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11. Februar 2004, 02:11, Neue ZĂĽrcher Zeitung
Das Periodensystem erhält Zuwachs
KĂĽnstliche Erzeugung der Elemente 113 und 115 mit einem Schwerionenbeschleuniger
Durch eine gezielte Verschmelzung von Atomkernen haben russische und amerikanische Forscher das bisher unbekannte Element 115 erzeugt. In seiner Zerfallskette konnten sie zudem das Element 113 identifizieren. Der Zuwachs im Periodensystem soll dabei helfen, die Grenzen der Stabilität von Atomkernen auszuloten.
Spe. Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein neues chemisches Element das Licht der Welt erblickt. Dass aber gleich zwei Elemente auf einen Streich erzeugt werden, hat es bisher noch nicht gegeben. Dieses HusarenstĂĽck ist kĂĽrzlich russischen und amerikanischen Kernphysikern gelungen. Wie bereits kurz gemeldet, konnten die Forscher mit einem Schwerionenbeschleuniger am Joint Institute for Nuclear Research in Dubna, Russland, zwei unterschiedlich schwere Isotope des Elements 115 synthetisieren und anschliessend beobachten, wie diese zerfielen. Die Zerfallsketten fĂĽhrten ĂĽber das bis dahin ebenfalls unbekannte Element 113, das damit gewissermassen umsonst mitgeliefert wurde.
Auf dem Weg zur Insel der Stabilität
Mit Halbwertszeiten von 30 beziehungsweise 90 Millisekunden sind die beiden Isotope des Elements 115 (das eine mit 172, das andere mit 173 Neutronen) nicht gerade ein Ausbund an Stabilität. Gerade das macht sie für die Forschung so interessant. Indem Kernphysiker Atomkerne erzeugen, die hart an der Grenze zur Instabilität liegen, können sie sehr genau untersuchen, wodurch die Materie in ihrem Innersten zusammengehalten wird. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob sich die Bausteine der Kernmaterie, also Protonen und Neutronen, auf eine Art und Weise anordnen können, die einem potenziell instabilen Atomkern zusätzlichen Halt und damit eine längere Lebensdauer verleiht.
Eine solche «Insel der Stabilität» vermutet man bei superschweren Atomkernen, die überaus reich an Protonen und Neutronen sind. Wo genau die Grenzen dieser Insel verlaufen und bei welchen «magischen» Protonen- und Neutronenzahlen sie ihre höchste Erhebung hat, ist umstritten. Mit den beiden neu erzeugten Elementen verdichten sich allerdings die Hinweise aus früheren Experimenten, dass man zumindest mit einem Bein auf dieser Insel steht und der Gipfel in Reichweite liegt. Ohne stabilisierende Effekte sollten Atomkerne dieser Gewichtsklasse nämlich schon nach 10-20 Sekunden spontan zerplatzen - zerrissen von den abstossenden Kräften zwischen den positiv geladenen Protonen. Gemessen an dieser Zeitskala, sind 90 Millisekunden eine halbe Ewigkeit.
Der einzige Weg zur Erzeugung von superschweren Elementen führt über eine Verschmelzung von leichteren Atomkernen. Man schiesst mit einem Schwerionenbeschleuniger mittelschwere Atomkerne auf ein Targetmaterial. Dabei kann es sich etwa um Blei oder Wismut, aber auch um radioaktive Elemente wie Plutonium, Americium oder Curium handeln. Entscheidend ist, dass die Projektile mit der richtigen Energie auf das Target treffen. Sind sie zu langsam, verhindert die elektrische Abstossung eine Verschmelzung mit einem Atomkern des Targets. Sind sie zu schnell, ist der entstehende Verbundkern so stark angeregt, dass er augenblicklich zerplatzt. Selbst wenn man die richtige Energie trifft, ist eine Kernverschmelzung eine extrem seltene Angelegenheit. Auch nach wochenlanger kontinuierlicher Bestrahlung besteht die Ausbeute in der Regel nur aus einer Handvoll von Atomen. Das mag erklären, warum seit Beginn der 1980er Jahre gerade einmal zehn neue Elemente - die Elemente 107 bis 116 - erzeugt werden konnten.
