JoBar
10.12.2003, 16:46 |
@dottore Weist"Macht" in"Macht-Theorie" nicht eine verkehrte Richtung? Thread gesperrt |
-->Wenn ein Leser von"Macht-Theorie" liest, macht es da nicht sofort Klick im Kopf - und er stellt sich das Bild"Einer befiehlt, der andere gehorcht" vor.
Und das dürfte doch gerade bei"Geld" voll daneben sein.
Ein Herrscher wird doch die Abgaben innerhalb seines überschauberen Beritts in Naturalien einsammeln und nicht den enormen Aufwand für ein ( wie auch immer geartetes ) Geld-System betreiben.
Mit meinem soliden Halb-Wissen:) würde ich mal vermuten: Das System"Geld" lohnt sich nur innerhalb wirklich großer Staatsgebilde bzw. zwischen Staaten.
Und da spielt der"Mächtige" nicht die Hauptrolle, sondern das funktionierende System seiner"Beauftragten", sowie der dem"Geld" vertrauenden Bevölkerung. Und beides entsteht nicht auf ein Kommando hin, sondern es muß erst im Laufe der Zeit aufgebaut werden.
Ich bin mir ziemlich sicher, daß"Macht" ein unpaßender Begriff ist - habe allerdings noch keinen besseren anzubieten.
Wie ich zu meiner Annahme komme, kann man hoffentlich hieraus entnehmen:
Leseproben zum Download: Martin Ludwig Hofmann: Monopole der Gewalt, Einleitung
Den Staat als Hort der politischen Macht zu begreifen, sei einer der grundlegenden Irrwege, der einen tatsächlichen theoretischen Zugang zur Macht versperre, wurde Michel Foucault nicht müde zu betonen. Handele es sich dabei doch um eine veraltete westliche Denkweise der Machtausübung, die Foucault als »juristische Soziologie der Macht« bezeichnet, da sie von »einer juristischen Auffassung her« über die Macht nachdenke. Macht werde nach dieser Auffassung als Herrschaftspraxis verstanden, als Kraft der Normsetzung, die in einer Regierung gebündelt sei, welche die Gesellschaft zu ordnen versuche. »Ich glaube, von dieser juristischen Auffassung der Macht, von dieser Auffassung der Macht vom Gesetz und vom Souverän, von Regel und Verbot her muss man sich jetzt befreien, wenn wir zu einer Analyse nicht mehr der Repräsentation der Macht, sondern ihres tatsächlichen Funktionierens kommen wollen«, schreibt Foucault.
Und noch weiter gehend: »Man muss die Mächtesysteme nicht nur von den Staatsapparaten, sondern auch von den politischen Strukturen trennen.«
Die Bedeutung Foucaults für die notwendige Weitung des diskursiven Feldes der Machtanalyse kann kaum hoch genug veranschlagt werden, und seine Theoreme fanden im Verlauf der vergangenen drei Jahrzehnte nicht ohne Grund ihren Weg vom subversiven Rand der scientific community ins Zentrum derselben.
Es dürfte gegenwärtig kaum eine sozialwissenschaftliche Studie über Macht und deren Analyse veröffentlicht werden, die nicht auf die eine oder andere Art und Weise auf Foucault Bezug nimmt.
Foucaults Arbeiten sind von einem grundlegenden Perspektivenwechsel gegenüber den handlungsorientierten Theoremen gekennzeichnet, die seit Max Weber den Horizont der wissenschaftlichen Analyse der Macht, zumal der politischen Macht, weitgehend vorgegeben hatten. Macht ist in Foucaults Denken nicht etwas,
was einer Person, einer Klasse oder einem Zirkel von Menschen eignet, sondern Macht wird als polyzentrisches Kräfteverhältnis begriffen, in dessen Netzwerk alle Gesellschaftsmitglieder gleichzeitig aktiv und passiv eingebunden sind, und sei es nur als »beobachtete Beobachter«. Da nicht erst seit Max Webers berühmter Definition des Politischen die beiden Komplexe »Macht« und »Politik« als auf das Engste miteinander verbunden gedacht werden, muss das Feld des genuin Politischen durch Foucaults theoretische Prämisse zwangsläufig gesprengt werden, oder anders formuliert: Durch diese Form der Machtanalyse wird das Politische auf die Totalität gesellschaftlicher Existenz geweitet, wie es
auch in dem SpontiSpruch »Alles Private ist politisch!« unmissverständlich
zum Ausdruck kommt. Schließlich wirken die Dispositive der Macht bis in die entlegendsten Winkel der Gesellschaft.
... weiter
Oder um es in dürren, einfachen Worten grob zu Skizzieren:
Macht ist nicht einfach einer oben und einer unten, einer befiehlt und einer gehorcht.
