected history of a period or of a set of events could be written without interpreting these in the light, not only of theories about the interconnection of social processes, but also of definite values-or at least whether such a history would be worth reading. Historiography, as distinguished from historical research, is not only at least as much an art as a science; the writer who attempts it without being aware that his task is one of interpretation in the light of definite values also will succeed merely in deceiving himself and will become the victim of his unconscious prejudices.
...</font>
(Ich spare mir die Übersetzungsarbeit. Wer bis hierher gelesen hat, der [i]kann Englisch.
[/i] [/i]
Wie gesagt; - zu dieser grundsätzlichen Klarstellung hat mich unser ricardo stimuliert, dem ich hiermit für diese Anregung danke.
Gruß
G.
<font color=#FF0000> </font>
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sensortimecom
08.12.2003, 16:12
@ Galiani
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Normen für das"Zusammenleben" sind nicht das Ergebnis von Versuch und Irrtum |
--> Das Zitat ist besonders interessant im Lichte der wiederholt vorgebrachten Beteuerung dottore's, er sei ja ursprünglich auch meiner Auffassung gewesen (wonach die Geschichte durch eine zwar langsame, aber sehr zielgerichtete Evolution der anerkannten Werte geformt wird), er sei aber durch"wertfreie", rein Fakten-orientierte Betrachtung der Geschichte auf seine"Machttheorie" gestoßen.
[b]Hallo.
Welche"Werte" sollten sich nach einer"zielgerichteten Evolution" herausbilden, welche nicht?
Entschuldige, aber IMO ist das Nonsense. Mathematisch/physikalische Gesetze haben sich auch nicht durch die"Evolution" in"inkremental verbesserter Weise" herausgebildet - entweder sie galten IMMER oder GAR NICHT; entweder sie waren"wahr" oder"falsch". (Wobei man bei den physikal. Gesetzen noch insofern eine Ausnahe machen kann, als sich diese während des Urknalls adaptiv"eingependelt" haben dürften...)
Ich postuliere dasselbe auch für ethische Gesetzmäßigkeiten. Normen für das"Zusammenleben" sind nicht notwendigerweise philosophisch herzuleiten, sie sind auch nicht das Ergebnis von Versuch und Irrtum. Sie sind erwiesenermaßen existent, genauso wie mathematisch/logische Gesetze da sind. Wenn du 10 autonom gesteuerte Roboter auf deinen Rasen lässt (um ihn zu mähen), so brauchen sie zumindest ein Odnungsprogramm bzw. eine programmgemäß vorgegebene Bedienungsanleitung die ihnen zeigt wo`s lang geht: also wo ihre Grenzen abgesteckt sind, damit sie sich nicht selber kaputt machen.
Dasselbe Prinzip gilt auch für biologisch strukturierte Organismen höherer Ordnung, wie z.B. den Menschen. (Erst recht DANN, wenn er über einen freien Willen und ein unbeschränktes Betätigungsfeld verfügt).
mfg Erich B.
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Popeye
08.12.2003, 16:32
@ Galiani
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Re: @ricardo und @alle, die sich für die"Machttheorie"-Diskussion interessieren |
-->Hallo, @unermüdlicher Galiani,
bei soviel Vertrauen in"das Edle im Menschen..."
da fällt mir doch nur noch.... Bert Brecht ein...
"Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral...
Denn wovon lebt der Mensch? Indem er stündlich
Den Menschen peinigt, auszieht, anfällt, abwürgt und frisst.
Nur dadurch lebt der Mensch, dass er so gründlich
Vergessen kann, dass er ein Mensch doch ist."
Nichts für ungut...
Popeye
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Student
08.12.2003, 16:39
@ Galiani
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Re: @Galiani und @alle,"Machttheorie"-Diskussion |
-->Hallo Galiani!
>Zuerst vielleicht das Zitat von Bill Bonner (Daily Reckoning vom 30. Juni 2000)
>Deutsch: <font size="2"><font color=#FF0000>
>SCHEINBAR VERNÜNFTIG HANDELNDE NARREN
>... Regeln, Gewohnheiten, Traditionen und Sitte steuern unser Verhalten. Es ist vielleicht vernünftig, jemanden umzubringen, der uns im Weg steht. Vielleicht wäre das sogar eine gute Idee und unsere Freunde und Nachbarn würden sich dafür bedanken. Aber es ist einfach nicht üblich. Vielleicht scheint es in einem bestimmten Augenblick durchaus vernünftig zu sein, jemand anderes Geld einfach einzustecken... oder mit seiner Frau zu schlafen... oder ihn zu verleumden; - aber wiederum: Es gibt es Regeln, Gesetze, die das verbieten. Würde man ihnen zuwiderhandeln, brächte man sich selbst in Gefahr.
>Solche Regeln sind nicht das Produkt der Vernunft. Sie sind das Produkt der Evolution... Sie haben sich intuitiv herausgebildet, auch wenn es sich um"ungeschriebene Gesetze" handelt, und sie werden über viele Generationen hinweg von den Menschen respektiert.... </font></font>
>[/i]
"Regeln, Gewohnheiten, Traditionen und Sitte..."
Was ich hier erblicke, das sind Schulden"pur", nämlich: wer ist wem was
schuldig.
Bsp.: Wer hat schon etwas gegen einen Menschen, der fröhlich lacht?
