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"Politik nur für die Reichen"
08. Februar 2004 Der Star-Ã-konom Paul Krugman attackiert Bush und Greenspan. Im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung benennt er konjukturelle Risiken und zeigt sich enttäuscht vom deutschen Reformtempo.
Herr Krugman, steht Amerikas Aufschwung auf der Kippe?
Es gibt große Risiken für die Konjunktur. Wenn sich der Arbeitsmarkt nicht spürbar belebt in den kommenden Monaten, könnte die Stimmung unter den Verbrauchern und letztlich auch unter den Unternehmen umschlagen. Ich rechne zwar mit mehr Arbeitsplätzen, insgesamt aber wird sich das Bild nicht deutlich aufhellen.
Die Konjunktur hängt also am Arbeitsmarkt?
Das trifft für die nähere Zukunft zu. Viel größer aber ist die Gefahr einer Schuldenkrise in Amerika. Sie droht wegen der völlig unverantwortlichen Finanzpolitik der Regierung in Washington.
Präsident Bush sagt, die Steuersenkungen hätten den Aufschwung herbeigeführt.
Von den Steuererleichterungen profitieren vor allem die Reichen. Darum wirken sie auch längst nicht so beflügelnd auf die Konjunktur, wie Entlastungen an anderer Stelle es getan hätten. Außerdem treibt die Regierung das Haushaltsdefizit und die Verschuldung in die Höhe.
Im Verhältnis zur Wirtschaftskraft Amerikas ist das Budgetdefizit doch nicht groß.
Normalerweise würde mich ein Budgetdefizit von 4,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nicht aufregen. Wir haben es aber nicht mit einem vorübergehenden Phänomen zu tun. Es zeichnen sich riesige strukturelle Defizite ab. Rechnet man allein den Überschuß der staatlichen Rentenversicherung in diesem Jahr heraus, steht das Defizit bei 6 Prozent.
Aber zum Zinsanstieg ist es trotz Defizit nicht gekommen.
Die kurzfristigen Zinsen sind deshalb niedrig, weil wir noch dabei sind, die Wirtschaftsschwäche nach dem Zerplatzen der New-Economy-Blase zu überwinden.
Auch die langfristigen Zinsen sind niedrig.
Offenbar rechnen die Märkte wegen des Aufschwungs mit einer Besserung der Haushaltslage in den kommenden Jahren. Da irren sich die Investoren aber. Eine Verdopplung der langfristigen Zinsen ist gut möglich. Wenn es soweit ist, kann es ganz schnell gehen.
Wie soll Bush den Haushalt in Ordnung bringen?
Die Steuersenkungen von Präsident Bush entsprechen rund 2,5 Prozent des BIP. Selbst eine Rücknahme würde darum nicht reichen, um das Loch zu stopfen. Es wäre aber ein Anfang.
Bush wird ihn nicht machen.
Stimmt. Wir haben es mit einer Regierung zu tun, deren Ziel es ist, den Sozialstaat auszuhungern. Die Wirtschaftspolitik in Amerika wird vom ganz rechten Flügel bestimmt. Die Steuer- und Ausgabenpolitik der vergangenen Jahre läßt daran keinen Zweifel mehr.
Bush steht nicht allein. Auch Zentralbank-Chef Alan Greenspan hat sie befürwortet.
Greenspan hat dabei sein Mandat eindeutig überspannt. Es ist nicht die Aufgabe des Chairman der Federal Reserve, Bush Ratschläge in der Finanzpolitik zu erteilen.
Im Kongreß wird seine Meinung ebenfalls gerne gehört.
Greenspan hat eine besondere Position: Er ist die mächtigste Figur in der amerikanischen Wirtschaftspolitik, aber er ist nicht in sein Amt gewählt. Darum muß er überparteilich handeln und darf keine eingefärbten Ratschläge erteilen. Er hat Steuersenkungen zu einem Zeitpunkt befürwortet, als sie mit einer verantwortungsvollen Finanzpolitik schon nicht mehr in Einklang standen. Das ist unverzeihlich.
War auch die lockere Geldpolitik der letzten Jahre ein Fehler?
Nein. Ich hätte die Zinsen sogar noch schneller gesenkt. Und jetzt ist es richtig, den Kurs nicht zu schnell zu ändern. Seine Aufgabe als Währungshüter erfüllt Greenspan zufriedenstellend.
Viele Amerikaner geben China die Schuld an der Arbeitslosigkeit in ihrem Land.
Viele Menschen haben derzeit den Eindruck, daß etwas grundlegend schiefläuft in Amerika. Das gilt insbesondere für die Einkommensverteilung. Die Reichen werden reicher, und die normalen Arbeiter haben nichts vom Aufschwung. In einer solchen Stimmung werden Sündenböcke gesucht. China beispielsweise wird aufgrund seines hohen bilateralen Handelsbilanzüberschusses mit Amerika dazu gemacht.
Die Regierung setzt China unter Druck, seinen Wechselkurs freizugeben.
Eine Freigabe können sich die Chinesen gar nicht leisten. Das dortige Bankensystem ist viel zu marode, um einem freien Kapitalverkehr standhalten zu können. Eine Aufwertung des Renminbi aber wäre richtig. Aber noch einmal: Der Handel ist nicht das Problem der amerikanischen Wirtschaft.
Demnach ist es nicht nötig, Arbeits- und Umweltstandards in Freihandelsabkommen aufzunehmen?
Wer das verlangt, nimmt den Untergang der Volkswirtschaften der Dritten Welt in Kauf. Die können sich unsere Standards nicht leisten.
Über eine Aufwertung des Renminbi würden sich auch die Europäer freuen, denn dann müßte der Euro nicht die große Last der Dollar-Schwäche tragen.
Man sollte die Euro-Stärke nicht überbewerten. Im historischen Vergleich ist das aktuelle Kursniveau zum Dollar nicht außergewöhnlich. Rechnet man mit einem"synthetischen Euro" zurück, dann ist der aktuelle Kurs immer noch schwächer als Mitte der neunziger Jahre. Ich bin nicht davon überzeugt, daß der Euro zu hoch bewertet ist.
Woher rührt die Schwäche des Dollar?
Vor allem vom hohen Defizit in der amerikanischen Leistungsbilanz. Viele Anleger sind nicht mehr bereit, riesige Mengen Dollar zu einem hohen Preis zu kaufen. Darum sinkt der Kurs.
Also ist tatsächlich der Dollar schwach und nicht der Euro stark?
Europa enttäuscht mich sehr. Es hat durch den Euro genau die Schwierigkeiten bekommen, die die Briten vorhergesehen haben. Die Europäische Zentralbank war bisher zu konservativ in ihrer Zinspolitik. Damit hemmt sie die konjunkturelle Entwicklung im Euro-Raum. Außerdem bestehen die großen strukturellen Probleme fort.
In Deutschland hat es Reformen gegeben, die von der Regierung in Berlin als weitreichend gepriesen werden.
Bei Lichte betrachtet, sind sie sehr bescheiden, verglichen mit dem, was notwendig wäre. Deutschland bewegt sich unglaublich langsam. Viele der Probleme sind doch seit den siebziger Jahren bekannt. Deutschland braucht eine Führungsfigur vom Schlag einer Margaret Thatcher.
Das Gespräch führte Claus Tigges
<ul> ~ Grosse Risiken für die Konjunktur</ul>
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