Macht ist das Netz aus elastischem Materiel, dessen Knoten die Mitglieder von sozialen Gemeinschaften repräsentieren. Und wenn ein Mitglied (= Knoten ) sich zu erheben versucht, dann ergeben sich mehr oder weniger starke Wechselwirkungen (= über mehr oder minder elstische Verbindungsschnüre ) mit den ihn umgebenden Mitgliedern.
Sie können ihn am Boden festhalten, mit ihm emporsteigen, dabei aber doch etwas bremsen oder ihn gar im Aufstieg überholen.
Jeder ist jederzeit Mitspieler in Machtspielen
Mehr dazu gibt es bei Foucault; wenns interessiert kann ich ein paar links reinstellen
Grüße
J
PSSichtbare Kräfte sind weit weniger gefürchtet als unsichtbare.
Der Staat gehört zu den letzteren, seitdem die Gespenster verschwunden sind.
Ernst Bloch [Aus ders.: Naturrecht und menschliche Würde, Frankfurt/M. 1961, S. 301.]
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FOX-NEWS
10.12.2003, 17:29
@ JoBar
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Re: @dottore Weist"Macht" in"Macht-Theorie" nicht eine verkehrte Richtung? |
-->Hallo JoBar,
vor kurzem hatte ich dottore gefragt, ob wir in unserer Demokratie nicht Herrscher und Beherrschte in Personalunion seien. Mal platt formuliert. dottore sieht das ähnlich.
Wenn wir das Muster der Machtzession ansetzen, so kommen wir doch zu ähnlichen Aussagen wie Michel Foucault.
Die Mechanismen der Macht bleiben immer die Gleichen. Nur wird es zunehmend schwerer, Nutzniesser und"Zahlende" zu erkennen.
sam
PS:
In Deutschland nimmt das Verhältnis von"Alimentierten" zu"Alimentierern" immer ungünstigere Proportionen an. Das wird das System auf lange Sicht knacken.
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dottore
10.12.2003, 17:37
@ FOX-NEWS
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Re: @dottore Weist"Macht" in"Macht-Theorie" nicht eine verkehrte Richtung? |
-->>Hallo JoBar,
>vor kurzem hatte ich dottore gefragt, ob wir in unserer Demokratie nicht Herrscher und Beherrschte in Personalunion seien. Mal platt formuliert. dottore sieht das ähnlich.
Ja Schuldner und Gläubiger, aber nicht staatlich Alimentierte ("Rentner") und Alimentierer.
>Wenn wir das Muster der Machtzession ansetzen, so kommen wir doch zu ähnlichen Aussagen wie Michel Foucault.
>Die Mechanismen der Macht bleiben immer die Gleichen. Nur wird es zunehmend schwerer, Nutzniesser und"Zahlende" zu erkennen.
Richtig, siehe ausführlichst"Aufwärts ohne Ende".
>sam
>PS:
>In Deutschland nimmt das Verhältnis von"Alimentierten" zu"Alimentierern" immer ungünstigere Proportionen an. Das wird das System auf lange Sicht knacken.
Vielleicht schon vorher.
Gruß!
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Galiani
11.12.2003, 00:55
@ JoBar
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Re: @dottore Weist"Macht" in"Macht-Theorie" nicht eine verkehrte Richtung? |
-->Hallo
Eine sehr gescheite Analyse. Ich war immer schon der Meinung, daß"Macht" definiert werden muß, bevor großartige Theorien damit aufgebaut werden.
Und damit fängt dann die Schwierigkeit an, wie Dein Beitrag deutlich zeigt...
Ich habe unten übrigens einen Aufsatz von Hayek hereingestellt, der Zweifel an der ganzen von dottore verwendeten Methode aufkommen läßt.
Im Zusammenhang mit der von Dir hier aufgeworfenen Frage kommt mir aus diesem Aufsatz folgendes in den Sinn:
Irgendwo schreibt Hayek im Kontext der Entstehung des Proletariates sinngemäß:
Vor der Industrialisierung konnte nur der überleben, der von seinen Vorvätern ein bebaubares Land und Werkzeuge zu dessen Bearbeitung übernommen hat. Frage: Wo kommt dabei die Macht vor? (Gab's vor dem 18. Jh. überhaupt keine Macht? Das wäre doch eine lächerliche Annahme.)
Mit der Industrialisierung entsteht das sog. Proletariat als Bevölkerungsschicht, die früher zu einem frühen Tod (durch Verhungern) verurteilt gewesen wäre. Wer ist nun die Macht? Der Staat oder der Kapitalist?
