-->...in die 'Theorien-KĂŒche'
Vor einigen Tagen hat @kizkalesi einen Beitrag ins Forum gestellt, der nicht viel Gegenliebe fand. Dummes ProfessorengeschwÀtz...etc.
Bei dem von @kizkalesi geposteten Beitrag ging es um das Leistungsbilanz-Defizit (Leibide) der USA und dessen Ursachen. Die Kernthese des Aufsatzes: âDas in den vergangenen Dekaden gestiegene US-Leistungsbilanzdefizit - das als ein Hauptgrund fĂŒr die Dollarabwertung angefĂŒhrt wird - ist Ausdruck dafĂŒr, dass Investoren ein Engagement in den USA als vorteilhafter erachtet haben als etwa im Euro-Raum oder in Japan.â
Im Folgenden will ich mich mal in der âTheorien-KĂŒcheâ der Ă-konomen umschauen und zeigen, warum die Kernaussage dieses Aufsatzes genau so 'richtig' bzw. 'falsch' ist wie viele andere vergleichbare Thesen, die zum Thema Leistungsbilanzdefizit kursieren.
Um nicht bei Adam und Eva anfangen zu mĂŒssen, bitte ich, mir zu glauben, dass die folgende Verkehrsgleichung 'richtig' ist: [Die Gleichung ist ein Teil des Gleichungssystems, das die Entstehung bzw. Verwendung des Volkseinkommens und beschreibt und erfaĂt ZeitraumgröĂen, also z.B. die Ersparnis in einer Periode und nicht die BestandgröĂe: Summe aller Ersparnisse auf Sparkonten zu einem bestimmten Zeitpunkt.]
Und keine Angst, es bleibt hoffentlich Steven Levitt, der diese Woche in San Diego die John Bates Clark Medaille erhĂ€lt. Dieser Preis wird nur alle zwei Jahre an Ă-konomen unter 40 Jahren verliehen und wird von vielen höher eingeschĂ€tzt als der sog. âNobel Preisâ fĂŒr Ă-konomen.]
Um aber zu sehen, ob dieser Trick aus der Theorien-KĂŒche der Ă-konomen (implizierte KausalitĂ€t) zusĂ€tzliche Erleuchtung bringt unterstellen wir also einmal (unerlaubt) eine wechselseitige kausale Beziehung zwischen:
S - I = E - Im
Dann (- und nur dann -) könnten z.B. folgende 'Lesebeispiele' der Gleichung"richtig" sein:
Weil die USA so wenig sparen (S < I) haben sie ein Leibide (= herkömmliche ErklÀrung).
Weil die USA soviel investieren (erneut S < I) haben sie ein Leibide (= hört man schon weniger hÀufig).
WĂŒrden die USA ein höheres Leibide anstreben (E < Im) könnten sie mehr investieren (= heute selten....frĂŒher hĂ€ufiger).
Ein Leibi-Ăberschuss wĂŒrde die Sparquote der USA erhöhen (= heute selten...frĂŒher hĂ€ufig).
WĂŒrden die USA ihr Haushaltsdefizit (2004 ca. 4,5% v. BIP, Tendenz steigend) abbauen, wĂŒrde das Leibide kleiner (dieser Zusammenhang geht nicht unmittelbar aus der Gleichung hervor - wird aber verstĂ€ndlich, wenn man einen Budget-Ăberschuss als Ersparnis definiert [s.o.])(= diese Argumentation hört man heute hĂ€ufiger).
Was war zu beweisen? Unterstellt man bei simplen Verkehrsgleichungen KausalitĂ€t - (macht sie so also zu prognosefĂ€higen"Theorien") - dann ist beinahe alles âbeweisbarâ. Jeder darf sich aus den obigen 'Lesebeispielen' die Version heraussuchen, die ihm am besten in den Kram paĂt. Wirklich bewiesen ist damit gar nichts. Wir wissen nĂ€mlich nichts (oder nur sehr wenig) ĂŒber Ursache und Wirkung und wechselseitige EinflĂŒsse - auch die schlauen Professoren und ihre dickleibige ökonometrische WĂ€lzer nicht.
(Nur ein kleines Beispiel: Die USA importieren ĂŒber 60 Prozent ihres Rohöl-Bedarfes (meist in USD fakturiert). Es gehört nicht viel Phantasie dazu sich vorzustellen, dass eine mengenmĂ€Ăige Schrumpfung der Energie-Importe weitreichende Folgen fĂŒr die US-Wirtschaft hĂ€tte, die deutlich mehr wirtschaftliche GröĂen beeinfluĂt als die vier, die wir hier betrachten. Dies hĂ€tte wiederum RĂŒckwirkungen auf weitere GröĂen usw. usw. - eine unĂŒberschaubare Kettenreaktion!)
