-->Dax durchbricht fast unbemerkt langfristigen Abwärtstrend
Ein Indexhoch von 5000 Punkten ist bis Herbst möglich / Von Wieland Staud
FRANKFURT, 8. Januar. Es geschah an einem der letzten Handelstage vor den Weihnachtsfeiertagen. Niemand rechnete mehr ernsthaft mit wesentlichen Ereignissen. Vielleicht war gerade dies eine wichtige Voraussetzung dafür, daß es dem Deutschen Aktienindex Dax am 22. Dezember des vergangenen Jahres gelingen konnte, seinen seit dem März 2000 intakten langfristigen Abwärtstrend hinter sich zu lassen. Der vorweihnachtlichen Stimmung angemessen tat er dies nicht wie sonst üblich mit viel Getöse, sondern weitestgehend unbeachtet, unkommentiert, auf leisen Sohlen und damit reichlich unspektakulär.
Auch als Technischer Analyst mußte man so kurz vor der feiertagsbedingten zweiwöchigen Börsenauszeit das Lineal schon zweimal anlegen, um das Ereignis wirklich fassen zu können. Aber schließlich bestand kein Zweifel mehr: Trotz der zurückliegenden phantastischen Wertentwicklung im Jahresverlauf, trotz Terrordrohungen, Euro-Hausse und im Angesicht von bedeutenden Widerstandszonen gelang dem Dax der definitorische Übergang von einem langfristigen Abwärtstrend in einen ebensolchen Aufwärtstrend. Es war die Bescherung vor der Bescherung. Zwei Tage vor Heiligabend kommt ein Geschenk vom Christkind, wie Börsianer es sich schöner und größer nicht hätten wünschen können: das Signal zum Aufbruch.
Es kann nun überhaupt kein Zweifel daran bestehen, daß diese Gezeitenwende weit früher geschah als ursprünglich erwartet. Aber da deren Implikationen für die kurz- und mittelfristige Zukunft ausschließlich deutlich positiver Natur sind, ist es wohl eine läßliche Sünde: In wenigstens 80 Prozent aller jemals aufgetretenen Fälle, in denen langfristige Abwärtstrends gebrochen wurden, konnten in darauffolgenden Monaten teilweise sogar dramatische Kurssteigerungen beobachtet werden. Gepaart mit der Erkenntnis, daß der Dax durch diesen unerwartet frühen Trendbruch noch besser in Form sein muß als ohnehin schon erwartet, führt dies schon jetzt zu einer beeindruckenden Konsequenz: Der ursprünglich nur leicht optimistische Ausblick für 2004 kann deutlich nach oben angepaßt werden.
Die einst als Jahresziel vorgesehene Widerstandszone zwischen 4400 und 4500 Punkten verkommt mehr oder weniger zum kurzfristigen Zwischenziel und sollte bis zum Frühling erreicht worden sein. Das eigentliche Ziel für das gerade begonnene Jahr 2004 stellt aber nun die magische runde Zahl von 5000 Punkten dar. Es darf heute als ziemlich wahrscheinlich angesehen werden, daß der Dax sich diese Maßzahl irgendwann im Herbst anschauen wird. Das schließt kurzfristige und im Zweifel sogar auch heftige Konsolidierungsbewegungen innerhalb des weiterhin intakten Aufwärtstrends allerdings nicht aus. Gerade zur Jahresmitte könnte wieder ein wenig Nachdenklichkeit bei den meisten Börsianern Einzug halten. Diese Bärenattacken werden aber über den Status vorübergehender Zwischenspiele nicht hinauskommen.
Allerdings ist es unabdingbar, gerade in diesem aus technischer Sicht großen und wegweisenden Moment auch auf die Kehrseite der Medaille hinzuweisen: Jeder Rückfall unter das jeweils aktuelle Niveau des langfristigen Abwärtstrends würde nicht nur sofort das Ziel von 5000 Punkten obsolet machen, sondern höchstwahrscheinlich auch ein kleines Kursdesaster nach sich ziehen. Dieser langfristige Trend fällt gegenwärtig mit etwa zwei Punkten pro Tag. Ende März erreicht er einen Wert von etwa 3680 Punkten, Ende Juni stehen für ihn noch etwa 3500 Punkte zu Buche.
Ein zu nicht unwesentlichen Teilen mitentscheidendes Argument für diese wachsende Zuversicht ist die Aktienkursentwicklung der Deutschen Telekom. Diese hat ganz im Sinne der Prognose wieder Tritt gefaßt und befindet sich seit dem Durchbruch durch die extreme Widerstandszone zwischen 14 und 15 Euro in einer ganz vorzüglichen technischen Verfassung. Es bleibt deshalb erstens beim genannten mittelfristigen Kursziel von 17 Euro und zweitens bei dem Hinweis, daß es sich dabei trotzdem noch um eine reichlich konservative Sicht der Dinge handelt.
Zum Abschluß aus aktuellem Anlaß noch eine kurze, aber äußerst wichtige Notiz zum Composite-Index der amerikanischen Wachstumsbörse Nasdaq. Auch der hat in den letzten Tagen, deutlich früher als erwartet und noch dazu ohne eine eigentlich typische vorgelagerte nennenswerte Konsolidierungsphase, die ausgeprägte Widerstandszone zwischen 1950 und 2050 Punkten hinter sich gelassen und damit die notwendige Voraussetzung für ein neues strategisches Kursziel geschaffen. Ab sofort erwarten wir deshalb für den Nasdaq Composite in den nächsten zwölf Monaten einen Höchstkurs von 2530 Punkten. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß in diesem technischen Umfeld die gerade wieder beginnende Berichtssaison enttäuschen wird.
Der Autor leitet die Staud Research GmbH in Bad Homburg.
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.01.2004, Nr. 7 / Seite 20
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