Die Jagd nach superschweren Elementen hat sich zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen von zwei Instituten entwickelt. Gingen die Elemente 107 bis 112 auf das Konto der Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt, wurden die Elemente 113 bis 116 allesamt in Dubna erzeugt. Auch das Element 118 will man hier bereits entdeckt haben. Die entsprechenden Ergebnisse sind allerdings noch nicht publiziert worden. In ihrem jüngsten Experiment wählte die von Yuri Oganessian geleitete Gruppe, die seit Jahren mit Forschern vom Lawrence Livermore National Laboratory zusammenarbeitet, ein Target aus Americium-243 und beschoss es mit Calcium-48-Atomkernen. Nach vier Wochen intensiver Bestrahlung bei zwei verschiedenen Energien konnten die Forscher drei Atome des Isotops 288115 und ein Atom des Isotops 287115 identifizieren. Alle vier Atome waren aus einem relativ «heissen» Verbundkern hervorgegangen, der drei beziehungsweise vier Neutronen abgedampft hatte, um seine überschüssige Energie loszuwerden. Man spricht deshalb auch von heisser Fusion. Die Identifizierung der beiden Isotope erfolgte anhand ihrer Zerfallsreihen. Nach fünf aufeinander folgenden Alpha-Zerfällen, die über das Element 113 führten, landete man schliesslich bei zwei neutronenreichen Isotopen des Elements 105 (Dubnium). Im Vergleich zu bereits bekannten Isotopen dieses Elements sind die neuen Dubnium-Isotope extrem langlebig. Während das eine eine Halbwertszeit von 73 Minuten hat, zerfällt das andere sogar erst nach 16 Stunden durch spontane Spaltung.
Anhaltende Erfolge in Dubna
Die Erfolgsserie der russisch-amerikanischen Arbeitsgruppe nötigt auch der Konkurrenz Respekt ab. Sigurd Hofmann, der bei der GSI seit vielen Jahren die Suche nach superschweren Elementen vorantreibt, sieht mit der Entdeckung und dem Nachweis der Elemente 113 und 115 ein in sich schlüssiges Bild entstehen. Durch die neuen Messungen hätten auch die früheren Experimente zu den Elementen 114 und 116 an Plausibilität gewonnen. Ausschlaggebend für die anhaltenden Erfolge der russischen Forscher seien mehrere Faktoren. So verfüge man in Dubna über einen ausgezeichneten Calcium-48-Strahl, der zudem fast ausschliesslich für die Erzeugung schwerer Elemente zur Verfügung stehe. Ausserdem, so Hofmann, habe sich die Strategie der russischen Forscher bewährt, die superschweren Elemente durch eine heisse Fusion zu erzeugen. Die in Darmstadt perfektionierte Methode, den entstehenden Verbundkern möglichst wenig aufzuheizen, habe zumindest bei Kernladungszahlen grösser als 112 nicht die erhoffte Ausbeute gebracht.
In den kommenden Jahren werden Kernphysiker auf der ganzen Welt danach trachten, die Ergebnisse der russisch-amerikanischen Forschungsgruppe zu bestätigen. Man möchte nicht noch einmal vor dem gleichen Scherbenhaufen stehen wie vor zwei Jahren, als sich die Ankündigung der Lawrence Berkeley National Laboratories, man habe die Elemente 116 und 118 erzeugt, als plumpe Fälschung eines Wissenschafters herausgestellt hatte. Des Weiteren wird man versuchen, noch schwerere Elemente sowie weitere Isotope der bereits bekannten Elemente zu erzeugen. Mit etwas Glück könnte man schon in einigen Jahren wissen, wo die wirklich magischen Orte auf der Insel der Stabilität zu finden sind.
Quelle: Phys. Rev. C 69, Art.-Nr. 021601(R) (2004).
<ul> ~ Periodensystem</ul>
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10.02.2004 - Physik
Relativitätstheorie gegen Quantentheorie: Einstein liegt immer noch vorn
Mit modernen Versionen des Experiments, das Einstein vor 100 Jahren zu seiner Speziellen Relativitätstheorie führte, wollen deutsche Forscher diese Theorie jetzt kippen
Im Jahr 1887 führten Albert Michelson und Edward Morley ein Experiment durch, mit dem sie den geheimnisvollen"Lichtäther" nachweisen wollten, der - so nahm man damals zumindest an - das Weltall durchdringt. Sie fanden ihn nicht. Dieses negative Ergebnis führte Albert Einstein zu seiner Speziellen Relativitätstheorie. Heute arbeiten Forscher an der so genannten Quantengravitation und wollen mit modernen Varianten des Michelson-Morley-Experimentes die Grenzen der Gültigkeit der Relativitätstheorie finden. Ein deutsches Forscherteam berichtet jetzt im Fachmagazin Nature (Bd. 427, S. 482) über die neuesten Ergebnisse.