Ex post - also nachtrĂ€glich - können wir zwar in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung die VerĂ€nderung verschiedener zusammengezĂ€hlter GröĂen gegenĂŒber der Vorperiode feststellen, aber wir wissen und verstehen nicht wirklich, warum sich die GröĂen verĂ€ndert haben. (Empirische Ă-konomie in Kinderschuhen!)
Ein weiteres wichtiges Beispiel:
Als GegenstĂŒck zur Leistungsbilanz gibt es die Kapitalbilanz.
Beides zusammen macht die sog. Zahlungsbilanz aus, die - wie jede Bilanz - fĂŒr jede Periode rechnerisch ausgeglichen sein muss.
Ein Leistungsbilanz-Defizit hat somit zwangslĂ€ufig einen ĂberschuĂ in der Kapitalbilanz zur Folge und umgekehrt, sonst wĂ€re die Zahlungsbilanz insgesamt nicht ausgeglichen.
Ein ĂberschuĂ der Kapitalbilanz heiĂt aber nichts anderes als das AuslĂ€nder (incl. ZBs) mehr US-Vermögenswerte erwerben als sie kaufen.
Unterstellen wir nun erneut einen kausalen Zusammenhang zwischen Leistungsbilanz und Kapitalbilanz, so lautet ein mögliches âLesebeispielâ dieser KausalitĂ€t: Weil die AuslĂ€nder so viele US-Vermögenswerte (Immbilien, Aktien, Anleihen etc.) erwerben, haben die USA ein Leistungsbilanz-Defizit. (Man vergleiche bitte diese Aussage mit der Kernthese [s.o.] des von @kizkalesi geposteten Aufsatzes.)
Leider ist diese SchluĂfolgerung aber genau so falsch (oder richtig) wie die folgende Behauptung: Weil die USA so viel konsumieren und investieren (und damit so wenig sparen) haben sie ein Leistungsbilanz-Defizit. (= Ăbliches ErklĂ€rungsmuster).
Wer im Dollar spekuliert sollte sich (aus meiner Sicht) von all diesen theoretischen ErklĂ€rungsmustern tunlichst fernhalten. Diese"Theorien" sind bestenfalls interessante Gedankenspiele. Sie behaupten kausale ZusammenhĂ€nge, die man (als Ă-konom) zwar straffrei behaupten darf - aber nicht beweisen kann. Einen Beweis fĂŒr die Richtigkeit der einen oder anderen These gibt es derzeit noch nicht und wenn es Beweise gibt, dann erst nachtrĂ€glich, also wenn das Leibide ausreichend geschrumpft wurde; PrognosefĂ€higkeit wĂ€re damit nicht gewonnen. Andererseits ist situationsbedingt die eine oder andere Aussage mehr oder weniger"richtig" - nachtrĂ€glich weiĂ man z.B. welche der 4 betrachteten GröĂen den höchsten Anteil der Anpassung getragen hat. Ich persönlich glaube, dass diesmal"S" die treibende GröĂe sein wird, aber ich weiĂ es nicht.
Konsequenzen fĂŒr die vielen (bewuĂten oder unbewuĂten) USD-Spekulanten hier: Der USD hat seit dem FrĂŒhjahr 2002 einen soliden Trend etabliert. In DevisenmĂ€rkten (so meine Ansicht) mehr als anderswo gilt: The trend is your friend! - ganz besonders bei den"groĂen" WĂ€hrungen (Yen, Euro, USD).
Wer nicht irgendwelchen RattenfĂ€nger-Ă-konomen aufsitzen will, sollte sich -getreu des Mottos - the rarerest commodities are facts - an eben diese erprobten Fakten halten:
- Leibide beobachten incl. einzeln die Export- und Importwerte und deren Preisentwicklung!
- Bilaterale Entwicklungen der Leistungsbilanzen der wichtigsten US-Handelspartner (Canada, Mexico, Japan, Euroland)
- Ersparnis, Nettoinvestitionen in den USA beobachten
- WertpapierkÀufe der AuslÀnder in den USA incl. Zins-Spreads des USD zu Yen und Euro
- Trade adjusted Dollar-Index beobachten (nicht nur USD/Euro)!!!
- Budgetdefizite (incl. Haushalte der Einzelstaaten z.B. CA) der USA beobachten
- Devisen-Futures beobachten
- Am wichtigsten: Das Ohr an der Stimmung und am eigenen Bauch!
