-->Hi,
zu den Antworten auf mein obengenanntes Posting folgendes:
Auswirkungen von Klimaveränderungen auf Bevölkerungsentwicklung:
Es stimmt, daß eine bereits durch Mangelernährung (infolge Mißernten wegen der Klimaverschlechterung ab ca. 1300) geschwächte Bevölkerung besonders anfällig für Seuchen ist.
Es ist allerdings nicht so, daß sich damals irgendwelche lokalen,"normalen" Pestfälle wegen der verschlechterten Lebensumstände zum"Schwarzen Tod" (Beulen-/Lungen-Pest)"akkumuliert" hätten - tatsächlich tauchte dieser zuerst auf der Krim bzw. im Orient auf und breitete sich von dort über das Mittelmeergebiet in Verlauf von drei Jahren auf den größten Teil Europas aus - und machte auch bei satten Leuten keine grundsätzliche Ausnahme: auch eine insgesamt"wohlgenährte" Bevölkerung wäre beim damaligen Stand der Hygiene (siehe auch Ratten) und der Medizin (keine Gegenmittel/Impfungen) hart getroffen worden.
Privilegien für Neusiedler:
Der im 18. Jahrh. gebräuchliche Ausdruck"Repöplierung" bezeichnete keine allgemeine"Bevölkerungsauffrischung", sondern die Wiederbesiedlung von bestimmten Gebieten, deren Einwohner durch Kriege und Seuchen dezimiert worden waren, siehe z. B.
<ul> ~ </li>Ostpreußen: Wiederansiedlungen unter Friedrich I. und F. II. in geschlossenen Gebieten (siehe mittel-/oberdeutschen Dialekt"Hochpreußisch" bis 1945); ebenso Neuansiedlungen im entwässerten Oder-, Warthe- und Netzebruch.
~ </li>südliches Ungarn nach den Türkenkriegen ("Donau-/ Banater Schwaben").
~ </li>Ansiedlung von Deutschen im ebenfalls von türkischer Herrschaft"befreitem" südlichen Teil Rußland ab 1764.</ul>
"Privilegien" waren kein reines Lockmittel. sondern hauptsächlich Ausgleich für Härten der Anfangsphase, in der Regel einmalig (Zuschüsse) oder temporär (Steuer-/Abgaben-Freiheit/-erleichterung): Die Siedler konnten sich schließlich nicht ins fertige Nest setzen, sondern mußten sich ihre Existenz erst aufbauen.
Ein (seltenes) dauerhaftes Privileg war die Befreiung von der Leibeigenschaft, siehe Süd-Ungarn: als Gegenleistung für den Militärdienst entlang der neuen Grenze zum Osmanischen Reich.
Interessant ist, daß die meisten Neusiedler aus dem Südwesten Deutschlands stammten, wo offensichtlich kein Bevölkerungsmangel herrschte (Pfälzer, Schwaben, Alemannen, Elsässer - siehe auch die Besiedlung Südost-Pennsylvaniens schon ab 1710, von ca. 1800 bis 1840 waren fast alle Gouverneure Pennsylvaniens gebürtige Deutsche).
Von einem allgemeinen Rückgang der europäischen Bevölkerung kann im 18. Jahrh. also keine Rede sein.
Bevölkerungszunahme vor/während Industrialisierung:
Hier muß die Entwickung in Großbritannien (GB) getrennt von der auf dem Kontinent gesehen werden, weil in GB
<ul> ~ </li>keine Leibeigenschaft mehr existierte
~ </li>sowohl die Zunahme der Bevölkerung (1750: 7,8 Mio, 1820: 14,3 Mio) als auch die Industrialisierung (mit Verfall der Landwirtschaft, dadurch zusätzlicher Antrieb, um mit Erlös Nahrungsmittel importieren zu können) früher einsetzte (ab ca. 1800).</ul>
Im übrigen Europa (Aufhebung der Leibeigenschaft ab 1789) nahm die Bevölkerung später ebenfalls (überall)zu, z. B.:
<ul> ~ </li>Frankreich, 1820: 27 Mio - 1840: 34 Mio
~ </li>Italien, 1820: 18 Mio - 1840: 22 Mio
~ </li>Ã-sterreich-Ungarn, 1820: 29 Mio - 1840: 38 Mio
~ </li>Preußen/Deutschland, 1820: 24 Mio - 1840: 31 Mio.</ul>
Die Industrialisierung setzte erst ab etwa 1840 ein, siehe z. B. die Kohle-Produktionszahlen (in Tonnen) für das Gebiet des Deutschen Bundes (ohne Ost-/Westpreußen und Posen, mit Ã-sterreich und Böhmen-Mähren):
<ul> ~ </li>1840:4 Mio
~ </li>1855:8 Mio
~ </li>1870: 33(!) Mio.</ul>
Daraus folgt, daß die große Masse der Arbeitskräfte, vor allem Zuwanderer aus dem preußisch-polnischen Osten, erst nach 1855 ins Ruhrgebiet gekommen ist.
