-->Wie kommt denn sowas? Wieso knicken die nicht unter dem Druck der Lobbyisten und der pressure groups ein?
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13.01.2004 19:14 Uhr
<h2>Stoibers Sparpläne - Ringkämpfe mit dem Eisernen Edmund</h2>
Warum der bayerische Ministerpräsident Stoiber derzeit von seinem Volk ungewohnt starken Widerstand erfährt und doch beliebt ist wie noch nie.
Von Sebastian Beck
Kreuth, 13. Januar - Richard Kölbl macht einen gefassten Eindruck. „Bisher war das alles mehr auf die Städte beschränkt“, sagt der Mann mit Hut und grünem Lodenmantel, während er vor dem Feuerwehrhaus das unglaubliche Geschehen verfolgt. Auf der anderen Straßenseite haben Demonstranten gerade eine Tafel in den Schnee gerammt: „Vom Sklaventum zurück zum Unternehmertum“, steht darauf mit großen Lettern.
Seit dem frühen Morgen herrscht Aufruhr in Kreuth. Hunderte von Waldarbeitern, Bauern, Beamten und Studenten strömen in das Urlauberdorf am Tegernsee, um gegen die bayerische Staatsregierung zu demonstrieren. Bereitschaftspolizei parkt in den Seitenstraßen hinter Hotels und Pensionen. Sechs Kundgebungen, und das an einem einzigen Tag - so etwas gab es hier noch nie. „Früher haben die Hippies mal im Kurpark von Kreuth demonstriert“, sagt Feuerwehrkommandant Hannes Reich, der in voller Montur zum Parkplatzdienst angetreten ist. „Aber da war ich noch nicht auf der Welt.“ Und jetzt geht er schon bald auf die Vierzig zu.
Schuld an allem ist die CSU. Einmal im Jahr zieht sich neben der Landesgruppe des Bundestags auch deren Landtagsfraktion hierher in den hintersten Winkel Bayerns zurück. Üblicherweise dient diese Winterklausur dazu, ein bisschen über Posten zu spekulieren und Gelder für den Straßenbau oder Schulen zu verteilen. Diesmal geht es um mehr: Edmund Stoiber will es wieder einmal allen zeigen, vor allem der rot-grünen Bundesregierung und Finanzminister Hans Eichel.
Das Wahljahr 2006 wurde von der Staatsregierung deshalb zum Heiligen Jahr erklärt, dann nämlich will Bayern als erstes Bundesland einen Haushalt ohne Neuverschuldung vorlegen. Und Stoiber vielleicht doch noch Kanzler in Berlin werden. Der Marsch in den Schuldenstaat sei unmoralisch, verkündete der Münchner Regierungschef im Herbst, das Konto der Kinder dürfe man nicht plündern. Die Erkenntnis ist noch relativ frisch, denn allein 2002 nahm der Freistaat noch eine Milliarde Euro an Krediten auf, 560 Millionen mehr als geplant.
11 000 Jugendliche demonstrierten gegen Kürzungen
Umso stärker tritt Stoiber jetzt auf die Bremse: 2,5 Milliarden Euro will er in diesem Jahr streichen. Dieses Volumen ist ebenso rekordverdächtig wie die Zahl der Proteste dagegen. Zumal Stoiber zusammen mit den Kürzungen auch eine Staatsreform von epochalem Ausmaß ankündigte, was die Verwirrung im Lande steigerte. Allein am vergangenen Wochenende zogen 11000 Jugendliche durch München, um zu demonstrieren.
In Kreuth genehmigten die Behörden nur kleinere Versammlungen. Kaum mehr als 1000 Teilnehmer werden am Dienstagmittag gezählt. Einer von ihnen ist der Polizist Karl-Heinz Marko aus dem fränkischen Hof. Er ärgert sich weniger darüber, dass er nun 42 Stunden statt 40 in der Woche arbeiten soll. Was ihm wirklich Sorgen macht, ist die Vergreisung der bayerischen Polizei. Künftig müssen auch 60-jährige Senioren noch Streife fahren und Schichtdienst leisten -„was soll denn so einer bei einer Wirtshausschlägerei ausrichten?“
Während Marko unten im Ort zusammen mit den Philologen im knöcheltiefen Schneematsch friert, tritt oben im ehemaligen Sanatorium Stoibers Staatskanzleichef Erwin Huber vor die Presse. „Die Grundrichtung des Sparens steht fest“, verkündet er. Und wenn die Gewerkschaft Verdi einer Verlängerung der Arbeitszeit nicht zustimme, werde Bayern aus der Tarifgemeinschaft der Länder aussteigen, droht Huber. Sein Gesicht wirkt in diesen Wochen noch grauer als sonst. Mit dem Erwin sei derzeit nicht gut Kirschen essen, sagen Parteifreunde über Stoibers Superminister für Verwaltungsreform und Bundesangelegenheiten. Auf ihn prasselte es besonders heftig hernieder. „Wer einen Teich trockenlegen will, der darf vorher nicht die Frösche fragen“, hatte Huber zum Thema Verwaltungsreform getönt.
