--><font size="5">"Die Pensionäre ‚übernehmen’ am Ende Konzerne wie General Motors - weil die leeren Pensionskassen alle zukünftigen Gewinne aufsaugen..."</font>
Nobelpreisträger Stiglitz: Betriebsrenten
sind einewachsende Milliardenlast
Interview
WamS: Professor Stiglitz, nicht nur die gesetzlichen Altersvorsorgesysteme brechen auseinander, auch die privaten Pensionsträger stehen vor einem Desaster. Sind die Ansprüche aus den betrieblichen Vorsorgedepots noch zu retten?
Joseph E. Stiglitz: Von den großen Pensionsfonds der US-Konzerne sind viele so gut wie bankrott. Während meiner Zeit im Weißen Haus haben wir für die privaten Renten nach Lösungen gesucht, um den Wohlstand im Alter zu sichern. Mit einer Anpassung der Beiträge an die Lebenshaltungskosten, Senkung des Transaktionsaufwandes, Vereinfachung der Strukturen, Effizienz der Rahmenbedingungen zum Beispiel. Solche notwendigen Korrekturen haben die Pensionskassen der Unternehmen sträflich vernachlässigt - eine Katastrophe für in den Ruhestand gehende Arbeitnehmer.
WamS: Was hat das Management bewogen, mit der betrieblichen Altersvorsorge auf Risiko zu spielen?
Stiglitz: Pensionsrückstellungen sind Verbindlichkeiten, die den Überschuss in der Bilanz schmälern. Es liegt auf der Hand, dass in Zeiten magerer Umsätze und niedriger Gewinne an allen Kostenschrauben gedreht wird. Darüber hinaus hängen die Aktienoptionsprogramme am Profit des Unternehmens, der hauptsächlich die Dynamik der Kurse bestimmt. Und je besser eine Aktie steht, umso höher sind die Zahlungen an die Vorstände.
WamS: Die Pensionskassen gehören zu den großen institutionellen Anlegern. Haben die Portfoliomanager falsch angelegt?
Stiglitz: Das ist ein Teil des Problems. Viele amerikanische Unternehmen haben ihre Pensionsfonds nicht professionell geführt im Sinne eines Risikomanagements. Vielfach ist man von einer Verzinsung des Kapitals ausgegangen, die am Markt nicht zu erzielen war. Anpassungen erfolgten in der Regel zu spät oder gar nicht, selten jedenfalls vorausschauend. Als Folge davon ist für zukünftige Zahlungen weniger zurückgelegt worden, und es klafft ein gigantisches Loch in der Kasse.
WamS: Diese Liquiditätsfalle müssen Experten doch schon in den neunziger Jahren erkannt haben. Geht es dabei nur um Missmanagement oder hängt das auch mit der"Theorie der asymmetrischen Information" zusammen, für die Sie den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhielten?
Stiglitz: Viel oder wenig gute Informationen haben sicherlich damit zu tun. Insider wussten Bescheid, andere haben den simplen Daten aus den Unternehmensreporten geglaubt. Frei nach dem Motto: Es existieren anerkannte Bilanzierungsregeln, und was in den Büchern geschrieben steht, wird schon okay sein.
WamS: Was können die Europäer daraus lernen? Einige Versicherungen, die wegen falscher Einschätzung der Märkte in eine erhebliche Schieflage gerieten, müssen die Zahlungen für Altersvorsorge bereits kürzen.
Stiglitz: Die Schuldenfalle darf nicht zuschnappen. Wissenschaftler forschen zurzeit an Modellen, die über lange Zeiträume stabile Brutto- und Nettobeiträge garantieren. Beispielsweise wird an praktisch umsetzbaren Konzepten für die spezielle Situation in Italien gearbeitet, die aus einer Zusammenarbeit der Cambridge-Universität und dem Fondsgiganten Pioneer entstanden sind und Marktreife erlangen. Ähnliche Vorhaben gibt es auch an anderen Finanzinstituten und Unis.
WamS: Was geschieht, wenn - wie bei General Motors - Zahlungslücken von Milliarden Dollar die Zukunft des Konzerns infrage stellen?
Stiglitz: Das Unternehmen kann natürlich daran Pleite gehen. Oder der Staat wird um Hilfe gebeten. Aber diese Summen wird er nicht aufbringen können und wollen. Jedenfalls werden die Gewinne über viele Jahre zu den Pensionären gelenkt und nicht in Investitionen, wie es eigentlich sein sollte. Dieser Prozess wird die Wettbewerbsfähigkeit permanent verschlechtern, die Gewinne werden sinken und damit auch die Aktienkurse. Auf diese Weise werden faktisch die Pensionäre oder die Gewerkschaften als Vertreter der Arbeitnehmer sukzessive zu Eigentümern des Unternehmens.
Das Gespräch führte Karl-Heinz Möller
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