Also kein Wunder, daß schon in der Zeit davor die Auswanderungen erheblich anstiegen waren (und danach bis in die 1870er Jahre hinein sanken:
<ul> ~ </li>1851-1860: 1,08 Mio
~ </li>1861-1870: 0,83 Mio
~ </li>1871-1880: 0,53 Mio.</ul>
Nur bedingt durch die Depression nach 1873 stiegen die Zahlen vorübergehend wieder an:
<ul> ~ </li>1881-1890: 1,34 Mio
~ </li>1891-1900: 0,53 Mio
~ </li>1901-1910: 0,28 Mio.</ul>
Fazit: Die bloße Industrialisierung infolge Aufhebung der Leibeigenschaft muß etwas ganz Seltenes (bisher Verborgenes?) gewesen sein - aus dem oben Dargelegten ist sie jedenfalls nicht zu ersehen...
Gruß!
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-->Hi bernor,
wieder ein Juwel, danke.
>Privilegien für Neusiedler:
>Der im 18. Jahrh. gebräuchliche Ausdruck"Repöplierung" bezeichnete keine allgemeine"Bevölkerungsauffrischung", sondern die Wiederbesiedlung von bestimmten Gebieten, deren Einwohner durch Kriege und Seuchen dezimiert worden waren, siehe z. B.
><ul> ~ </li>Ostpreußen: Wiederansiedlungen unter Friedrich I. und F. II. in
>Interessant ist, daß die meisten Neusiedler aus dem Südwesten Deutschlands stammten, wo offensichtlich kein Bevölkerungsmangel herrschte (Pfälzer, Schwaben, Alemannen, Elsässer - siehe auch die Besiedlung Südost-Pennsylvaniens schon ab 1710, von ca. 1800 bis 1840 waren fast alle Gouverneure Pennsylvaniens gebürtige Deutsche).
>Von einem allgemeinen Rückgang der europäischen Bevölkerung kann im 18. Jahrh. also keine Rede sein.
Das ist europäisch-regional verschieden. In Frankreich nahm die Bevölkerung nicht zu, eher ab. Ich müsste bei Sée nochmal nachschauen.
Der Bevölkerungsmangel sollte auch vor dem Hintergrund der jeweiligen Erbrechte gesehen werden.
Wo es Realteilung gab (Land und Geräte wurde bis auf 1/32 runter verteilt), war dann der verbliebene Teil für den Einzelnen zu klein - es musste ausgewichen werden. Also weg.
Beim Anerbenrecht (Ältester erbt alles, Jüngere evtl. noch einen Kotten) steigt der Druck genau so. Also weg.
>Bevölkerungszunahme vor/während Industrialisierung:
>Hier muß die Entwickung in Großbritannien (GB) getrennt von der auf dem Kontinent gesehen werden, weil in GB
><ul> ~ </li>keine Leibeigenschaft mehr existierte > ~ </li>sowohl die Zunahme der Bevölkerung (1750: 7,8 Mio, 1820: 14,3 Mio) als auch die Industrialisierung (mit Verfall der Landwirtschaft, dadurch zusätzlicher Antrieb, um mit Erlös Nahrungsmittel importieren zu können) früher einsetzte (ab ca. 1800).</ul>
In GB begann der Adel als erster mit Investitionen, vgl. den Kanal Liverpool / Manchester durch Bridgewater. Die Städte konnten, da unbefestigt leicht expandieren. Ich habe eine Karte von Manchester, wo diese"openness" (das Land wurde den landlords abgekauft) deutlich zu sehen ist. Die Städte in D mussten erst ihre Mauern schleifen.