Harmonie der Widersprüche
Das war den früher so folgsamen CSU-Abgeordneten dann doch zuviel. Vor Weihnachten bremsten sie die forschen Reformer Stoiber und Huber, um sich und ihnen eine Denkpause zu verschaffen. Allen voran Landtagspräsident Alois Glück legte sich offen mit dem Regierungschef an und kritisierte dessen unsensible Vorgehensweise. Viele CSU-Abgeordnete machten keinen Hehl daraus, wie sehr ihnen die Sparwut des Regierungschefs auf die Nerven geht. Denn im Vergleich zu anderen Bundesländern ist die Finanzlage des Freistaats noch paradiesisch: 1999 und 2000 konnte zwei Jahre in Folge sogar ein Haushaltsüberschuss erzielt werden.
Auch in den einzelnen Ministerien war der Widerstand gegen die geplanten Kürzungen unerwartet heftig. Nach wochenlangen Verhandlungen blieben im Sozial- und Bildungsbereich noch etliche Fragen offen. Vor allem die Aufhebung der Lernmittelfreiheit sorgt in der Fraktion für Ärger. In Kreuth versuchen die Abgeordneten deshalb noch bis Donnerstag, dem Eisernen Edmund und seinem Finanzminister Kurt Faltlhauser ein paar Millionen abzuringen. An diesem Dienstag lässt sich der Regierungschef freilich nicht blicken. Deshalb darf Fraktionschef Joachim Herrmann zu den Demonstranten gehen und sich von ihnen auspfeifen lassen. „Stoiber = Räuber“, steht auf einem der Transparente, das ihm vor die Nase gehalten wird. „We don’t need no Edi-cation“ auf einem anderen.
62 Prozent für die CSU
Doch so lautstark die Proteste auch sein mögen: In diesen Tagen lässt sich wieder einmal ein Phänomen studieren, das zu Bayern gehört wie der Föhn. Trotz der Proteste nähert sich die CSU in den aktuellen Umfragen mit 62 Prozent einem neuen Rekordhoch, während die SPD-Opposition immer noch unter der 20-Prozent-Marke liegt. Für den Rest Deutschlands mag das nicht zusammenpassen, aber im Freistaat ist es ganz normal: Nur die Bayern bringen das Kunststück fertig, einen Aufstand gegen die CSU-Regierung anzuzetteln, aber Stoiber zugleich für den besten aller möglichen Regierungschefs zu halten.
Georg Hagn ist so ein Typ. Vor seine Zimmerei in Kreuth hat er ein Brett an die Fichten genagelt: „Keine Zeit zum Streiken - wir arbeiten.“ Kurz nimmt er seinen Gehörschutz ab, um seine Einschätzung der politischen Lage abzugeben. „Ich find, dass des alles ein totaler Schwachsinn ist“, sagt er über die Demonstrationen. „Wenn schon, dann müssten wir alle gemeinsam gegen die Regierung aufstehen.“ Wegen der Praxisgebühren etwa, oder der Rentenreform. Gegen die Regierung in Berlin natürlich.
„Normal bin i a Schwarzer“, gesteht Hagn, obwohl: „Wenn ein Gscheiter da ist, dann bin ich auch ein Roter.“ Dann geht er wieder an die Arbeit. Draußen haben die Bauern ein Transparent an einem Traktor aufgehängt: „Edi, die nächste Wahl kommt bestimmt.“ Keine Frage, wem die Bauern ihre Stimme geben werden: Es wird die CSU sein, wie immer.
(SZ vom 14. Januar 2004)
Quelle http://www.sueddeutsche.de/deutschland/artikel/791/24767/
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