Physiker hielten den Lichtäther für das Medium, durch das sich Licht ausbreitet. So wie Wasserwellen Wasser benötigen, um sich auszubreiten, und so wie Schallwellen dafür Luft oder ein anderes materielles Medium benötigen, so sollte der Lichtäther das Ausbreitungsmedium der Lichtwellen sein. Folglich sollte der Lichtäther das gesamte Weltall durchdringen.
Dann - so die Idee des Michelson-Morley-Experiments - muss der Lichtäther aber auch nachweisbar sein. Während der Bewegung der Erde um die Sonne durchdringt die Erde den ruhenden Lichtäther. Genau wie sich Schall entgegen der Windrichtung langsamer ausbreitet als Schall in ruhender Luft, so sollte die Lichtgeschwindigkeit davon abhängen, ob das Licht sich in die gleiche Richtung wie die Erde ausbreitet oder aber in entgegengesetzter Richtung.
Doch Michelson und Morley fanden keine Änderung der Lichtgeschwindigkeit. Egal, ob das Licht sich mit oder entgegen der Erdbewegung ausbreitete - seine Geschwindigkeit war immer dieselbe. Zwei Jahrzehnte später machte dann Albert Einstein kurzen Prozess mit der Äthertheorie. Er verwarf die Existenz eines Äthers als universelles Bezugssystem und postulierte stattdessen die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. Das war die Geburt seiner Speziellen Relativitätstheorie.
Heute versuchen Physiker, Einsteins Spezielle Relativitätstheorie mit modernen Versionen des Michelson-Morley-Experimentes zu widerlegen. Der Grund: Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie, die die Spezielle mit einschließt, und die Quantentheorie sind miteinander unvereinbar. In den meisten Fällen spielt dies keine Rolle, da die Allgemeine Relativitätstheorie sich bevorzugt mit dem Weltall als ganzem, die Quantentheorie sich dagegen bevorzugt mit winzigen physikalischen Teilchen beschäftigt. Doch bei bestimmten Phänomenen wie beispielsweise bei Schwarzen Löchern oder beim Urknall braucht man eine Theorie, die Quantentheorie und Relativitätstheorie miteinander aussöhnt.
Unter dem Überbegriff"Quantengravitation" gibt es zahlreiche Varianten solch einer Theorie. Der Grund für die Variantenvielfalt ist naheliegend: Es gibt bisher kaum experimentelle Ergebnisse, die unter den Theorien die Spreu vom Weizen trennen könnten.
Doch einige Theorienvarianten sind jetzt ins Wanken geraten. Und zwar deshalb, weil ein kürzlich durchgeführtes hochpräzises Michelson-Morley-Experiment immer noch keine Abweichungen von den Vorhersagen der Relativitätstheorie gefunden hat, die aber von einigen dieser Theorien gefordert werden. Eine Gruppe um Stephan Schiller von der Universität Düsseldorf und Achim Peters von der Humboldt-Universität Berlin konnte zeigen, dass mögliche Änderungen der Lichtgeschwindigkeit nicht größer als eins zu einer Billiarde sind. Zum Vergleich: Beim ursprünglichen Experiment von Michelson und Morley lag diese Grenze bei eins zu 100 Millionen.
Auch solch ein negatives Ergebnis bringt die Forscher weiter."Bis vor kurzem waren selbst solche experimentellen Ergebnisse über Aussagen der Quantengravitationstheorien unmöglich", sagt David Mattingly von der Universität von Kalifornien in Davis."Die Theoretiker mussten ihre Theorien bisher nie an experimentelle Ergebnisse anpassen - weil es solche Experimente einfach nicht gab."
Mit Unterstützung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) plant die deutsche Forschergruppe jetzt den Bau des Satelliten OPTIS, der die Präzision des Experimentes noch einmal um den Faktor Tausend erhöhen soll. Eine Zusage der Europäischen Weltraumbehörde ESA über eine Beteiligung steht noch aus.
Axel Tillemans
© wissenschaft.de, komedia GmbH 2004
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