>Im übrigen Europa (Aufhebung der Leibeigenschaft ab 1789) nahm die Bevölkerung später ebenfalls (überall)zu, z. B.:
><ul> ~ </li>Frankreich, 1820: 27 Mio - 1840: 34 Mio > ~ </li>Italien, 1820: 18 Mio - 1840: 22 Mio > ~ </li>Ã-sterreich-Ungarn, 1820: 29 Mio - 1840: 38 Mio > ~ </li>Preußen/Deutschland, 1820: 24 Mio - 1840: 31 Mio.</ul>
Das war der"große erste Schub", keine Frage.
>Die Industrialisierung setzte erst ab etwa 1840 ein, siehe z. B. die Kohle-Produktionszahlen (in Tonnen) für das Gebiet des Deutschen Bundes (ohne Ost-/Westpreußen und Posen, mit Ã-sterreich und Böhmen-Mähren):
><ul> ~ </li>1840:4 Mio > ~ </li>1855:8 Mio > ~ </li>1870: 33(!) Mio.</ul>
Hier wichtig: 1. Gewerbefreiheit (in Preußen ab 1810), 2. Aktienrecht und damit die Bildung von haftungsbeschränkten Unternehmungen (ab 1840), 3. Möglichkeit, das bis dahin (seit Wormser Konkordat 1122) beim Staat liegende Bergregal privat zu erwerben.
(...)
>Fazit: Die bloße Industrialisierung infolge Aufhebung der Leibeigenschaft muß etwas ganz Seltenes (bisher Verborgenes?) gewesen sein - aus dem oben Dargelegten ist sie jedenfalls nicht zu ersehen...
Urheberschutz (GB 1709), Patenrecht (USA Ende 18. Jh., allmähliche Verbreitung, vgl. den Patentstreit Arkwright in GB und ähnliches in D), sehr wichtig Pfandbrief (Friedrich II.!), damit Beleihungsmöglichkeit von Grund u. Boden, Gründug der Banque in Preußen (Fr. II.), später (ähnlich) Sparkassen ab ca. 1820, BoE mit entsprechendem Vorlauf, insgesamt eine Schaffung von property rights, wie es sie davor nicht gegeben hatte.
Das gegenseitige Sich-Aufschaukeln von Zession von Rechten (Dilution unter den"Untertanen" mit entsprechendem Hebel: mehr Menschen und nicht nur der Souverän können rechtsfest wirtschaften) und Anstieg, entsprechend, der Steuereinnahmen, von denen mehr und mehr zur"Förderung" des Prozesses aufgewendet wurden (Preisgelder für besondere Maschinen, z.B. Münzprägemaschinen Dinnendahl, Dampfmaschinen), Hoflieferanten als Status, Medaillen auf Weltausstellungen, Abtreten des Wegemonopols an private Chausseebau- und Eisenbahn-Unternehmen - das Ganze als ein riesiger Freiraum, der sich nach der Entmachtung der alten Herrschaftsstrukturen ("Tote Hand" der Kirchen verschwand, Klöster konnten als private Etablissements genutzt werden), der unter laufender Konkurrenz zu dem großen, zunächst kostengünstigen und fast steuerfreien Freiraum in Amerika stand von wo aus immer mehr Druck kam, usw.
Oder kurz: Englands Zessions-Vorlauf plus Napoleon plus Amerika, alles verbunden mit dem Höhepunkt der Freihandels (=Zollbefreiungs)-Bewegung plus vereinheitlichtes GZ im GS ab 1860/70. Dieser große Schub ist ein einmaliges historisches Phänomen und läuft nun langsam aus, wobei die Ent-Sozialismusierung im Ex-Ostblock und China (nach Ost- und Südostasien in toto) noch für ein hoffentlich langes Stretching sorgt.
Gruß!
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