Nun steht unser fröhlich Lachender aber gerade in einer Gruppe von Menschen,
die just einen gestorbenen beerdigen. Da ist er es den anderen"schuldig", daß
er eben n i c h t lacht. Und es drohen mit ziemlicher Sicherheit auch
Sanktionen, wenn er diese Schuld(en) nicht erfüllt.
"Es ist vielleicht vernünftig, jemanden umzubringen."
Es ist nicht üblich?
Wir versetzen uns kurz in den"Wilden Westen" und was sehen wir?
Der Pferdedieb wird gerade von einer schnell zusammengetrommelten Bürgerwehr
an einem stabilen Ast aufgeknüpft.
Frag mal Baldur aus unserem Forum, was er so machen würde, wenn er machen
könnte, wie er machen wollte...
Wenn eben nicht gewisse Sanktionen drohen würden. Nicht üblich, oder nicht
durchsetzbar, weil irgendwo eine stärkere Macht hockt?
"...brächte man sich selbst in Gefahr."
Na, da wird doch wohl auch schon wieder eine"Macht" im Unterholz lauern!?
Oder was brächte uns selbst in Gefahr?
"Solche Regeln sind nicht das Produkt von Vernunft. Sie sind das Produkt der
Evolution...".
Ne, solche Regeln sind das Produkt bestehender Machtverhältnisse. Die Evolution
bringt große und kleine Fische zum Vorschein. Und die Machtverhältnisse
entscheiden dann darüber, wer wen frißt.
Zum"blauen Text" kann ich leider nicht Stellung nehmen. Mein Englisch ist
zu schlecht. Meine eigene Schuld, ich weiß...:-)
Lb Gr
der Student
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dottore
08.12.2003, 17:35
@ Galiani
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Re: Was & wer ist vernünftig? Hayek als Werte-Faschist! |
-->Hi Galiani,
der Bill hattse nich so doll - oder?
>SCHEINBAR VERNÜNFTIG HANDELNDE NARREN
>... Regeln, Gewohnheiten, Traditionen und Sitte steuern unser Verhalten. Es ist vielleicht vernünftig, jemanden umzubringen, der uns im Weg steht.
VIEL vernünftiger, ihn für uns arbeiten zu lassen. Warum denn killen?
>Vielleicht scheint es in einem bestimmten Augenblick durchaus vernünftig zu sein, jemand anderes Geld einfach einzustecken...
VIEL vernünftiger ihm dauernd Geld zu nehmen. Warum denn nur"in einem bestimmten Augenblick"?
WER ist vernünftig? Der Staat, der dies alles sanktionsfrei hinkriegt.
Und Master Hayek schreibt:
"Yet, if it is too pessimistic a view that man learns nothing from history, it may well be questioned whether he always learns the truth...."
... und meint, ER habe uns"the truth" gelehrt?
Dies wiederum:
>"And it is more than doubtful whether a connected history of a period or of a set of events could be written without interpreting these in the light, not only of theories about the interconnection of social processes, but also of definite values - or at least whether such a history would be worth reading.
... heißt: man dürfe nur nach vorangegangenem Studium der sozialen Prozesse und Vereinnahmung von endgültigen (!) Werten Geschichtsstudien betreiben.
Was ein Widerspruch in sich ist: Denn wie kann ich überhaupt soziale Prozesse und ihre inneren Zusammenhänge studieren oder definitive Werte ermitteln, wenn nicht durch das Studium der Geschichte?
Ganz abgesehen von dieser üblen Chote hier:
>"Historiography, as distinguished from historical research, is not only at least as much an art as a science; the writer who attempts it without being aware that his task is one of interpretation in the light of definite values also will succeed merely in deceiving himself and will become the victim of his unconscious prejudices."
Damit enttarnt sich Hayek als klassischer Werte-Faschist: Wer diese Werte nicht in sich trägt, täuscht sich (oh, oh!) und wird Opfer seiner unbewussten (oh, oh!) Vorurteile.
Als ob derjenige mit dem"definiten Werten", der er ja VOR seinem Urteil in sich tragen muss, keine VOR-Urteile hätte.
Mir ist richtig schlecht geworden. Und ich hatte damals stundenlang gebettelt, dass mir der große Mann sein Katallaxie-Manuskript signiert... Ich glaube, das schmeiße ich mal lieber wech, bevor ich noch in die FRF komme (Faschismus-Raster-Fahndung).
Danke für den eye-opener, lieber Galiani + Gruß!
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Galiani
08.12.2003, 18:23
@ dottore
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@dottore: Ist etwa die Schärfe Ihrer Antwort proportional zur Sprengkraft |
-->der Bonner/Hayek'schen Ausführungen, die die Grundlagen der"Machttheorie" zu erschüttern könnten? [img][/img]
Ihr (sehr hartes) Urteil über den nachmaligen Nobelpreisträger Hayek beruht aber wohl auf einem von mir verschuldeten Mißverständnis: Ich habe nur wenige Zeilen des Aufsatzes zitiert. Man kann die Richtigkeit der Gedanken Hayeks aber nicht auf der Basis der 10 ersten Zeilen seiner Gedanken dartun; - das hätte mir klarsein müssen.
Ich verspreche daher, baldmöglichst den ganzen Aufsatz einzuscannen und hier zu posten. Die Lektüre dieses ganzen Aufsatzes läßt dann auch sehr deutlich erkennen, wo Ihre kritischen Anmerkungen auf einem Mißverständnis der Gedanken Hayeks beruhen.
Bis später also.
Gruß
G.
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