Klingt nach Arbeit? - Richtig! Vor allem wenn sich die Datenbasis widersprĂŒchlich entwickelt! Werâs einfacher haben will schaut eben nur auf Charts - ich kannâs nicht.
(Wer Schwierigkeit hat diese Infos im web zu finden, dem hilft @Cosa - Profi in diesen Fragen - vielleicht mit freundlichen Hinweisen)
Entsprechend der oben geschilderten buchhalterischen ZusammenhĂ€nge können alle diese GröĂen (und mehr) den USD-Kurs direkt oder indirekt beeinflussen, aber wie weiĂ bis heute kein Mensch genau. LaĂt euch also nicht von RattenfĂ€ngern einfangen!
In einem frĂŒheren Beitrag "US-Dollar Perspektiven" hatte ich versucht Stimmen zu sammeln, die das damalige AusmaĂ der möglichen USD-Abwertung abschĂ€tzten. Die dortigen Warnungen/Empfehlungen gelten uneingeschrĂ€nkt auch heute!!
Inzwischen ist viel geschehen, allerdings nicht hinsichtlich des Leibide - zumindest nicht in die 'richtige Richtung'. Viele Kommentatoren gehen davon aus, dass es doppelt schwierig wird das US-Leibide in diesem Zyklus zu schrumpfen, wenn die Konjunktur in den USA nachhaltig anspringt und das Haushaltdefizit wĂ€chst oder auf dieser Höhe verbleibt, weil sich dann andere Parameter um so stĂ€rker anpassen mĂŒssen.
Meine persönliche Ansicht (wahrscheinlich falsch [img]" alt="[image]" style="margin: 5px 0px 5px 0px" /> )ist ferner, dass sich die USD-Abwertung (mit zum Teil massiven Kurs-Korrekturen) noch zwei vielleicht drei Jahre hinziehen wird. Meine SchĂ€tzung fĂŒr das weitere Abwertungspotential ist derzeit: noch 20 Prozent auf einer trade-adjusted Basis (also gewichtet nach den Handelsströmen). Das kann bei der einen WĂ€hrung also durchaus mehr sein als bei der anderen und ist ein wichtiges Teile-Puzzle in dem gesamten Anpassungsprozess, der vor uns liegt. Denn wenn z.B. Japan oder China sich einer Aufwertung âwidersetzenâ, wird der Druck anderswo entsprechend gröĂer. Dies ist auch ein Grund, warum der USD-Kurs den vermeintlichen âGleichgewichtspreisâ zu einer bestimmten WĂ€hrung deutlich unterschreiten kann!
Historisches Anschauungsmaterial bietet die letzte groĂe Abwertungswelle des USD in der zweiten HĂ€lfte der achtziger Jahre. Damals betrug das Leibide der USA nur ca. 3,5 Prozent des BIP (heute 5% steigend). Damals hat man (gemessen in DM) schon deutlich niedrigere USD-Kurse gesehen als heute. Aber heute rechnen wir in Euro und Geschichte wiederholt sich nicht identisch! Der Euro ist heute in der NĂ€he seines 20-jĂ€hrigen Durchschnittes (trade-adjusted) bewertet und damit vielleicht nicht der profitabelste spekulative Gegenpart zum USD. Trotzdem glaube ich (Glaube=Nichtwissen) derzeit, dass wir in diesem Zyklus einen Preis fĂŒr den Euro von ca. USD 1,60 sehen werden (das entsprĂ€che rechnerisch einem DM-Preis fĂŒr den USD von 1,22). Wennâs lĂ€nger als drei Jahre dauert - auch darunter.
Die Langfristigkeit der AnpassungsvorgÀnge und damit des Trends hat zur Folge, dass der Trend auf dem Zielpfad alle denkbaren chart-technischen Punkte und Linien immer wieder testen wird. Deshalb: Dem Trend folgen, aber ohne Verkrampfung! Fakten & Stimmung im Auge/Ohr behalten. Bei ZB- Interventionen: Nerven behalten (die machen den Trend nicht - jedenfalls nicht mit Interventionen!).
Dies ist keine Empfehlung den âTiger zu reitenâ.
Viel Erfolg dem, derâs trotzdem versucht.
GruĂ...(und hĂ€tte ich mehr Zeit gehabt, hĂ€tte ich mich kĂŒrzer gefasst... [img][/img] )
Popeye
P.S. Ich kann kurzfristig auf evtl. Kommentare nicht eingehen, weil unterwegs.
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