Schließlich: Die höheren Erträge durch die Verwendung von Maschinen erlauben es dem Kapitalisten erstmals in der Geschichte, zu investieren, (um noch mehr Gewinn zu machen) und - als Nebeneffekt - Leute anzustellen. Wer repräsentiert die"Macht" für den Kapitalisten? (Na endlich! Der Staat! [img][/img] )
Du hast Recht: Die"Macht" ist wahrscheinlich gar kein operationeller Begriff. Deshalb ist es auch für dottore relativ einfach, diesen"schwammigen" Begriff, ständig blitzartig neuen Fragestellungen anzupassen.
Ich bin verwirrt.
Gruß
G.
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JoBar
11.12.2003, 14:23
@ FOX-NEWS
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Re: @dottore Weist"Macht" in"Macht-Theorie" nicht eine verkehrte Richtung? |
-->>vor kurzem hatte ich dottore gefragt, ob wir in unserer Demokratie nicht Herrscher und Beherrschte in Personalunion seien. Mal platt formuliert. dottore sieht das ähnlich.
>Wenn wir das Muster der Machtzession ansetzen, so kommen wir doch zu ähnlichen Aussagen wie Michel Foucault.
>Die Mechanismen der Macht bleiben immer die Gleichen. Nur wird es zunehmend schwerer, Nutzniesser und"Zahlende" zu erkennen.
Stimmt, ist eine schwierige Materie und ich kratze ja nur an der Oberfläche:)
Um es aber um es im Foucaultschen Sinne ( hoffentlich ) zu sagen:
ALLE sind irgendwie gleichzeitige Herrscher und Beherrschte in dem Machtspiel
Andererseits gibt es natürlich unterschiedliche Klassen von Mitspielern ( siehe das schöne Beispielhttp://f17.parsimony.net/forum30434/messages/240651.htm)
Mich interssiert"Wie läuft hier und jetzt Herrschaft/Machtspiele in diesem unserem Lande ab?"
Zufälligerweise:) gibt es kaum Versuche die aktuelle Situation in Deutschland/Europa/.. zu analysieren ( Woher das wohl kommen mag?). dottore hinterfragt ja ziemlich ketzerisch unser"grundsolides" Geld/Finanz-System; das ist jedoch nur ein spezielles Segment(chen) des ganzen Macht-Szenarios.
Ich versuche mal meine neuesten Erkenntnisse zum Parteienstaat in einem Posting zusammenzufassen, dauert aber noch etwas.
Grüße
J.
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dottore
11.12.2003, 15:27
@ Galiani
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Re: @dottore Weist"Macht" in"Macht-Theorie" nicht eine verkehrte Richtung? |
-->Hi,
dazu gern:
>Irgendwo schreibt Hayek im Kontext der Entstehung des Proletariates sinngemäß:
>Vor der Industrialisierung konnte nur der überleben, der von seinen Vorvätern ein bebaubares Land und Werkzeuge zu dessen Bearbeitung übernommen hat. Frage: Wo kommt dabei die Macht vor? (Gab's vor dem 18. Jh. überhaupt keine Macht? Das wäre doch eine lächerliche Annahme.)
Von den Vorvätern wurde zunächst nur die Leibeigenschaft bzw. Grundabhängigkeit geerbt. Wurde - nach entsprechenden Auseinandersetzungen mit dem Ziel der"Befreiung" von den damit verbundenen, erzwungenen Leistungen - privates Eigentum der Menschen an sich selbst (Bauernaufstände,"Stadtluft macht frei" usw.) und an Grund und Boden bzw. Sachen ("privates Eigentum") von den Machthaltern zediert, kann der Sub-Machthalter jetzt mit sich selbst und seinem Unter-Eigentum wirtschaften. Die dazu erforderlichen Umstände (Besicherung, Vollstreckung) belassen die Obermacht weiterhin im Spiel.
>Mit der Industrialisierung entsteht das sog. Proletariat als Bevölkerungsschicht, die früher zu einem frühen Tod (durch Verhungern) verurteilt gewesen wäre. Wer ist nun die Macht? Der Staat oder der Kapitalist?
Das Proletariat entstand nicht durch die Industrialisierung, sondern durch die Übertragung des Rechts (Eigentum) an der eigenen Person (Bauernbefreiung usw.). Im Kapitalismus stehen sich letztlich zwei Sub-Mächte gegenüber: Der Sub-Eigentümer an Grund und Boden und den darauf zu errichtenden Anlagen (Kapitalist) und der Sub-Eigentümer an der eigenen Person (Lohnarbeiter). Warum der Kapitalist im Vorteil ist, muss nicht groß erklärt werden: Der Lohnarbeiter muss sich zwar genauso erhalten wie der Kapitalist, er hat aber den Nachteil, aufgrund fehlenden Sub-Eigentums an Grund und Boden dem Sub-Eigentümer daran schon deshalb unterlegen zu sein, da er sich auf etwas aufhalten muss, was ihn dem Sub-Eigentümer an Grund und Boden zinspflichtig macht.
Die Ober-Macht sorgt dafür, dass dieser Zins (Boden"rente", Mietzins) vollstreckt wird.
>Schließlich: Die höheren Erträge durch die Verwendung von Maschinen erlauben es dem Kapitalisten erstmals in der Geschichte, zu investieren, (um noch mehr Gewinn zu machen) und - als Nebeneffekt - Leute anzustellen. Wer repräsentiert die"Macht" für den Kapitalisten? (Na endlich! Der Staat! [img][/img] )
Richtig. Der Staat besichert das Sub-Eigentum des Boden- bzw. Kapital-Halters und exekutiert die zwischen diesen Sub-Eigentümern zu Stande kommenden Kontrakte, sofern sie nicht termingemäß ("wie vereinbart") erfüllt werden. Dies gilt selbstverständlich auch für die Kontrakte zwischen Kapitalisten und Lohnarbeitern (sog."Arbeitsteilung").
>Du hast Recht: Die"Macht" ist wahrscheinlich gar kein operationeller Begriff. Deshalb ist es auch für dottore relativ einfach, diesen"schwammigen" Begriff, ständig blitzartig neuen Fragestellungen anzupassen.
Es ist ein operationaler Begriff. Macht bedeutet, bewaffneten Zwang in Krieg und Frieden gegen Menschen sanktionsfrei einsetzen zu können. Der das vollziehen kann, ist der jeweilige Machthalter.
Da der bewaffnete Zwang zu abnehmenden Erträgen führt (diseconomies of scale), was den jeweiligen Machthalter gefährdet und ihn der Gefahr von Sanktionen aussetzt (Machtverlust, Umsturz, Rache, usw.), muss er immer weitere Teile seiner Macht abtreten (zedieren), vornehmlich das zunächst im allein zustehende Eigentum an Personen und Sachen sowie an Machterträgen (Abgaben) im von ihm und seiner Macht-Clique unterworfenen Machtareal: Bauernbefreiung, Entlassen der"Untertanen" (F. Galiani) aus Leibeigenschaft und Grundherrschaft oder aus Sklaverei, Erlaubnis zum Privateigentum, Erlaubnis zum indirekten Abgabeninkasso über Staatsverschuldung - eben alles was unter Privilegien zusammenzufassen ist.
Mit Hilfe der Privilegierungen (Teil-Macht-Zessionen) sichert sich der Machthalter seine Ober-Macht: Obereigentum an Menschen, die zu Diensten aller Art verpflichtet bleiben wie Wehrdienst, persönliche Steuerpflicht über Einkommensteuer, u.a.; Obereigentum an Grund und Boden (Grundsteuer, Zustimmung zu Eigentumsübertragungen zwischen den Privaten, Besteuerung dieser Übertragungen in Form von Eigentumswechselsteuern, zu denen auch die sog. Verbrauchsteuern zählen); Obermacht über das Abgabenwesen insgesamt (jederzeitige Möglichkeit, die Abgabensätze zu verändern); Obermacht über das Geldwesen (Bestimmung, was als GZ zu gelten hat); Obermacht über das Waffenwesen (insbesondere Kriegswaffen).
Kennzeichen der Obermacht ist die sog. "Souveränität", die sich schon vom Wort selbst her als ultimative und selbst nicht mehr zedierbare Form der Macht über das Machtareal erklärt.
Ist der Reigen der überhaupt möglichen Zessionen, Privilegierungen, Abtreten von Rechten usw. abgeschritten, d.h. sind keine Bildungen von Unter-Macht mehr möglich ("alle sind frei","alles Eigentum 'privatisiert'", usw.), wird die den bewaffneten Zwang ausübende Macht von ihren diseconomies of scale eingeholt, auch wenn sich auf den einzelnen Stufen der Zession nach der Zession zunächst immer die allseits bekannten"positiven" Auswirkungen ergeben. Es kommen dann:"Abstieg", zunehmender Widerstand der"Untertanen", Leistungsverweigerung, politische Unzufriedenheit, um sich greifende"Systemkritik", Stagnation,"Verelendung" usw.)
Die Macht scheitert auch auf ihrer letztmöglichen Stufe ("freiheitliche, demokratische Grundordnung" mit sanktionsfreiem Machthalterwechsel über"freie Wahlen" usw.) an ihrem ursprünglichen Widerspruch: Der Zwang ist mit der menschlichen Natur nicht vereinbar.
Das müsste doch jedem"Freiheitlichen" Balsam sein!
Gruß!
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